Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.01.2018, Az. 3 StR 541/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 15966

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:090118B3[X.]TR541.17.0

BUN[X.][X.]GERICHT[X.]HOF

BE[X.]CHLU[X.][X.]
3 [X.]tR 541/17
vom
9. Januar 2018
in der [X.]trafsache
gegen

wegen gewerbs-
und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern

-
2
-
Der 3. [X.]trafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] -
zu 2. auf dessen Antrag -
am 9.
Januar 2018 gemäß §
349 Abs.
2 und 4 [X.]tPO einstimmig beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 29.
März 2017 aufgehoben
a)
im Fall II.4. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststel-lungen;
b)
im Ausspruch über die Gesamtstrafe; insoweit bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die [X.]ache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.]s zurückver-wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gewerbs-
und banden-mäßigen Einschleusens von Ausländern in acht Fällen zu einer Gesamtfrei-heitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts und eine Verfahrensbeanstandung gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat auf 1
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die [X.]achrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Üb-rigen erweist es sich als unbegründet im [X.]inne von §
349 Abs.
2 [X.]tPO.
1. Die Rüge der Verletzung von §
258 Abs.
2 [X.]tPO hat aus den [X.] Gründen der Antragsschrift des [X.] keinen Erfolg.
2. Die auf die [X.]achrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat zu den Fällen [X.] und [X.] der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Im Fall II.4. der Urteilsgründe kann die Ver-urteilung wegen gewerbs-
und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern hingegen keinen Bestand haben.
a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen gehörte der in [X.] agierende Angeklagte ab Dezember 2013 einer [X.]chleusergruppierung an,
innerhalb derer er insbesondere für die [X.] der [X.] Reisen verantwortlich war. Unter anderem aufgrund seiner Kontakte zu Mitarbeitern bei den [X.] und [X.] Konsulaten konnte er für die zu [X.] Personen [X.] "organisieren bzw. erschleichen".
Im Früh-jahr des Jahres 2014 erhielt die Gruppierung den Auftrag, eine [X.] [X.]t[X.]tsangehörige von der [X.] nach [X.] zu schleusen; deren Antrag auf Erteilung eines [X.] Visums war im [X.] 2013 von der [X.] Botschaft in [X.] abgelehnt worden. Der Angeklagte "organisierte" für die [X.] [X.]t[X.]tsangehörige bei einem Mitarbeiter des [X.] Konsulats in [X.] ein [X.]chengen-Visum und buchte für sie Hin-
und Rückflug von [X.] nach [X.] und zurück. Am 19.
April
2014 reiste sie in das [X.] ein, "ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels zu sein". Wegen des Verdachts der Visumserschleichung wurde die [X.] [X.]t[X.]tsangehörige am Flughafen [X.]-Tegel in polizeilichen Gewahrsam genommen; das von ihr
vorgezeigte 2
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[X.]chengen-Visum wurde "annulliert". Als [X.]chleuserlohn erhielt die Gruppierung

In der Beweiswürdigung zu diesem Fall hat die [X.] ausgeführt, gegenüber einem weiteren Mitglied der Gruppierung habe der Angeklagte [X.], er kenne einen Mitarbeiter beim [X.] Konsulat und habe "so ein [X.]chengen-Visum für das Mädchen" erhalten. In der rechtlichen Würdigung hat das [X.] angenommen, der Angeklagte habe -
gewerbsmäßig und zu-sammen mit anderen Bandenmitgliedern -
in diesem Fall einer Ausländerin, die aufgrund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels in das [X.] eingereist sei, Hilfe geleistet.
b) Auf der Grundlage der getroffenen, sich auch aus dem [X.] ergebenden Feststellungen erweist sich die Verurteilung wegen Einschleusens von Ausländern als rechtsfehlerhaft, denn der festgestellte [X.]achverhalt trägt die rechtliche Wertung nicht, die [X.] [X.]t[X.]tsangehörige sei unerlaubt in die Bundesrepublik [X.] eingereist. Mithin ist die Haupttat, zu der der Angeklagte Hilfe geleistet haben soll, nicht belegt. Dazu im Einzelnen:
[X.]) Nach § 95
Abs.
1 Nr.
3 [X.] macht sich strafbar, wer entgegen §
14 Abs.
1 Nr.
1 oder 2 [X.] in das [X.] einreist; nach [X.] Vorschrift ist die Einreise unerlaubt, wenn ein Ausländer entweder den erforderlichen Pass oder Passersatz (Nr.
1) oder den nach §
4 [X.] erfor-derlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt (Nr.
2). [X.]oweit das [X.] in den Feststellungen ausgeführt hat, die [X.] [X.]t[X.]tsangehörige sei eingereist, ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels gewesen zu sein, steht dies im Widerspruch zu den weiteren Ausführungen der [X.], sie habe über ein 5
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[X.]chengen-Visum verfügt; denn ein solches stellt gerade einen Aufenthaltstitel im [X.]inne von §
4 Abs.
1 [X.]atz
2 Nr.
1 i.V.m. §
6 Abs.
1 Nr.
1 [X.] dar.
bb) Aus der rechtlichen Würdigung lässt sich entnehmen, dass das [X.] davon ausgegangen ist, das Visum sei durch Drohung, Be-stechung oder Kollusion erwirkt oder durch unvollständige Angaben erschlichen worden. Ein solches Visum ist indes nicht unwirksam: Der unlautere Erwerb führt nicht zur Unwirksamkeit des Titels im [X.]inne des § 50 Abs.
1 [X.], es liegt auch kein Erlöschensgrund im [X.]inne von §
51 [X.] vor. In [X.] Hinsicht bleibt es deshalb dabei, dass der Aufenthaltstitel bis zu seinem Widerruf nach § 52
[X.] oder seiner Rücknahme nach § 48 VwVfG
wirksam ist (allg. Meinung; vgl. [X.], Beschluss vom 24. Mai 2012
-
5 [X.], [X.][X.]t 57, 239, 243; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 12.
Aufl., §
95 [X.] Rn.
49; MüKo[X.]tGB/[X.], 3. Aufl., §
95 [X.] Rn.
37 mwN; [X.]/[X.], §
95 [X.] Rn.
20; Kret-schmer, Ausländerstrafrecht, §
4 Rn.
69). Allerdings ergibt sich aus §
95 Abs.
6 [X.], dass eine Einreise mit einem durch Drohung, Bestechung oder Kol-lusion erwirkten oder durch unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthalts-titel einer solchen ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel gleichgestellt wird; dies gilt indes nur für die strafrechtliche Beurteilung etwa nach §
95 Abs.
1 Nr.
3 [X.] ([X.] [X.]O; MüKo[X.]tGB/[X.] [X.]O, §
95 [X.] Rn.
53, 119 mwN).
[X.]) Ist danach hier eine [X.]trafbarkeit der [X.]n [X.]t[X.]tsangehörigen trotz der Einreise mit einem verwaltungsrechtlich wirksamen Visum nicht aus-geschlossen, reichen die bislang von der [X.] getroffenen Feststellun-gen nicht aus, um von einem rechtsmissbräuchlich erlangten Visum im [X.]inne von §
95 Abs.
6 [X.] ausgehen zu können. Hierzu gilt:
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6
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Indem ein zwar rechtsmissbräuchlich erlangter, verwaltungsrechtlich aber wirksamer begünstigender Verwaltungsakt wie der Aufenthaltstitel in der strafrechtlichen Überprüfung als nicht existent behandelt wird, wird der im Übri-gen im Ausländerstrafrecht geltende Grundsatz der strengen Verwaltungsak-zessorietät
durchbrochen ([X.]/[X.] [X.]O; [X.] [X.]O). Damit wird ein verwaltungsrechtlich ausdrücklich erlaubtes Verhalten -
etwa die [X.] mit einem zwar rechtsmissbräuchlich erlangten aber wirksamen Visum -
strafrechtlich sanktioniert (MüKo[X.]tGB/[X.] [X.]O, §
95 [X.], Rn.
119; [X.]/[X.] [X.]O). Im [X.]trafverfahren ist deshalb jedenfalls aufzuklä-ren, ob die genannten Verhaltensweisen -
und welche im konkreten Fall -
für die Erteilung des Aufenthaltstitels kausal geworden sind (MüKo[X.]tGB/[X.] [X.]O mwN; vgl. [X.], Beschluss vom 24.
Mai 2012 -
5 [X.], [X.][X.]t 57, 239, 242; auch [X.], Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., [X.].
278 ff. hebt das [X.] hervor; vgl. zur Vorschrift des §
330d Abs.
1 Nr.
5 [X.]tGB, an dem sich der Gesetzgeber bei der Einführung von §
95 Abs.
6 [X.] ori-entiert hat [X.]/[X.]chall, 9.
Aufl., §
330d Rn.
49 und MüKo[X.]tGB/[X.], 2.
Aufl., §
330d Rn.
33, die beide weiter davon ausgehen, dass der unlauter erlangte, begünstigende Verwaltungsakt auch materiell rechtswidrig sein [X.]; so auch [X.]/[X.]-Hecker/[X.], [X.]tGB, 29.
Aufl., §
330d Rn.
30 f.; [X.][X.]W/[X.]aliger, [X.]tGB, 3.
Aufl., §
330d Rn.
15).
Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in dem angefochte-nen Urteil, der Angeklagte habe über seine Kontakte zu Konsulatsmitarbeitern [X.] "organisieren bzw. erschleichen" können, nicht. Daraus ergibt sich schon nicht, ob der Angeklagte die Konsulatsmitarbeiter bestochen oder mit ihnen [X.], noch, ob er gegebenenfalls falsche Angaben (etwa zur beabsichtigten Aufenthaltsdauer, vgl. MüKo[X.]tGB/[X.] [X.]O, §
95
[X.] Rn.
44 mwN) gemacht habe, um so die Ausstellung des Visums zu 10
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-
erreichen. Fehlt es damit schon an der Darlegung der Tatbestandsalternative des §
95 Abs.
6 [X.], von der das [X.] ausgegangen ist, lässt sich den Urteilsgründen auch nicht entnehmen, dass die Ausstellung des Visums auf einer der rechtsmissbräuchlichen Verhaltensweisen beruhte.
3. Im Fall II.4. der Urteilsgründe bedarf die [X.]ache nach alledem umfas-send neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung der für diesen Fall verhängten [X.] bedingt die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Die hierzu getroffenen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler indes nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben.
[X.][X.]chäfer [X.]

Tiemann Hoch
12

Meta

3 StR 541/17

09.01.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.01.2018, Az. 3 StR 541/17 (REWIS RS 2018, 15966)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 15966

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