Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.05.2012, Az. 5 StR 567/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 6120

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Gegenstand

Strafbarkeit der Einreise bzw. Verbringung vietnamesischer Staatsangehöriger nach Deutschland: Erschleichung formell bestandskräftiger Touristenvisa bzw. Arbeitsvisa duch arglistige Täuschung von Mitarbeitern der ungarischen Botschaft in Vietnam


Leitsatz

Durch arglistige Täuschung der zuständigen Behörden des Ausstellermitgliedstaats über den wahren Reisezweck erlangte, jedoch formell bestandskräftige Visa von Drittstaatsangehörigen schließen deren Strafbarkeit wegen illegaler Einreise und illegalen Aufenthalts (§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG) sowie eine Strafbarkeit gemäß den hieran anknüpfenden Schleusungstatbeständen der §§ 96, 97 AufenthG nach § 95 Abs. 6 AufenthG verfassungsrechtlich unbedenklich nicht aus; Unionsrecht steht dem nicht entgegen (im Anschluss an die Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union durch Urteil vom 10. April 2012 in der Rechtssache C-83/12 PPU).

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 23. August 2011 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete und auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt – nach Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens an den [X.] – im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO ohne Erfolg. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:

2

1. Das [X.] hat im Wesentlichen festgestellt:

3

a) Der Angeklagte gehörte [X.] Banden an, deren Ziel es war, [X.] Staatsbürger illegal nach [X.] zu verbringen. Eine Bande ging in der Weise vor, dass der [X.] Botschaft in [X.] vorgespiegelt wurde, bei gegen ein Entgelt von 11.000 bis 15.000 $ zu [X.] [X.] Staatsbürgern handele es sich um Mitglieder touristischer Reisegruppen. Die vorgeblichen Reisegruppen bestanden jeweils aus 20 bis 30 Personen. In der irrigen Annahme, dass die Reisen tatsächlich stattfinden würden, erteilte die [X.] Botschaft den Betroffenen Touristenvisa, die einen kurzen Aufenthalt in allen Schengenstaaten ermöglichten. Die Reisen wurden in den ersten Tagen zum Schein gemäß Reiseprogramm durchgeführt, bevor die Betroffenen dem vorab gefassten Tatplan entsprechend von [X.] aus in die jeweiligen Zielländer – zumeist [X.] – weiter transportiert wurden. Die in [X.] eintreffenden Geschleusten wurden zunächst in so genannten „Safehouses“ untergebracht, bis sie dann von in [X.] ansässigen Verwandten abgeholt und anderweitig einquartiert wurden.

4

Die weitere Bande machte sich den Umstand zunutze, dass [X.] Arbeitskräfte in [X.] als Beerenpflücker auf wenige Monate befristete [X.] erlangen konnten, die einen Aufenthalt im [X.] erlaubten. Bei der Beantragung der [X.] wurde den zuständigen Behörden vorgespiegelt, dass die zu [X.] Personen als Beerenpflücker arbeiten wollten, während sie in Wahrheit planten, sich unmittelbar nach ihrer Ankunft in [X.] weiter nach [X.] oder in andere Mitgliedstaaten der [X.] schleusen zu lassen.

5

b) Dem – wenngleich nicht wegen ausländerrechtlicher Straftaten, jedoch nicht unerheblich vorgeahndeten – Angeklagten liegt im Einzelnen zur Last:

6

aa) Am 21. Juni 2010 nahm er mit zwei anderen Bandenmitgliedern sechs [X.] Staatsbürger in Empfang, die mit erschlichenen [X.] Touristenvisa von [X.] kommend in [X.] eingetroffen waren. Mit einem Mittäter sorgte er dafür, dass diese und drei weitere geschleuste Personen durch Verwandte oder Bekannte abgeholt und untergebracht wurden. Dafür erhielt er 500 €. Dem Plan entsprechend tauchten die [X.] Staatsbürger nach ihrer Ankunft in [X.] unter (Tat 1).

7

bb) Am 4. Juli 2010 holte er mit zwei Bandenmitgliedern zehn in gleicher Weise nach [X.] verbrachte [X.] Staatsbürger ab und sorgte für deren Unterbringung. Er erhielt Geldleistungen in unbekannter Höhe (Tat 2).

8

cc) Am 17. Juli 2010 fuhren der Angeklagte und ein Mittäter nach [X.], um den Transport einer Gruppe von [X.] Staatsangehörigen nach [X.] zu organisieren. Diese hatten unter Hilfestellung der Bande [X.] [X.] als Beerenpflücker erschlichen. Jeder [X.] Staatsangehörige hatte für die Schleusung 2.000 € an den Angeklagten zu zahlen. Der Mittäter fuhr mit vier geschleusten Personen am 19. Juli 2010 nach [X.]. Deren Unterbringung in [X.] wurde von einem weiteren Mittäter durchgeführt (Tat 3).

9

dd) Anschließend organisierten der deswegen in [X.] verbliebene Angeklagte und sein dorthin zurückgekehrter Mittäter nach gleichem Muster die Schleusung weiterer [X.]r Staatsbürger nach [X.]. Auch diese Personen mussten jeweils 2.000 € an den Angeklagten bezahlen. In der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 2010 wurden acht [X.] Staatsangehörige von [X.] nach [X.] verbracht, wo deren Aufnahme und Unterbringung organisiert wurde (Tat 4).

2. Der Schuldspruch wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern (§ 97 Abs. 2 [X.]. § 96 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und b [X.]. § 95 Abs. 1 Nr. 3 und § 96 Abs. 1 Nr. 2 [X.]. § 95 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) wird von den Feststellungen getragen. Entgegen vormaliger Rechtslage (hierzu [X.], Urteil vom 27. April 2005 – 2 [X.], [X.]St 50, 105) schadet es dabei nicht, dass die geschleusten Personen zur Tatzeit jeweils über [X.] verfügten, die formal die Einreise in den [X.] und den dortigen Aufenthalt erlaubten. Denn nach dem durch Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der [X.] vom 19. August 2007 ([X.], 1988) eingeführten § 95 Abs. 6 [X.] steht für die Tatbestände nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 [X.] einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln aufgrund eines durch falsche Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.

a) Die Voraussetzungen des § 95 Abs. 6 [X.] sind erfüllt. Die zu [X.] Personen gaben – unterstützt durch im angefochtenen Urteil teils benannte Bandenmitglieder – gegenüber den Amtsträgern der [X.] Botschaft in [X.] bewusst wahrheitswidrig vor, zu touristischen Zwecken bzw. zum Zweck des Beerenpflückens in [X.] für einen Kurzaufenthalt in den [X.] einreisen zu wollen (vgl. Art. 21 der nach deren Art. 58 Abs. 2 ab dem 5. April 2010 geltenden Verordnung [[X.]] Nr. 810/2009 des [X.] und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen [X.]kodex der [X.], ABl. [X.] vom 15. September 2009, [X.] – [X.]kodex – [X.]. Art. 5 Abs. 1 lit. a, c, d und e der Verordnung [[X.]] Nr. 562/2006 des [X.] und des Rates vom 15. März 2006 über einen [X.]skodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen, ABl. [X.] vom 13. April 2006, [X.] – [X.] –). Demgegenüber hatten sie von Anfang an die Absicht, dauerhaft in [X.] zu bleiben, was der Erteilung der [X.] zwingend entgegenstand (vgl. Art. 21 Abs. 1 [X.]kodex, Art. 5 Abs. 1 lit. e [X.]; [X.], Ausländerrecht, 9. Aufl., § 6 Rn. 22). Nur aufgrund der Fehlvorstellung der Amtsträger über den wahren Zweck der Reisen wurden die [X.] nach den Feststellungen erteilt. Soweit das [X.] die Festnahme eines Angehörigen der [X.] Botschaft erwähnt ([X.]), steht dies den Feststellungen zu Irrtümern der maßgebenden Funktionsträger nicht entgegen. Im Übrigen wären andernfalls Fälle der Kollusion nach § 95 Abs. 6 [X.] gegeben, die zu demselben Ergebnis führen würden.

Für die Annahme [X.] Strafgewalt irrelevant ist, dass sich die Vorgänge zum Erschleichen der [X.] im Ausland abgespielt haben. Das gilt schon deswegen, weil es sich bei § 95 Abs. 6 [X.] nicht um einen eigenständigen Straftatbestand, sondern um eine Gleichstellungsklausel in Bezug auf das in § 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 [X.] normierte (negative) Tatbestandsmerkmal des Fehlens eines erforderlichen Aufenthaltstitels handelt (vgl. [X.], 850, 853 f.; [X.] wohl [X.] in [X.], [X.], 2010, § 95 Rn. 368 ff.; [X.], Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., [X.] ff.).

b) § 95 Abs. 6 [X.] stellt für die Fälle des unerlaubten Aufenthalts und der unerlaubten Einreise (§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 [X.]) ein Handeln aufgrund eines solchermaßen erlangten Aufenthaltstitels einem Handeln ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel gleich. Die Vorschrift bewirkt in den relevanten Fällen trotz Vorhandensein eines verwaltungsrechtlich formell bestandskräftigen Aufenthaltstitels eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 [X.], die ihrerseits den Anknüpfungspunkt für die „Schleusungstatbestände“ nach §§ 96, 97 [X.] bilden können ([X.] [X.], aaO, S. 283 f.).

aa) Dass der Gesetzgeber diese Rechtsfolge herbeiführen wollte, unterliegt keinem Zweifel. Unter anderem mit der Einführung des § 95 Abs. 6 [X.] reagierte er auf das Urteil des [X.] vom 27. April 2005 ([X.]St aaO). Darin wurde entschieden, dass ausländerrechtlichen Erlaubnissen für die verwaltungsakzessorischen Straftatbestände des [X.]es [X.] zukommt, weswegen rechtsmissbräuchlich erlangte, jedoch formell wirksame Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigungen ([X.]) die Strafbarkeit wegen illegaler Einreise und illegalen Aufenthalts (§ 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3, auch [X.]. § 96 Abs. 1 [X.]) ausschließen ([X.]St aaO, [X.]10 ff.). Der Behebung von [X.] aufgrund dieser Entscheidung dienten verschiedene im genannten Gesetz enthaltene Maßnahmen (hierzu Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/5065 [X.]64, 182 f., 199). Mit dem an § 330d Nr. 5 StGB angelehnten § 95 Abs. 6 [X.] wollte der Gesetzgeber sämtliche Fälle erfassen, „in denen die strafbefreiende Genehmigung auf unlautere Weise erlangt worden ist“ (BT-Drucks. 16/5065 [X.]99; vgl. hierzu auch den diesbezüglichen Hinweis in [X.]St aaO, [X.]15).

bb) In § 95 Abs. 6 [X.] hat der gesetzgeberische Wille auch unter dem Blickwinkel des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) hinreichenden Niederschlag gefunden. Für die illegale Einreise erscheint dies eindeutig und wird im Schrifttum soweit ersichtlich auch nicht bestritten (vgl. [X.]/[X.], 1. Aufl., § 95 [X.] Rn. 107). Gleiches gilt indessen entgegen vereinzelten Stimmen in der Literatur ([X.], aaO, § 95 [X.] Rn. 28; [X.], aaO, S. 282 f.) auch in Bezug auf § 95 Abs. 1 Nr. 2 [X.] (so im Ergebnis der Großteil des Schrifttums, vgl. [X.] in [X.]/[X.], Strafrechtliche Nebengesetze, Stand April 2010, § 95 [X.] Rn. 11a; [X.] in [X.], Ausländerrecht, 9. Aufl., § 95 [X.] Rn. 22; [X.] in [X.]/[X.], Stand Juli 2008, § 95 Rn. 57; [X.], Ausländerrecht, Stand Oktober 2010, § 95 [X.] Rn. 110; [X.], NStZ 2009, 546, 548).

Allerdings ersetzt § 95 Abs. 6 [X.] ausdrücklich nur das Fehlen des erforderlichen Aufenthaltstitels und erwähnt die weitere in § 95 Abs. 1 Nr. 2 [X.] enthaltene Voraussetzung einer vollziehbaren Ausreisepflicht nicht. Der Umstand, dass ein formell bestandskräftiger Aufenthaltstitel grundsätzlich eine vollziehbare Ausreisepflicht hindert, führt indessen nicht dazu, dass die ausdrücklich auch auf § 95 Abs. 1 Nr. 2 [X.] zielende Regelung des § 95 Abs. 6 [X.] „fehlgeschlagen“ ist (so [X.], aaO; [X.], aaO). Aus der Gleichstellung des Handelns auf Grund eines erschlichenen Aufenthaltstitels mit dem Handeln ohne Aufenthaltstitel folgt vielmehr auch, dass im Rahmen der Strafvorschriften des § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 [X.] die mit einem erschlichenen Aufenthaltstitel erfolgte Einreise als unerlaubt und die Ausreisepflicht somit als vollziehbar anzusehen ist (vgl. § 58 Abs. 2 Nr. 1 [X.]). [X.] Erwähnung im Gesetzestext bedarf dies nicht zwingend.

c) Über eine Duldung verfügten die eingeschleusten Personen nicht. Im Hinblick darauf, dass sie sich im [X.] von vornherein vor den Behörden verborgen haben, stellt sich die Frage eines die Erfüllung des Tatbestands ausschließenden hypothetischen Duldungsanspruchs (hierzu [X.] – Kammer – NStZ 2003, 488, 489) mithin nicht ([X.], Urteil vom 6. Oktober 2004 – 1 [X.], [X.]R [X.] § 92 [X.] Aufenthalt 4 mwN; Beschluss vom 2. September 2009 – 5 [X.], [X.]St 54, 140, 142).

d) § 95 Abs. 6 [X.] lockert im vorbezeichneten Umfang die Akzessorietät der betroffenen Strafrechtsbestimmungen zum – unionsrechtlich ausgeformten – Verwaltungsrecht. Im Hinblick darauf, dass zur Beurteilung unionsrechtlicher Zulässigkeit eines solchen Konzepts einschlägige oder übertragbare Rechtsprechung des [X.] nicht ersichtlich gewesen ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 24. Oktober 2011 – 2 BvR 1969/09 Rn. 25, und vom 22. September 2011 – 2 BvR 947/11 Rn. 14, jeweils mwN), hat der Senat dem [X.] mit Beschluss vom 8. Februar 2012 (vgl. auch [X.], Beschluss vom 10. Januar 2012 – 5 [X.], [X.], 152) gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„Sind die die Erteilung und Annullierung eines einheitlichen Visums regelnden Art. 21, 34 der Verordnung ([X.]) Nr. 810/2009 des [X.] und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen [X.]kodex der [X.] (ABl. [X.] vom 15. September 2009, [X.], [X.]kodex – [X.]) dahin auszulegen, dass sie einer aus der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Einschleusens von Ausländern in Fällen entgegenstehen, in denen die geschleusten Personen zwar über ein Visum verfügen, dieses aber durch arglistige Täuschung der zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaates über den wahren Reisezweck erlangt haben?“

Mit Urteil vom 10. April 2012 (Rechtssache [X.]/12 PPU) hat der Gerichtshof auf das Vorabentscheidungsersuchen hin für Recht erkannt:

„Die Art. 21 und 34 der Verordnung ([X.]) Nr. 810/2009 des [X.] und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen [X.]kodex der [X.] ([X.]kodex) sind dahin auszulegen, dass sie einer aus der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Einschleusens von Ausländern in Fällen, in denen die geschleusten Personen, die Drittstaatsangehörige sind, über ein Visum verfügen, das sie durch arglistige Täuschung der zuständigen Behörden des Ausstellermitgliedstaats über den wahren Reisezweck erlangt haben und das nicht zuvor annulliert worden ist, nicht entgegenstehen.“

Bei Anwendung dieser Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall ist das [X.] in Einklang mit dem Unionsrecht davon ausgegangen, dass die formell vorhandenen [X.] der geschleusten Personen wegen Erfüllung des § 95 Abs. 6 [X.] einer Strafbarkeit des Angeklagten nicht entgegenstehen.

e) Auch durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken sind nicht gegeben. Die Lockerung der [X.] hat § 95 Abs. 6 [X.] mit § 330d Nr. 5 StGB und ähnlichen Bestimmungen (§ 34 Abs. 8 [X.], § 16 Abs. 4 CWÜAG) gemein. [X.] liegen diese Maßnahmen im Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Vertrauensschutz ist mangels schutzwürdigen Vertrauens der geschleusten Personen und der diese unterstützenden Mitglieder der [X.] offensichtlich nicht verletzt (vgl. [X.], aaO, § 95 [X.] Rn. 107, [X.] in [X.]/[X.], StGB, 28. Aufl., § 330d Rn. 27 mit zahlreichen Nachweisen). Auch der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (vgl. dazu etwa [X.]E 116, 164 mwN) hindert nicht, einer durch die Beteiligten rechtsmissbräuchlich erlangten rechtswidrigen Erlaubnis, die aus diesem Grunde von den zuständigen Verwaltungsbehörden zu „annullieren“, also mit Wirkung ex tunc aufzuheben (vgl. Art. 34 Abs. 1 [X.]kodex) und damit aus von den Betroffenen selbst zu verantwortenden Gründen von Anfang an schwer fehlerbehaftet ist, eine die Strafbarkeit ausschließende Wirkung zu versagen (für § 330d Nr. 5 StGB [X.], vgl. etwa [X.], aaO, § 330d Rn. 27; [X.]/[X.], 11. Aufl., § 330d Rn. 6; SSW-StGB/[X.], 2009, § 330d Rn. 15; [X.], aaO, S. 854 f.; je mwN auch zur Gegenansicht; siehe auch [X.] in [X.] u.a., Europäisches Strafrecht, 2011, § 28 Rn. 17). Vielmehr verhilft die Regelung dem gleichfalls verfassungsrechtlich abgesicherten Gebot wirksamer Verfolgung und Ahndung von Straftaten (vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 27. März 2012 – 2 BvR 2258/09 Rn. 50 mwN) zum Erfolg. Typischerweise ist eine formell erklärte Annullierung der [X.] in Konstellationen wie der hier zu beurteilenden weder vor noch nach der Einreise der geschleusten Personen faktisch möglich. Dementsprechend würden die einschlägigen Tatbestände ohne Bestand des § 95 Abs. 6 [X.] weitgehend leerlaufen. Wenn der Gesetzgeber den vordergründigen Widerstreit der genannten Belange dahin auflöst, dass er dem Gebot effektiver Verfolgung und Ahndung von Straftaten den Vorrang gibt, so ist dies von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

3. Eines Anfrageverfahrens zum Zweck der Vorlage an den [X.] (§ 132 Abs. 2, 3 GVG) im Hinblick auf [X.]St aaO bedurfte es nach der seither erfolgten Gesetzesänderung nicht (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Mai 2011 – 5 StR 394, 440, 474/10, [X.]St 56, 248, 251 mwN).

Basdorf                                                 [X.]

                            [X.]

Meta

5 StR 567/11

24.05.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend EuGH, 10. April 2012, Az: C-83/12 PPU, Urteil

§ 95 Abs 1 Nr 2 AufenthG, § 95 Abs 1 Nr 3 AufenthG, § 95 Abs 6 AufenthG, § 96 AufenthG, § 97 AufenthG, Art 5 EGV 562/2006, Art 21 EGV 810/2009, Art 34 EGV 810/2009, Art 58 Abs 2 EGV 810/2009

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.05.2012, Az. 5 StR 567/11 (REWIS RS 2012, 6120)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6120

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