Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.03.2013, Az. 4 StR 42/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 7503

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 42/13

vom
12. März
2013
in der Strafsache
gegen

wegen Vergewaltigung u. a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 12.
März
2013
gemäß
§
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 17.
Juli 2012 mit den Feststel-lungen aufgehoben
a)
im Fall
II.
1 der Urteilsgründe sowie
b)
im gesamten Strafausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.] zurück-verwiesen.
2.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen, gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen und wegen sexueller Nöti-gung (Vergewaltigung) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Frei-heitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, 1
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hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
I.
1.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne von §
224 Abs.
1 Nr.
5 StGB im Fall
II.
1 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a)
Das [X.] hat insoweit festgestellt, dass der Angeklagte die
Nebenklägerin im Zuge einer zunächst nur verbalen Auseinandersetzung zu Boden stieß und sie dort mit beiden Händen am Hals würgte, bis diese
keine Luft mehr bekam, was der Angeklagte auch erkannte. Diese Feststellungen [X.] eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne von §
224 Abs.
1 Nr.
5 StGB nicht.
b)
Zwar muss die Tathandlung im Sinne von §
224 Abs.
1 Nr.
5 StGB nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebens-gefahr gerät; die jeweilige Einwirkung muss lediglich abstrakt geeignet sein, eine solche Gefährdung herbeizuführen. Danach kommt festes Würgen am Hals zwar grundsätzlich als geeignete Tathandlung
in Betracht; von maßgeb-licher Bedeutung sind insoweit jedoch Dauer und Stärke der Einwirkung,
zu
denen sich die Urteilsfeststellungen je nach Lage des Falles verhalten müssen (st. Rspr.; vgl. nur [X.]sbeschluss vom 14.
Oktober 2004

4
StR
403/04, [X.], 44 mwN). Zu den näheren Umständen der konkreten Tataus-führung, etwa dazu, ob der Nebenklägerin durch die Einwirkung des Angeklag-ten die Halsschlagader abgeschnürt wurde, enthalten die Urteilsgründe indes keine Feststellungen. Dies gilt auch für die hier möglicherweise bedeutsame 2
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Zeitspanne zwischen dem Eintritt der Atemnot bei der Nebenklägerin und dem [X.] des Angeklagten.
2.
Entgegen der Ansicht des [X.] hält der [X.] es nicht für sicher ausgeschlossen, dass zu Art und Dauer der Einwirkung noch weitere Feststellungen getroffen werden können. Die Sache bedarf daher inso-weit neuer Verhandlung und Entscheidung.
II.
1.
Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat sich die [X.] beraten lassen und angenommen, dass der Angeklagte bei der [X.] einerseits unter einem Syndrom der Abhängig-keit von Stimulanzien und Cannabinoiden und andererseits unter einer
kombi-nierten
Persönlichkeitsstörung vom [X.] mit emotional instabilen, dis[X.]
und narzisstischen Anteilen litt. Das Abhängigkeitssyndrom
habe indes nicht zu einer derart erheblichen krankhaften seelischen Störung

ge-führt, dass die psychische Befindlichkeit

des Angeklagten dadurch wesentlich beeinträchtigt worden sei. Eine andere schwere seelische

Abartigkeit liege insoweit nicht vor, weil das Syndrom keine tatdeterminierenden Konsequenzen gehabt habe und eine Persönlichkeitsdepravation, ein Verfall oder eine [X.] des Angeklagten ebenso wenig festgestellt werden könne wie eine akute Intoxikationspsychose zu den jeweiligen [X.]. Auch die
beim Angeklagten
diagnostizierte Persönlichkeitsstörung habe nicht das Gewicht
einer schweren anderen seelischen Abartigkeit, da sie weder mit schweren überdauernden Störungen der Affektregulation einhergegangen sei,
noch zu einer Stereotypisierung des Verhaltens des Angeklagten geführt habe und schwere Störungen des Selbstwertgefühls sowie der [X.] Bindungsfähigkeit ebenfalls nicht festzustellen seien.
Der Angeklagte sei daher bei Begehung aller 5
6
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5
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Taten uneingeschränkt schuldfähig gewesen. Den Darlegungen des Sachver-ständigen hat sich das [X.] angeschlossen; seine Würdigung hat es dabei auf die Bemerkung beschränkt, sie seien überzeugend. Dies
hält
hier rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a)
Als stoffgebundene Suchterkrankung kann die Abhängigkeit von Dro-gen
wegen der Vielzahl möglicher Ursachen, Ausprägungen sowie körperlicher und psychischer Folgen sowohl
die Voraussetzungen des [X.]s der
schweren
anderen
seelischen
Abartigkeit
im Sinne des §
20 StGB als auch

vor allem bei körperlicher Abhängigkeit

jene einer
krankhaften seelischen Störung erfüllen (SSW-StGB/[X.], §
20 Rn.
46; vgl. auch Fischer,
StGB,
60.
Aufl.,
§
20 Rn.
41). Unabhängig von dieser Einordnung begründet die [X.] von Betäubungsmitteln nach ständiger Rechtsprechung des [X.] für sich allein noch nicht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Diese Folge ist bei einem Rauschgiftabhängigen nur aus-nahmsweise gegeben, etwa dann, wenn langjähriger [X.] zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat, der Täter unter star-ken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mit-tels einer Straftat Drogen zu verschaffen, ferner unter Umständen dann, wenn er die Tat im Zustand eines akuten Rausches verübt (vgl. nur [X.], Urteil vom 7.
August 2001

1
StR
470/00, NJW 2002, 150, 152
mwN). Dabei erfolgt die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit des [X.], das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln,
erheblich vermindert war,

in einem aus mehreren Schritten bestehenden Verfahren (vgl. im Einzelnen
[X.]/[X.]/[X.]/[X.], NStZ 2005, 57). Zuerst ist die Feststellung erforderlich, dass beim Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen [X.]e des §
20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der [X.]
-
6
-
prägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähig-keit des [X.] zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des [X.] bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Haben bei der Tat mehrere Faktoren zusammengewirkt und kommen daher mehrere [X.]e gleichzeitig in Betracht, so dürfen diese nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung ([X.], Beschluss vom 23.
August 2000

2
StR
281/00, [X.]R StGB §
21 Ursachen, mehrere 14; Beschluss vom 3.
September 2004

1
StR
359/04, [X.], 360). Der Tatrichter hat bei der Entscheidung über die Bejahung eines der [X.] des §
20 StGB und bei der Annahme eingeschränkter Schuldfähig-keit nicht nur die Darlegungen des medizinischen Sachverständigen eigenstän-dig zu überprüfen; er ist auch verpflichtet, seine Entscheidung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen ([X.], Beschluss vom 7.
März 2006

3
StR
52/06, [X.], 74). Das abschließende Urteil über die Erheblichkeit der Verminderung von Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit ist als Rechtsfrage ausschließlich Sache des Richters ([X.], Urteil vom 17.
April 2012

1
StR
15/12; Beschluss vom 22.
August 2012

4
StR
308/12, jeweils mwN).
b)
Gemessen daran sind die im angefochtenen Urteil wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen schon für sich genommen nicht beden-kenfrei, soweit eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit aus-geschlossen wird.
aa)
So legen die Urteilsgründe schon nicht dar, ob der Sachverständige beim Angeklagten die allgemeinen psychiatrischen Kriterien einer Substanzab-hängigkeit gemäß [X.] oder [X.] als erfüllt angesehen hat. Zwar besagt 8
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das Vorliegen eines bestimmten [X.] nach einer der beiden Klassifi-kationen noch nichts über das Ausmaß drogeninduzierter Störungen. Gleich-wohl weist eine solche Zuordnung in der Regel auf eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung hin, der der Tatrichter mit Hilfe des Sachverständigen nach-gehen
muss (vgl. [X.], Urteil vom 19.
September 2000

1
StR
310/00, [X.], 83, 84
mwN). Die Urteilsgründe beschränken sich in diesem Zusammen-hang auf die Wiedergabe der Ausführungen des medizinischen Sachverständi-gen, wonach beim Angeklagten ein Abhängigkeitssyndrom vorliege, die drogen-induzierte Beeinflussung
aber nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der daher nicht nachprüfen, ob sich der Tatrichter insoweit von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab hat leiten lassen.
bb)
Die Urteilsgründe lassen ferner besorgen, dass die [X.] die für das [X.] der schweren anderen seelischen Abartigkeit einer-seits und der krankhaften seelischen Störung andererseits erforderlichen unter-schiedlichen Voraussetzungen und deren Verhältnis zueinander nicht hinrei-chend in den Blick genommen hat; dies kann die Beurteilung der Schuldfähig-keit hier zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst haben.
So erörtert die [X.] vor dem Hintergrund der entsprechenden Ausführungen des medizini-schen Sachverständigen das Vorliegen einer akuten Intoxikationspsychose in unmittelbarem Zusammenhang mit der Prüfung des [X.]s der schweren anderen seelischen Abartigkeit, nicht aber in Bezug auf eine mögli-che krankhafte seelische Störung, was
näher liegt. Ob das [X.] die [X.] anderer Interessen durch den Angeklagten neben seinem
star-ken Wunsch nach
[X.] zutreffend als Anzeichen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit eingeordnet hat
[X.]), vermögen die Urteilsgründe ebenfalls nicht zu vermitteln; Erwähnung findet die-10
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ser Gesichtspunkt bei der Erörterung des [X.]s der krankhaften seelischen Störung.
c)
Die Erörterung der Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten erweist sich zudem als lückenhaft.
So findet der Umstand, dass der Angeklagte, wie vom [X.] aus-drücklich festgestellt (UA S.
4), während einer auf eigene Initiative durchgeführ-ten Entgiftung im April 2011, also zu Beginn des verfahrensgegenständlichen Tatzeitraums, unter intensiven und quälenden akustischen Halluzinationen litt
und erst zwei bis drei Wochen vor der letzten Tat seinen Rauschgiftkonsum wieder aufnahm, bei der Erörterung der [X.]e des §
20 StGB [X.] Erwähnung. Der [X.] kann daher nicht
überprüfen, ob der Sachverständige diesen gewichtigen Umstand bei seiner Begutachtung berücksichtigt und in welcher Weise die [X.] dessen Äußerungen bewertet hat. Die bloße Erwähnung eines zeitlich nicht näher eingegrenzten Entzugssyndroms (UA S.
9) ist in diesem Zusammenhang
unzureichend. Die Urteilsgründe lassen [X.] nicht erkennen, ob die [X.] in einer umfassenden Gesamtwürdi-gung berücksichtigt hat, dass der Sachverständige neben dem Abhängigkeits-syndrom beim Angeklagten auch eine kombinierte Persönlichkeitsstörung diag-nostiziert hat. Dies lässt besorgen, dass diese Prüfung hier nicht oder nur unzu-reichend vorgenommen wurde und das [X.] seine Beurteilung lediglich isoliert auf die vom Sachverständigen angesprochenen Gesichtspunkte gestützt hat.
2.
Die Frage der Schuldfähigkeit muss daher umfassend neu geprüft werden, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen.
Da der [X.] auszuschließen vermag, dass beim Angeklagten bei allen Taten 11
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13
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Schuldunfähigkeit vorlag,
führt der Rechtsfehler lediglich zur Aufhebung der [X.].
III.
Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wird in den Blick nehmen müssen, dass vor dem Hintergrund der neuen Feststellungen zur Schuldfähigkeit gegebenenfalls
die Frage der Unterbringung des Angeklag-ten in einer Entziehungsanstalt zu prüfen sein wird.
Im Hinblick auf die diesbezüglichen Ausführungen des [X.] in seiner Antragsschrift vom 6.
Februar 2012 merkt der [X.] an, dass die Anwendung des §
46a Nr.
1 StGB die Betätigung tatrichterlichen
Ermessens voraussetzt (vgl. dazu [X.]sbeschluss vom 14.
Dezember 1999

4
StR
554/99, [X.], 364).
Mutzbauer
Cierniak
Franke

Bender
Quentin
14
15

Meta

4 StR 42/13

12.03.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.03.2013, Az. 4 StR 42/13 (REWIS RS 2013, 7503)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7503

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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