Bundessozialgericht, Urteil vom 15.05.2012, Az. B 2 U 16/11 R

2. Senat | REWIS RS 2012, 6461

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - versicherte Tätigkeit als höchstpersönliche Handlung des Verletzten - Gesundheitserstschaden - Organspende - Komplikation - Abgrenzung - Gesundheitsbeeinträchtigung durch operative Organentnahme an sich - Schutzzweck der Norm


Leitsatz

1. Eine versicherte Tätigkeit kann als höchstpersönliche Handlung nur durch den Verletzten selbst verrichtet werden.

2. Als ein durch eine versicherte Organspende hervorgerufener Gesundheitserstschaden kommt nur eine Gesundheitsbeeinträchtigung in Betracht, die nach den derzeit anerkannten medizinischen Erfahrungssätzen nicht notwendig allein schon durch die operative Organentnahme verursacht wird.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 22. Juni 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.

2

Der Kläger ließ sich für seinen Bruder am 17.10.2002 operativ die linke Niere entnehmen. Während der [X.] wurde zur Nierenentfernung ua ein Flankenschnitt gesetzt, der zu einer partiellen Bauchwandparese links führte. Im Übrigen zeigten sich die stationäre Behandlung vom 16. bis zum [X.], die primäre Wundheilung und der weitere postoperative Verlauf unauffällig.

3

Die Beklagte lehnte es ab, das "Ereignis vom 17.10.2002" als Arbeitsunfall anzuerkennen (Bescheid vom 21.1.2005; Widerspruchsbescheid vom 14.9.2005). Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.11.2007). Das [X.] hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 22.6.2011). Der zu Organentnahme notwendige operative Eingriff erfülle schon den Versicherungstatbestand des § 2 Abs 1 [X.] Buchst b [X.] und scheide damit als Unfallereignis iS des § 8 Abs 1 Satz 2 [X.] aus. Ein Arbeitsunfall komme nur bei einem weiteren von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis in Betracht. Eine über die versicherte Tätigkeit der Organspende hinausgehende äußere Ursache für die partielle Bauchwandparese links liege aber nicht vor. Zudem habe sich der Kläger dem Eingriff freiwillig unterzogen. Die Unfreiwilligkeit einer Einwirkung sei aber dem Unfallbegriff immanent.

4

Mit der vom [X.] zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 2 Abs 1 [X.] Buchst b [X.]. Nach der Systematik des [X.] stelle die Organspende als die den Versicherungsschutz begründende Tätigkeit zwar keinen Unfall dar. Damit wären aber zahlreiche mittel- und langfristig eintretenden Komplikationen nicht geschützt. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei die gesetzliche Krankenversicherung allein für die Organentnahme an sich und die mit ihr zwangsläufig einhergehenden Folgen eintrittspflichtig. In allen anderen Fällen einer im Zusammenhang mit der Organspende stehenden Gesundheitsbeeinträchtigung greife hingegen die gesetzliche Unfallversicherung ein. Als Unfall sei jede Komplikation anzusehen, mit der sich - wie bei der partiellen Bauchwandparese links - nicht lediglich das durch die Organentnahme erhöhte allgemeine Krankheitsrisiko verwirkliche.

5

Der Kläger beantragt,

        

die Urteile des [X.] vom 22. Juni 2011 und des [X.] vom 9. November 2007 abzuändern sowie die Ablehnung der Feststellung eines Versicherungsfalls im Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2005 aufzuheben und festzustellen, dass infolge der Organspende vom 17. Oktober 2002 am 27. Mai 2004 ein Arbeitsunfall eingetreten ist.

6

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Auf das Tatbestandsmerkmal "Unfall" könne ohne Gesetzesänderung nicht verzichtet werden.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die vom [X.] festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.

9

Die Ablehnung der Beklagten, einen Arbeitsunfall anzuerkennen, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf Feststellung dieses Versicherungsfalls aus § 102 [X.] iVm § 8 Abs 1 [X.]. Er hat infolge der Organspende vom 17.10.2002 einen Arbeitsunfall erlitten. Allerdings lässt sich anhand der tatsächlichen Feststellungen des [X.] nicht beurteilen, ob sich der Arbeitsunfall bereits vor dem 5.11.2009 ereignet hat.

Nach § 8 Abs 1 [X.] sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 [X.] begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit, Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte zur [X.] (genauer: davor) durch eine Verrichtung den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt; nur dann ist er kraft Gesetzes Versicherter. Sodann muss diese Verrichtung ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper [X.] und dieses einen [X.] oder den Tod des Versicherten wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität im engeren Sinn; vgl BSG vom 27.3.2012 - [X.] U 7/11 R - zur Veröffentlichung in [X.]-2700 § 2 [X.] vorgesehen).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger hat dadurch, dass er seinem Bruder eine Niere spendete, als ([X.] iS des § 2 Abs 1 [X.] Buchst b [X.] eine versicherte Tätigkeit verrichtet (dazu 1.). Diese Verrichtung hat den zur Organentnahme durchgeführten [X.] als das Unfallereignis (dazu 2.) und dieses hat die partielle [X.] links als [X.] (dazu 3.) rechtlich wesentlich verursacht (dazu 4.). Die Freiwilligkeit der Organspende und die Vorhersehbarkeit der mit der [X.] notwendig verbundenen Körperschäden schließen den Arbeitsunfall nicht aus (dazu 5.). Anhand der bisherigen Tatsachenfeststellungen kann jedoch nicht entschieden werden, wann infolge der Organspende der Arbeitsunfall eingetreten ist (dazu 6.).

1. Nach § 2 Abs 1 [X.] Buchst b [X.] sind Personen versichert, die Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden. Der Tatbestand dieser versicherten Tätigkeit des "Spendens eines Organs" setzt folgende Verrichtungen voraus: Der Spender muss freiwillig und nach Maßgabe des [X.]es ([X.]) in seiner jeweils gültigen Fassung in die Entnahme seines Organs durch ein anerkanntes Transplantationszentrum und in die Übertragung des Organs auf einen gesetzlich zugelassenen Empfänger eingewilligt, sich in ein Transplantationszentrum begeben und sich dort der [X.] einschließlich der Vor- und Nachbehandlung unterworfen haben. Denn das Gesetz soll nur solchen Lebendorganspendern Unfallversicherungsschutz gewähren, die sich zu einer nach Maßgabe des [X.]es rechtmäßigen Organspende bereitfinden.

Der Kläger hat diesen Tatbestand erfüllt, die dafür notwendigen Handlungen vorgenommen. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das seiner Art nach von Dritten beobachtbar und (zumindest auch) auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet (sog objektivierte Handlungstendenz) ist (BSG vom 27.3.2012 - [X.] U 7/11 R - zur Veröffentlichung in [X.]-2700 § 2 [X.] vorgesehen). Der Kläger hat sich freiwillig der [X.] unterzogen, um iS der §§ 8 bis 10 [X.] (hier in der vor dem [X.] geltenden Fassung) für seinen Bruder, einen Verwandten zweiten Grades, die linke Niere, ein körpereigenes Organ, in einem dafür zugelassenen Transplantationszentrum entfernen zu lassen. Durch das Entgegennehmen der insoweit erforderlichen ärztlichen Behandlung war das Verhalten des [X.] darauf gerichtet, das Ziel der ärztlichen Maßnahme, die Übertragung seiner Niere auf seinen Bruder zu erreichen.

Entgegen dem [X.] ist die Verrichtung einer Organspende nicht in der operativen Nierenentnahme durch Ärzte und andere Kräfte des Krankenhauses zu erblicken. Denn der Tatbestand einer versicherten Tätigkeit kann nur durch Verrichtungen/Handlungen des Verletzten selbst erfüllt werden. Die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit ist eine höchstpersönliche Handlung. Eine Zurechnung des Handelns anderer Personen ist hierbei ausgeschlossen.

2. Infolge dieser Verrichtung einer Organspende ist es zu einem Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 [X.] und damit zu einem Arbeitsunfall gekommen. Nach § 8 Abs 1 Satz 2 [X.] sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Das im Wesentlichen durch das Handeln des [X.] verursachte (Unfall-)Ereignis bestand hinsichtlich des hier umstrittenen [X.]s der [X.] links entgegen dem [X.] in dem zur operativen Nierenentnahme durchgeführten chirurgischen [X.] des Transplantationschirurgen. Er war ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper des [X.] [X.], das unmittelbar den physiologischen Zustand des Körpers verändert und die körperliche Integrität des [X.] verletzt hat. Auch dann, wenn die Einwirkung auf den Körper nicht nur zu einer Veränderung seines physiologischen Zustandes, sondern auch zu einer Verletzung der körperlichen (seelischen oder geistigen) Integrität führt, ist zwischen der Einwirkung auf den Körper als mögliche Ursache und dem [X.] (oder dem Tod) als mögliche Wirkung der Einwirkung auf den Körper zu unterscheiden (vgl BSG vom 29.11.2011 - [X.] U 10/11 R - zur Veröffentlichung in [X.]-2700 § 8 [X.] vorgesehen).

Das einwirkende Ereignis erfasst (auch) Geschehnisse, die aufgrund der jeweiligen versicherten Tätigkeit "üblich" sind. Es bedarf keines außergewöhnlichen Vorgangs. Vielmehr genügt jedes Ereignis, bei dem ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkt. Das Erfordernis der Einwirkung von außen dient der Abgrenzung von unfallbedingten Gesundheitsschäden zu Gesundheitsbeeinträchtigungen aus inneren Ursachen sowie zu absichtlichen Selbstschädigungen. Die Einwirkung des Transplantationschirurgen auf den Körper des rechtmäßigen Organspenders, die dessen Körper notwendig verletzt, ist nach dem Tatbestand der versicherten Tätigkeit des Spendens von Organen die Einwirkung, die rechtlich wesentlich Gesundheitserstschäden iS des § 8 Abs 1 Satz 2 [X.] verursachen kann, aber nicht muss (dazu 3.).

Keiner Darlegung bedarf, dass die unfallversicherte Verrichtung des [X.] den [X.] des Transplantationschirurgen rechtlich wesentlich verursacht hat.

3. Der [X.] besteht in der [X.] links, die durch den [X.] (rechtlich wesentlich) verursacht wurde.

[X.] iS des § 8 Abs 1 Satz 2 [X.] ist grundsätzlich jeder regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustand, der unmittelbar durch die (von außen kommende, zeitlich begrenzte) Einwirkung rechtlich wesentlich verursacht wurde, die selbst rechtlich wesentlich durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit verursacht wurde. Von diesem zum Tatbestand des Versicherungsfalls gehörenden Primärschaden sind diejenigen Gesundheitsschäden zu unterscheiden, die rechtlich wesentlich erst durch den Erstschaden verursacht (unmittelbare Unfallfolgen) oder der versicherten Tätigkeit aufgrund der [X.] des § 11 [X.] als Versicherungsfall zuzurechnen sind (mittelbare Unfallfolgen). Das Vorliegen von Unfallfolgen gleich welcher Art ist keine Tatbestandsvoraussetzung des Arbeitsunfalls (vgl hierzu BSG vom 5.7.2011 - [X.] U 17/10 R - zur Veröffentlichung in [X.], 274 und [X.]-2700 § 11 [X.] 1 vorgesehen).

Die [X.] des [X.] ist keine Unfallfolge, sondern der [X.]. Zwar hat bereits der [X.], also die Einwirkung auf den Körper, unmittelbar zu einer Verletzung des Körpers geführt. Schon durch ihn ist in die körperliche Integrität eingegriffen worden. Dies wird grundsätzlich rechtlich missbilligt. Nach dem sog natürlichen Schadensbegriff liegt daher ein Gesundheitsschaden vor. Es handelt sich aber nicht um einen Gesundheitsschaden iS des § 8 Abs 1 Satz 2 [X.]. Denn der natürliche Schadensbegriff bedarf hier einer wertenden Korrektur, die sich aus dem Zweck der den Versicherungsschutz begründenden Vorschrift ergibt (vgl stellv zu solchen Korrekturen [X.] vom 8.4.2008 - VI ZR 49/07 - [X.]Z 176, 109, 114).

Die Gesundheitsschäden, die beim Lebendorganspender durch eine rechtmäßige Transplantation (einschließlich Vor- und Nachbehandlung für die Durchführung der Organentnahme) notwendig verursacht werden, sind nach dem Schutzzweck des § 2 Abs 1 [X.] Buchst b [X.] keine missbilligten Wirkungen des Eingriffs, sondern gehören notwendig zur Organspende, die durch den das [X.] ergänzenden Unfallversicherungsschutz gebilligt wird und gefördert werden soll. Deshalb setzt der [X.] des § 2 Abs 1 [X.] Buchst b [X.] die Hinnahme der zur Organspende erforderlichen Körperverletzung voraus. Sieht aber schon der Tatbestand der versicherten Tätigkeit den operativen Eingriff zur Organentnahme vor, ist der [X.] im Falle einer Organspende nach Maßgabe des Schutzzwecks dieser Vorschrift zu bestimmen.

Die Organtransplantation ist grundsätzlich Teil der dem Organempfänger von der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung zu gewährenden Krankenbehandlung; die ambulante und stationäre Behandlung des Organspenders stellen eine Nebenleistung zu der dem Organempfänger zu erbringenden Behandlungsmaßnahme dar (BSG vom 16.7.1996 - 1 RK 15/95 - [X.], 53 = [X.]-2500 § 27 [X.] 7).

In Abgrenzung zur gesetzlichen Krankenversicherung greift die gesetzliche Unfallversicherung erst dann ein, wenn im Zusammenhang mit der Organentnahme beim Organspender gesundheitliche Schäden auftreten, die über die durch die Organentnahme notgedrungen entstehenden Beeinträchtigungen hinausgehen und in ursächlichem Zusammenhang mit der Organentnahme stehen, oder wenn der Organspender an der Organentnahme verstirbt (vgl BT-Drucks 15/5050 [X.] zu Abschn 7.2.2.1). § 2 Abs 1 [X.] Buchst b [X.] soll (freiwillige) Lebendorganspender gegen alle Gesundheitsbeeinträchtigungen einschließlich des Todes schützen, die durch die Organentnahme verursacht sind und nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft nicht zwingend mit dem operativen Eingriff und einer erforderlichen Vor- und Nachbehandlung einhergehen.

Versicherte Gesundheitserstschäden sind daher nur diejenigen Gesundheitsbeeinträchtigungen, die gerade nicht im Eingriff zu Organentnahme selbst bestehen, also Gesundheitsschäden, die durch die Organentnahme zusätzlich zu den mit ihr notgedrungen verbundenen Beeinträchtigungen wesentlich verursacht wurden. Das operative Geschehen nebst einer Vor- und Nachbehandlung ist hingegen, wie gesagt, das durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit wesentlich bedingte einwirkende Ereignis iS des § 8 Abs 1 Satz 2 [X.]. Eine damit zwingend verbundene [X.] (hier der [X.]) scheidet demnach als [X.] aus.

Als ein durch die Organentnahme [X.] [X.] kommt vielmehr nur eine Gesundheitsbeeinträchtigung in Betracht, die nach den derzeit anerkannten medizinischen [X.] nicht notwendig allein schon durch die operative Organentnahme verursacht wird. Dass eine [X.] zwingend mit einer Nierenentfernung verbunden ist, hat das [X.] nicht festgestellt und ist auch nicht ersichtlich. Es hat jedoch für das BSG bindend festgestellt, dass beim Kläger infolge des [X.]s eine [X.] links aufgetreten ist.

4. Nach dem genannten Schutzzweck des in § 2 Abs 1 [X.] Buchst b Alt 2 [X.] geregelten [X.]es war der [X.] auch die rechtlich wesentliche Ursache für die [X.]. Denn der Unfallversicherungsschutz soll gerade eingreifen, wenn eine rechtmäßige Organspende zu weiteren (üblichen oder unüblichen) Gesundheitsschäden führt, die über die mit der Organentnahme (einschließlich Vor- und Nachbehandlung) notwendig verbundenen Gesundheitsbeeinträchtigungen hinausgehen. Anhaltspunkte dafür, dass das Unfallereignis oder der [X.] durch andere Umstände allein rechtlich wesentlich verursacht worden sein könnte, sind nach den Feststellungen des [X.] und dem Vortrag der Beteiligten offenkundig nicht gegeben.

5. Dem Anspruch auf Feststellung des Arbeitsunfalls steht auch nicht entgegen, dass der Kläger "freiwillig" in die Entnahme seiner Niere eingewilligt hat (§ 8 Abs 1 Satz 1 [X.] 1 Buchst b [X.]), er sich damit freiwillig dem operativen Eingriff unterzogen und die Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität durch die Transplantation vorhergesehen hat.

Die Freiwilligkeit der rechtmäßigen ([X.] und die Vorhersehbarkeit der damit notwendig verbundenen Körperverletzungen sind schon Tatbestandsvoraussetzungen der versicherten Tätigkeit ("Organe…spenden") und können schon deshalb den Eintritt eines Versicherungsfalles nicht ausschließen. Zudem sind die wie auch immer zu verstehende "Freiwilligkeit" der das einwirkende Ereignis verursachenden Verrichtung oder die "Unvorhersehbarkeit" des Gesundheitsschadens keine Tatbestandsvoraussetzungen des gesetzlichen [X.]s des § 8 Abs 1 Satz 2 [X.]. Maßgeblich für die Erheblichkeit oder Unbeachtlichkeit dieser Aspekte ist grundsätzlich der Schutzzweck des jeweiligen [X.]es.

Das BSG hat unter Hinweis auf eine Entscheidung zu § 1252 Abs 2 Reichsversicherungsordnung ([X.]) über die vorzeitige Erfüllung der Wartezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung gesagt, dass die [X.] einer Einwirkung dem [X.] immanent sei, weil ihm ein geplantes, willentliches Herbeiführen der Einwirkung widerspreche (vgl BSG vom 29.11.2011 - [X.] U 23/10 R - Juris Rd[X.] 17 mwN). Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Ausführungen zum [X.] tragend für die damalige Entscheidung waren. Jedenfalls hat es ausdrücklich nur ein "geplantes, willentliches Herbeiführen der Einwirkung" als mit dem Arbeitsunfall unvereinbar bezeichnet. Dem ist mit der Klarstellung beizupflichten, dass ein Versicherungsfall "wegen Freiwilligkeit oder Vorhersehbarkeit" nur dann nicht vorliegen kann, wenn es dem Verletzten gerade darauf ankam (Absicht als dolus directus ersten Grades), durch sein Handeln eine Einwirkung auf seinen Körper und dadurch seinen eigenen Gesundheitsschaden zu verursachen. Dabei kann offen bleiben, ob je nach [X.] schon eine "Verrichtung" der versicherten Tätigkeit mangels einer (auch) auf die Erfüllung eines bestimmten Tatbestandes einer versicherten Tätigkeit gerichteten objektivierten Handlungstendenz abzulehnen ist oder die rechtliche Wesentlichkeit der Verrichtung für die Verursachung des Schadens fehlt.

Das Erfordernis der Einwirkung von außen dient der Abgrenzung von unfallbedingten Gesundheitsschäden zu Gesundheitsbeeinträchtigungen aus inneren Ursachen sowie zu geplanten willentlichen, also absichtlichen, Selbstschädigungen (vgl BSG vom 12.4.2005 - [X.] U 27/04 R - [X.], 269 = [X.]-2700 § 8 [X.] 15, jeweils Rd[X.] 7). Auch bei der Entscheidung zu § 1252 Abs 2 [X.] war ein Fall der versuchten Selbsttötung zu beurteilen und darüber zu entscheiden, ob die Erkrankung "infolge" eines Unfalls eingetreten war. Die früheren Ausführungen zum [X.] stehen daher im Zusammenhang mit der Frage, ob die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit, die absichtlich ausgeübt wird, um ein Unfallereignis herbeizuführen, gerade in rechtlicher Wertung wesentliche Ursache iS der Theorie der wesentlichen Bedingung für den dadurch verursachten [X.] oder Tod sein kann.

Unabhängig davon sind, wie gesagt, die [X.] und Unvorhersehbarkeit keine ausdrücklich genannten oder ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale des gesetzlich definierten [X.]s. § 8 Abs 1 Satz 2 [X.] beschreibt den Unfall nicht als "unfreiwilliges", "unvorhergesehenes" oder "unvorhersehbares", sondern nur als ein von außen auf den Körper [X.], das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt. Für eine Einengung des Anwendungsbereichs dieser für Unfälle infolge sämtlicher versicherten Tätigkeiten geltenden Vorschrift fehlt es an einem dies rechtfertigenden Zweck. Verschiedene in § 2 [X.] aufgeführte Tatbestände einer versicherten Tätigkeit gehen gerade mit der freiwilligen Inkaufnahme eines vorhersehbaren und vorhergesehenen Gesundheitsschadens oder sogar des Todes einher. Nicht nur Helfer bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not oder Retter aus einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für die Gesundheit anderer (§ 2 Abs 1 [X.] Buchst a [X.]; vgl zum [X.] BSG vom 27.3.2012 - [X.] U 7/11 R - zur Veröffentlichung in [X.]-2700 § 2 [X.] vorgesehen), auch Beschäftigte, die sich zur Erfüllung ihrer Pflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis gefährlichen Einwirkungen aussetzen, handeln freiwillig und im Bewusstsein einer vorhersehbaren und ggf vorhergesehenen Beeinträchtigung ihrer körperlichen Integrität.

Gerade auch bei der Organspende iS des § 2 Abs 1 [X.] Buchst b Alt 2 [X.] würde durch eine Beschränkung des [X.]s auf lediglich unfreiwillig erlittene Einwirkungen der Regelungszweck dieses [X.]es vereitelt. Diese Vorschrift schützt gerade diejenigen Personen, die sich freiwillig einer operativen Organentnahme unterziehen. Ihr Schutzzweck, das von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht abgedeckte gesundheitliche Risiko des Organspenders im Zusammenhang mit der Organspende abzusichern (hierzu unter 3.), bliebe weitgehend unerfüllt, wenn lediglich eine zusätzlich zum operativen Eingriff zur Organentnahme (mit Vor- und nachfolgender Heilbehandlung) hinzutretende weitere Einwirkung geeignet wäre, ein Unfallereignis zu begründen. Anhaltspunkte für eine andere Intention des Gesetzes ergeben sich weder aus dem Wortlaut des § 2 Abs 1 [X.] Buchst b [X.] noch aus den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung und ihrer Vorläuferregelung des § 539 Abs 1 [X.] 10 [X.]. Die Freiwilligkeit der Organspende und des insoweit notwendigen operativen Eingriffs ist bereits Bestandteil dieser versicherten Tätigkeit und kann schon deshalb nicht den Versicherungsfall ausschließen.

Da der Kläger nach den Feststellungen des [X.] seine partielle [X.] nicht absichtlich herbeiführen wollte, liegt ein Arbeitsunfall vor.

6. Zu welchem Zeitpunkt infolge der Organspende der Arbeitsunfall eingetreten ist, lässt sich anhand der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des [X.] nicht abschließend beurteilen. Das Berufungsgericht ist auf der Grundlage der von [X.] am 5.11.2009 durchgeführten ambulanten Untersuchung davon ausgegangen, dass der [X.] zu einer Vorwölbung der Bauchwand im kranialen Bereich iS einer partiellen Parese geführt hat. Damit ist lediglich festgestellt, dass jedenfalls am 5.11.2009 der [X.] entstanden war. Ein davor liegender Zeitpunkt der Entstehung der [X.] wird dadurch aber nicht ausgeschlossen. Diesen wird das [X.] daher noch zu klären haben.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 2 U 16/11 R

15.05.2012

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Halle (Saale), 9. November 2007, Az: S 6 U 164/05, Urteil

§ 2 Abs 1 Nr 13 Buchst b SGB 7, § 8 Abs 1 S 1 SGB 7, § 8 Abs 1 S 2 SGB 7, § 8 TPG, § 9 TPG, § 10 TPG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 15.05.2012, Az. B 2 U 16/11 R (REWIS RS 2012, 6461)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6461

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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