Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.03.2013, Az. 4 StR 42/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 7494

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Gegenstand

Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung: Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung bei festem Würgen am Hals; notwendige Schuldfähigkeitsprüfung bei Zusammenwirken einer Persönlichkeitsstörung und einer Betäubungsmittelabhängigkeit


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 17. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben

a) im Fall II. 1 der Urteilsgründe sowie

b) im gesamten Strafausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen, gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen und wegen sexueller Nötigung (Vergewaltigung) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB im Fall II. 1 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

3

a) Das [X.] hat insoweit festgestellt, dass der Angeklagte die Nebenklägerin im Zuge einer zunächst nur verbalen Auseinandersetzung zu Boden stieß und sie dort mit beiden Händen am Hals würgte, bis diese keine Luft mehr bekam, was der Angeklagte auch erkannte. Diese Feststellungen belegen eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht.

4

b) Zwar muss die Tathandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; die jeweilige Einwirkung muss lediglich abstrakt geeignet sein, eine solche Gefährdung herbeizuführen. Danach kommt festes Würgen am Hals zwar grundsätzlich als geeignete Tathandlung in Betracht; von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit jedoch Dauer und Stärke der Einwirkung, zu denen sich die Urteilsfeststellungen je nach Lage des Falles verhalten müssen (st. Rspr.; vgl. nur [X.]sbeschluss vom 14. Oktober 2004 – 4 [X.], [X.], 44 mwN). Zu den näheren Umständen der konkreten Tatausführung, etwa dazu, ob der Nebenklägerin durch die Einwirkung des Angeklagten die Halsschlagader abgeschnürt wurde, enthalten die Urteilsgründe indes keine Feststellungen. Dies gilt auch für die hier möglicherweise bedeutsame Zeitspanne zwischen dem Eintritt der Atemnot bei der Nebenklägerin und dem [X.] des Angeklagten.

5

2. Entgegen der Ansicht des [X.] hält der [X.] es nicht für sicher ausgeschlossen, dass zu Art und Dauer der Einwirkung noch weitere Feststellungen getroffen werden können. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

II.

6

1. Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat sich die [X.] sachverständig beraten lassen und angenommen, dass der Angeklagte bei der Begehung der abgeurteilten Taten einerseits unter einem Syndrom der Abhängigkeit von Stimulanzien und Cannabinoiden und andererseits unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung vom [X.] mit emotional instabilen, dis[X.] und narzisstischen Anteilen litt. Das Abhängigkeitssyndrom habe indes nicht zu einer „derart erheblichen krankhaften seelischen Störung“ geführt, dass die „psychische Befindlichkeit“ des Angeklagten dadurch wesentlich beeinträchtigt worden sei. Eine „andere schwere seelische“ Abartigkeit liege insoweit nicht vor, weil das Syndrom keine tatdeterminierenden Konsequenzen gehabt habe und eine Persönlichkeitsdepravation, ein Verfall oder eine Verwahrlosung des Angeklagten ebenso wenig festgestellt werden könne wie eine akute Intoxikationspsychose zu den jeweiligen [X.]. Auch die beim Angeklagten diagnostizierte Persönlichkeitsstörung habe nicht das Gewicht einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“, da sie weder mit schweren überdauernden Störungen der Affektregulation einhergegangen sei, noch zu einer Stereotypisierung des Verhaltens des Angeklagten geführt habe und schwere Störungen des Selbstwertgefühls sowie der [X.] Bindungsfähigkeit ebenfalls nicht festzustellen seien. Der Angeklagte sei daher bei Begehung aller Taten uneingeschränkt schuldfähig gewesen. Den Darlegungen des Sachverständigen hat sich das [X.] angeschlossen; seine Würdigung hat es dabei auf die Bemerkung beschränkt, sie seien überzeugend. Dies hält hier rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7

a) Als stoffgebundene Suchterkrankung kann die Abhängigkeit von Drogen wegen der Vielzahl möglicher Ursachen, Ausprägungen sowie körperlicher und psychischer Folgen sowohl die Voraussetzungen des [X.]s der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB als auch – vor allem bei körperlicher Abhängigkeit – jene einer krankhaften seelischen Störung erfüllen (SSW-StGB/[X.], § 20 Rn. 46; vgl. auch Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 41). Unabhängig von dieser Einordnung begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln nach ständiger Rechtsprechung des [X.] für sich allein noch nicht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Diese Folge ist bei einem Rauschgiftabhängigen nur ausnahmsweise gegeben, etwa dann, wenn langjähriger [X.] zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat, der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, ferner unter Umständen dann, wenn er die Tat im Zustand eines akuten Rausches verübt (vgl. nur [X.], Urteil vom 7. August 2001 – 1 [X.], NJW 2002, 150, 152 mwN). Dabei erfolgt die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit des [X.], das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, erheblich vermindert war,  in einem aus mehreren Schritten bestehenden Verfahren (vgl. im Einzelnen [X.]/[X.]/[X.]/[X.], NStZ 2005, 57). Zuerst ist die Feststellung erforderlich, dass beim Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen [X.]e des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähigkeit des [X.] zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des [X.] bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Haben bei der Tat mehrere Faktoren zusammengewirkt und kommen daher mehrere [X.]e gleichzeitig in Betracht, so dürfen diese nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung ([X.], Beschluss vom 23. August 2000 – 2 [X.], [X.]R StGB § 21 Ursachen, mehrere 14; Beschluss vom 3. September 2004 – 1 [X.], [X.], 360). Der Tatrichter hat bei der Entscheidung über die Bejahung eines der [X.]e des § 20 StGB und bei der Annahme eingeschränkter Schuldfähigkeit nicht nur die Darlegungen des medizinischen Sachverständigen eigenständig zu überprüfen; er ist auch verpflichtet, seine Entscheidung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen ([X.], Beschluss vom 7. März 2006 – 3 [X.], [X.], 74). Das abschließende Urteil über die Erheblichkeit der Verminderung von Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ist als Rechtsfrage ausschließlich Sache des Richters ([X.], Urteil vom 17. April 2012 – 1 StR 15/12; Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 308/12, jeweils mwN).

8

b) Gemessen daran sind die im angefochtenen Urteil wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen schon für sich genommen nicht bedenkenfrei, soweit eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen wird.

9

aa) So legen die Urteilsgründe schon nicht dar, ob der Sachverständige beim Angeklagten die allgemeinen psychiatrischen Kriterien einer Substanzabhängigkeit gemäß [X.] oder [X.] als erfüllt angesehen hat. Zwar besagt das Vorliegen eines bestimmten [X.] nach einer der beiden Klassifikationen noch nichts über das Ausmaß drogeninduzierter Störungen. Gleichwohl weist eine solche Zuordnung in der Regel auf eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung hin, der der Tatrichter mit Hilfe des Sachverständigen nachgehen muss (vgl. [X.], Urteil vom 19. September 2000 – 1 [X.]/00, [X.], 83, 84 mwN). Die Urteilsgründe beschränken sich in diesem Zusammenhang auf die Wiedergabe der Ausführungen des medizinischen Sachverständigen, wonach beim Angeklagten ein Abhängigkeitssyndrom vorliege, die drogeninduzierte Beeinflussung aber nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der „psychischen Befindlichkeit“ des Angeklagten geführt habe. Der [X.] kann daher nicht nachprüfen, ob sich der Tatrichter insoweit von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab hat leiten lassen.

bb) Die Urteilsgründe lassen ferner besorgen, dass die [X.] die für das [X.] der schweren anderen seelischen Abartigkeit einerseits und der krankhaften seelischen Störung andererseits erforderlichen unterschiedlichen Voraussetzungen und deren Verhältnis zueinander nicht hinreichend in den Blick genommen hat; dies kann die Beurteilung der Schuldfähigkeit hier zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst haben. So erörtert die [X.] vor dem Hintergrund der entsprechenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen das Vorliegen einer akuten Intoxikationspsychose in unmittelbarem Zusammenhang mit der Prüfung des [X.]s der schweren anderen seelischen Abartigkeit, nicht aber in Bezug auf eine mögliche krankhafte seelische Störung, was näher liegt. Ob das [X.] die Vernachlässigung anderer Interessen durch den Angeklagten neben seinem starken Wunsch nach [X.] zutreffend als Anzeichen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit eingeordnet hat [X.]), vermögen die Urteilsgründe ebenfalls nicht zu vermitteln; Erwähnung findet dieser Gesichtspunkt bei der Erörterung des [X.]s der krankhaften seelischen Störung.

c) Die Erörterung der Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten erweist sich zudem als lückenhaft.

So findet der Umstand, dass der Angeklagte, wie vom [X.] ausdrücklich festgestellt ([X.]), während einer auf eigene Initiative durchgeführten Entgiftung im April 2011, also zu Beginn des verfahrensgegenständlichen Tatzeitraums, unter intensiven und quälenden akustischen Halluzinationen litt und erst zwei bis drei Wochen vor der letzten Tat seinen Rauschgiftkonsum wieder aufnahm, bei der Erörterung der [X.]e des § 20 StGB keine Erwähnung. Der [X.] kann daher nicht überprüfen, ob der Sachverständige diesen gewichtigen Umstand bei seiner Begutachtung berücksichtigt und in welcher Weise die [X.] dessen Äußerungen bewertet hat. Die bloße Erwähnung eines zeitlich nicht näher eingegrenzten Entzugssyndroms ([X.]) ist in diesem Zusammenhang unzureichend. Die Urteilsgründe lassen ferner nicht erkennen, ob die [X.] in einer umfassenden Gesamtwürdigung berücksichtigt hat, dass der Sachverständige neben dem Abhängigkeitssyndrom beim Angeklagten auch eine kombinierte Persönlichkeitsstörung diagnostiziert hat. Dies lässt besorgen, dass diese Prüfung hier nicht oder nur unzureichend vorgenommen wurde und das [X.] seine Beurteilung lediglich isoliert auf die vom Sachverständigen angesprochenen Gesichtspunkte gestützt hat.

2. Die Frage der Schuldfähigkeit muss daher umfassend neu geprüft werden, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen. Da der [X.] auszuschließen vermag, dass beim Angeklagten bei allen Taten Schuldunfähigkeit vorlag, führt der Rechtsfehler lediglich zur Aufhebung der Strafaussprüche.

III.

Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wird in den Blick nehmen müssen, dass vor dem Hintergrund der neuen Feststellungen zur Schuldfähigkeit gegebenenfalls die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu prüfen sein wird.

Im Hinblick auf die diesbezüglichen Ausführungen des [X.] in seiner Antragsschrift vom 6. Februar 2012 merkt der [X.] an, dass die Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB die Betätigung tatrichterlichen  Ermessens voraussetzt (vgl. dazu [X.]sbeschluss vom 14. Dezember 1999 – 4 StR 554/99, [X.], 364).

Mutzbauer                         Cierniak                          Franke

                     [X.]

Meta

4 StR 42/13

12.03.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dessau-Roßlau, 17. Juli 2012, Az: 6 KLs 181 Js 22454/11

§ 20 StGB, § 224 Abs 1 Nr 5 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.03.2013, Az. 4 StR 42/13 (REWIS RS 2013, 7494)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7494

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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