Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.01.2012, Az. 1 StR 373/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2012, 10186

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Gegenstand

Strafverfahren: Abwesenheit des Wahlverteidigers in der Hauptverhandlung als Revisionsgrund


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 24. September 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten, einen Rechtsanwalt, wegen Betruges in zwei Fällen, Subventionsbetruges und versuchter Steuerhinterziehung - unter Einbeziehung einer zur Bewährung ausgesetzten rechtskräftigen Freiheitsstrafe von zehn Monaten wegen Veruntreuung von [X.] - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Zur Kompensation einer konventionswidrigen Verfahrensverzögerung hat es hiervon sechs Monate für vollstreckt erklärt.

2

Die auf mehrere Verfahrensrügen und die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist aus den in der Antragsschrift des [X.] vom 30. August 2011 dargelegten Gründen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 [X.]. Ergänzend bemerkt der Senat zu den nachfolgend näher bezeichneten Verfahrensrügen Folgendes:

3

1. Rüge eines Verstoßes gegen § 229 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 [X.] ([X.] Ziffer VI)

4

a) Die Revision macht einen Verstoß gegen § 229 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 [X.] geltend, der darin liege, dass "die dort gesetzlich vorgeschriebenen Fristen nicht eingehalten" worden seien. Gegenstand der Rüge ist eine Unterbrechung der Hauptverhandlung wegen einer vom Angeklagten behaupteten Erkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule. Die Revision stützt den von ihr angenommenen Verstoß auf einen Alternativsachverhalt. Entweder sei der Angeklagte zum Zeitpunkt der Fortsetzung der Hauptverhandlung noch nicht gesund oder aber sei er gar nicht krank gewesen, und habe seine Krankheit nur vorgetäuscht ([X.] S. 267).

5

b) Die Rüge entspricht nicht den Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] und ist deshalb bereits unzulässig, denn mit ihr wird kein bestimmter [X.] behauptet. Wie der [X.] zutreffend ausgeführt hat, schließen sich beide Sachverhaltsvarianten gegenseitig aus. Letztlich wird das Revisionsgericht lediglich aufgefordert zu prüfen, ob in irgendeiner Richtung ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 229 [X.] vorliege. Damit lässt das [X.] eine bestimmte Angriffsrichtung nicht erkennen.

6

Der Angeklagte war auch in der Lage, klar anzugeben, ob er seine Krankheit lediglich vorgetäuscht hatte oder nicht. Er wusste selbst am besten, welche Krankheitssymptome er verspürte, als er - wie im [X.] und im daraufhin gegen ihn ergangenen Haftbefehl festgestellt - Müllsäcke mit einem Gewicht von 25 kg eine Treppe hinuntertrug, Einkaufs-, Schul- und Sporttaschen zwischen Auto und [X.] und [X.], täglich mit einem [X.] am Straßenverkehr teilnahm und über drei Stunden in gebückter Haltung den Garagenvorplatz reinigte.

7

2. Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3 [X.] im Hinblick auf die Zurückweisung eines Beweisantrages wegen Prozessverschleppung ([X.] Ziffer II 3)

8

Die Beanstandung der Revision, das [X.] habe den Antrag auf Einholung eines Gutachtens eines Schriftsachverständigen, mit dem bewiesen werden sollte, der Zeuge C.     habe bestimmte Schriftstücke eigenhändig unterschrieben, zu Unrecht wegen [X.] gemäß § 244 Abs. 3 [X.] abgelehnt, dringt nicht durch. Ergänzend zu den Ausführungen des [X.] zum Vorliegen eines Beweisermittlungsantrags, zur Reichweite der Aufklärungspflicht und zum jedenfalls fehlenden Beruhen bemerkt der Senat Folgendes:

9

Die Erwägungen der [X.] tragen auch die von ihr gezogenen Schlüsse, der Antrag auf Einholung eines Schriftsachverständigengutachtens sei allein zum Zweck der Prozessverschleppung im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 6 [X.] gestellt worden und die beantragte Beweiserhebung habe nichts Sachdienliches zu Gunsten des Angeklagten erbringen können. Die [X.] konnte hierbei dem Umstand, dass der Angeklagte zunächst versucht hatte, das Erscheinen des [X.]     - als [X.] Beweismittel - und dessen Aussage vor Gericht zu verhindern, und den Zeugen dazu sogar persönlich in [X.] aufgesucht hatte, maßgebliche Bedeutung beimessen. Nachdem dieser Verdunkelungsversuch gescheitert war und als nach einer Hauptverhandlung mit einer Dauer von über einem Jahr eine insgesamt erdrückende Beweislage gegen den Angeklagten bestand, durfte die [X.] den Antrag auf Einholung eines Gutachtens eines Schriftsachverständigen als allein zum Zwecke der Verfahrensverzögerung gestellt ansehen. Dabei konnte sie in ihre Bewertung einbeziehen, dass keiner der hierzu bisher vernommenen Zeugen - danach angefallene abweichende Erkenntnisse sind weder von der Revision behauptet worden noch aus den Urteilsgründen ersichtlich - Angaben im Sinne der Beweisbehauptung gemacht hatte und sowohl der Zeuge C.     als auch der Zeuge V.    vehement bestritten hatten, dass die Firma T.        Vertragsverhältnisse mit [X.] Firmen bezüglich des Vorhabens der [X.] eingegangen waren. Hinzu kommt, dass der vom Beweisantrag umfasste [X.] zwischen der Firma T.        und der Firma  Z.    in der Ausfertigung des [X.]    gerade keinen Firmenstempel der Firma T.        und keine Unterschrift des [X.]     aufwies.

Nicht zu beanstanden ist auch die Überzeugung der [X.], die Wahlverteidigerin - auf die es bei dem von ihr gestellten Antrag ankommt - habe die Nutzlosigkeit der beantragten Beweiserhebung sowie die damit verbundene Verfahrensverzögerung erkannt und sie habe mit ihrem Antrag auch ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses bezweckt (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 9. Mai 2007 - 1 StR 32/07 Rn. 16, [X.]St 51, 333, 336). Die [X.] durfte bei ihrer Würdigung den bisherigen [X.] berücksichtigen ([X.] aaO Rn. 16).

3. Rüge eines Verstoßes gegen § 258 Abs. 1 [X.] ([X.] Ziffer V)

a) Die Rüge, der Wahlverteidigerin sei keine Gelegenheit gegeben worden, einen Schlussvortrag zu halten (§ 258 Abs. 1 [X.]), greift nicht durch.

Wie die Revision selbst vorträgt, war die Wahlverteidigerin, Rechtsanwältin [X.], an dem [X.], für den die Plädoyers der Verteidigung geplant waren, erkrankt. Damit scheidet ein Verstoß gegen § 258 Abs. 1 [X.] aus; denn einem in der Hauptverhandlung nicht anwesenden Verteidiger kann keine Gelegenheit zum Schlussvortrag gegeben werden (vgl. auch BayObLG - Urteil vom 20. März 1981 - RReg. 1 St 13/81, [X.], 128; [X.] in Löwe/[X.], [X.], 26. Aufl., § 258 Rn. 12).

b) [X.] bleibt auch dann ohne Erfolg, wenn mit ihr zugleich ein Verstoß gegen § 338 Nr. 8 [X.] geltend gemacht werden sollte, der darin liegen soll, dass der im Hinblick auf die Erkrankung der Wahlverteidigerin gestellte Antrag der Pflichtverteidigerin auf Unterbrechung der Hauptverhandlung durch Gerichtsbeschluss zurückgewiesen wurde.

aa) Die Rüge wäre mit dieser Angriffsrichtung bereits unzulässig, weil sie dann den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht entspräche.

Es fehlen jegliche Angaben zu Art, Umfang und tatsächlicher Dauer der Erkrankung der Wahlverteidigerin sowie dazu, ob innerhalb der [X.] des § 229 Abs. 1 [X.] eine Fortsetzung der Hauptverhandlung noch möglich gewesen wäre. Auch wird nicht mitgeteilt, aus welchem Grund der weitere Wahlverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Dr. E.     , nicht an der Stelle der erkrankten Wahlverteidigerin [X.]an der Hauptverhandlung hätte teilnehmen und einen Schlussvortrag halten können.

bb) Die Rüge wäre jedenfalls unbegründet, denn der Beschluss der [X.], die Hauptverhandlung trotz der Erkrankung der Wahlverteidigerin nicht zu unterbrechen, hält rechtlicher Nachprüfung stand. Ein Zuwarten mit dem Abschluss der Hauptverhandlung, bis eine Sitzung mit der Wahlverteidigerin hätte durchgeführt werden können, war nicht geboten.

Der Angeklagte war durch die anwesende Pflichtverteidigerin, die auch einen Schlussvortrag gehalten hat, ordnungsgemäß verteidigt. Die Pflichtverteidigerin hatte, von wenigen Ausnahmen abgesehen, den Angeklagten an sämtlichen [X.]en verteidigt, was für die Wahlverteidigerin gerade nicht zutrifft, denn sie war bereits vorher an mehr als der Hälfte der [X.]e nicht anwesend gewesen. Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich weder aus der Länge des von der Pflichtverteidigerin gehaltenen [X.] noch aus dem von ihr gestellten Unterbrechungsantrag schließen, die Pflichtverteidigerin sei zu einem ordnungsgemäßen Schlussvortrag nicht in der Lage gewesen. Auch werden keine Gründe vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich, die einer Wahrnehmung dieses Sitzungstages und einem Schlussvortrag durch den weiteren Wahlverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Dr. E.     , entgegengestanden hätten. Dieser Verteidiger genoss, wie dem [X.] zu entnehmen ist, ebenfalls das umfassende Vertrauen des Angeklagten.

Auch sonst lässt die vom [X.] vorgenommene Abwägung zwischen dem Interesse des Angeklagten an einem Zuwarten und dem Beschleunigungsgrundsatz (vgl. Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) bei der Ablehnung einer Unterbrechung der Hauptverhandlung bis zur Genesung der Wahlverteidigerin Rechtsfehler nicht erkennen. Das [X.] weist in dem Ablehnungsbeschluss ausdrücklich darauf hin, dass es bereits die Unterbrechung bis zu dem Tag, an dem die Wahlverteidigerin wegen einer Erkrankung nicht teilnehmen konnte, mit Rücksicht auf deren Verhinderung am vorherigen Verhandlungstag vorgenommen hatte. Ein weiteres Zuwarten war dem [X.] angesichts der ordnungsgemäßen Verteidigung durch die Pflichtverteidigerin auch schon deshalb nicht zumutbar, weil nicht absehbar war, wann ein neuer [X.] mit der Wahlverteidigerin durchführbar sein würde (vgl. auch [X.], Beschluss vom 9. November 2006 - 1 StR 474/06, [X.], 228).

4. Rüge eines Verstoßes gegen §§ 338 Nr. 8 i.V.m. § 141 [X.] ([X.] Ziffer IV)

Die Rüge, das [X.] habe dem Angeklagten zu Unrecht entgegen seinem ausdrücklichen Willen nicht seine beiden Wahlverteidiger, Rechtsanwältin [X.]und Rechtsanwalt Dr. E.    , sondern Rechtsanwältin Dr. S.     als Pflichtverteidigerin beigeordnet, versagt ebenfalls.

a) Die Verfahrensrüge genügt aus den zutreffenden Erwägungen in der Antragsschrift des [X.] bereits nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] und ist deshalb unzulässig.

b) Die Rüge könnte auch in der Sache keinen Erfolg haben. Denn die Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. S.     als Pflichtverteidigerin hatte nicht zur Folge, dass die Wahlverteidiger ihr Mandat niederlegten. Vielmehr wurde der Angeklagte nunmehr sogar durch drei Verteidiger, nämlich zwei Wahlverteidiger und eine Pflichtverteidigerin, verteidigt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Verteidigung des Angeklagten durch drei statt einen Verteidiger für den Angeklagten von Nachteil gewesen sein könnte. Vielmehr bestätigen bereits die vielen Abwesenheitszeiten der beiden Wahlverteidiger, die während der von Juli 2009 bis September 2010 dauernden Hauptverhandlung jeweils von [X.] nach [X.] zu den [X.] reisen mussten, dass die Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. S.     neben diesen beiden Wahlverteidigern sachgerecht war.

5. Rüge eines Verstoßes gegen § 222b [X.] i.V.m. § 338 Nr. 1 Buchst. b [X.] ([X.] Ziffer IV)

Die Revision rügt, es liege ein Verstoß gegen § 222b [X.] i.V.m. § 338 Nr. 1 Buchst. b [X.] vor, weil "über eine Besetzungsrüge nicht entschieden wurde." Sie meint, der absolute Revisionsgrund der fehlerhaften Besetzung des Gerichts liege bereits deswegen vor, weil der Einwand der vorschriftsmäßigen Besetzung im Sinne des § 338 Nr. 1 Buchst. b 1. Alt. [X.] übergangen worden sei.

Mit dieser Angriffsrichtung versagt die Rüge, worauf der [X.] in seiner Antragsschrift zutreffend hinweist, bereits im Ansatz. Denn das Übergehen eines [X.]es stellt lediglich eine Zulässigkeitsvoraussetzung der Besetzungsrüge nach § 338 Nr. 1 [X.] dar. Eine solche Rüge kann aber nur dann Erfolg haben, wenn die Besetzung tatsächlich vorschriftswidrig war. Dies wird hier indes gerade nicht behauptet. Vielmehr macht die Revision allein geltend, ein absoluter Revisionsgrund liege deshalb vor, weil über den erhobenen [X.] nicht entschieden worden sei.

Etwaige Zweifel an der Angriffsrichtung dieser Rüge hat die Revision spätestens in ihrer Gegenerklärung zur Antragsschrift des [X.] ausgeräumt. Dort stellt die Revision nochmals klar, dass es in dem vorliegenden Fall, in dem das Gericht einen [X.] übergangen habe (§ 338 Nr. 1 Buchst. b 1. Alt. [X.]), "nicht um die Überprüfung der Entscheidung der erkennenden Kammer" gehe, sondern allein darum, dass der [X.] übergangen worden sei. Die Revision vertritt dabei die (unzutreffende) Auffassung, eine "inhaltliche Überprüfung des [X.]es" sei dem Revisionsgericht hier verwehrt, weil eine solche nur erfolgen könne, wenn die erkennende [X.] eine Entscheidung getroffen habe.

Herr Ri[X.] Hebenstreit
befindet sich auf Dienstreise
und ist deshalb an der
Unterschrift gehindert.

Nack     

Wahl     

Nack

Jäger    

Sander     

Meta

1 StR 373/11

12.01.2012

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Potsdam, 24. September 2010, Az: 25 KLs 1/05 - 430 Js 12019/01

§ 229 Abs 1 StPO, § 258 Abs 1 StPO, § 338 Nr 8 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.01.2012, Az. 1 StR 373/11 (REWIS RS 2012, 10186)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 10186

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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