Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.12.2015, Az. 4 StR 270/15

4. Strafsenat | REWIS RS 2015, 1494

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Pflichtverteidigerbestellung: Wichtiger Grund gegen die Beiordnung des ausgewählten Anwalts wegen Interessenkollision


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12. September 2014 wird

a) das Verfahren in den Fällen [X.], 4 und 10.1 der Urteilsgründe eingestellt; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten;

b) das vorbezeichnete Urteil dahin geändert, dass der Angeklagte des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls und zur Ermöglichung einer Straftat in zehn Fällen, davon in neun Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung und in einem Fall in weiterer Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, des Betruges in zehn Fällen und des versuchten Betruges in Tateinheit mit uneidlicher Falschaussage schuldig ist.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Angeklagte hat die weiteren Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls und zur Ermöglichung einer Straftat in zwölf Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, davon in zehn Fällen tateinheitlich mit Sachbeschädigung und in einem Fall tateinheitlich mit gefährlicher Körperverletzung, sowie wegen Betruges in elf Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, wegen falscher Verdächtigung und wegen uneidlicher Falschaussage zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, wovon ein Jahr als vollstreckt gilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf Verfahrensrügen und sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zu einer Verfahrensbeschränkung gemäß § 154 Abs. 2 StPO und zu einer Änderung und Neufassung des Schuldspruchs; im Übrigen hat es keinen Erfolg.

2

1. Auf Antrag des [X.] stellt der [X.] das Verfahren in den Fällen [X.], 4 und 10.1 der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, weil Bedenken bestehen, ob die bisher getroffenen Feststellungen die Tatvorwürfe des versuchten bzw. vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sowie der falschen Verdächtigung tragen und der Angeklagte im Fall [X.] zudem zu Recht rügt, auf den veränderten rechtlichen Gesichtspunkt der versuchten Straftat nicht hingewiesen worden zu sein.

3

2. Die Rüge, Rechtsanwältin     M.    sei trotz eines gravierenden Interessenkonflikts zur Pflichtverteidigerin bestellt worden, greift im Ergebnis nicht durch.

4

a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: Die Anklage vom 26. Juli 2010 legte dem Angeklagten zur Last, in neun Fällen über Rechtsanwalt [X.]      betrügerisch zivilrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit von ihm absichtlich herbeigeführten Verkehrsunfällen geltend gemacht zu haben. Die [X.] regte nach Eingang der Anklage gegenüber der Staatsanwaltschaft an, zu überprüfen, ob gegen Rechtsanwalt [X.]      ein Ermittlungsverfahren einzuleiten sei, was daraufhin am 18. August 2010 geschah. Der Angeklagte hatte am 7. Juli 2009 Rechtsanwältin     M.    mit seiner Verteidigung beauftragt, welche ihre Tätigkeit in Sozietät mit Rechtsanwalt [X.]     ausübt und die den Angeklagten in einem weiteren Fall der Anklage, der später vom Gericht gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, zivilrechtlich vertreten hatte. Im Termin zur Verkündung des Haftbefehls am 19. August 2010 stellte Rechtsanwältin     M.    den Antrag, als Pflichtverteidigerin beigeordnet zu werden. Die Staatsanwaltschaft äußerte keine Bedenken. Mit Verfügung des Vorsitzenden der [X.] vom 30. August 2010 wurde Rechtsanwältin     M.    zur Verteidigerin bestellt.

5

b) Die Revision ist der Auffassung, dass in der Person der Pflichtverteidigerin ein Interessenkonflikt vorgelegen habe. Als Mitglied der Sozietät "     M.    & [X.]      Rechtsanwälte" hafte sie persönlich für Schäden, die von ihrem Sozius im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit verursacht worden seien. Das zum Schadensersatz verpflichtende Handeln des Mitgesellschafters sei der Sozietät als [X.] gemäß § 31 BGB zuzurechnen. Im Hinblick auf die Summe der Schäden in den Fällen, in denen Rechtsanwalt [X.]      für den Angeklagten tätig geworden sei, habe ein ganz erhebliches eigenes wirtschaftliches Interesse der Pflichtverteidigerin an dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestanden. Sie habe den Angeklagten nicht mehr unabhängig und unbeeinflusst etwa über die Möglichkeit und den Inhalt eines frühen und umfassenden Geständnisses beraten können.

6

c) Es trifft zwar zu, dass ein konkret manifestierter Interessenkonflikt ein Grund ist, von der [X.] abzusehen oder eine bereits bestehende Bestellung aufzuheben (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Januar 2003 - 5 StR 251/02, [X.]St 48, 170, 173; Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 489/13, [X.]R StPO § 24 Abs. 2 [X.] 1), zumindest ist der Angeklagte zu einem möglichen Interessenkonflikt anzuhören (vgl. [X.], Beschluss vom 15. November 2005 - 3 [X.], [X.]R StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 10). Ob ein solcher Interessenkonflikt hier die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung geboten hätte, kann dahinstehen. Denn der [X.] kann im vorliegenden Fall ausschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruhen würde. Die Hauptverhandlung hat an 33 Tagen stattgefunden; ab dem 10. Hauptverhandlungstag war der Angeklagte zusätzlich durch die Wahlverteidigerin [X.]verteidigt. Ein Antrag auf Entpflichtung der Verteidigerin     M.    ist nicht gestellt worden, auch nicht von der Wahlverteidigerin [X.]  . Anhaltspunkte für eine unzureichende Verteidigung bestehen nicht, zumal die Pflichtverteidigerin     M.    schon vor dem Auftreten der Wahlverteidigerin ein Geständnis des Angeklagten bei einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe in Aussicht gestellt hatte, wie der Vermerk des Vorsitzenden über das [X.] vom 8. Januar 2014 ausweist.

7

3. Die weiteren Verfahrensrügen greifen aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] vom 25. Juni 2015 nicht durch.

8

4. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt in zwei Fällen zu einer Änderung des Schuldspruchs. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aus den vom [X.] in der Antragsschrift vom 25. Juni 2015 dargelegten Gründen keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

9

a) In den Fällen [X.] und 16b der Urteilsgründe hält die Annahme zweier selbständiger Taten des versuchten Betruges und der falschen uneidlichen Aussage aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] vom 25. Juni 2015 der rechtlichen Prüfung nicht stand. Der [X.] hat den Schuldspruch entsprechend geändert; die Einzelstrafe von zehn Monaten im Fall 16a der Urteilsgründe entfällt.

b) Zu Fall [X.] der Urteilsgründe hat der [X.] in seiner Zuschrift zutreffend ausgeführt:

"Eine Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begeht, wer sein Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper wirkendes gefährliches Tatmittel körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschluss vom 30. Juli 2013 - 4 StR 275/13). Vorliegend wurden die Schmerzen des Geschädigten aber erst durch den infolge des Anstoßes ausgelösten [X.] und den anschließenden frontalen Aufprall auf einen Mast verursacht ([X.]), sind demnach nicht auf den unmittelbaren Kontakt zwischen Kraftfahrzeug und Körper zurückzuführen und können daher die Beurteilung als gefährliche Körperverletzung nicht tragen (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 20. Dezember 2012 - 4 StR 292/12 - mwN)."

Der [X.] hat den Schuldspruch entsprechend geändert. Die Einzelstrafe im Fall [X.] kann bestehen bleiben, denn der Tatrichter hat nicht strafschärfend berücksichtigt, dass die Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs begangen worden ist.

5. Der [X.] schließt aus, dass die von der [X.] verhängte Gesamtfreiheitsstrafe angesichts der verbleibenden Einsatzstrafe von zwei Jahren und drei Monaten und der weiteren zwanzig Einzelstrafen von zwei Jahren, einem Jahr und zehn Monaten, einem Jahr und neun Monaten, [X.] einem Jahr und acht Monaten, [X.] einem Jahr und sechs Monaten, einem Jahr und vier Monaten, [X.] einem Jahr und drei Monaten, einem Jahr, [X.] zehn Monaten, neun Monaten sowie [X.] sechs Monaten ohne die infolge der Verfahrensbeschränkung und der Schuldspruchänderung entfallenen Einzelstrafen von einem Jahr und vier Monaten, zehn Monaten, acht Monaten sowie 90 Tagessätzen geringer ausgefallen wäre.

Der Schriftsatz des Verteidigers vom 18. November 2015 hat dem [X.] vorgelegen.

[X.]

                         Mutzbauer                                  [X.]

Meta

4 StR 270/15

01.12.2015

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hamburg, 12. September 2014, Az: 603 KLs 15/10

§ 137 StPO, § 140 StPO, § 140ff StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.12.2015, Az. 4 StR 270/15 (REWIS RS 2015, 1494)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 1494

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 270/15 (Bundesgerichtshof)


2 StR 319/15 (Bundesgerichtshof)

Verletzung des Fairnessgrundsatzes im Strafverfahren: Anforderungen an die Entpflichtung eines Verteidigers aufgrund eines Interessenkonflikts


4 StR 264/10 (Bundesgerichtshof)

Gefährliche Körperverletzung: Tatbegehung "mittels" eines gefährlichen Werkzeugs bei Kleben von Reißzwecken unter die Fersen des …


1 StR 373/11 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Abwesenheit des Wahlverteidigers in der Hauptverhandlung als Revisionsgrund


2 StR 319/15 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.