Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 22.03.2013, Az. 1 BvR 791/12

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2013, 7078

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zum Umfang der Beschwerdebefugnis des Insolvenzverwalters sowie zum Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses nach Erledigung - hier: Insolvenz eines Medizinischen Versorgungszentrums und Entziehung der Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung - Insolvenzverwalter bzgl höchstpersönlicher Rechtspositionen (hier: Kassenzulassung) nicht beschwerdebefugt - Wegfall des Rechtsschutzinteresse bzgl Kassenzulassung aufgrund Betriebseinstellung


Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein sozialgerichtliches Verfahren wegen der Entziehung der Zulassung für ein Medizinisches Versorgungszentrum.

2

1. Die ursprüngliche, jetzt insolvente Beschwerdeführerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Unternehmensgegenstand der Betrieb eines [X.]s ist. Auf Antrag der [X.] entzog ihr der Zulassungsausschuss mit Beschluss vom 27. April 2009 die im Jahr zuvor erteilte Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung.

3

Klage und Berufung gegen die Entziehung der Zulassung waren erfolglos. Das [X.] wies auch die Revision zurück (Urteil vom 21. März 2012).

4

Mit Beschluss vom 1. April 2012 wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet. Der zum Insolvenzverwalter bestellte Beschwerdeführer hat mit [X.] vom 4. April 2012 erklärt, er führe das von der ursprünglichen Beschwerdeführerin eingeleitete [X.] fort.

5

Mit Ablauf des 30. Juni 2012 wurde die vertragsärztliche Tätigkeit im [X.] eingestellt und die Arbeitsverträge mit den angestellten Ärzten gekündigt. Daraufhin stellte der Zulassungsausschuss für Ärzte mit Beschluss vom 1. August 2012 die Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit der angestellten Ärzte mit Wirkung zum 30. Juni 2012 fest.

6

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 [X.] jeweils in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 [X.].

II.

7

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerf[X.] nicht vorliegen. Die von dem Beschwerdeführer fortgeführte Verfassungsbeschwerde ist mangels Beschwerdebefugnis unzulässig (1.). Darüber hinaus fehlt dem Beschwerdeführer aufgrund der Einstellung der vertragsärztlichen Tätigkeit des [X.]s zum 30. Juni 2012 für das [X.] das Rechtsschutzbedürfnis (2.).

8

1.a) Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der Beschwerdeführer geltend macht, durch eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt in eigenen Rechten betroffen zu sein. Im [X.] ist eine Prozessstandschaft grundsätzlich unzulässig (vgl. [X.] 2, 292 <294>; 10, 134 <136>; 11, 30 <35>; 19, 323 <329>; 56, 296 <297>; 77, 263 <268>; 79, 1 <19>). "Parteien kraft Amtes" - wie Insolvenzverwalter - sind jedoch befugt, Verfassungsbeschwerde zu erheben (vgl. [X.] 51, 405 <409>; 65, 182 <190>; 95, 267 <299>). Der Beschwerdeführer beruft sich weder auf die Verletzung eigener [X.](vgl. [X.] 82, 286 <295 f.>) noch ist er aufgrund seiner Stellung als Partei kraft Amtes berechtigt, die gerügten [X.] eigenständig geltend zu machen.

9

b) Soweit die Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung betroffen ist, mangelt es dem Beschwerdeführer an der für die prozessuale Handlungsfähigkeit vorausgesetzten materiell-rechtlichen Handlungsfähigkeit (vgl. [X.] 51, 405 <409>). Letztere folgt jedenfalls nach Einstellung der vertragsärztlichen Tätigkeit des [X.]s weder aus den aus der Zulassung abgeleiteten Rechten noch aus der Zulassung selbst.

aa) Die kassenärztliche Zulassung unterfällt als höchstpersönliches Recht nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Die Zulassung setzt eine Reihe von Qualifikationen voraus, die in der Person des zulassungswilligen Arztes erfüllt sein müssen (vgl. § 95 Abs. 1 und § 95a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung <[X.]> i.V.m. § 3 Abs. 2 ff. der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte <Ärzte-ZV>; § 98 Abs. 2 Nr. 10 [X.] i.V.m. §§ 18, 20, 21 Ärzte-ZV; vgl. [X.], in: [X.]/[X.], Kassenarztrecht, § 95 Rn. [X.]-15). Die Zulassung als Vertragsarzt ist daher höchstpersönlicher Natur und nicht übertragbar (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 31. März 1998 - 1 BvR 2167/93, 1 [X.] -, NJW 1998, S. 1776 <1778>). Die einer natürlichen Person erteilte Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung kann als öffentlichrechtliche Berechtigung bei Vermögensverfall nicht in die Insolvenzmasse fallen (vgl. [X.], Urteil vom 10. Mai 2000 - [X.] [X.]/98 R -, [X.]E 86, 121 <123>; vorgehend [X.], Urteil vom 7. Oktober 1998 - L 11 [X.] 62/98 -, [X.] 1999, S. 333 <337>; [X.], Beschluss vom 7. Mai 2008 - 34 Sch 8/07 u.a -, juris ; [X.], in: [X.], InsO, § 35 Rn. 14; [X.], in: [X.]/[X.], Kassenarztrecht, § 95 Rn. [X.]-29 ).

bb) Bei der Zulassung handelt es sich auch dann um eine höchstpersönliche Rechtsposition, wenn sie einem in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts betriebenen [X.] erteilt wird (vgl. [X.], Urteil vom 21. März 2012 - [X.] [X.] 22/11 R -, [X.] 2013, [X.]; [X.], Das Medizinische Versorgungszentrum in der Insolvenz, [X.] 2012, S. 8 <11>). Auch die an die Trägergesellschaft eines [X.]s gebundene ärztliche Zulassung ist nicht übertragbar. Dies folgt schon daraus, dass für den vertragsärztlichen Teilnahmestatus des [X.]s die [X.] gleichwohl über die im [X.] tätigen Ärzte durchgesetzt werden (vgl. [X.], Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 16 Rn. 3). Zudem steht einer Übertragung bei Veräußerung der Trägergesellschaft die Verknüpfung der Zulassung mit der Gründungsgesellschaft entgegen.

2. Eine Fortdauer des [X.] ist nach Betriebseinstellung zum 30. Juni 2012 weder schlüssig vorgetragen noch ersichtlich.

Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des [X.]noch ein Bedürfnis für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsakts oder wenigstens für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit besteht (vgl. [X.] 33, 247 <253>; 50, 244 <247>; stRspr). Ist das mit der Verfassungsbeschwerde ursprünglich verfolgte Begehren erledigt, so besteht ein Rechtsschutzbedürfnis nur dann, wenn die - vordergründig - erledigte Maßnahme den Beschwerdeführer aufgrund von Folgewirkungen weiterhin beeinträchtigt (vgl. [X.] 99, 129 <138>; 110, 177 <188>), wenn eine Wiederholung des gerügten Verstoßes konkret zu besorgen ist, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. [X.] 105, 239 <246>) oder wenn anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff gewichtig ist (vgl. [X.] 119, 309 <317>).

a) Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Begehren hat sich erledigt. Die mit der Zulassungsentziehung verbundene Beschwer ist spätestens mit der Einstellung des Betriebes weggefallen.

Die Zulassungsentziehung entfaltet keine rechtlichen Wirkungen mehr. Die Zulassung ist ohne förmliches Entziehungsverfahren durch Auflösung des [X.] beendet (§ 95 Abs. 7 Satz 2, [X.]. 2 [X.]).

Der Beschwerdeführer hat nicht dargetan, dass eine Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit innerhalb einer angemessenen Frist zu erwarten ist, und deshalb ein bloßes Ruhen der Zulassung (§ 95 Abs. 5 [X.]) in Betracht kommt (vgl. [X.], in: [X.], Handbuch der Krankenversicherung, Stand: Januar 2007, § 95 Rn. 33).

b) Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis besteht nicht ausnahmsweise deshalb fort, weil anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe (vgl. [X.] 119, 309 <317>). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Entziehung einer Vertragsarztzulassung sind in der Rechtsprechung des [X.] geklärt. Die Entziehung der Vertragsarztzulassung wegen gröblicher Pflichtverletzung schränkt die Berufsfreiheit in einem Maße ein, das in seiner Wirkung der Beschränkung der Berufswahl nahe kommt (vgl. [X.] 69, 233 <244>). Solche Eingriffe sind nur unter strengen Voraussetzungen zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. [X.] 44, 105 <117 f.>). Darüber hinaus ist weder eine weitere Beeinträchtigung durch die angegriffenen Entscheidungen (vgl. [X.] 99, 129 <138>; 110, 177 <188>) noch eine Wiederholungsgefahr (vgl. [X.] 33, 247 <257>; 81, 208 <213>) ersichtlich. Schließlich rechtfertigen auch die geltend gemachten ideellen Interessen nicht ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 791/12

22.03.2013

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 21. März 2012, Az: B 6 KA 22/11, Urteil

§ 90 Abs 1 BVerfGG, § 95a SGB 5, § 95 Abs 1 SGB 5, § 95 Abs 6 S 3 SGB 5, § 95 Abs 7 S 2 Alt 2 SGB 5, § 98 Abs 2 Nr 10 SGB 5

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 22.03.2013, Az. 1 BvR 791/12 (REWIS RS 2013, 7078)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7078

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