Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 04.08.2022, Az. 1 BvR 1072/17

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2022, 4643

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Mangelndes Rechtsschutzbedürfnis für Verfassungsbeschwerde bzgl der Zulässigkeit einer "mehrstöckigen Rechtsanwaltsgesellschaft" nach Inkrafttreten des § 59i BRAO nF


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

1. Die Beschwerdeführerin zu 2) ist eine Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung, in der sich Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbunden haben. Im Jahre 2015 gründeten drei ihrer Partner die Beschwerdeführerin zu 1) in der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Nachdem die Beschwerdeführerin zu 1) von der Rechtsanwaltskammer als Rechtsanwaltsgesellschaft zugelassen worden war, übertrugen die drei Gründungsgesellschafter ihre Anteile auf die Beschwerdeführerin zu 2), die dadurch Alleingesellschafterin der Beschwerdeführerin zu 1) wurde.

2

2. Daraufhin widerrief die Rechtsanwaltskammer mit angegriffenem Bescheid vom 30. Juni 2015 die Zulassung der Beschwerdeführerin zu 1), weil die so entstandene "mehrstöckige Rechtsanwaltsgesellschaft" nicht im Einklang mit § 59e Abs. 1 Satz 1 und 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (in der bis zum 31. Juli 2022 geltenden Fassung, im Folgenden: [X.]) stehe. Nach Wortlaut und gesetzgeberischem Willen könnten lediglich natürliche Personen Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft werden.

3

Widerspruch und Anfechtungsklage der Beschwerdeführerin zu 1) blieben ohne Erfolg. Mit angegriffenem Urteil vom 20. März 2017 wies der [X.] auch die Berufung der Beschwerdeführerin zu 1) zurück, da eine Partnerschaftsgesellschaft nicht Gesellschafterin einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein dürfe. Auch verfassungsrechtlich sei dies nicht geboten.

4

3. Noch am [X.] des angegriffenen Urteils des [X.]s übertrug die Beschwerdeführerin zu 2) sämtliche Anteile an der Beschwerdeführerin zu 1) zurück auf die drei Gründungsgesellschafter, um eine erneute Zulassung der Beschwerdeführerin zu 1) als Rechtsanwaltsgesellschaft zu ermöglichen. Die Rechtsanwaltskammer widerrief daraufhin den angegriffenen Ausgangsbescheid.

5

4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführerinnen eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig, obwohl der Ausgangsbescheid widerrufen worden sei. § 59e Abs. 1 Satz 1 [X.] a.F. müsse verfassungskonform so ausgelegt werden, dass die Regelung der Beteiligung der Beschwerdeführerin zu 2) an der Beschwerdeführerin zu 1) nicht entgegenstehe. Es gebe keine Rechtfertigung dafür, einer Partnerschaftsgesellschaft, der ausschließlich Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte angehören dürften, das Halten von Anteilen einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu untersagen. Es verstoße zudem gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass nach Ansicht des [X.]s eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts unter Umständen Anteile an einer Rechtsanwaltsgesellschaft halten könne, eine Partnerschaftsgesellschaft dagegen nicht.

6

5. Zu der Verfassungsbeschwerde haben die Bundesrechtsanwaltskammer und der [X.] Stellung genommen. Das [X.] teilte mit, dass eine Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts geplant sei.

7

6. Zum 1. August 2022 trat das Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden [X.] sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 7. Juli 2021 ([X.]) in [X.]. Gemäß § 59i Abs. 1 Satz 1 [X.] dürfen nunmehr zugelassene [X.] Gesellschafter einer [X.] sein. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es allerdings, dass der [X.] mindestens eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt als Gesellschafter angehören müsse, da [X.] nach der Bundesrechtsanwaltsordnung nur solche Gesellschaften seien, in denen sich Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte zur gemeinschaftlichen Berufsausübung mit anderen Personen zusammenschlössen. Eine [X.], deren Gesellschafterkreis sich allein aus [X.] zusammensetze, sei nicht zulässig (vgl. BTDrucks 19/27670, [X.] f.).

8

7. Das [X.], die Bundesrechtsanwaltskammer und der [X.] äußerten sich zur Bedeutung der Rechtsänderung für das [X.] Verfahren.

9

Das [X.] geht davon aus, dass die von den Beschwerdeführerinnen angestrebte Alleingesellschafterstellung der Beschwerdeführerin zu 2) unter Geltung der neuen Rechtslage zulassungsfähig sei. Dem stehe die Begründung des Gesetzentwurfs nicht entgegen. Erforderlich sei lediglich, dass mindestens ein beteiligter Rechtsanwalt oder eine beteiligte Rechtsanwältin aktiv in jeder [X.] mitarbeite. Dieses Erfordernis werde auch dann erfüllt, wenn Gesellschafter einer Muttergesellschaft in der Tochtergesellschaft mitarbeiteten. Dem Begehren der Beschwerdeführerinnen werde durch die Neuregelung daher umfassend Rechnung getragen.

Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Verfassungsbeschwerde weiterhin für zulässig, jedoch für unbegründet. Aus der Entwurfsbegründung ergebe sich, dass die angestrebte Organisationsstruktur weiterhin nicht zulassungsfähig sei. Der [X.] geht dagegen davon aus, dass mit der Neuregelung das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerinnen entfallen sei. Sie könnten ihr Vorhaben unter Geltung des neuen Rechts nunmehr umsetzen.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. [X.] nach § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte der Beschwerdeführerinnen angezeigt. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg, da es den Beschwerdeführerinnen seit Inkrafttreten des § 59i Abs. 1 Satz 1 [X.] zum 1. August 2022 jedenfalls an einem Rechtsschutzbedürfnis mangelt.

1. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsaktes oder jedenfalls für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit vorliegt. Dieses Rechtsschutzbedürfnis muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung des [X.] fortbestehen. Bei Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens besteht das Rechtsschutzbedürfnis fort, wenn andernfalls entweder die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint oder eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist oder die aufgehobene oder gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer noch weiterhin beeinträchtigt. Zudem wird in Fällen besonders tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstöße das Fortbestehen des [X.] angenommen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des [X.] kaum erlangen konnte (zum Ganzen: [X.] 146, 294 <308 f. Rn. 24> m.w.N.; stRspr).

2. Nach diesen Maßstäben ist das Rechtsschutzbedürfnis mit Inkrafttreten der Neuregelung des § 59i Abs. 1 Satz 1 [X.] entfallen.

a) Zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde bestand allerdings trotz der vorherigen Aufhebung des angegriffenen [X.] ein Rechtsschutzbedürfnis jedenfalls der Beschwerdeführerin zu 1), da von den angegriffenen Hoheitsakten weiterhin Beeinträchtigungen ausgingen und auch ihre Wiederholung zu besorgen war. Die Rückübertragung der Anteile an der Beschwerdeführerin zu 1) auf deren Gründungsgesellschafter erfolgte lediglich, um dem dauerhaften Entzug der Zulassung der Beschwerdeführerin zu 1) als Rechtsanwaltsgesellschaft zu entgehen, nicht, weil sich die von den Beschwerdeführerinnen bevorzugte Beteiligungsstruktur geändert hätte. Bei einer abermaligen Umsetzung dieser Pläne wäre mit dem erneuten Widerruf der Zulassung zu rechnen gewesen.

b) Das Rechtsschutzbedürfnis ist nunmehr aber entfallen.

aa) Seit Inkrafttreten der Neuregelung geht von den angegriffenen Hoheitsakten keine beeinträchtigende Wirkung mehr aus. Eine beeinträchtigende Wirkung lag zwar trotz Widerrufs des [X.] zunächst noch vor, weil letztinstanzlich festgestellt worden war, dass die von den Beschwerdeführerinnen angestrebte Beteiligungsstruktur nicht zulässig gewesen ist. Diese Feststellung war aber an das Fortdauern der bisherigen Rechtslage geknüpft. Durch die geänderte Rechtslage entfällt die Aussagekraft der angegriffenen Bescheide und Entscheidungen und damit ein Interesse an der Überprüfung von deren Verfassungsmäßigkeit.

Dies gilt umso mehr, als § 59i Abs. 1 Satz 1 [X.] nunmehr die Beteiligung von - nach neuer Terminologie - zugelassenen [X.] an anderen [X.] gestattet und sich im Wortlaut der Norm keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die von den Beschwerdeführerinnen angestrebte Struktur nicht zulässig sein könnte. Gegenteiliges soll sich laut [X.], das den Gesetzentwurf federführend verantwortete, auch nicht aus der Begründung des Gesetzentwurfs ergeben.

bb) Aufgrund der geänderten Rechtslage kann auch nicht mehr vom Vorliegen einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden; ebenso wenig, dass die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe. Ein tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtseingriff mit beschränkter Belastungsdauer im Sinne des dargestellten Maßstabs ist nach wie vor nicht ersichtlich.

3. Angesichts des fehlenden [X.] kann offenbleiben, ob die Beschwerdeführerin zu 2) als Nicht-Adressatin der angegriffenen Maßnahmen überhaupt beschwerdebefugt gewesen ist, § 90 Abs. 1 [X.].

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1072/17

04.08.2022

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BGH, 20. März 2017, Az: AnwZ (Brfg) 33/16, Urteil

§ 90 BVerfGG, § 59e Abs 1 S 1 BRAO vom 12.12.2007, § 59i Abs 1 S 1 BRAO vom 07.07.2021

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 04.08.2022, Az. 1 BvR 1072/17 (REWIS RS 2022, 4643)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4643 WM 2022, 1977 REWIS RS 2022, 4643 NJW 2022, 3146 REWIS RS 2022, 4643

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12 (Bundesverfassungsgericht)

Partielle Nichtigkeit der Regelungen über den Ausschluss von Rechtsanwalts- und Patentanwalts-GmbHs mit Doppelzulassung (§ 59e …


BayAGH III - 4 - 20/21 (Anwaltsgerichtshof München)

Zulassung, Gesellschafter, Gesellschaft, Bescheid, Widerruf, Gesellschafterversammlung, Rechtsanwaltschaft, Vorabentscheidungsersuchen, Werbung, Rechtsanwaltskammer, Frist, Mitgliedstaat, Satzung, Einkommen, Zulassung …


AnwZ (Brfg) 33/16 (Bundesgerichtshof)

Verwaltungsrechtliche Anwaltssache: Beteiligung einer Partnerschaftsgesellschaft an einer Rechtsanwaltsgesellschaft


1 BvR 2280/11 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Versagung der Zulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH und Co. KG - …


AnwZ (Brfg) 33/16 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

1 BvR 491/23

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.