Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.07.2018, Az. 2 B 1/18

2. Senat | REWIS RS 2018, 6087

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Gegenstand

Dauer eines Verbots der Führung der Dienstgeschäfte kein Grund für Absehen von Disziplinarhöchstmaßnahme; Milderungsgrund der überwundenen negativen Lebensphase


Gründe

1

1. Der 1962 geborene [X.] steht als Erster Justizhauptwachtmeister (Besoldungsgruppe [X.]) im Landesdienst der Klägerin. Mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl vom 16. März 2011 ist er wegen vollendeten und versuchten [X.] in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen verurteilt worden.

2

Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat ihn das Verwaltungsgericht aus dem Dienst entfernt. Die Berufung des [X.]n beim Oberverwaltungsgericht ist erfolglos geblieben. Das [X.] hat den Rechtsstreit wegen eines Verfahrensfehlers an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen; das Oberverwaltungsgericht war in dem damaligen Berufungsverfahren nicht ordnungsgemäß besetzt, weil der damals geltende Geschäftsverteilungsplan zur Heranziehung der [X.] den landesgesetzlichen Vorgaben nicht entsprach ([X.], Beschluss vom 24. Januar 2017 - 2 [X.] - [X.] 235.1 § 46 [X.] Nr. 1).

3

Nach erneuter Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des [X.]n gegen das Urteil des [X.] wiederum zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass die Entfernung des [X.]n aus dem Beamtenverhältnis im Hinblick auf die lange Dauer des Disziplinarverfahrens nicht unverhältnismäßig sei. Daran ändere auch nicht das fast ebenso lang andauernde Verbot der Führung der Dienstgeschäfte. Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte teile häufig die Dauer des Disziplinarverfahrens. Wenn eine lange Dauer des Disziplinarverfahrens einer Entfernung des Beamten aus dem Dienst nicht entgegenstehen könne, dann könne auch in Verbindung mit der Dauer des - mit dem Disziplinarverfahren in Verbindung stehenden - Verbots der Führung der Dienstgeschäfte nichts anderes gelten. Andernfalls würde derjenige Beamte privilegiert, gegen den nicht nur disziplinarrechtlich ermittelt, sondern auch noch ein Verbot der Dienstgeschäfte verhängt werden müsse. Außerdem hat das Oberverwaltungsgericht in der Verschuldung des [X.]n nicht den [X.] der Entgleisung in einer mittlerweile überwundenen negativen Lebensphase gesehen. Die Verschuldung bestehe in einer im Wesentlichen unveränderten Größenordnung fort, sodass diese Phase nicht "überwunden" sei. Unabhängig hiervon sei nicht ersichtlich, dass der [X.] gerade zur Tatzeit wegen seiner Verschuldung "aus der Bahn geworfen" gewesen sei. Schließlich erscheine der wiederholt in Tateinheit mit Urkundenfälschung begangene Beihilfebetrug des [X.]n durch die Verschuldung nicht in einem milderen Licht.

4

2. Die Beschwerde des [X.]n ist zulässig, aber nicht begründet. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 65 Abs. 1 [X.] - HmbDG), die ihr die Beschwerde beimisst.

5

Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr, vgl. [X.], Beschluss vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 m.w.N.).

6

Die von der Beschwerde für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.

7

a) Dies gilt zunächst für die Frage,

"ob eine erheblich lange Verfahrensdauer und ein damit [X.] langjähriges Verbot zur Führung von [X.] und die daraus folgende Nichtbeschäftigung des Betroffenen diesen in seinen Rechten nach Art. 1, 2, 12 Abs. 1, 33 Abs. 5 GG verletzen".

8

Das Berufungsurteil hat diese - der Sache nach vom [X.]n bereits im Berufungsverfahren unter dem Aspekt einer Beeinträchtigung seiner Menschenwürde angesprochene - Frage auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats zu Recht verneint.

9

Ergibt die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände, dass wegen eines schwerwiegenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, so lässt sich der Verbleib im Beamtenverhältnis allein aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer nicht mit dem Zweck des [X.] vereinbaren, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung. Diese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen es aus, dass ein Beamter, der durch gravierendes Fehlverhalten im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist, gleichwohl weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn hoheitliche Befugnisse ausüben kann, weil das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat (stRspr, vgl. nur [X.], Urteile vom 28. Februar 2013 - 2 [X.] 3.12 - [X.]E 146, 98 Rn. 44 ff. m.w.N. und vom 17. November 2017 - 2 [X.] 25.17 - NJW 2018, 1185 Rn. 92).

Aus der [X.] folgt nichts anderes. Für die innerstaatlichen Rechtsfolgen einer unangemessen langen Verfahrensdauer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist zu beachten, dass diese Bestimmung nur Verfahrensrechte einräumt. Diese dienen der Durchsetzung und Sicherung des materiellen Rechts; sie sind aber nicht darauf gerichtet, das materielle Recht zu ändern. Daher kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer nicht dazu führen, dass den Verfahrensbeteiligten eine Rechtsstellung zuwächst, die ihnen nach dem innerstaatlichen materiellen Recht nicht zusteht. Vielmehr kann sie für die Sachentscheidung in dem zu lange dauernden Verfahren nur berücksichtigt werden, wenn das materielle Recht dies vorschreibt oder zulässt. Im Disziplinarverfahren kann eine überlange Verfahrensdauer daher berücksichtigt werden, wenn der Betroffene im Beamtenverhältnis verbleiben kann. Hier kann das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis gemindert sein, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben. Unter dieser Voraussetzung kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd berücksichtigt werden. Lässt das Dienstvergehen einen weiteren Verbleib im Beamtenverhältnis dagegen nicht zu, vermag eine überlange Verfahrensdauer an diesem Befund nichts zu ändern (stRspr, vgl. nur [X.], Urteile vom 28. Februar 2013 - 2 [X.] 3.12 - [X.]E 146, 98 Rn. 44 ff. m.w.N. und vom 17. November 2017 - 2 [X.] 25.17 - NJW 2018, 1185 Rn. 93).

Diese Senatsrechtsprechung erfasst auch den Fall, dass der Beamte auf der Grundlage des einschlägigen Disziplinargesetzes (z.B. § 38 [X.]) vorläufig des Dienstes enthoben oder gegen den Beamten auf der Grundlage des Beamtenstatusgesetzes (§ 39 BeamtStG) im Hinblick auf den disziplinarrechtlichen Vorwurf ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte ausgesprochen worden ist. Das Berufungsurteil führt insoweit zu Recht an, dass die Entfernung aus dem Dienst häufig mit einer vorherigen vorläufigen Dienstenthebung oder eines vorherigen Verbots der Dienstgeschäfte einhergeht. Nur in schwerwiegenden Fällen ist die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme gerechtfertigt und gleichermaßen regelmäßig nur in schwerwiegenden Fällen kann der Beamte "suspendiert" werden; so hat die vorläufige Dienstenthebung gerade zur Voraussetzung, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird (vgl. § 38 Abs. 1 [X.], § 37 Abs. 1 Nr. 1 HmbDG). Der Beschwerde ist zuzugeben, dass eine sich über mehrere Jahre hinziehende Suspendierung für den betreffenden Beamten sehr belastend sein kann. Dies ändert aber nichts an der Endgültigkeit eines Vertrauensverlusts, die zwingend die Höchstmaßnahme nach sich zieht.

b) Auch die Frage,

"ob die Überwindung einer negativen Lebensphase im Rahmen des [X.]es des § 11 Abs. 1 Satz 2 HmbDG erst dann angenommen werden kann, wenn ein Beamter, der zuvor in einer negativen Lebensphase Schulden aufgebaut hat, gänzlich schuldenfrei ist",

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.

Dies ergibt sich bereits daraus, dass sich die aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Das Berufungsgericht hat den [X.] der Entgleisung in einer mittlerweile überwundenen negativen Lebensphase im Hinblick auf die Verschuldung des [X.]n nämlich nicht nur deshalb abgelehnt, weil es die Phase der Verschuldung als noch nicht "überwunden" angesehen hat. Es hat einen solchen [X.] vielmehr noch aus zwei weiteren Gründen verneint, nämlich dass weder ersichtlich sei, dass der [X.] gerade zur Tatzeit wegen seiner Verschuldung "aus der Bahn geworfen" gewesen sei, noch dass der wiederholt in Tateinheit mit Urkundenfälschung begangene Beihilfebetrug des [X.]n durch die Verschuldung in einem milderen Licht erscheine. Mit diesen beiden, jeweils selbstständig die Verneinung des [X.]es tragenden Gründen setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.

Im Übrigen sind die Anforderungen an den [X.] der Entgleisung in einer mittlerweile überwundenen negativen Lebensphase - soweit dies in verallgemeinerungsfähiger Form möglich ist - geklärt:

Nach der Rechtsprechung des [X.]s setzt der - gesetzlich nicht bestimmte, sondern lediglich in der gerichtlichen Praxis entwickelte - [X.] der "Entgleisung während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase“ außergewöhnliche Verhältnisse voraus, die den Beamten während des Tatzeitraums oder im Tatzeitpunkt "aus der Bahn geworfen" haben. Die mildernde Berücksichtigung liegt vor allem dann nahe, wenn sich der Pflichtenverstoß als Folge dieser Verhältnisse darstellt. Allerdings muss der Beamte diese Lebensphase in der Folgezeit überwunden haben. Dies ist anzunehmen, wenn sich seine Lebensverhältnisse wieder soweit stabilisiert haben, dass nicht mehr davon die Rede sein kann, er sei weiterhin "aus der Bahn" geworfen. Eine derartige Stabilisierung indiziert, dass weitere Pflichtenverstöße gleicher Art nicht zu besorgen sind (stRspr; vgl. [X.], Beschluss vom 15. Juni 2016 - 2 B 49.15 - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 36 Rn. 10 m.w.N.). Es muss sich um eine persönlich besonders belastende Situation gehandelt haben, die so gravierend ist, dass die Pflichtverletzung des Beamten in einem milderen Licht erscheint, weil ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten vom Beamten nicht mehr erwartet und damit nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Wenn aber das Verhalten des Beamten zum Tatzeitpunkt in keiner Hinsicht auffällig gewesen ist, bestehen auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Beamte sei aufgrund von außergewöhnlichen Umständen "zeitweilig aus der Bahn geworfen" (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Juni 2016 - 2 B 49.15 - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 36 Rn. 11).

Einen hierüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Es ist nicht in verallgemeinerungsfähiger Form zu beantworten, sondern stets nach den Gegebenheiten des Einzelfalles zu beurteilen, ob und wieweit eine die negative Lebensphase begründende Schuldenlast abgetragen sein muss.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren streitwertunabhängig Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 76 HmbDG erhoben werden.

Meta

2 B 1/18

12.07.2018

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, 17. Oktober 2017, Az: 12 Bf 22/17.F, Urteil

§ 38 BDG, § 39 S 1 BeamtStG, § 11 Abs 1 S 2 DG HA, § 11 Abs 2 DG HA, § 37 Abs 1 Nr 1 DG HA, Art 6 Abs 1 S 1 MRK, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.07.2018, Az. 2 B 1/18 (REWIS RS 2018, 6087)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 6087

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