Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.08.2012, Az. 3 StR 237/12

3. Strafsenat | REWIS RS 2012, 3876

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge: Abgrenzung zwischen bedingtem Tötungsvorsatz und Körperverletzungsvorsatz bei gefährlicher Gewalthandlung durch gezielten Messerstich in den Brustbereich des Opfers


Tenor

Die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin gegen das Urteil des [X.] vom 20. Februar 2012 werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zur Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision beanstandet die Nebenklägerin, dass das [X.] einen bedingten Tötungsvorsatz nicht festgestellt und den Angeklagten deshalb nicht wegen Totschlags verurteilt hat. Der Angeklagte wendet sich mit der allgemeinen Sachrüge gegen das Urteil. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s gerieten der Angeklagte und das spätere Tatopfer     S.    , die sich kurz vor Mitternacht - beide in alkoholisiertem Zustand - zufällig auf der Straße begegneten, in Streit. Nach dem wechselseitigen Austausch jeweils eines Schlages setzten die Kontrahenten - der zwischenzeitlich herbeigeeilte Begleiter des Geschädigten hatte schlichtend eingegriffen - ihren jeweiligen Heimweg zunächst in entgegengesetzten Richtungen fort. Als der Angeklagte im Weggehen rief: "Wir sehen uns noch", erzürnte dies S.    derart, dass er sich von seinem Begleiter [X.] und dem Angeklagten hinterherlief. Dieser blieb, als er der Verfolgung gewahr wurde, nach einigen Schritten stehen, und stach mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von 8-9 cm, das er immer in seinem Rucksack bei sich führte, seinem auf Stichlänge herangeeilten, körperlich geringfügig überlegenen Gegenüber "in einem Zug mit ausgestrecktem Arm" in die linke [X.]; anschließend lief er nach [X.]. Der Stich hatte das Herz getroffen, der Geschädigte verstarb wenige Stunden später im Krankenhaus.

3

Das [X.] hat direkten [X.] angenommen, sich hingegen von einem (auch nur bedingten) Tötungsvorsatz nicht überzeugen können. Der Angeklagte sei sich zwar der Gefahr bewusst gewesen, dass der Messerangriff zum Tod seines Kontrahenten habe führen können. Der Todeseintritt habe aber nicht seine "(innere) Billigung" gefunden; dagegen spreche ein aus der [X.] geborener, nicht von langer Hand geplanter [X.], eine mögliche alkoholbedingte Enthemmung und die nicht von Aggressionen geprägte Persönlichkeit des Angeklagten. Zudem sei das Motiv der Tat gewesen, sich gegen erwartete Schläge und/oder Demütigungen des ihm körperlich überlegenen, aufgebrachten Geschädigten zu wehren. Auch das Nachtatverhalten des Angeklagten, der in seiner verantwortlichen Vernehmung "zusammengebrochen" sei, als er vom Tod des Opfers erfahren habe, sei ein Indiz gegen die Billigung des [X.], denn es deute auf das generelle Vorhandensein einer Hemmschwelle zur Tötung hin.

4

2. Revision der Nebenklägerin

5

Die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

6

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 10. Dezember 1986 - 3 StR 500/86, [X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung 2). Liegen Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die vom Tatrichter vorgenommene Würdigung hinzunehmen, auch wenn ein anderes Ergebnis ebenso möglich oder gar näherliegend gewesen wäre.

7

Die Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes vom [X.] erfordert bei schwerwiegenden Gewalttaten eine sorgfältige Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Dabei stellt die offensichtliche Lebensgefährlichkeit einer Handlung für den Nachweis einen Umstand von erheblichem Gewicht dar, sodass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der subjektive Tatbestand eines Tötungsdelikts sehr nahe liegt. Gleichwohl bedarf angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung die Frage der Billigung des Todes einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, in die vor allem auch die psychische Verfassung des [X.] bei der Tatbegehung sowie seine Motive mit einzubeziehen sind. Insbesondere bei spontanen, unüberlegt oder in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus der Kenntnis der Gefahr des möglichen [X.] nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des [X.] ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, [X.], 73, mit zahlreichen Nachweisen).

8

b) Den sich nach diesen Grundsätzen ergebenden rechtlichen Anforderungen an eine sorgfältige Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes (vgl. dazu zuletzt [X.], Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, [X.], 384) werden die Ausführungen des [X.]s gerecht.

9

Die [X.] hat alle bedeutsamen objektiven und subjektiven Umstände der Tat in ihre Überlegungen einbezogen und insbesondere gesehen, dass der gezielte Messerstich in den Brustkorb des [X.] eine hochgradig lebensgefährliche Gewalthandlung war, die ein gewichtiges Indiz dafür ist, dass der Angeklagte den von ihm - entgegen seiner Einlassung und trotz seiner im Einzelnen nicht aufklärbaren Alkoholisierung - als möglich erkannten Eintritt des Todes auch billigte. Dass das [X.] seine Zweifel am Vorliegen des voluntativen Elements des bedingten Tötungsvorsatzes wegen des unter der enthemmenden Wirkung von Alkohol spontan ausgeführten [X.], des fehlenden Tötungsmotivs des Angeklagten, seiner im Allgemeinen nicht zu Aggressionen neigenden Persönlichkeit sowie seines [X.] nicht hat überwinden können, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit es die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten berücksichtigt hat. Das [X.] war sich des eingeschränkten [X.] dieses Umstandes für die innere Einstellung des Angeklagten im Tatzeitpunkt durchaus bewusst; dass es ihn gleichwohl als gegen einen Tötungsvorsatz sprechendes Indiz gewertet hat, erweist sich nicht als rechtsfehlerhaft, sind doch auch die Besonderheiten der Persönlichkeit des [X.] in die erforderliche Gesamtschau einzustellen ([X.], Beschluss vom 23. April 2003 - 2 StR 52/03, [X.], 603, 604; [X.], Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 [X.], [X.], 91).

3. Revision des Angeklagten

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, weil die Überprüfung des Urteils aufgrund der allgemein erhobenen Sachrüge keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil aufgedeckt hat.

VRi[X.] [X.] ist wegen
Urlaubs gehindert, seine
Unterschrift beizufügen.

Pfister     

Schäfer

Pfister

     Mayer     

Gericke     

Meta

3 StR 237/12

16.08.2012

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Osnabrück, 20. Februar 2012, Az: 6 Ks 14/11 - 710 Js 29544/11

§ 15 StGB, § 211 StGB, § 212 StGB, § 223 StGB, § 224 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.08.2012, Az. 3 StR 237/12 (REWIS RS 2012, 3876)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3876

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