Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.01.2018, Az. 3 StR 541/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 16007

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Gegenstand

Einschleusen von Ausländern: Urteilsfeststellungen bei rechtsmissbräuchlich aber verwaltungsrechtlich wirksam erlangtem Visum


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.]vom 29. März 2017 aufgehoben

a) im Fall II.4. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe; insoweit bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrecht erhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.]hat den Angeklagten wegen gewerbs- und banden-mäßigen Einschleusens von Ausländern in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts und eine Verfahrensbeanstandung gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat auf die Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Rüge der Verletzung von § 258 Abs. 2 StPO hat aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des [X.]keinen Erfolg.

3

2. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat zu den Fällen [X.]und [X.]der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Im Fall II.4. der Urteilsgründe kann die Verurteilung wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern hingegen keinen Bestand haben.

4

a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen gehörte der in [X.]agierende Angeklagte ab Dezember 2013 einer Schleusergruppierung an, innerhalb derer er insbesondere für die [X.]der jeweiligen Reisen verantwortlich war. Unter anderem aufgrund seiner Kontakte zu Mitarbeitern bei den [X.]und [X.]Konsulaten konnte er für die zu [X.]Personen [X.]"organisieren bzw. erschleichen". Im Frühjahr des Jahres 2014 erhielt die Gruppierung den Auftrag, eine [X.]Staatsangehörige von der [X.]nach [X.]zu schleusen; deren Antrag auf Erteilung eines [X.]Visums war im [X.]2013 von der [X.]Botschaft in [X.]abgelehnt worden. Der Angeklagte "organisierte" für die [X.]Staatsangehörige bei einem Mitarbeiter des [X.]Konsulats in [X.]ein [X.]und buchte für sie Hin- und Rückflug von [X.]nach [X.]und zurück. Am 19. April 2014 reiste sie in das [X.]ein, "ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels zu sein". Wegen des Verdachts der Visumserschleichung wurde die [X.]Staatsangehörige am [X.]in polizeilichen Gewahrsam genommen; das von ihr vorgezeigte [X.]wurde "annulliert". Als Schleuserlohn erhielt die Gruppierung 7.500 €, von denen 7.000 € an den Angeklagten weitergeleitet wurden.

5

In der Beweiswürdigung zu diesem Fall hat die [X.]ausgeführt, gegenüber einem weiteren Mitglied der Gruppierung habe der Angeklagte erklärt, er kenne einen Mitarbeiter beim [X.]Konsulat und habe "so ein [X.]für das Mädchen" erhalten. In der rechtlichen Würdigung hat das [X.]angenommen, der Angeklagte habe - gewerbsmäßig und zusammen mit anderen Bandenmitgliedern - in diesem Fall einer Ausländerin, die aufgrund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels in das [X.]eingereist sei, Hilfe geleistet.

6

b) Auf der Grundlage der getroffenen, sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergebenden Feststellungen erweist sich die Verurteilung wegen Einschleusens von Ausländern als rechtsfehlerhaft, denn der festgestellte Sachverhalt trägt die rechtliche Wertung nicht, die [X.]Staatsangehörige sei unerlaubt in die Bundesrepublik [X.]eingereist. Mithin ist die Haupttat, zu der der Angeklagte Hilfe geleistet haben soll, nicht belegt. Dazu im Einzelnen:

7

aa) Nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG macht sich strafbar, wer entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AufenthG in das [X.]einreist; nach letztgenannter Vorschrift ist die Einreise unerlaubt, wenn ein Ausländer entweder den erforderlichen Pass oder Passersatz (Nr. 1) oder den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt (Nr. 2). Soweit das [X.]in den Feststellungen ausgeführt hat, die [X.]Staatsangehörige sei eingereist, ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels gewesen zu sein, steht dies im Widerspruch zu den weiteren Ausführungen der Strafkammer, sie habe über ein [X.]verfügt; denn ein solches stellt gerade einen Aufenthaltstitel im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG dar.

8

bb) Aus der rechtlichen Würdigung lässt sich entnehmen, dass das [X.]davon ausgegangen ist, das Visum sei durch Drohung, Be-stechung oder Kollusion erwirkt oder durch unvollständige Angaben erschlichen worden. Ein solches Visum ist indes nicht unwirksam: Der unlautere Erwerb führt nicht zur Unwirksamkeit des Titels im Sinne des § 50 Abs. 1 AufenthG, es liegt auch kein Erlöschensgrund im Sinne von § 51 AufenthG vor. In verwaltungsrechtlicher Hinsicht bleibt es deshalb dabei, dass der Aufenthaltstitel bis zu seinem Widerruf nach § 52 AufenthG oder seiner Rücknahme nach § 48 VwVfG wirksam ist (allg. Meinung; vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2012 - 5 StR 567/11, BGHSt 57, 239, 243; Bergmann/Dienelt/Winkelmann, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 49; MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 37 mwN; [X.]AuslR/Hohoff, § 95 AufenthG Rn. 20; Kretschmer, Ausländerstrafrecht, § 4 Rn. 69). Allerdings ergibt sich aus § 95 Abs. 6 AufenthG, dass eine Einreise mit einem durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitel einer solchen ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel gleichgestellt wird; dies gilt indes nur für die strafrechtliche Beurteilung etwa nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ([X.]aaO; MüKoStGB/[X.]aaO, § 95 AufenthG Rn. 53, 119 mwN).

9

cc) Ist danach hier eine Strafbarkeit der [X.]Staatsangehörigen trotz der Einreise mit einem verwaltungsrechtlich wirksamen Visum nicht ausgeschlossen, reichen die bislang von der [X.]getroffenen Feststellungen nicht aus, um von einem rechtsmissbräuchlich erlangten Visum im Sinne von § 95 Abs. 6 AufenthG ausgehen zu können. Hierzu gilt:

Indem ein zwar rechtsmissbräuchlich erlangter, verwaltungsrechtlich aber wirksamer begünstigender Verwaltungsakt wie der Aufenthaltstitel in der strafrechtlichen Überprüfung als nicht existent behandelt wird, wird der im Übrigen im Ausländerstrafrecht geltende Grundsatz der strengen Verwaltungsakzessorietät durchbrochen ([X.]AuslR/[X.]aaO; [X.]aaO). Damit wird ein verwaltungsrechtlich ausdrücklich erlaubtes Verhalten - etwa die Einreise mit einem zwar rechtsmissbräuchlich erlangten aber wirksamen Visum - strafrechtlich sanktioniert (MüKoStGB/[X.]aaO, § 95 AufenthG, Rn. 119; [X.]AuslR/[X.]aaO). Im Strafverfahren ist deshalb jedenfalls aufzuklären, ob die genannten Verhaltensweisen - und welche im konkreten Fall - für die Erteilung des Aufenthaltstitels kausal geworden sind (MüKoStGB/[X.]aaO mwN; vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2012 - 5 StR 567/11, BGHSt 57, 239, 242; auch Schott, Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., [X.]ff. hebt das [X.]hervor; vgl. zur Vorschrift des § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB, an dem sich der Gesetzgeber bei der Einführung von § 95 Abs. 6 AufenthG orientiert hat SK-StGB/Schall, 9. Aufl., § 330d Rn. 49 und MüKoStGB/Schmitz, 2. Aufl., § 330d Rn. 33, die beide weiter davon ausgehen, dass der unlauter erlangte, begünstigende Verwaltungsakt auch materiell rechtswidrig sein müsse; so auch S/S-Hecker/Heine, StGB, 29. Aufl., § 330d Rn. 30 f.; SSW/Saliger, StGB, 3. Aufl., § 330d Rn. 15).

Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil, der Angeklagte habe über seine Kontakte zu Konsulatsmitarbeitern [X.]"organisieren bzw. erschleichen" können, nicht. Daraus ergibt sich schon nicht, ob der Angeklagte die Konsulatsmitarbeiter bestochen oder mit ihnen kollusiv zusammengewirkt, noch, ob er gegebenenfalls falsche Angaben (etwa zur beabsichtigten Aufenthaltsdauer, vgl. MüKoStGB/[X.]aaO, § 95 AufenthG Rn. 44 mwN) gemacht habe, um so die Ausstellung des Visums zu erreichen. Fehlt es damit schon an der Darlegung der Tatbestandsalternative des § 95 Abs. 6 AufenthG, von der das [X.]ausgegangen ist, lässt sich den Urteilsgründen auch nicht entnehmen, dass die Ausstellung des Visums auf einer der rechtsmissbräuchlichen Verhaltensweisen beruhte.

3. Im Fall II.4. der Urteilsgründe bedarf die Sache nach alledem umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung der für diesen Fall verhängten [X.]bedingt die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Die hierzu getroffenen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler indes nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben.

Becker     

      

Schäfer     

      

Gericke

      

Tiemann     

      

Hoch     

      

Meta

3 StR 541/17

09.01.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Verden, 29. März 2017, Az: 7 KLs 12/16

§ 95 Abs 1 Nr 3 AufenthG, § 95 Abs 6 AufenthG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.01.2018, Az. 3 StR 541/17 (REWIS RS 2018, 16007)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 16007

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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