Bundessozialgericht, Beschluss vom 13.02.2013, Az. B 2 U 311/12 B

2. Senat | REWIS RS 2013, 8205

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Verletzung der Amtsermittlungspflicht - Übergehen eines Beweisantrags auf Vernehmung des behandelnden Arztes als Zeugen - Zweck und Grund der medizinischen Behandlung - Feststellung von Gesundheitsschäden als mittelbare Folgen eines Arbeitsunfalls


Tenor

Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 24. Juli 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten über die Feststellung von Gesundheitsschäden als mittelbare Folgen eines Arbeitsunfalls vom 5.7.2004.

2

Am 5.7.2004 wollte der Kläger Schweine aus einem Stall treiben, dabei drückten diese das vor den Körper gehaltene Treibblech gegen das linke Knie des [X.], das verdreht wurde. Er stellte sich am 12.7.2004 in der Praxis des Durchgangsarztes [X.]. vor und ließ sich wegen unfallbedingter Kniebeschwerden behandeln. Der Arzt äußerte den Verdacht auf einen Meniskusschaden und veranlasste radiologische Untersuchungen. Weiter veranlasste er eine Arthroskopie, die [X.] am [X.] durchführte und über die [X.]. den Operationsbericht verfasste. Schließlich stellte [X.], mit Schreiben vom 29.7.2004 fest, die weitere Behandlung habe über die Krankenkasse zu erfolgen, da keine frische Unfallverletzung vorliege. Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen wegen des Ereignisses vom 5.7.2004 ab (Bescheid vom 13.10.2005, Widerspruchsbescheid vom 29.6.2006).

3

Die hiergegen erhobene Klage ist beim [X.] ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 20.5.2010). Auf die Berufung des [X.] hat das [X.] die Anerkennung von mittelbaren Unfallfolgen geprüft und die Beklagte mit Urteil vom [X.] verpflichtet, eine [X.] sowie daraus resultierende Knorpelschäden links als Unfallfolge anzuerkennen. Der Zustand nach [X.] stelle eine mittelbare Unfallfolge dar, für die die Beklagte nach § 11 Abs 1 [X.] oder 3 [X.] aufzukommen habe. Der Kläger habe "aufgrund des Verhaltens des Durchgangsarztes [X.]. bzw. seines Operateurs [X.] jedenfalls berechtigterweise davon ausgehen dürfen, dass die Behandlung/Untersuchung zur Aufklärung des Sachverhalts und/oder zur Durchführung einer Heilbehandlung … durchgeführt wurde" Dies ergebe sich aus der Stellungnahme des [X.], der dem Kläger gegenüber als behandelnder Arzt aufgetreten sei. Deshalb sei der Senat "nicht gezwungen", dem hilfsweise gestellten Beweisantrag der Beklagten zu folgen und [X.]. als Zeugen zu der Frage zu vernehmen, welche Erklärungen er dem Kläger gegenüber hinsichtlich des Zwecks oder der Gründe für die Arthroskopie gegeben hat, denn auf seine Sichtweise komme es nicht an.

4

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Beklagte einen Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung des [X.] beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] SGG), sowie den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] SGG) geltend. Das [X.] habe ihren Beweisantrag auf Vernehmung des [X.]. als Zeugen ohne hinreichende Begründung übergangen.

5

II. [X.] (a) und begründet (b). Das angefochtene Urteil des Bayerischen [X.] ist unter Verletzung der Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG) ergangen und beruht auf dieser Verletzung.

6

a) Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der gerügte Verfahrensmangel (Verletzung des § 103 SGG) ergibt. Die Beklagte hat hinreichend deutlich gemacht, dass sie einen förmlichen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] gestellt hat und das [X.] sich von seiner Rechtsauffassung ausgehend zu der beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen. Die Beklagte hat auch dargetan, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhen kann.

7

b) Das [X.] hat die Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG), dadurch verletzt, dass es dem Beweisantrag der Beklagten, [X.]. als Zeugen zu der Frage zu vernehmen, was er dem Kläger gegenüber vor der Arthroskopie als deren Zweck angegeben hat, ohne hinreichende Gründe nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 SGG).

8

"Ohne hinreichende Begründung" iSd § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 SGG ist nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen. Entscheidend ist, ob das [X.] sich von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den Beweis zu erheben ([X.]-1500 § 160a [X.] Rd[X.] 9), weil trotz vorliegender Beweismittel Fragen zum Sachverhalt offengeblieben sind, zur weiteren Klärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestand und die zu ermittelnden Tatsachen auch nach Auffassung des [X.] entscheidungserheblich sind (BSG vom [X.] - B 2 U 8/06 B - juris Rd[X.] 7 mwN).

9

Danach hätte das [X.] von einer Vernehmung des Zeugen [X.]. nicht absehen dürfen. Die Beklagte hat einen prozessordnungsgemäßen [X.] gestellt. Sie hat darin sowohl das Beweismittel (Vernehmung des [X.]. als Zeugen) als auch das Beweisthema (Welche Erklärungen hat [X.]. dem Kläger gegenüber hinsichtlich des Zwecks der Arthroskopie gegeben?) angegeben und begehrt, dass hierüber Beweis erhoben werden soll (vgl [X.]-1500 § 160a [X.]1 Rd[X.] 6).

Die unter Beweis gestellte Tatsache war auch aus Sicht des [X.] entscheidungserheblich. Bei der Zurechnung von Gesundheitsschäden - hier am Kniegelenk - als mittelbare Unfallfolge nach § 11 Abs 1 [X.] oder 3 [X.] kommt es darauf an, welche Erklärungen der Unfallversicherungsträger oder die für ihn eingeschalteten Ärzte gegenüber dem Versicherten abgegeben haben (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - [X.], 274 = [X.]-2700 § 11 [X.]; BSG vom [X.], 909). Ob sich eine medizinische Maßnahme als Durchführung einer Heilbehandlung (§ 11 Abs 1 [X.] [X.]) oder als Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls (§ 11 Abs 1 [X.] [X.]) durch die Beklagte darstellt, beurteilt sich danach, wie der Versicherte ein der Beklagten zuzurechnendes Verhalten bei verständiger Würdigung der objektiven Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Durchführung verstehen kann und darf (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - [X.], 274 = [X.]-2700 § 11 [X.], Rd[X.] 43). Es kommt nicht nur auf die subjektive Wahrnehmung des [X.] zum Zeitpunkt der Erbringung der Maßnahme an, sondern auch auf die objektiven Gegebenheiten, insbesondere die Erklärungen, die die Beklagte oder die von ihr eingeschalteten Ärzte gegeben haben (BSG vom [X.] - juris Rd[X.]0).

Das [X.] hat diese Anforderung an die Zurechnung einer mittelbaren Unfallfolge zutreffend erkannt und selbst angenommen, dass es entscheidend darauf ankommt, ob sich die Arthroskopie nach den objektiven Gegebenheiten für den Kläger als Maßnahme zur Klärung des Sachverhalts oder als Heilbehandlung darstellte. Denn das [X.] führte aus, der Kläger habe aufgrund des "Verhaltens des Durchgangsarztes [X.]. bzw. seines Operateurs [X.]" davon ausgehen dürfen, dass die Behandlung zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Durchführung einer Heilbehandlung durchgeführt werde. Andererseits hat das [X.] auch festgestellt, der benannte Zeuge [X.]. sei nicht als behandelnder Arzt aufgetreten und könne zum Beweisthema also keine Angaben machen. [X.] Arzt sei vielmehr [X.] gewesen, wie der Kläger glaubhaft versichert habe. Dies widerspricht aber der weiteren Feststellung des [X.], dass der Kläger sich am 12.7.2004 bei [X.]. vorstellte und dieser sowohl Röntgenuntersuchung und MRT ([X.] des Urteils) als auch die Arthroskopie vom [X.] "veranlasste" ([X.] des Urteils). Danach liegt die Annahme fern, dass [X.]. keine Aussage darüber machen kann, welche Erläuterung, Erklärung oder Aufklärung er dem Kläger zu der Notwendigkeit einer Arthroskopie oder deren Zwecke gegeben hat.

Das angefochtene Urteil kann auf dem gerügten Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass das [X.] ohne den Verfahrensfehler zu einem für die Beklagte günstigeren Ergebnis gekommen wäre. Angesichts des vorliegenden [X.] kann dahingestellt bleiben, ob die von der Beklagten außerdem erhobene Rüge der Divergenz gemäß § 160 Abs 2 [X.] SGG ebenfalls durchgreift.

Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] SGG vor, kann das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverweisen (§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch, denn die Zulassung der Revision könnte nicht zu einer abschließenden Entscheidung des Senats in der Sache führen, weil noch nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen festgestellt sind.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 2 U 311/12 B

13.02.2013

Bundessozialgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: U

vorgehend SG Nürnberg, 20. Mai 2010, Az: S 2 U 201/06, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 103 SGG, § 11 Abs 1 Nr 1 SGB 7, § 11 Abs 1 Nr 3 SGB 7

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 13.02.2013, Az. B 2 U 311/12 B (REWIS RS 2013, 8205)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8205

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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