Bundessozialgericht, Urteil vom 06.09.2018, Az. B 2 U 16/17 R

2. Senat | REWIS RS 2018, 4067

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Gegenstand

(Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - ärztliche Behandlung eines anlagenbedingten Leidens - Zurechnung als mittelbare Unfallfolge - Setzung des Anscheins einer unfallversicherungsrechtlichen Heilbehandlung durch den Durchgangsarzt - subjektive Sicht des Versicherten - Treu und Glauben - besonderer Zurechnungstatbestand iSd § 11 Abs 1 Nr 1 SGB 7)


Leitsatz

Gesundheitsschäden aufgrund einer ärztlichen Behandlung sind auch dann mittelbare Unfallfolgen, wenn die Heilbehandlung zwar objektiv der Behebung eines anlagebedingten Leidens dient, der Verletzte aufgrund des Verhaltens eines Durchgangsarztes jedoch den Eindruck haben durfte, die Behandlung solle zur Behebung der durch einen Arbeitsunfall verursachten Gesundheitsschäden durchgeführt werden.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 2. März 2017 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die gesundheitlichen Folgen einer [X.] als Folgen eines Arbeitsunfalls festzustellen sind, sowie über die Zahlung von Verletztengeld.

2

Der in einer Spedition beschäftigte Kläger wurde am 19.9.2012 von einem Hubwagen angefahren und erlitt ein Anpralltrauma des rechten Handgelenks mit einer Schürfung am ellenseitigen Handgelenk. Er begab sich in Behandlung des Durchgangsarztes (D-Arzt) Dr. A. Dieser stellte am rechten Handgelenk eine 2 mal 2 cm große Schürfwunde ellenseitig rechts, aber weder eine Fraktur noch eine Weichteil- oder Bänderverletzung, sondern lediglich eine anlagebedingte Fehlstellung der distalen [X.] bzw eine Subluxation der [X.] fest. Danach untersuchte der D-Arzt Dr. S. den Kläger am 9.10.2012. Dr. S. führte in seinem Bericht an die Beklagte aus, die vom Kläger vorgetragenen erheblichen Schmerzen sowie die glaubhafte Versicherung, dass die Beschwerden vor dem Unfall nicht bestanden hätten, ließen trotz des Magnetresonanztomographie (MRT)-Befunds an ein frisches Ereignis mit [X.] glauben. Deshalb halte er die probatorische Transfixation der [X.] mit Stellschraube für vier bis sechs Wochen zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung für indiziert. Der Kläger solle sich zur sofortigen [X.] im [X.] vorstellen. Im [X.] sah hingegen der D-Arzt [X.] keine [X.]sindikation, sondern regte eine Vorstellung in der Unfallbehandlungsstelle der [X.] ([X.]) an. Der dort tätige Arzt [X.] schlug eine Arthroskopie des rechten Handgelenks zur Beurteilung der Verletzungsfolgen vor. Der D-Arzt Dr. S. operierte sodann den Kläger am 18.10.2012, ohne dass zuvor die vorgeschlagene diagnostische Arthroskopie durchgeführt wurde. Im [X.] an diese [X.] litt der Kläger unter dem Zustand nach Reposition und Transfixation der [X.] rechts sowie Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im rechten Handgelenk.

3

Die Beklagte erkannte das Ereignis vom 19.9.2012 als Arbeitsunfall an und stellte eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit wegen der Handgelenksprellung mit Verschlechterung einer vorbestehenden Subluxationsstellung im distalen [X.] bis 13.11.2012 fest. Einen Anspruch des [X.] auf Verletztengeld und Übernahme der Behandlungskosten über den 13.11.2012 hinaus lehnte sie ab, weil die diagnostizierte Subluxationsstellung der distalen [X.] keine Unfallfolge sei (Bescheid vom [X.] und Widerspruchsbescheid vom 14.11.2013).

4

Das [X.] hat unter Abänderung der Bescheide der Beklagten festgestellt, dass der Zustand nach Reposition und Transfixation der [X.] rechts, eine Algodystrophie im Bereich der rechten Hand sowie die Funktionseinschränkungen der rechten Hand Folgen des Unfalls vom 19.9.2012 seien, und hat die Beklagte verurteilt, über den [X.] hinaus Verletztengeld zu zahlen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung hat es ausgeführt, im Rahmen des § 11 Abs 1 [X.] und 3 [X.]B VII komme es nicht darauf an, ob eine Behandlung objektiv unfallbedingt notwendig gewesen sei. Maßgebend sei vielmehr, ob sich nach den vorliegenden Umständen die Behandlung als Akt der Beklagten darstelle. Hierfür genüge es, dass der D-Arzt Dr. S. dem Kläger zu verstehen gegeben habe, dass er von einer Behandlungsnotwendigkeit aufgrund des Unfalls ausgehe. Damit habe er den Anschein erweckt, die Behandlung werde aufgrund des Unfalls durchgeführt.

5

Auf die Berufung der Beklagten hat das L[X.] das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 2.3.2017). Zur Begründung hat es ausgeführt, die vom [X.] festgestellten Gesundheitsschäden seien nicht auf das als Arbeitsunfall anerkannte Ereignis zurückzuführen, weil bereits vor der [X.] eine habituelle, unfallfremde Subluxationsstellung im distalen [X.] rechts vorgelegen habe. Der Zustand nach Reposition und Transfixation der [X.] rechts sei deshalb nicht durch den unfallbedingten Gesundheitsschaden der Handgelenksprellung verursacht worden. Diese weiteren Gesundheitsschäden seien auch nicht durch eine Heilbehandlung iS des § 11 Abs 1 [X.] [X.]B VII oder eine zur Aufklärung des Sachverhalts angeordneten Untersuchung iS von § 11 Abs 1 Nr 3 [X.]B VII verursacht worden. Es sei ein anlage- und kein unfallbedingter Gesundheitsschaden operiert worden. Die Folgen der Behandlung eines solchen objektiv nicht durch den Unfall verursachten Gesundheitsschadens könnten nicht gemäß § 11 [X.]B VII dem Arbeitsunfall zugerechnet werden. Es komme deshalb nicht darauf an, ob der Kläger darauf habe vertrauen dürfen, dass es sich bei der [X.] um eine von der Beklagten veranlasste Heilbehandlung iS des § 11 Abs 2 [X.] [X.]B VII gehandelt habe. Deshalb habe der die [X.] veranlassende D-Arzt Dr. S. auch nicht gehört werden müssen. Die bloße irrige Vorstellung des Versicherten, er nehme an einer Maßnahme des [X.] teil, könne nicht dazu führen, Folgen der Behandlung eines objektiv anlagebedingten Schadens dem Unfall zuzurechnen.

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 11 [X.]B VII. Die [X.] sei eine Heilbehandlung der Unfallfolgen iS des § 11 Abs 1 [X.] [X.]B VII gewesen und damit Ursache der geltend gemachten und vom [X.] festgestellten weiteren Unfallfolgen. Für die Annahme einer mittelbaren Unfallfolge iS des § 11 [X.]B VII sei es gerade nicht erforderlich, dass ein Versicherungsfall objektiv vorgelegen habe. Es komme vielmehr darauf an, ob er darauf habe vertrauen dürfen, dass es sich bei der [X.] um eine von der Beklagten veranlasste, notwendige Heilbehandlung gehandelt habe. Die Beklagte habe hier durch ihren D-Arzt Dr. S. bei ihm den Anschein erweckt, dass der Eingriff zur Behandlung von Unfallfolgen erfolge.

7

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des [X.] vom 2.3.2017 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das [X.] begründet (§ 170 Abs 2 S 2 [X.]G). Der [X.] kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des [X.] nicht entscheiden, ob die geltend gemachten Gesundheitsstörungen mittelbare Folgeschäden des Arbeitsunfalls vom 19.9.2012 iS des § 11 [X.] sind und ob der Kläger Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld über den [X.] hinaus hat. Entgegen der Rechtsansicht des [X.] scheiden die vom [X.] benannten Gesundheitsstörungen nicht schon allein deshalb als festzustellende Unfallfolgen aus, weil die durch den D-Arzt Dr. S. durchgeführte [X.] objektiv lediglich der Behebung eines anlagebedingten Leidens diente, das gerade nicht auf den anerkannten Arbeitsunfall zurückzuführen war. Maßgebend ist vielmehr, ob der Kläger aufgrund des Verhaltens des D-Arztes Dr. S. den Eindruck haben durfte, die [X.] solle gerade zur Behebung der Unfallfolgen durchgeführt werden. Zu den gesamten Umständen der Beratung und Behandlung des [X.] durch den D-Arzt Dr. S. fehlt es aber an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen, die das [X.] - von seiner Rechtsansicht her konsequent - unterlassen hat.

Es ist über die vom Kläger gemäß § 54 Abs 1 [X.]G zulässig erhobene Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2013 zu entscheiden, soweit die Beklagte mit ihm die Anerkennung weiterer Folgen des Arbeitsunfalls vom 19.9.2012 - neben der von ihr festgestellten Unfallfolge einer Handgelenksprellung und einer Verschlechterung einer vorbestehenden Subluxationsstellung im distalen [X.] bis 31.11.2012 - sowie die Zahlung von Verletztengeld über den [X.] hinaus abgelehnt hat. Mit seiner zulässigen Feststellungsklage gemäß § 55 Abs 1 [X.] [X.]G (vgl dazu zB B[X.] vom [X.], 909 sowie B[X.] vom 5.7.2011 - [X.] U 17/10 R - B[X.]E 108, 274 = [X.]-2700 § 11 [X.], Rd[X.]2 ff) begehrt der Kläger die Feststellung des Zustands nach Reposition und Transfixation der Elle rechts, die Algodystrophie im Bereich der rechten Hand sowie die Funktionseinschränkungen der rechten Hand als Folgen des Unfalls vom 19.9.2012 (zum Anspruch auf Feststellung von unmittelbaren und mittelbaren Unfallfolgen B[X.] vom 5.7.2011 - [X.] U 17/10 R - B[X.]E 108, 274 = [X.]-2700 § 11 [X.], Rd[X.]2 ff). Darüber hinaus verfolgt er gemäß § 54 Abs 4 [X.]G einen Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld über den [X.] hinaus.

Aufgrund der vorhandenen Feststellungen des [X.] kann der [X.] nicht entscheiden, ob die vom [X.] als Unfallfolgen ausgeurteilten Gesundheitsschäden des Zustands nach Reposition und Transfixation der Elle rechts, einer Algodystrophie im Bereich der rechten Hand sowie Funktionseinschränkungen der rechten Hand Folgen des Unfalls vom 19.9.2012 sind (hierzu unter 1.) und ob Verletztengeld über den [X.] hinaus zu zahlen ist (hierzu unter 2.).

1. Versicherte haben gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger einen Anspruch auf Feststellung einer Unfallfolge, wenn ein Gesundheitsschaden durch den [X.] eines Versicherungsfalls oder infolge des Vorliegens eines der Tatbestände des § 11 [X.] rechtlich wesentlich verursacht wurde (vgl B[X.] vom [X.], 909 und vom 5.7.2011 - [X.] U 17/10 R - B[X.]E 108, 274 = [X.]-2700 § 11 [X.]). Die weiteren Gesundheitsschäden des [X.] stellen objektiv betrachtet jedenfalls keine durch den [X.] verursachte Unfallfolge dar (hierzu unter a). Ob sie aber durch die Erfüllung eines Tatbestands des § 11 [X.] rechtlich wesentlich verursacht wurden (hierzu unter b), lässt sich auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] nicht abschließend entscheiden, weil hierfür maßgeblich ist, wie der Kläger die durchgeführte [X.] nach den gesamten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen durfte (hierzu unter c).

a) Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die durch das [X.] als weitere Unfallfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen keine sog unmittelbaren Unfallfolgen eines [X.]s iS des § 8 Abs 1 [X.] sind. Eine Gesundheitsstörung ist Unfallfolge eines Versicherungsfalls iS des § 8 [X.] (im engeren Sinne), wenn sie gerade durch den [X.] des Arbeitsunfalls wesentlich verursacht worden ist. Der Anspruch setzt grundsätzlich das "objektive", dh aus der nachträglichen Sicht eines optimalen Beobachters, Vorliegen einer Gesundheitsstörung voraus, die spezifisch durch den [X.] des Arbeitsunfalls verursacht worden ist (vgl B[X.] vom 5.7.2011 - [X.] U 17/10 R - B[X.]E 108, 274 = [X.]-2700 § 11 [X.] mwN). Diese Voraussetzung liegt hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten weiteren Gesundheitsschäden nicht vor. Die Beklagte hat für die Beteiligten bindend als [X.] lediglich eine Handgelenksprellung und als Unfallfolge eine Verschlechterung einer vorbestehenden Subluxationsstellung im distalen [X.] bis zum 13.11.2012 anerkannt. Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und deshalb den [X.] bindenden Feststellungen des [X.] (vgl § 163 [X.]G) sind die vom [X.] ausgeurteilten weiteren Gesundheitsschäden schon rein naturwissenschaftlich nicht ursächlich durch den [X.] einer Handgelenksprellung oder einen anderen von der Beklagten festgestellten [X.] des [X.] vom 19.9.2012 hervorgerufen worden. Die geltend gemachten weiteren Schäden wurden nach den bindenden Feststellungen des [X.] zwar naturwissenschaftlich kausal iSd ersten Stufe der Wesentlichkeitstheorie durch die [X.] verursacht (vgl zu den beiden Prüfungsstufen der sog Wesentlichkeitstheorie: B[X.] vom [X.] U 6/15 R - B[X.]E 123, 24-35 = [X.]-5671 Anl 1 [X.]103 [X.], Rd[X.]6; B[X.] vom 17.12.2015 - [X.] U 11/14 R - B[X.]E 120, 230 = [X.]-2700 § 9 [X.] 26, Rd[X.]9 mwN; B[X.] vom 13.11.2012 - [X.] U 19/11 R - B[X.]E 112, 177 = [X.]-2700 § 8 [X.] 46, Rd[X.]2 ff mwN). Es handelte sich bei dieser [X.] aber nach den ebenfalls bindenden Feststellungen des [X.] lediglich um die Behebung eines anlagebedingten und bereits vor dem Unfall vorhandenen Leidens, der Subluxationsstellung im distalen [X.].

b) Obwohl also durch den D-Arzt Dr. S. lediglich eine anlagebedingte Gesundheitsstörung - hier eine Subluxationsstellung im distalen [X.] rechts - behandelt wurde, können die vom [X.] ausgeurteilten Gesundheitsschäden des Zustands nach Reposition und Transfixation der Elle rechts, die Algodystrophie im Bereich der rechten Hand sowie die Funktionseinschränkungen der rechten Hand gemäß § 11 Abs 1 [X.] [X.] dem anerkannten Arbeitsunfall vom 19.9.2012 dennoch als sog mittelbare Unfallfolge zugerechnet und deshalb als Unfallfolgen festgestellt werden. Denn auch objektiv nicht durch den Arbeitsunfall bedingte Heilbehandlungen können die Tatbestände des § 11 Abs 1 [X.] [X.] oder § 11 Abs 1 [X.] [X.] auslösen.

Gemäß § 11 Abs 1 [X.] [X.] sind Folgen eines Versicherungsfalls auch Gesundheitsschäden oder der Tod des Versicherten infolge der Durchführung einer Heilbehandlung. Anders als § 555 Abs 1 [X.] setzt § 11 Abs 1 [X.] [X.] nicht mehr voraus, dass bei der Heilbehandlungsmaßnahme ein "Unfall" vorliegt, sodass auch Gesundheitsstörungen ohne neues Unfallereignis erfasst werden. § 11 [X.] stellt eine spezielle Zurechnungsnorm dar, die Gesundheitsschäden auch dann einem anerkannten Versicherungsfall zurechnet, wenn sie etwa durch die Durchführung einer berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung oder durch eine Untersuchung zur Aufklärung des Sachverhalts wesentlich verursacht wurden. Aber auch diese gesetzliche Zurechnung setzt voraus, dass die Erfüllung des jeweiligen Tatbestands des § 11 [X.] durch das (behauptete oder anerkannte) Unfallereignis notwendig bedingt war (vgl B[X.] vom 5.7.2011 - [X.] U 17/10 R - B[X.]E 108, 274 = [X.]-2700 § 11 [X.]).

Die Durchführung einer Heilbehandlung iS des § 11 Abs 1 [X.] [X.] liegt vor, wenn der Unfallversicherungsträger dem Versicherten einen Anspruch auf eine bestimmte Heilbehandlungsmaßnahme nach den §§ 26 ff [X.] - nicht notwendig durch Verwaltungsakt in Schriftform - bewilligt oder ihn durch seine Organe oder Leistungserbringer zur Teilnahme an einer solchen diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme aufgefordert hat und der Versicherte an der Maßnahme des Trägers den Anordnungen der Ärzte folgend teilnimmt. Wie der [X.] in seinem Urteil vom 5.7.2011 ([X.] U 17/10 R - B[X.]E 108, 274 = [X.]-2700 § 11 [X.]) ausgeführt hat, beruht die gesetzliche Zurechnung auf der (grundsätzlich auch mitwirkungspflichtigen) Teilnahme des Versicherten an einer vom Unfallversicherungsträger oder diesem zurechenbar bewilligten oder angesetzten Maßnahme. Es kommt rechtlich nicht darauf an, ob die Heilbehandlungsmaßnahme durch den Träger objektiv rechtmäßig war oder ob objektiv ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (§ 26 Abs 5 S 1 [X.]) über die Bewilligung eines Anspruchs auf diese Heilbehandlung bestand. Nicht notwendig ist deshalb, dass objektiv, dh aus der nachträglichen Sicht eines fachkundigen Beobachters, die Voraussetzungen eines Versicherungsfalls oder einer Unfallfolge im engeren Sinne wirklich vorlagen. Auch objektiv nicht durch den Arbeitsunfall bedingte Heilbehandlungen können die Tatbestände des § 11 Abs 1 [X.] [X.] oder ggf § 11 Abs 1 [X.] [X.] auslösen.

An dieser Rechtsprechung hält der [X.] trotz der geäußerten Kritik fest (vgl auch B[X.] vom [X.], 909 mwN). Soweit die Beklagte davon ausgeht, diese Rechtsprechung betreffe lediglich den Tatbestand der Untersuchung iS des § 11 Abs 1 [X.] [X.], trifft dies nicht zu. Die Ausführungen des [X.]s bezogen sich ausdrücklich auch auf den Tatbestand des § 11 Abs 1 [X.] [X.]. Entgegen der Auffassung des [X.] und der Beklagten ist der Tatbestand des § 11 Abs 1 [X.] [X.] auch dann erfüllt, wenn der Träger oder sein Leistungserbringer, und dabei insbesondere der D-Arzt, für den Versicherten den Anschein gesetzt hat, es solle eine unfallversicherungsrechtliche Heilbehandlungsmaßnahme durchgeführt werden. Dass der Wortlaut des § 11 Abs 1 [X.] [X.] - anders als § 11 Abs 1 [X.] [X.] - die "Anordnung" einer Heilmaßnahme nicht enthält, spricht nicht gegen diese Auslegung. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass es für den Versicherten unerheblich sei, ob es sich bei der Durchführung einer Heilbehandlung um eine berufsgenossenschaftliche oder sonstige ärztliche Behandlung handele, trifft dies erkennbar nicht zu. Denn bei einer berufsgenossenschaftlichen Behandlung werden ggf Kosten übernommen, die von der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung nicht getragen bzw erstattet werden. Entgegen der Auffassung der Beklagten werden durch diese Auslegung auch nicht Gesundheitsschäden entschädigt, die nicht in die Risikosphäre der gesetzlichen Unfallversicherung fallen. Hat nämlich der Unfallversicherungsträger oder seine Leistungserbringer durch ein ihm zuzurechnendes Verhalten bei dem Versicherten den Anschein geweckt, es solle eine unfallversicherungsrechtliche Heilbehandlungsmaßnahme durchgeführt werden, sind durch diese Behandlung verursachte Schäden gerade auch auf ein Verhalten des [X.] zurückzuführen. Es verwirklicht sich dann ein Risiko, vor dem die gesetzliche Unfallversicherung ebenfalls schützen und für das bei Schadenseintritt durch § 11 Abs 1 [X.] [X.] Entschädigung geleistet werden soll.

Erforderlich ist allerdings, dass der Unfallversicherungsträger die Maßnahme gegenüber dem Versicherten in der Annahme des Vorliegens einer Unfallfolge im engeren Sinne veranlasst hat. Das Unfallereignis muss also notwendige Bedingung der Durchführung der Heilbehandlungsmaßnahme gewesen sein. Für die Frage, ob eine solche dem Versicherten gegenüber angeordnete Maßnahme vorliegt, kommt es entscheidend darauf an, ob der Träger durch seine Organe oder seine Leistungserbringer dem Versicherten den Eindruck vermittelt hat, es solle gerade eine solche Maßnahme des [X.] durchgeführt werden. Zwar reicht allein die bloß irrige Vorstellung des Versicherten, er nehme an einer unfallversicherungsrechtlichen Heilbehandlung teil, nicht aus, den [X.] des § 11 Abs 1 [X.] [X.] zu erfüllen. Anders liegt es jedoch, wenn der Träger oder seine Leistungserbringer für den Versicherten den Anschein, beim Erlass von Verwaltungsakten oder bei der Abgabe von Willenserklärungen ggf auch den Rechtsschein gesetzt haben, es solle eine solche unfallversicherungsrechtliche Maßnahme durchgeführt werden (vgl B[X.] vom 5.7.2011 - [X.] U 17/10 R - B[X.]E 108, 274 = [X.]-2700 § 11 [X.]).

Eine Heilbehandlung iS des § 11 Abs 1 [X.] [X.] liegt deshalb vor, wenn ein D-Arzt der gesetzlichen Unfallversicherung in dieser Funktion zur Behandlung einer von ihm als unfallbedingt eingeschätzten Gesundheitsbeeinträchtigung ohne weiteren Kontakt zum Unfallversicherungsträger tätig wird oder dem Versicherten gegenüber eindeutig und klar erklärt, dass es sich bei dem ärztlichen Eingriff um eine Heilbehandlungsmaßnahme zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund eines Arbeitsunfalls handelt. Denn der D-Arzt hat gemäß § 27 Abs 1 des Vertrags nach § 34 Abs 3 [X.] in der hier anwendbaren, ab 1.1.2011 geltenden Fassung unter Berücksichtigung von Art oder Schwere der Verletzung zu beurteilen und zu entscheiden, ob eine allgemeine Heilbehandlung oder eine besondere Heilbehandlung erforderlich ist. Leitet er eine besondere Heilbehandlung ein, so führt er die Behandlung durch. Dem D-Arzt kommt damit an dieser Stelle die Funktion eines Amtswalters des [X.] zu, der für den Versicherungsträger verbindlich den Behandlungs- und Untersuchungsanspruch des Versicherten konkretisiert und für dessen Fehler der Versicherungsträger ggf zu haften hat (vgl [X.] vom 29.11.2016 - [X.] - [X.]Z 213, 120). Bei den [X.] des § 11 [X.] muss sich der Unfallversicherungsträger daher das Handeln des D-Arztes grundsätzlich zurechnen lassen (vgl B[X.] vom 5.7.2011 - [X.] U 17/10 R - B[X.]E 108, 274 = [X.]-2700 § 11 [X.]; vgl zur Einordnung des Handelns des [X.] als Wahrnehmung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe mit der Folge, dass die Unfallversicherungsträger für etwaige Fehler in diesem Bereich haften, [X.] vom 29.11.2016 - [X.] - [X.]Z 213, 120).

Maßgebend für das Vorliegen des besonderen [X.]s des § 11 Abs 1 [X.] [X.] sind dabei die Anordnungen und sonstigen dem Versicherten gegenüber gezeigten Verhaltensweisen des konkret die Maßnahme ankündigenden und durchführenden [X.] bzw des D-Arztes. Denn der D-Arzt kann durch sein dem Unfallversicherungsträger zurechenbares Handeln den Tatbestand des § 11 Abs 1 [X.] [X.] eröffnen, wenn ein an Treu und Glauben orientierter Versicherter die Erklärungen und Verhaltensweisen des D-Arztes als Aufforderung zur Teilnahme an einer vom Unfallversicherungsträger gewollten Maßnahme verstehen durfte (vgl B[X.] vom 5.7.2011 - [X.] U 17/10 R - B[X.]E 108, 274 = [X.]-2700 § 11 [X.]). Der verletzte Versicherte, der sich ggf in einem akuten, emotional aufgeladenen Krankheitsgeschehen befindet und selbst die medizinischen Fragen nicht überblickt, darf grundsätzlich auf die Angaben des D-Arztes vertrauen. Hat der D-Arzt für den Versicherten den Eindruck erweckt, eine Maßnahme sei zur Behandlung einer Unfallfolge erforderlich und als unfallversicherungsrechtliche Heilbehandlung durchzuführen, muss sich der redliche Versicherte hierauf verlassen können. Allein die Tatsache, dass eine oder ggf sogar mehrere abweichende ärztliche Auffassungen existieren und dem Versicherten gegenüber auch geäußert werden, genügt deshalb in der Regel noch nicht, den durch einen D-Arzt gesetzten Anschein einer durchzuführenden Maßnahme zur Behandlung einer Unfallfolge zu beseitigen. Eine Zurechnung des Verhaltens des D-Arztes im Rahmen des Tatbestands des § 11 Abs 1 [X.] [X.] ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Versicherte zB aufgrund einer klaren Äußerung des D-Arztes Kenntnis hat, dass kein Unfallerstschaden und keine Unfallfolge behandelt werden sollen. Eine Zurechnung kann schließlich auch ausgeschlossen sein, wenn in [X.] Zusammenwirken zwischen D-Arzt und dem verletzten Versicherten Heilmaßnahmen zu Lasten des [X.] vorgenommen werden, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.

c) Auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] kann der [X.] nicht entscheiden, ob der Kläger unter Berücksichtigung dieser Grundsätze nach Treu und Glauben davon ausgehen durfte, dass die [X.] durch den D-Arzt Dr. S. zur Durchführung einer Heilbehandlung iS des § 11 [X.] erfolgte. Das [X.] hat zwar festgestellt, dass Dr. S. in seinem Zwischenbericht über die Untersuchung vom 9.10.2012 eine [X.] für erforderlich gehalten hatte, weil er trotz des [X.] an einen Ursachenzusammenhang glaubte. Ebenso hat es festgestellt, dass er diese [X.] durchführte und dass diese [X.] kausal zu den weiteren, geltend gemachten Gesundheitsschäden führte. Ob jedoch Dr. S. in dem Zeitraum zwischen der ersten Untersuchung und der dann durchgeführten [X.] weiterhin dieser Auffassung war und diese Überzeugung dem Kläger auch so vermittelte, ist den Feststellungen des [X.] nicht zu entnehmen. Das [X.] wird daher aufzuklären haben, ob und welche Umstände vorlagen, die Aufschluss darüber geben könnten, dass Dr. S. bis zu der [X.] weiterhin von einer Behandlung eines Unfallerstschadens ausging und dies dem Kläger gegenüber auch so klar zum Ausdruck brachte. Das [X.] wird dabei insbesondere zu ermitteln haben, welche Erklärungen Dr. S. gegenüber dem Kläger abgegeben hat. Anlass zu weiteren Ermittlungen zu dem Inhalt der Gespräche zwischen Dr. S. und dem Kläger besteht hier auch deshalb, weil andere Ärzte offenbar nicht ohne Weiteres von der erforderlichen Behandlung eines Unfallerstschadens bzw einer unmittelbaren Unfallfolge ausgegangen waren. Durch Befragung des Dr. S. und auch des [X.] wird daher zu ermitteln sein, inwiefern die anderen ärztlichen Ansichten diesem mitgeteilt wurden und inwiefern es dem Kläger klar war, dass über die Notwendigkeit einer unfallversicherungsrechtlichen Heilbehandlung medizinischer Streit bestand. So sah der D-Arzt [X.] in seinem Bericht an die Beklagte vom 9.10.2012 keine [X.]sindikation und regte eine Vorstellung in der [X.] an. Er führte in diesem Bericht aus, dies habe er telefonisch Dr. S. mitgeteilt. Dr. H., tätig für die [X.], hielt in seinem Bericht vom 15.10.2012 eine Arthroskopie zur weiteren Aufklärung für indiziert, wenn sich dies aufgrund von [X.] ergebe. Die Voraussetzungen des [X.]s des § 11 Abs 1 [X.] [X.] dürften hier folglich nur dann gegeben sein, wenn das [X.] zu der Feststellung gelangt, dass die [X.] als Heilbehandlung gemäß § 11 Abs 1 [X.] [X.] von Dr. S. gerade in seiner Eigenschaft als D-Arzt angeordnet wurde und Dr. S. dem Kläger gegenüber den objektivierbaren Anschein oder Rechtsschein gesetzt hat, dass die [X.] im Rahmen der unfallversicherungsrechtlichen Zuständigkeit durchgeführt wird. Konnte der Kläger insofern auf entsprechende Erklärungen und ein diesen entsprechendes Verhalten des Dr. S. vertrauen, so kann dieses Vertrauen auch die Tatsache überwiegen, dass dem Kläger möglicherweise bekannt war, dass andere Ärzte eine unterschiedliche Auffassung zur erforderlichen Heilbehandlung aufgrund des [X.] und des [X.]s vertraten. Insofern verkennt die Revision und auch das [X.], dass der im unmittelbaren Eindruck eines Unfallgeschehens stehende Verletzte kein rational kalkulierendes Subjekt ist, das verschiedene ärztliche Auffassungen zur Kausalität eines unfallbedingten [X.] jeweils objektiv abwägen und beurteilen kann. Jedenfalls spricht die Tatsache allein, dass unterschiedliche Ärzte unterschiedliche Auffassungen vertraten, nicht dafür, dem Kläger von vorneherein abzusprechen, dass er subjektiv und als medizinischer Laie auf eine dieser Meinungen vertrauen durfte.

2. Ob dem Kläger nach § 45 [X.] unter Berücksichtigung der Regelungen des § 46 [X.] Verletztengeld über den [X.] hinaus zu zahlen ist, kann der [X.] schließlich ebenfalls mangels der erforderlichen Feststellungen durch das [X.] nicht entscheiden. Die Beklagte hatte die weitere Zahlung abgelehnt, weil eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit wegen der Handgelenksprellung mit Verschlechterung der Subluxationsstellung im distalen [X.] nur bis 13.11.2012 bestanden habe. Das [X.] wird daher ua festzustellen haben, ob und wie lange unter Berücksichtigung der noch im Einzelnen konkret festzustellenden weiteren Unfallfolgen Arbeitsunfähigkeit bestand, sowie ob die weiteren Voraussetzungen für die Zahlung von Verletztengeld vorlagen.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 2 U 16/17 R

06.09.2018

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Berlin, 23. September 2015, Az: S 678 U 817/13, Urteil

§ 8 Abs 1 SGB 7, § 11 Abs 1 Nr 1 SGB 7, § 555 Abs 1 RVO, § 26 SGB 7, §§ 26ff SGB 7, § 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 06.09.2018, Az. B 2 U 16/17 R (REWIS RS 2018, 4067)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 4067

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