Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.11.2013, Az. 3 StR 40/13

3. Strafsenat | REWIS RS 2013, 698

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 [X.]

vom
28. November 2013
Nachschlagewerk:
ja
[X.]St:

ja
Veröffentlichung:
ja

___________________________________

GewSchG § 4

Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung ge-gen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG setzt voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt; an die Ent-scheidung des Familiengerichts ist es insoweit nicht gebunden.

[X.], Beschluss vom 28. November 2013 -
3 [X.] -
OLG Oldenburg

-
2
-

in der Strafsache
gegen

wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz

hier:

[X.] des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts
Oldenburg vom 21. Januar 2013

-
3
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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Angeklagten am 28.
November 2013 beschlossen:

Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG
wegen einer Zuwiderhand-lung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG
setzt voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anord-nung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen
eigen-ständig
feststellt;
an die Entscheidung des Familiengerichts ist es inso-weit nicht gebunden.

Gründe:
Die [X.] betrifft die Frage, ob eine
nach § 1 GewSchG durch das Familiengericht erlassene Schutzanordnung das Strafgericht im Rahmen der Prüfung einer Strafbarkeit nach § 4 GewSchG wegen eines Ver-stoßes gegen diese Schutzanordnung
bindet oder ob das Strafgericht die Schutzanordnung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und ihre tatbestandli-chen Voraussetzungen selbst festzustellen hat.
I.
1. Das [X.] hatte
den Angeklagten am
23. April 2012 wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je elf Euro verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das [X.] mit Urteil vom 8. August 2012 als 1
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unbegründet verworfen und dabei -
soweit für vorliegende Entscheidung von Bedeutung -
folgende Feststellungen getroffen:
Dem Angeklagten war durch einstweilige Anordnung des [X.] vom 17. August 2011, ihm zugestellt am 23. August 2011, [X.] worden, sich bis 16. August 2012 innerhalb eines Umkreises von 200 Me-tern um die Wohnung seiner früheren Partnerin aufzuhalten. In Kenntnis dieses Näherungsverbots begab er sich
am 15. November 2011 kurzzeitig zu
dem PKW seiner früheren Partnerin, der etwa zehn Meter
von deren Wohnung ent-fernt abgestellt war.

2. Gegen das landgerichtliche Urteil hat der Angeklagte Revision einge-legt und die Verletzung sachlichen Rechts gerügt. Die [X.] hält das Rechtsmittel für begründet, weil das [X.] ausreichenden Feststellungen
zur "rechtlichen Wirksamkeit"
der einstweili-gen Anordnung getroffen und den dieser Anordnung zugrunde liegenden Sach-verhalt nicht in den Entscheidungsgründen dargestellt habe. Das [X.] beabsichtigt demgegenüber, die Revision zu verwerfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die vom [X.] getroffenen Feststellungen reichten aus, um zu einem Schuldspruch gemäß § 4 GewSchG zu gelangen. Die [X.] sei zu einer inhaltlichen Überprüfung der getroffenen Anord-nung nicht verpflichtet
gewesen; denn § 4 GewSchG knüpfe die strafrechtliche Verfolgung allein an das Bestehen und die Vollstreckbarkeit einer Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3 GewSchG. Die Gründe, die im Gesetzgebungs-verfahren für die Annahme einer materiellen Überprüfungspflicht der nach §
1 GewSchG getroffenen Anordnung durch die Strafgerichte geltend gemacht worden seien, überzeugten nicht mehr, nachdem derartige Anordnungen seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in 3
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den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (im Folgenden: FamFG) am 1. September 2009 nach der dortigen Verfahrensordnung ergingen, die ins-besondere ein Versäumnisurteil nicht zulasse.
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das [X.] durch die Entscheidungen des [X.] (Be-schluss vom 2. März 2006 -
3 Ss 35/06, [X.], 486), des [X.] (Urteil vom 13. Februar 2007 -
32 [X.], [X.], 485)
und des [X.] (Beschluss vom 29. April 2010
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2-30/09 ([X.]) -
1 Ss 77/09)
gehindert. Diese Gerichte hätten jeweils dahin erkannt, dass die Bestrafung gemäß § 4 GewSchG auch die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Gewaltschutzanordnung erfordere,
und dementsprechend verlangt,
dass
der der Anordnung zugrundeliegende Sachverhalt vom Strafge-richt eigenständig festzustellen sowie in den Entscheidungen
darzulegen sei.
Das [X.] hat deshalb die Sache dem Bundes-gerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:
"Setzt eine Bestrafung gemäß § 4 GewSchG die Feststellung vo-raus, dass die gemäß § 1 Abs. 1 oder 2 GewSchG erlassene Ge-waltschutzanordnung zu Recht ergangen ist?"
3. Der [X.] hat sich dem vorlegenden [X.] in der Sache angeschlossen und beantragt, wie folgt zu be-schließen:
"Eine Bestrafung gemäß § 4 GewSchG setzt nicht voraus, dass die gemäß § 1 Abs. 1 oder 2 GewSchG erlassene Gewaltschutz-anordnung rechtmäßig ist."
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II.
1. Die [X.] nach § 121 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr.
1 Buchst. [X.] sind erfüllt,
denn das [X.] kann nicht wie beabsichtigt entscheiden, ohne von den tragenden Gründen
jedenfalls der Entscheidungen der Oberlandesgerichte [X.] und [X.] abzuweichen. Diese haben in jeweils entscheidungserheblicher Weise ausgesprochen, dass das Strafgericht die Rechtmäßigkeit der nach § 1 GewSchG erlassenen Anord-nung selbstständig zu überprüfen sowie das Vorliegen der dortigen [X.] selbst festzustellen und diese in den Urteilsgründen darzustel-len habe. Es kann deshalb dahinstehen, ob diese Rechtsauffassung auch tra-gende Grundlage der genannten Entscheidung des [X.] gewesen ist.
2. Die [X.] ist jedoch zu weit gefasst
und
bedarf der [X.].
Um die Frage, ob auch die
formelle Rechtmäßigkeit der nach §
1 GewSchG
ergangenen Anordnung durch das Strafgericht zu überprüfen ist, geht es dem vorlegenden
Oberlandesgericht
Oldenburg ersichtlich nicht; inso-weit läge auch keine Abweichung zu den genannten Entscheidungen der ande-ren Oberlandesgerichte vor. Vielmehr kommt es hier in der Sache lediglich [X.] an, ob eine Überprüfungspflicht des
Strafgerichts
bezüglich der materiellen Rechtmäßigkeit
der Anordnung besteht und es
den Sachverhalt, auf den die Anordnung nach § 1 GewSchG gestützt ist, selbst (erneut) festzustellen sowie in den Entscheidungsgründen darzulegen hat. Dies berücksichtigt, ist über fol-gende Rechtsfrage zu befinden:
Setzt die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG
wegen einer Zu-widerhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 8
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GewSchG voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmä-ßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen ohne Bindung an die Entscheidung des Famili-engerichts selbst feststellt?
III.
Der Senat beantwortet diese
Rechtsfrage im Einklang mit der dargestell-ten bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung und der im Schrifttum über-wiegend vertretenen Auffassung (vgl. etwa [X.] in
MüKoErbs/[X.], Strafrechtliche Nebengesetze,
§ 4 GewSchG Rn.
12
[Stand: Januar 2003]; [X.]/[X.], 6. Aufl., § 4 GewSchG Rn. 1; [X.]/[X.], [X.], 73.
Aufl., § 4 GewSchG Rn. 1;
Bergmann/[X.],
[X.], 234, 243 f.; Hegh-manns
in
Festschrift [X.], 2011, [X.], 122;
[X.], [X.] 2002, 43, 46; Breidenstein
in
jurisPK-[X.], 6. Aufl., § 4 GewSchG Rn. 8; nicht eindeutig [X.], GewSchG, 2012, § 4 Rn. 3; für eine vermittelnde Lösung [X.] in [X.], Beziehungsgewalt und Verfahren, 2004, S.
133
ff.; [X.]., [X.], 143; aA
Lampe [X.] 5/2011 [X.]. 2; [X.],
[X.], 401, 402 f.; [X.], [X.] 2003, 249, 273) wie aus der Entscheidungsformel
ersicht-lich.
1. Tathandlung nach § 4 GewSchG ist die Zuwiderhandlung gegen eine bestimmte und vollstreckbare Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3 GewSchG. Bei dieser Strafnorm handelt es sich um eine Blankettvorschrift, de-ren Verbotsgehalt sich aus der zugrunde liegenden Entscheidung des Famili-engerichts ergibt (vgl. [X.], Urteil vom 15. März 2007

5 [X.], [X.]St 51, 257, 259).
Die Beantwortung der [X.] richtet sich deshalb nicht nach § 262 StPO. Der
Blankettcharakter des
§ 4 GewSchG allein besagt eben-falls
noch nicht, ob der Tatbestand materiell akzessorisch zur Schutzanordnung 10
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des Familiengerichts ausgestaltet ist.
Diese Frage muss vielmehr aus der Norm selbst beantwortet werden, denn es ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, ob die Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung gegen eine Entscheidung, die von einer Verwaltungsbehörde oder einem anderen als dem über die Strafbarkeit befindenden Gericht getroffen wurde, von der
Rechtmä-ßigkeit dieser Entscheidung abhängen soll oder nicht
(vgl. [X.], Beschlüsse vom 22. Juni 1988 -
2 BvR 1154/86 und 234/87, [X.]E 78, 374, 381 f.; vom 15. Juni 1989 -
2 BvL 4/87, [X.]E 80, 244, 256; vom 1.
Dezember 1992
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1
BvR 88/91 und
576/91, [X.]E 87, 399, 408 jeweils
für Zuwiderhandlun-gen gegen eine Verwaltungsanordnung; Lampe, [X.] 5/2011 [X.]. 2).
2. Die historische Auslegung des § 4 GewSchG führt zu einem eindeuti-gen
Ergebnis. Danach ist das über die Strafbarkeit befindende Gericht nicht an die Entscheidung des die Anordnung nach § 1 GewSchG treffenden Gerichts gebunden. Es hat vielmehr selbst die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
1 GewSchG festzustellen und die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung zu bewerten. Hieran hat sich entgegen der Auffassung des vorlegenden Ober-landesgerichts im Ergebnis nichts dadurch geändert, dass für die Anordnung nach § 1 GewSchG nunmehr die Regelungen des FamFG maßgebend sind. Die Interpretation des § 4 GewSchG nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck sowie seiner systematischen Stellung führt ebenfalls zu keinem anderen Resultat. Im Einzelnen:
a) [X.] geht
dahin, dass das Strafgericht nicht an die Entscheidung des die Anordnung nach § 1 GewSchG treffenden Gerichts gebunden ist. Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien. In der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung ([X.]. 14/5429) wird zu §
4 GewSchG ausgeführt, der Verstoß gegen gerichtliche Schutzanordnungen nach 12
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§
1 GewSchG solle strafbewehrt sein. Stelle sich bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch das Strafgericht heraus, dass sie nicht hätte ergehen dürfen, etwa weil der Täter die der Anordnung zugrunde gelegte Tat nicht begangen habe, sei der Tatbestand nicht erfüllt ([X.]. 14/5429 S. 32). Hieraus folgt eindeutig, dass nicht lediglich der
in dem formalen Verstoß gegen § 1 GewSchG liegende Ungehorsam gegenüber staatlichen Entschei-dungen strafrechtlich geahndet werden soll. Vielmehr soll eine strafrechtliche Sanktion lediglich dann in Betracht kommen, wenn das Strafgericht die Recht-mäßigkeit der Anordnung einschließlich des Verhaltens, auf dem die Anordnung beruht, selbst überprüft und festgestellt hat.
Gegen diese Konzeption hat der Bundesrat in seiner im weiteren Ge-setzgebungsverfahren abgegebenen Stellungnahme Bedenken angemeldet. Er hat um Klarstellung gebeten, dass im Strafverfahren wegen eines Verstoßes gegen gerichtliche Schutzanordnungen nicht zu prüfen sei, ob diese rechtmäßig ergangen seien. Die Gesetzesbegründung der Bundesregierung begegne [X.] im Hinblick auf die Praktikabilität der Vorschrift. Dem [X.], der der Auffassung sei, eine derartige Anordnung sei nicht rechtmäßig er-gangen, sei es zuzumuten, gegen diese Entscheidung vor den Zivilgerichten vorzugehen. Auch werde ein Einschreiten der Polizei erschwert, wenn im Straf-verfahren regelmäßig die Rechtmäßigkeit der zivilgerichtlichen Anordnung überprüft werden müsse. Es solle deshalb klar gestellt werden, dass das Straf-gericht bei der Anwendung des § 4 GewSchG nicht überprüfen könne, ob die vollstreckbare gerichtliche Anordnung nach § 1 Abs.
1 Satz 1 oder 3 GewSchG rechtmäßig ergangen sei, sondern lediglich, ob sie wirksam ergangen sei ([X.]. 14/5429 S. 39).
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Diese gewünschte Klarstellung hat die Bundesregierung in ihrer Gegen-äußerung zu den Vorschlägen des Bundesrates ausdrücklich verweigert. Sie hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des [X.] ausgeführt, Entscheidungen, die auf der Grundlage eines nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung durchzuführenden Verfahrens ergangen seien, böten
insbesondere in den Fällen möglicher
Versäumnisurteile keine Gewähr für ihre materielle Richtigkeit. Die Auffassung, das Eingreifen der Polizei werde er-schwert, greife vor dem Hintergrund der Grundsätze zur so genannten [X.] nicht durch.
Dieser eindeutige Wille des Gesetzgebers ist bei der Gesetzesanwen-dung
grundsätzlich zu respektieren, ohne dass der Senat zu beurteilen hat, ob eine andere
Konzeption in der Sache vorzugswürdig
gewesen wäre, insbeson-dere den Intentionen des Gewaltschutzgesetzes eher entsprochen hätte. Er verliert nicht deshalb wesentlich an Gewicht, weil sich das zum Erlass einer Schutzanordnung nach § 1 GewSchG führende Verfahren nunmehr nach dem FamFG richtet.
aa) Zur Zeit des Inkrafttretens des Gewaltschutzgesetzes
bestand eine Zweigleisigkeit des maßgeblichen Verfahrensrechts. Für [X.]en, die einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führten oder innerhalb von sechs Monaten vor der Antragstellung geführt hatten,
war gemäß §
23a Nr.
7, §
23b Abs. 1 Satz
2 Nr. 8a [X.], § 621 Nr. 13 ZPO ausschließlich das Familiengericht zuständig. Insoweit verwies § 621a Abs. 1 ZPO grundsätzlich auf die [X.] über die freiwillige Gerichtsbarkeit (im Folgenden: [X.]). Da-her
galt insoweit auch schon nach früherem Recht insbesondere der Amtser-mittlungsgrundsatz,
§ 12 [X.]. Neben der Hauptsacheentscheidung kam der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 64b
Abs.
3 Satz 1 [X.] in Be-15
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tracht (Bassenge/[X.], [X.], 11. Aufl., § 64b Rn. 14). In den sonstigen Fällen
handelte es sich um allgemeine Zivilsachen, die je nach Streitwert vor dem Amts-
oder [X.] zu verhandeln waren
und den Bestimmungen der Zivil-prozessordnung unterlagen.
bb) Seit dem Inkrafttreten des FamFG am 1. September 2009 sind
alle
Verfahren nach §§ 1 und 2 GewSchG -
unabhängig von der Wohnsituation der Beteiligten -
Familiensachen (§
111 Nr. 6, § 210 FamFG),
für die das FamFG gilt. §§ 210 bis 216a FamFG enthalten besondere Vorschriften für die Verfahren in Gewaltschutzsachen, die neben den bzw. anstelle der allgemeinen Vorschrif-ten (§§ 1
bis 110 FamFG) Anwendung finden. Danach unterliegt das Verfahren der Amtsermittlung, § 26 FamFG. Die Durchführung einer förmlichen Beweis-aufnahme steht im pflichtgemäßen, durch §
30 Abs. 3 FamFG gelenkten Er-messen des Gerichts, § 30 Abs. 1 FamFG; dasselbe gilt für
die Durchführung einer mündlichen Erörterung, § 32 FamFG. Die Beteiligten sind jedoch, soweit dies zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs erforderlich ist, persönlich, d.h. mündlich ([X.]/[X.]-Holz, FamFG, 17. Aufl., § 34 Rn. 20) anzuhören, §
34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG.
An[X.] als nach früherem Recht ist das für Anordnungen nach §
1 GewSchG
beson[X.] bedeutsame Verfahren der einstweiligen Anordnung selbstständig und nicht von der gleichzeitigen Einleitung eines [X.] abhängig, § 51 Abs. 3 Satz 1 FamFG. Nach § 214 Abs. 1 Satz
2 FamFG
soll in Gewaltschutzsachen ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden im Sinne des § 49 Abs. 1 FamFG in der Regel vorliegen, wenn eine Tat nach § 1 GewSchG begangen wurde oder auf Grund konkreter Um-stände mit ihrer Begehung zu rechnen ist. Es gelten die für die entsprechende Hauptsache maßgeblichen Verfahrensvorschriften, wenn nicht die Besonderhei-18
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ten des einstweiligen Rechtsschutzes etwas anderes ergeben, § 51 Abs. 2 Satz 1 FamFG. So genügt die Glaubhaftmachung der Voraussetzungen für die [X.], § 51 Abs. 1 Satz 2, § 31 FamFG. Ein Rechtsmittel gegen eine einst-weilige Anordnung ist gemäß § 57 Satz 2 Nr. 4 FamFG nur gegeben, wenn die Entscheidung aufgrund mündlicher Erörterung (§ 32 FamFG) ergangen ist. Im Übrigen stehen lediglich die Rechtsbehelfe der §§ 52 (Antrag auf Einleitung des Hauptsacheverfahrens), 54 Abs. 1 (Antrag auf Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung) oder Abs. 2 (Antrag auf Neubescheidung nach mündlicher Ver-handlung, richtig: mündlicher Erörterung) zur Verfügung.
cc) Der Vergleich dieser jeweiligen Regelungsgefüge
ergibt, dass in den Fällen, in denen aufgrund des gemeinsamen Hausstandes der Antragsgegner zunächst das [X.] anwendbar war, mit Blick auf die hiesige Fragestellung eine substantielle Änderung des Verfahrensrechts nicht eingetreten ist. [X.] galt insoweit auch bereits vor Inkrafttreten des FamFG der [X.], nicht aber der [X.].
Nach dieser
Prozessmaxime richtete sich allerdings, soweit die [X.]en keinen gemeinsamen Hausstand hatten,
das in diesen Fällen geltende Verfah-ren nach der Zivilprozessordnung.
Insoweit waren auch echte [X.] möglich, d.h. solche, die gegen eine säumige [X.] aufgrund de-ren Säumnis ergingen. Dies bedeutete
allerdings nicht, dass in diesen Fällen in der Sache keine richterliche Prüfung geboten war. Vielmehr setzte der Erlass einer Schutzanordnung nach § 1 GewSchG die vom Gericht zu bewertende Schlüssigkeit des Vorbringens des Antragstellers voraus. Das Gericht
war demnach auch in den Fällen der Säumnis des Antragsgegners verpflichtet zu prüfen, ob das tatsächliche Vorbringen des Antragstellers, seine Richtigkeit un-terstellt, die rechtlichen Voraussetzungen des § 1 GewSchG erfüllt.
Aufgrund 20
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des nunmehr geltenden
Amtsermittlungsgrundsatzes ist insoweit eine Änderung eingetreten, als das Familiengericht nunmehr über den Vortrag des Antragstel-lers hinaus eigene Sachverhaltsermittlungen anstellen kann; eine reine Säum-nisentscheidung ist damit -
auch im Verfahren über
eine einstweilige Anord-nung
-
ausgeschlossen (§ 51 Abs. 2 Satz 3 FamFG). Nach wie vor kommt [X.] dem Sachvortrag des Antragstellers eine herausragende Bedeutung zu. Auch sind immer noch Entscheidungen möglich, die ergehen, ohne dass das
Vorbringen des Antragsgegners Berücksichtigung findet. Dies gilt insbesondere im einstweiligen [X.], bei dem allein auf der Grundlage der Antragsbegründung und Glaubhaftmachung durch den Antragsteller in vom [X.] als beson[X.] eilbedürftig bewerteten Fällen eine Entscheidung ohne je-des rechtliche Gehör des Antragsgegners in Betracht kommt, wenn andernfalls der Zweck der Maßnahme nicht erreicht werden könnte ([X.]/Giers, FamFG, 17.
Aufl., § 51 Rn. 14, 16). Derartige Fallkonstellationen liegen gerade in [X.] nach dem Gewaltschutzgesetz nicht fern, insbesondere wenn schon aufgrund der Benachrichtigung des Antragsgegners von dem Antrag weitere Handlungen gegenüber dem Antragsteller zu besorgen sind.
b) Der Wortlaut des § 4 GewSchG steht dem dargelegten Willen des [X.] nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat zwar die Möglichkeit nicht ge-nutzt, durch Verwendung des Attributs "rechtmäßig"
im Gesetzestext von [X.] jeden Zweifel auszuräumen, und stattdessen dort lediglich die Zusätze "bestimmt"
und "vollstreckbar"
aufgenommen.
Die ausdrückliche Erwähnung der notwendigen Bestimmtheit der Anordnung schließt eine darüber hinausge-hende Rechtmäßigkeitsüberprüfung durch das Strafgericht allerdings nicht aus. Dies zeigt etwa der Vergleich zu dem nach § 145a StGB strafbaren Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht.
Auch dort spricht der [X.] nur von einer "bestimmten"
Weisung der in § 68b Abs. 1 StGB [X.]

-
14
-

neten Art. Es entspricht indes einhelliger Auffassung in Rechtsprechung (vgl. etwa [X.], Urteil vom 7. Februar 2013 -
3 [X.], [X.]St 58, 136)
und Li-teratur (vgl. etwa [X.]/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 145a Rn. 2; MüKoStGB/Groß,
2.
Aufl., § 145a Rn. 10), dass auch eine aus anderen Gründen rechtsfehlerhafte Weisung -
wenn sie etwa
unzulässig oder ihre Erfüllung für den Verurteilten un-zumutbar (§ 68b Abs. 3
StGB) ist, -
die Strafbarkeit nach § 145a StGB nicht begründen kann. Auch dort ist demnach eine über die Bestimmtheit hinausge-hende Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Weisung durch
das erkennende Strafgericht erforderlich, obwohl die der Strafbarkeit zugrunde liegende Wei-sung von [X.] erlassen worden ist.
Soweit in § 4 GewSchG die Voll-streckbarkeit der Anordnung ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen ist,
bleibt dies
ebenfalls ohne signifikante Aussagekraft. So wird in der Recht-sprechung des [X.] einerseits das Erfordernis der [X.] in § 20 Abs. 1
Satz
1
Nr. 1 VereinsG ([X.], Beschluss vom 15.
Juni 1989 -
2 BvL 4/87, [X.]E 80, 244, 256) oder §
327 Abs. 2 Satz
1 Nr. 1 StGB ([X.], Beschluss vom 6. Mai 1987 -
2 BvL 11/85, [X.]E 75, 329, 346) zwar als Einschränkung der Überprüfungspflicht verstanden.
Demgegen-über wird andererseits im Rahmen der Strafbarkeit wegen Teilnahme an einer Versammlung trotz vollziehbaren Verbots nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG eine Rechtmäßigkeitsüberprüfung der Verwaltungsentscheidung durch die Strafge-richte verlangt ([X.], Beschlüsse
vom 12. März 1998 -
1 BvR 2165/96 und 2168/96, juris Rn. 13; vom 1. Dezember
1992 -
1 BvR 88/91 und
576/91, [X.], 190, 191).
Danach kann den hier verwendeten Begriffen der Bestimmtheit und Vollziehbarkeit keine letztlich maßgebende Relevanz zugemessen werden.

c) Auch eine Orientierung an Sinn und Zweck der Norm lässt eine
ein-deutige Antwort nicht zu. Die Strafbewehrung eines Verstoßes gegen eine [X.]

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ordnung nach § 1 GewSchG in § 4 GewSchG soll einerseits dazu dienen, im Interesse der Opfer die Effektivität der gerichtlichen Schutzanordnung zu ver-bessern ([X.]. 14/5429 S. 21). Diese Effektivität wird beeinträchtigt, wenn über denselben Sachverhalt in verschiedenen gerichtlichen Verfahren mehrfach Beweis zu erheben ist. Indes
belegen die Gesetzesmaterialien, dass der Ge-setzgeber diesen Gesichtspunkt im Blick hatte. Darüber
hinaus ist zu beachten, dass
sowohl eine Anordnung nach § 1 GewSchG als auch eine Verurteilung nach § 4 GewSchG in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit des Betroffenen nach Art. 2 Abs. 1 GG und damit eines Grundrechts von [X.] Rang eingreifen. Ist die Anordnung nach § 1
GewSchG materiell rechts-widrig, weil beispielsweise die
ihr
zugrunde gelegte [X.]
gar nicht [X.] hatte oder weil die Anordnung über das zur Gefahrenabwehr Erforderli-che hinaus geht, so ist schon dieser Eingriff
nicht zum Rechtsgüterschutz des Antragstellers geboten (vgl. [X.], in Festschrift [X.], 2011, S.
117, 122). Es bedarf keiner näheren Begründung, dass eine hierüber noch hinausgehende
Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion als der schärfsten dem Staat zur Verfügung stehenden Reaktion auf menschliches Fehlverhalten nach
rechtsstaatlichen Maßstäben möglichst nur dann verhängt werden sollte, wenn
so weit wie möglich sichergestellt ist, dass der Täter das durch die Straf-norm letztlich geschützte
Rechtsgut tatsächlich und nicht nur formal beeinträch-tigt hat.

d) Die systematische Auslegung der Norm führt ebenfalls zu keinem ein-deutigen Ergebnis. Soweit
in diesem Zusammenhang auf die Vergleichbarkeit zu den Fällen der verwaltungsakzessorischen Straftatbestände abgestellt
und daraus eine Bindungswirkung abgeleitet
wird (vgl.
Lampe, [X.] [X.].
2, 5/2011
C. 4.),
gerät aus dem Blick, dass nach den Vorgaben des [X.]

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desverfassungsgerichts die Frage der Akzessorietät
in jedem Einzelfall anhand der jeweiligen konkreten Strafnorm zu bestimmen ist. Aus systematischer Sicht
spricht eher für eine Rechtmäßigkeitsüberprüfung, dass es sich
bei den Sach-verhalten, die als Voraussetzung für den Erlass einer Schutzanordnung in [X.] kommen, überwiegend um Straftaten (§§ 123, 223, 239, 240, 241 StGB)
handelt, auch wenn die materiellrechtliche Grundlage der Anordnung in
§
823 Abs. 1, § 1004 [X.] liegt. Wird ein solcher Sachverhalt, auf den der Erlass einer familiengerichtlichen Entscheidung nach § 1 GewSchG gestützt wurde, zugleich Gegenstand eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, so erscheint es wi-[X.]prüchlich, dass das Strafgericht bei der Beurteilung einer Strafbarkeit nach § 4 GewSchG an die bloße Existenz der Schutzanordnung gebunden sein
soll, wenn das Ermittlungsverfahren wegen der [X.] selbst -
etwa aus [X.] Gründen
-
nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt oder der Angeklagte freige-sprochen worden ist
(vgl. [X.], in [X.] Beziehungsgewalt und Verfahren 2004, S.
133, 149).
Andererseits ist zwar nicht zu verkennen, dass bei einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Schutzanordnung nach § 1 GewSchG durch das Strafgericht dieses de facto -
auch -
als Kontrollorgan für Entschei-dungen der Familiengerichte fungiert
(kritisch deshalb etwa Lampe, aaO; [X.], [X.] 2002, 43, 46 Fn 24).
Allerdings belegt etwa die Regelung des § 262 StPO, dass es nicht generell als systemfremd zu bewerten ist, wenn Strafge-richte Rechtsfragen aus anderen Rechtsgebieten
eigenständig bewerten.

-
17
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e) Nach alldem bleibt die historische Auslegung des § 4 GewSchG für die Entscheidung der [X.] ausschlaggebend.

Becker

Ri[X.] [X.] befindet

Schäfer

sich in Urlaub und ist daher

gehindert zu unterschreiben.

Becker

Mayer

Gericke

25

Meta

3 StR 40/13

28.11.2013

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.11.2013, Az. 3 StR 40/13 (REWIS RS 2013, 698)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 698

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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