Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.06.2017, Az. IV ZR 440/14

4. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 8948

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Gegenstand

Versicherungsvertrag: Wirksamkeit trotz unterlassener Pflichtmitteilungen des Versicherers vor Abgabe der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers; Beginn der Widerrufsfrist in einem solchen Fall; Sperrwirkung der Widerrufsregeln gegen einen auf Rückabwicklung des Vertrages gerichteten Schadensersatzanspruch


Leitsatz

1. Für die Wirksamkeit der Einigung über den Abschluss eines Versicherungsvertrages ist es unerheblich, ob der Versicherer die in § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG bestimmten Pflichten erfüllt.

2. Die Widerrufsfrist beginnt gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 VVG auch dann mit dem Zugang der dort genannten Unterlagen, wenn der Versicherer entgegen § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG dem Versicherungsnehmer nicht vor Abgabe von dessen Vertragserklärung seine Vertragsbestimmungen und die weiteren Informationen mitgeteilt hat.

3. Die Widerrufsregeln der §§ 8, 9 VVG entfalten keine Sperrwirkung gegen einen auf Rückabwicklung des Vertrages gerichteten Schadensersatzanspruch aufgrund einer Verletzung von Pflichten im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil der 1. Zivilkammer des [X.] vom 6. November 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger unterschrieb am 22. September 2010 bei einem Versicherungsvertreter der [X.] einen Antrag auf Abschluss einer Rentenversicherung bei der [X.]. Der schriftliche Antrag enthielt unter anderem Angaben zum Versicherungsumfang, zum gewählten Tarif und zum monatlichen Beitrag; Versicherungsbeginn sollte der 1. Oktober 2010 sein. Weiter enthielt er einen Hinweis auf ein Widerrufsrecht. Vertragsbestimmungen, insbesondere die Allgemeinen Versicherungsbedingungen ([X.]) und die Verbraucherinformation nach § 7 [X.] erhielt der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht. Er unterzeichnete stattdessen eine von der [X.] vorformulierte Erklärung, die sich auf einem gesonderten Blatt befand und mit "Zustimmungserklärung" überschrieben war. Der in Fettdruck gefasste Text lautete wie folgt:

"Ich bin damit einverstanden, dass ich

die dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und

die Verbraucherinformation aufgrund der nach § 7 Abs. 2 [X.] erlassenen Rechtsverordnung

in Textform erst mit dem Versicherungsschein erhalte.

Der Vermittler hat [X.] auf Folgendes hingewiesen:

Mit der Unterschrift entbinde ich … von ihrer Pflicht, [X.] diese Dokumente rechtzeitig vor Abgabe meiner Vertragserklärung zu übermitteln. Darauf verzichte ich mit Abgabe dieser Erklärung."

2

Die Beklagte übersandte dem Kläger mit Schreiben vom 22. September 2010 den Versicherungsschein nebst Tarifbeschreibung und den [X.], die Verbraucherinformation nach §§ 1, 2 der [X.]-Informationspflichtenverordnung ([X.]-InfoV) vom 18. Dezember 2007 ([X.]) sowie ein Produktinformationsblatt. Auf der letzten - vierten - Seite des [X.] befand sich eine fett gedruckte Widerrufsbelehrung.

3

Der Kläger zahlte in der Folgezeit monatliche Beiträge. Mit Schreiben vom 27. August 2012 kündigte er den Vertrag; die Beklagte zahlte 614,40 € aus. Mit Anwaltsschreiben vom 18. Februar 2013 erklärte der Kläger den "Widerspruch/Rücktritt/Widerruf gegen das Zustandekommen des Versicherungsvertrages nach den §§ 5a, 8 [X.] a.F. bzw. den §§ 8, 9, 152 [X.] n.F." und verlangte die gesamten Beitragszahlungen zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zurück; hierauf rechnete der Kläger den erhaltenen Rückkaufswert an und forderte noch insgesamt 641,26 €.

4

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, die Berufung des [X.] hat keinen Erfolg gehabt. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

6

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus § 812 BGB verneint. Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag sei wirksam. Eine Widerrufsbelehrung mit der Übersendung des Versicherungsscheins sei ausreichend. Dies genüge auch deswegen, weil der Kläger darauf verzichtet habe, ihm die nach § 7 [X.] mitzuteilenden Informationen bereits vor Antragstellung zu überlassen. Es könne dahinstehen, ob dies mit Europarecht vereinbar sei. Der [X.] Gesetzgeber habe die Verzichtsmöglichkeit bewusst auf den Bereich der Lebensversicherungen ausgedehnt. Dieser erkennbare Wille des Gesetzgebers könne durch eine europarechtskonforme Auslegung nicht in sein Gegenteil verkehrt werden, weil diese nur eine Auslegung erlaube, die mit Wortlaut, Systematik und Zweck des nationalen Rechts vereinbar sei und den erkennbaren Willen des nationalen Gesetzgebers nicht verändern dürfe.

7

Der Verzicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 [X.] sei auch formularmäßig möglich. Es liege keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers vor, weil der Kläger die geschuldeten Informationen unstreitig nachträglich erhalten habe und aufgrund des bestehenden Widerrufsrechts auch die Möglichkeit gehabt habe, hierauf zu reagieren.

8

Der Widerruf sei verfristet gewesen, weil der Kläger die 30-tägige Widerrufsfrist nicht eingehalten habe. Die Widerrufsfrist habe mit Zugang der in § 8 Abs. 2 [X.] genannten Unterlagen im September 2010 begonnen. Die Widerrufsbelehrung sei weder ihrem Inhalt noch ihrer Form nach zu beanstanden.

9

Da die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß sei, könne hierauf auch kein Schadensersatzanspruch gestützt werden.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Mit der gegebenen Begründung durfte das Berufungsgericht die Klage auf Rückzahlung der geleisteten Prämien nicht abweisen.

1. Das Berufungsgericht hat allerdings zu Recht angenommen, dass sich die Parteien wirksam über den Inhalt des Versicherungsvertrages geeinigt haben. Eine Vorlage an den [X.] ([X.]) zu dieser Frage ist nicht geboten.

a) Es liegt eine wirksame Einigung vor. Der Kläger hat ein vollständiges Angebot abgegeben und die [X.] hat dieses Angebot mit ihrem Schreiben vom 22. September 2010 angenommen. Dabei kommt es für die Wirksamkeit der Einigung weder darauf an, ob die [X.] die sie nach § 7 [X.] treffenden Pflichten erfüllt hat noch ob ihre [X.] einbezogen worden sind.

aa) Der Abschluss eines Versicherungsvertrages unterliegt grundsätzlich den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln, insbesondere den §§ 116 ff., 145 ff. BGB ([X.] in [X.], [X.] 9. Aufl. § 1 Rn. 224; HK-[X.]/[X.], 3. Aufl. § 1 Rn. 43; PK-[X.]/[X.], 3. Aufl. § 7 Rn. 14; [X.], Privatversicherungsrecht 2013 Rn. 844; Niederleithinger, [X.], 437, 440; BT-Drucks. 16/3945 S. 48). Er kommt daher regelmäßig durch Angebot und Annahme zustande.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Zwar sind einige der zu erteilenden Informationen so wesentlich, dass ohne sie nach den allgemeinen Regeln über Angebot und Annahme kein wirksamer Versicherungsvertrag zustande kommt (MünchKomm-[X.]/[X.], 2. Aufl. § 7 Rn. 112; [X.]/[X.], [X.]. § 10a Rn. 89). Dazu zählen die Informationen über die Leistungen des Versicherers und die Prämie (MünchKomm-[X.]/[X.] aaO; [X.]/[X.] aaO). Die Erklärung des [X.] vom 22. September 2010 enthält aber alle für einen [X.] auf das Leben des [X.] erforderlichen Angaben, insbesondere zu den [X.]. Aus ihr ergeben sich sowohl das versicherte Risiko sowie Beginn und Ende der Versicherung als auch die versicherte Person, die geschuldeten Versicherungsbeiträge, die Art und Höhe der Versicherungsleistungen und der gewählte Tarif der [X.]n. Gegenstand und Inhalt des gewollten Vertrages waren in der Erklärung des [X.] mithin so bestimmt angegeben, dass die [X.] das Angebot durch ein einfaches "Ja" annehmen konnte. Die [X.] hat dieses Angebot unverändert angenommen, indem sie dem Kläger mit Schreiben vom 22. September 2010 den Versicherungsschein sowie die Tarifbeschreibung, die [X.], die Verbraucherinformation nach §§ 1, 2 [X.]-InfoV und ein Produktinformationsblatt übersandte.

Ob die Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB an die Einbeziehung der [X.] im Streitfall erfüllt sind, kann dahinstehen. Da sich bereits aus der Angebotserklärung des [X.] die wechselseitigen Hauptpflichten ergeben und die [X.] dieses Angebot angenommen hat, ist der Inhalt des Versicherungsvertrages auch ohne Einbeziehung von [X.] ausreichend bestimmt. Für die Abwicklung des Vertrages sind die Bestimmungen der [X.] der [X.]n im Streitfall unerheblich. Die [X.] hat sich auf die Kündigung des [X.] eingelassen. Die Höhe des - in der Sache unbestrittenen - Rückkaufswertes folgt aus § 169 [X.].

bb) Für die Wirksamkeit der Einigung der Parteien ist es unerheblich, ob der Versicherer die in § 7 Abs. 1 Satz 1 [X.] bestimmten Pflichten erfüllt.

(1) Allerdings hat der Kläger die [X.] im Streitfall nicht wirksam davon entbunden, ihm die nach § 7 Abs. 1 Satz 1 [X.] geschuldeten Informationen vor Abgabe seiner Vertragserklärung zu erteilen. § 7 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 [X.] verlangt hierfür eine gesonderte schriftliche Erklärung sowie einen ausdrücklichen Verzicht des Versicherungsnehmers. Diese hohen formalen Hürden dienen dazu, dass der Richtlinie 2002/65/[X.] und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der [X.] und 98/27/EG ([X.] vom 9. Oktober 2002; fortan [X.]) nach Sinn und Zweck entsprochen wird (BT-Drucks. 16/3945 S. 60). Der Verzicht muss dem Versicherungsnehmer bewusst vor Augen geführt werden (vgl. Begründung zu dem wortgleichen Erfordernis der gesonderten schriftlichen Erklärung in § 42c Abs. 2 [X.] a.F. in BT-Drucks. 16/1935 S. 24, auf die die Begründung zu § 6 Abs. 3, § 61 Abs. 2 [X.] in BT-Drucks. 16/3945 S. 58, 77 Bezug nimmt), so dass die Warnfunktion sichergestellt und sein Bewusstsein für die Nachteile dieser Erklärung geschärft wird. Im Streitfall fehlt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts an einem wirksamen Verzicht.

Die vom Gesetz geforderte ausdrückliche Erklärung schließt nicht nur stillschweigende Verzichtserklärungen aus, sondern erfordert ein besonderes Erklärungsbewusstsein des Versicherungsnehmers: Er muss sich bewusst sein, dass er mit der Erklärung darauf verzichtet, konkrete ihm geschuldete Informationen zu erhalten. Nur so kann dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Schutz des Versicherungsnehmers (BT-Drucks. 16/3945 S. 60) Rechnung getragen werden.

Diesen Anforderungen genügt die Erklärung des [X.] nicht. Zwar werden die betroffenen Informationen darin bezeichnet. Ein Verzicht auf die geschuldete rechtzeitige Übermittlung derselben geht daraus aber nicht mit der gebotenen Deutlichkeit hervor. Bereits die Überschrift "Zustimmungserklärung" lässt nicht erkennen, dass der Versicherungsnehmer auf ein ihm zustehendes Recht verzichtet. Im ersten Satz erklärt sich der Unterzeichner nur damit einverstanden, die näher bezeichneten Informationen erst mit dem Versicherungsschein zu erhalten. Dagegen ergibt sich der Verzicht auf die rechtzeitige Übermittlung der Dokumente, zu der der Versicherer verpflichtet ist, erst aus dem letzten Satz des letzten Absatzes. Diese Gestaltung ist nicht geeignet, bei dem Versicherungsnehmer ein ausreichendes Bewusstsein für den Verzichtscharakter seiner Erklärung zu schaffen.

Es kommt daher hier nicht darauf an, dass es sich um einen vorformulierten Verzicht handelt, dessen [X.] Beurteilung streitig ist (vgl. [X.] in Looschelders/[X.], [X.] 3. Aufl. § 7 Rn. 48 m.w.[X.] zum Streitstand).

(2) § 7 Abs. 1 [X.] stellt aber keine zusätzlichen Wirksamkeitsanforderungen für vertragliche Willenserklärungen auf (HK-[X.]/[X.], 3. Aufl. § 7 Rn. 29; [X.] in [X.], [X.] 9. Aufl. § 7 Rn. 74; [X.] in [X.]/Matusche-[X.], [X.] 3. Aufl. § 8 Rn. 38; [X.], Vertragsschluss nach der [X.]-Reform 2008 Rn. 3/79; vgl. auch [X.], Privatversicherungsrecht 2013 Rn. 795). Der Gesetzgeber hat erklärtermaßen keine Gründe gesehen, vom allgemeinen Zivilrecht abweichende Regeln für den Abschluss von Versicherungsverträgen aufzustellen (BT-Drucks. 16/3945 S. 48). Demgemäß enthält das Gesetz keine Regelungen, nach welchen die fehlende Information des Versicherungsnehmers oder der Verstoß des Versicherers gegen seine Pflichten aus § 7 Abs. 1 [X.] dazu führt, dass die Vertragserklärung des Versicherungsnehmers unwirksam oder nichtig wäre (MünchKomm-[X.]/[X.], 2. Aufl. § 7 Rn. 112; Niederleithinger, [X.], 437, 442). Vielmehr sieht das Gesetz für diesen Fall besondere Sanktionen vor (BT-Drucks. 16/3945 S. 60): Verletzt der Versicherer seine Informationspflicht, ergibt sich aus § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.], dass die Widerrufsfrist noch nicht zu laufen beginnt. Dem Versicherungsnehmer kann ferner nach allgemeinem Schuldrecht ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht des Versicherers zustehen. Bei nachhaltiger, schwerwiegender Verletzung der Verpflichtung können schließlich aufsichtsrechtliche Maßnahmen in Betracht kommen (so ausdrücklich BT-Drucks. 16/3945 aaO).

b) Anders als die Revision meint, bedarf es insoweit keiner Vorlage an den [X.]. Selbst wenn, wie die Revision annimmt, das nationale Umsetzungsrecht hinter den Anforderungen der einschlägigen [X.] Richtlinien zurückbleiben sollte, ist der Gerichtshof nicht um Vorabentscheidung nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der [X.] ([X.]) zu ersuchen, wenn das nationale Recht im [X.] nicht richtlinienkonform ausgelegt oder fortgebildet werden kann. Die Frage nach der Auslegung des [X.] ist für das [X.] Gericht dann nicht entscheidungserheblich (vgl. [X.], Urteil vom 6. April 2016 - [X.], NJW 2016, 3589 Rn. 42; [X.] ZIP 2013, 924 Rn. 32). So liegt es hier.

Die Frage, ob sich aus Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/[X.] und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen ([X.] vom 19. Dezember 2002) und Art. 3 und 5 der [X.] Anforderungen für einen Vertragsschluss ergeben und welche dies gegebenenfalls sind, ist nicht entscheidungserheblich. Es wäre nach [X.]m Recht nicht möglich, eine eventuell abweichende Ansicht des [X.], dass die Vertragserklärung eines Versicherungsnehmers nur dann wirksam sein darf, wenn er zuvor die zu erteilenden Informationen erhalten hat, im Wege der richtlinienkonformen Auslegung oder richtlinienkonformen Rechtsfortbildung der §§ 7 f. [X.] in nationales Recht umzusetzen.

Die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege findet ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 - [X.], [X.]Z 201, 101 Rn. 20; [X.] NJW 2012, 669 Rn. 47). Die Entscheidung darüber, ob im Rahmen des nationalen Rechts ein Spielraum für eine richtlinienkonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung besteht, obliegt den nationalen Gerichten ([X.] NJW 2012, 669 Rn. 47 f.). Eine richtlinienkonforme Auslegung darf nicht dazu führen, dass das Regelungsziel des Gesetzgebers in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht wird (vgl. [X.]E 138, 64 Rn. 86; [X.]E 119, 247, 274, jeweils zur verfassungskonformen Auslegung), oder dazu, dass einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben oder der normative Gehalt der Norm grundlegend neu bestimmt wird (vgl. [X.]E 118, 212, 234 zur verfassungskonformen Auslegung). [X.]liche Rechtsfortbildung berechtigt den [X.] nicht dazu, seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen ([X.] NJW 2012, 669 Rn. 45). Demgemäß kommt eine richtlinienkonforme Auslegung nur in Betracht, wenn eine Norm tatsächlich unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten im Rahmen dessen zulässt, was der gesetzgeberischen [X.] und Zielsetzung entspricht (vgl. [X.] in [X.]/[X.], Zivilrecht unter [X.] Einfluss 2. Aufl. [X.]. 4 Rn. 41, 43; [X.], [X.] f.). Der Grundsatz gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung und Rechtsfortbildung darf nicht zu einer Auslegung des nationalen Rechts contra legem führen ([X.], Urteil vom 22. Mai 2012 - [X.], [X.]Z 193, 238 Rn. 50; [X.] NJW 2012, 669 Rn. 47; [X.] aaO Rn. 43). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des [X.] ([X.] NJW 2012, 509 Rn. 25; 2006, 2465 Rn. 110).

Nach nationalem Recht kommt ein Versicherungsvertrag - wie ausgeführt - unabhängig von einer vorherigen Information des Versicherungsnehmers zustande. Es ist [X.] nicht möglich, die vom Gesetzgeber insoweit aufgestellten Regeln dahin auszulegen oder richterrechtlich fortzubilden, dass die vor Zugang der Informationen des § 7 Abs. 1, 2 [X.] abgegebene Vertragserklärung eines Versicherungsnehmers unwirksam oder nichtig ist. Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, für einen wirksamen Abschluss eines Versicherungsvertrages vom allgemeinen Zivilrecht grundlegend abweichende Regeln aufzustellen. Im Rahmen des von ihm gewählten Umsetzungskonzepts hat er eine ausdrückliche Pflicht für den Versicherer geschaffen, den Versicherungsnehmer rechtzeitig vor Abgabe seiner Vertragserklärung zu informieren. Im Falle der Verletzung dieser Pflicht hat er als Sanktion vorgesehen, dass die Widerrufsfrist noch nicht zu laufen beginnt. Daneben kommen nach seiner Vorstellung Schadensersatzansprüche und aufsichtsrechtliche Maßnahmen in Betracht (BT-Drucks. 16/3945 S. 60). Während des [X.] soll der Vertrag hingegen schwebend wirksam sein (vgl. BT-Drucks. 15/2946 S. 31 zu § 48c [X.] a.F., dessen Absätze 1 bis 4 inhaltlich in § 8 [X.] übernommen wurden, BT-Drucks. 16/3945 S. 61). Diese klar zum Ausdruck gebrachte Entscheidung des Gesetzgebers ist bindend und kann auch nicht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung oder Rechtsfortbildung abgeändert werden. Angesichts des eindeutigen Regelungsplans fehlt es hier - anders als bei § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 - [X.], [X.]Z 201, 101 Rn. 21 ff.) - an einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes.

Eine solche ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht daraus, dass das ausdrücklich angestrebte Ziel einer richtlinienkonformen Umsetzung durch die Regelung nicht erreicht worden wäre und ausgeschlossen werden könnte, dass der Gesetzgeber die Regelung in gleicher Weise erlassen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass sie nicht richtlinienkonform ist (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 - [X.], [X.]Z 201, 101 Rn. 23). Unabhängig davon, ob die Regelung den [X.] entspricht, hat der Gesetzgeber erklärtermaßen vor dem Hintergrund gehandelt, dass die Vereinbarkeit des sog. [X.]s aus § 5a [X.] a.F. mit EU-rechtlichen Vorgaben aus seiner Sicht nicht zweifelsfrei war und dieses Modell dem berechtigten Interesse des Versicherungsnehmers an einer möglichst frühzeitigen Information über den Inhalt des angestrebten Vertrages nicht hinreichend Rechnung trug (BT-Drucks. 16/3945 S. 60). Wird unter Zweifeln an der Richtlinienkonformität des [X.]s und der Fortgeltung der Vorgaben der [X.] und der [X.] eine neue Regelung konzipiert, die die Wirksamkeit der Erklärung des Versicherungsnehmers nicht davon abhängig macht, ob er die in § 7 [X.] genannten Informationen vor seiner Vertragserklärung erhalten hat, ist diese Regelung nicht im oben genannten Sinne planwidrig lückenhaft.

2. Zu Recht hat das Berufungsgericht weiter angenommen, dass der Kläger an die Einigung mit der [X.]n auch gebunden ist, weil sein mit Schreiben vom 18. Februar 2013 erklärter Widerruf verfristet ist. Die Widerrufsfrist begann mit Zugang der dem Kläger mit Schreiben vom 22. September 2010 übersandten Unterlagen zu laufen (§ 8 Abs. 2 Satz 1 [X.]). Sie endete daher spätestens Ende Oktober 2010.

a) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts sind die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 [X.] im Streitfall erfüllt.

Der Kläger hat die mit Schreiben der [X.]n vom 22. September 2010 übersandten Unterlagen (Vertragsbestimmungen, [X.], die weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 [X.] sowie eine Belehrung über sein Widerrufsrecht und die Rechtsfolgen des Widerrufs) nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts im September 2010 erhalten. Nach den aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Feststellungen war die Widerrufsbelehrung inhaltlich und drucktechnisch ordnungsgemäß.

b) Das Widerrufsrecht besteht nicht deshalb fort, weil die [X.] dem Kläger die nach § 7 Abs. 1 und 2 [X.] erforderlichen Informationen erst nach Abgabe seiner Vertragserklärung zusammen mit dem Versicherungsschein übersandt hat. § 8 Abs. 2 Satz 1 [X.] knüpft den Beginn der Widerrufsfrist an den Zeitpunkt, zu dem der Versicherungsnehmer die entsprechenden Unterlagen erhalten hat. Einschränkungen für den Beginn der Widerrufsfrist für den Fall, dass der Versicherer seine Pflicht aus § 7 Abs. 1 [X.] verletzt hat, enthält das Gesetz nicht (so auch [X.], [X.], 493, 496 f.).

Auch diese Regelung ist eindeutig. Insbesondere setzt der Lauf der Widerrufsfrist nicht voraus, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer die nach § 7 Abs. 1 Satz 1 [X.] geschuldeten Informationen rechtzeitig vor dessen Vertragserklärung mitteilt. Vielmehr wird in der Gesetzesbegründung betont, dass in Fällen, in denen der Versicherer seine Informationspflicht nach § 7 Abs. 1 [X.] verletzt, der Lauf der Widerrufsfrist nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] hinausgeschoben wird, bis dem Versicherungsnehmer die Unterlagen vorliegen (BT-Drucks. 16/3945 S. 60). Die damit verbundene Wertung, dass die Vertragserklärung eines Versicherungsnehmers auch dann bindend werden darf, wenn er die zu erteilenden Informationen erst nach Abgabe seiner Erklärung erhalten hat, ist eine klare gesetzgeberische Entscheidung. Auch § 8 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist daher einer richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich, so dass es auch insoweit keiner Vorlage an den [X.] bedarf.

Vor dem Hintergrund der vom Gesetzgeber angezweifelten Richtlinienkonformität des [X.]s ist auch die Schaffung dieser Regelung bei Fortgeltung der [X.] nicht planwidrig lückenhaft. Bei im [X.] wurde der zunächst schwebend unwirksame Vertrag bei nachträglicher Erteilung der Informationen und Ablauf der dadurch in Gang gesetzten Widerspruchsfrist rückwirkend wirksam, obwohl dem Versicherungsnehmer die Informationen nicht vor Abgabe seiner Vertragserklärung zur Verfügung gestanden hatten. Bei der Neufassung der Vorschriften handelte der Gesetzgeber - anders als bei § 5a [X.] a.F. - in Kenntnis der (in der Literatur geäußerten) Kritik am [X.] und ausweislich der Gesetzesbegründung in der Annahme, die Richtlinienkonformität des [X.]s sei nicht zweifelsfrei und es trage dem Interesse des Versicherungsnehmers an einer möglichst frühzeitigen Information über den Inhalt des angestrebten Vertrages nicht hinreichend Rechnung (BT-Drucks. 16/3945 S. 60). Schafft der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund bei Fortgeltung der [X.] neue Regelungen, bei denen das Erlöschen des Widerrufsrechts nicht davon abhängt, dass die ihm gegenüber bestehenden Informationspflichten (rechtzeitig) erfüllt worden sind, kann aus der generellen Absicht des Gesetzgebers zur Umsetzung der Richtlinien keine planwidrige Regelungslücke mehr hergeleitet werden.

c) Der erst mit Schreiben vom 18. Februar 2013 erklärte Widerruf erfolgte mithin nach Ablauf der Widerrufsfrist und war daher verspätet und wirkungslos.

3. Jedoch hat sich das Berufungsgericht, da es von einem wirksamen Verzicht des [X.] auf eine Information vor Abgabe seiner Vertragserklärung ausgegangen ist, bislang nicht damit befasst, ob dem Kläger aufgrund der verspäteten Mitteilung der in § 7 Abs. 1, 2 [X.] genannten Vertragsbestimmungen und Informationen ein gegebenenfalls auf Vertragsaufhebung gerichteter Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB zustehen könnte. Der Kläger hat jedenfalls die erst nach Abgabe seiner Vertragserklärung erfolgte Mitteilung der [X.] auch als schadensersatzbegründende Pflichtverletzung geltend gemacht.

a) Die Widerrufsregelungen der §§ 8, 9 [X.] entfalten keine Sperrwirkung gegen einen solchen Schadensersatzanspruch, da sie eine andere Schutzrichtung haben (vgl. [X.] in Looschelders/[X.], [X.] 3. Aufl. § 7 Rn. 56; HK-[X.]/[X.], 3. Aufl. § 7 Rn. 27; PK-[X.]/[X.], 3. Aufl. § 7 Rn. 69; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 29. Aufl. § 7 Rn. 40; [X.] in [X.]/Matusche-[X.], [X.] 3. Aufl. § 18 Rn. 128; a.A. MünchKomm-[X.]/[X.], 2. Aufl. § 7 Rn. 119, 122; [X.], [X.], 163, 164). Während das Widerrufsrecht eine Bedenkzeit einräumen soll, innerhalb derer der Versicherungsnehmer den [X.] rückgängig machen kann, beruht der Schadensersatzanspruch auf einer schuldhaften Verletzung vorvertraglicher Pflichten. Nach dem Konzept des Gesetzgebers soll dieser Schadensersatzanspruch ausdrücklich als weitere mögliche Sanktion für die verspätete Übermittlung der Vertragsinformationen neben dem hinausgeschobenen Beginn der Widerrufsfrist in Betracht kommen (BT-Drucks. 16/3945 S. 60).

b) § 7 Abs. 1 Satz 1 [X.] enthält diesem Willen des Gesetzgebers entsprechend auch nach seinem Wortlaut eine Rechtspflicht des Versicherers, deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB auslösen kann (vgl. BT-Drucks. 16/3945 S. 59 f.). Diese Pflicht hat die [X.] nach den Feststellungen des Berufungsgerichts objektiv verletzt, da sie dem Kläger die Vertragsbestimmungen und weiteren Informationen erst mit dem Versicherungsschein übersandt hat. Das gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutete Verschulden des Versicherers hätte die [X.] zu widerlegen. Da das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt einer verspäteten Information nicht in Erwägung gezogen hat, hatte sie bisher keinen Anlass, dazu vorzutragen.

c) Der auf Rückabwicklung des Vertrages aufgrund einer Verletzung von Informationspflichten gerichtete Schadensersatzanspruch setzt einen Vermögensschaden voraus (Senatsurteil vom 11. Juli 2012 - [X.], [X.]Z 194, 39 Rn. 64 m.w.[X.]). Dies gilt auch für eine verspätete Information des Versicherungsnehmers entgegen den gesetzlichen Pflichten des Versicherers. Hierfür genügt jeder wirtschaftliche Nachteil, der mit dem aufgrund der Pflichtverletzung eingegangenen Vertrag verbunden ist (vgl. Senat aaO; Senatsbeschluss vom 20. Mai 2015 - [X.], [X.], 133 Rn. 31). Ein solcher Nachteil lässt sich dem Vortrag des [X.] bisher nicht entnehmen, doch wird ihm insoweit noch Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müssen.

d) Der Umstand, dass der Versicherungsnehmer die Vertragsbestimmungen und Informationen erst nach Abgabe seiner Vertragserklärung erhalten hat, muss ursächlich für den geltend gemachten Schaden gewesen sein. Ein Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss auf Ersatz eines Schadens, der durch die - unterstellte - Pflichtverletzung nicht verursacht worden ist, ist dem [X.]n Recht fremd ([X.], Urteil vom 16. Mai 2006 - [X.], [X.]Z 168, 1 Rn. 38; vgl. auch Urteil vom 19. September 2006 - [X.], [X.]Z 169, 109 Rn. 43). Grundsätzlich muss der Versicherungsnehmer beweisen, dass er den [X.] nicht geschlossen hätte ([X.] in [X.]/[X.], [X.] 29. Aufl. § 7 Rn. 40). Ob er sich dabei auf die Vermutung aufklärungsgerechten Verhaltens (vgl. Senatsurteil vom 11. Juli 2012 - [X.], [X.]Z 194, 39 Rn. 66) berufen kann, hängt vom Inhalt der verspätet mitgeteilten Vertragsbedingung oder Information ab, auf die der Versicherungsnehmer einen Schadensersatzanspruch stützen will (vgl. dazu [X.] in Looschelders/[X.], [X.] 3. Aufl. § 7 Rn. 61; PK-[X.]/[X.], 3. Aufl. § 7 Rn. 70).

III. Das Berufungsgericht wird daher nach Zurückverweisung der Sache die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs zu prüfen haben; hierzu wird es den Parteien Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme zu geben haben.

[X.]     

      

[X.]     

      

Lehmann

      

Dr. Brockmöller     

      

Dr. Bußmann     

      

Meta

IV ZR 440/14

28.06.2017

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Ansbach, 6. November 2014, Az: 1 S 1412/13

§ 7 Abs 1 S 1 VVG, § 8 Abs 2 S 1 VVG, § 9 VVG, § 145 BGB, §§ 145ff BGB, § 241 Abs 2 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 311 Abs 2 Nr 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.06.2017, Az. IV ZR 440/14 (REWIS RS 2017, 8948)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 3387 WM2017,1396 REWIS RS 2017, 8948

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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