Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2010, Az. 3 StR 287/10

3. Strafsenat | REWIS RS 2010, 2678

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Gegenstand

Befangenheitsrüge: Unterrichtungspflicht über Verständigungsgespräche mit Mitangeklagten außerhalb der Hauptverhandlung


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 5. Januar 2010 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Zu der Befangenheitsrüge nach § 338 Nr. 3 StPO bemerkt der Senat ergänzend:

1. Hintergrund der gegen alle Mitglieder der [X.] gerichteten Befangenheitsanträge vom 18. und 21. August sowie vom 22. Dezember 2009 ist der Umstand, dass die [X.] im [X.] an den [X.] vom 17. August 2009 in Abwesenheit der Verteidiger des Beschwerdeführers unter Beteiligung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft mit den beiden Verteidigern des Mitangeklagten [X.] ein Gespräch über die Möglichkeit einer verfahrensbeendenden Absprache für den Fall einer qualifiziert geständigen Einlassung des Mitangeklagten geführt hat, ohne die übrigen Verfahrensbeteiligten bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit in öffentlicher Hauptverhandlung nachträglich über den Gesprächsinhalt zu unterrichten.

a) Die Rüge ist, soweit sie die Befangenheitsanträge vom 18. und 21. August 2009 für sich genommen betrifft, aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet. Das zunächst berechtigte Misstrauen des Beschwerdeführers, bei dem unter Ausschluss seiner Verteidiger geführten Gespräch seien ihm zum Nachteil gereichende Umstände erörtert worden, ist jedenfalls durch die ihm bekannt gemachten dienstlichen Äußerungen der abgelehnten [X.] ausgeräumt worden ([X.], Beschlüsse vom 18. Dezember 2007 - 1 [X.], [X.], 229; vom 22. September 2008 - 1 [X.], [X.], 159, 160 und vom 4. März 2009 - 1 StR 27/09, [X.], 701). Danach wurde bei dem beanstandeten Gespräch eine Verständigung mit dem Mitangeklagten nicht erzielt, sondern es wurden für den Fall eines qualifizierten Geständnisses lediglich mögliche [X.] erörtert, die bereits Gegenstand eines schon am 28. Juli 2009 - ebenfalls erfolglos - außerhalb der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgesprächs waren, bei dem auch die Verteidiger des Beschwerdeführers anwesend waren.

Die dem Ablehnungsgesuch vom 21. August 2009 zugrunde liegende Behauptung, die [X.] habe bei dem Gespräch am 17. August 2009 dem Mitangeklagten weitergehende Zugeständnisse in Aussicht gestellt, falls er im Rahmen seiner Einlassung den Beschwerdeführer belaste, hat sich nach dem Inhalt der übereinstimmenden dienstlichen Äußerungen der abgelehnten [X.] und der Staatsanwältin nicht bestätigt. Hinzu kommt, dass die Vorsitzende noch vor Anbringung des zweiten Ablehnungsgesuchs am 21. August 2009 in der Hauptverhandlung die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit über Inhalt, Verlauf und Ergebnisse beider außerhalb der Hauptverhandlung geführten [X.] unterrichtet hat.

b) Soweit in dem weiteren Ablehnungsgesuch vom 22. Dezember 2009 die Besorgnis der Befangenheit der Mitglieder der [X.] darüber hinaus - unter Bezug auf ein Schreiben des Verteidigers des Mitangeklagten vom 18. August 2009 und die darin enthaltene Darstellung des Gesprächs vom 17. August 2009 - auch darauf gestützt wird, die abgelehnten [X.] hätten die Verfahrensbeteiligten über den Inhalt des beanstandeten Gesprächs falsch bzw. unvollständig informiert, dringt die Rüge im Ergebnis ebenfalls nicht durch. Der Revision ist allerdings zuzugeben, dass sich die dienstlichen Erklärungen der [X.] (und der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft) nicht zu der Behauptung des Beschwerdeführers verhalten, die Staatsanwältin habe bei dem beanstandeten Gespräch als Reaktion auf den Strafvorschlag der Verteidiger des Mitangeklagten (zwei Jahre elf Monate Freiheitsstrafe) abweichend von ihrer am 28. Juli 2009 geäußerten Strafvorstellung ([X.]) erklärt, "für sie [sei] auf jeden Fall keine Strafe unter drei Jahren akzeptabel". [X.] diese Behauptung zu, stünde sie im Widerspruch zu der dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden vom 18. August 2009, wonach auch am Vortag mit den Verteidigern des Mitangeklagten nur die bereits am 28. Juli 2009 gegenüber allen Verfahrensbeteiligten geäußerten [X.] der Staatsanwaltschaft und der [X.] (für den Mitangeklagten [X.]) besprochen worden seien. Aber selbst wenn die dienstliche Äußerung der Vorsitzenden in diesem Punkt unzutreffend oder zumindest unvollständig wäre, wäre dies aus Sicht eines verständigen Angeklagten nicht geeignet gewesen, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten [X.] bzw. die Vorsitzende der [X.] zu rechtfertigen. Denn die abgelehnten [X.] und die Staatsanwältin haben in ihren dienstlichen Stellungnahmen übereinstimmend dargelegt, dass jedenfalls seitens der [X.] in dem Gespräch vom 17. August 2009 keine Bereitschaft erklärt worden ist, von den ursprünglich geäußerten [X.] abzuweichen und sich etwaigen niedrigeren Strafvorschlägen der Staatsanwältin anzuschließen. Auch aus dem Schreiben des Verteidigers des Mitangeklagten vom 18. August 2009 ergibt sich lediglich, dass er die Bitte an die [X.] herangetragen habe "zu prüfen, ob eine Freiheitsstrafe von glatt drei Jahren seitens des Gerichts akzeptiert würde", nicht aber, dass sich die Mitglieder der [X.] zu diesem Strafvorschlag auch verhalten haben. Dass diese - wie in dem genannten Schreiben anklingt - bereits in eine Beratung darüber eingetreten seien, ob eine Strafe von drei Jahren nun doch "akzeptabel" sei, ist unter Berücksichtigung der dienstlichen Erklärungen nicht erwiesen.

2. Der Senat sieht sich veranlasst, auf Folgendes hinzuweisen:

Zwar ist es einem [X.] auch nach den Vorschriften des am 4. August 2009 in [X.] getretenen Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 ([X.]) grundsätzlich nicht verwehrt, zur Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen. Dabei hat er jedoch die gebotene Zurückhaltung zu wahren, um jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden. Dies gilt mit Blick auf einen möglichen Interessenwiderstreit in besonderem Maße, wenn Gespräche über eine verfahrensbeendende Absprache mit einem Angeklagten unter Ausschluss eines vom selben Tatkomplex betroffenen, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machenden oder die Tatvorwürfe bestreitenden Mitangeklagten geführt werden. In solchen Fallkonstellationen liegt es nahe, dass bei dem an dem Gespräch nicht beteiligten Mitangeklagten berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit der [X.] aufkommen können, da aus seiner Sicht zu befürchten steht, dass auch auf Betreiben des Gerichts seine Tatbeteiligung hinter verschlossenen Türen und ohne seine Kenntnis mitverhandelt wird. Dieser verständlichen Besorgnis kann zuverlässig nur dadurch begegnet werden, dass Gespräche, die die Möglichkeit einer Verständigung zum Inhalt haben, auch außerhalb der Hauptverhandlung nur in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten oder offen in der Hauptverhandlung geführt werden. Gleichwohl sieht das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren keine Vorschrift vor, die Gespräche mit einzelnen Verfahrensbeteiligten außerhalb der Hauptverhandlung untersagt. Haben solche Erörterungen jedoch stattgefunden, muss der Vorsitzende auch bei einem ergebnislosen Verlauf und unabhängig davon, ob neue Aspekte im Sinne des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO zur Sprache gekommen sind, hierüber in der Hauptverhandlung umfassend und unverzüglich unter Darlegung der Standpunkte aller beim Gespräch anwesenden Verfahrensbeteiligten informieren, da nur auf diese Weise von vorneherein jedem Anschein der Heimlichkeit und der hieraus entstehenden Besorgnis der Befangenheit vorgebeugt und dem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren Rechnung getragen werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Juli 1990 - 3 [X.], [X.]St 37, 99, 104; Schlothauer in N/Sch/W, [X.], 2010, § 243 Abs. 4 Rn. 12 f.).

[X.]     

von Lienen     

     Sost-Scheible

Schäfer     

Ri[X.] [X.] befindet sich
im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.

[X.]

Meta

3 StR 287/10

05.10.2010

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hannover, 5. Januar 2010, Az: 70 KLs 7/09 - 6413 Js 5359/09, Urteil

§ 24 StPO, § 243 Abs 4 S 2 StPO, § 338 Nr 3 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2010, Az. 3 StR 287/10 (REWIS RS 2010, 2678)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2678

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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