Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.12.2015, Az. VIII ZR 76/13

8. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 687

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Gegenstand

Tarifkundenvertrag im Rahmen der Grundversorgung: Wirksamkeit einer über die Bezugskostensteigerung hinausgehende Preisbestimmung des Energieversorgers


Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision der Kläger durch einstimmigen Beschluss nach § 552a ZPO zurückzuweisen.

Gründe

I.

1

Die Kläger beziehen von der [X.], einem regionalen Energieversorgungsunternehmen, als [X.] im Rahmen der Grundversorgung leitungsgebunden Erdgas. Die [X.] erhöhte den Arbeitspreis für den [X.] einseitig zum 1. Oktober 2004 (von 3,18 Cent/kWh auf 3,58 Cent/kWh), zum 1. Oktober 2005 (von 3,58 Cent/kWh auf 4,16 Cent/kWh) und zum 1. Januar 2006 (von 4,16 Cent/kWh auf 4,52 Cent/kWh). Die Kläger widersprachen den Preiserhöhungen. Mit der Klage nehmen sie die [X.] auf Feststellung in Anspruch, dass die genannten Preiserhöhungen unbillig und unwirksam sind. Das Amtsgericht hat die [X.] antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der [X.] hat das [X.] das amtsgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

2

Der Senat hat das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom 3. September 2013 gemäß § 148 ZPO analog im Hinblick auf das beim Gerichtshofs der [X.] (im Folgenden: Gerichtshof) damals aufgrund des Vorlagebeschlusses des Senats gemäß Art. 267 AEUV im Verfahren [X.] anhängige Verfahren [X.]/11 ausgesetzt. In diesem Verfahren ist am 23. Oktober 2014 die Entscheidung des Gerichtshofs ergangen ([X.]/11 und [X.]/11, [X.], 849 - [X.] und Egbringhoff).

II.

3

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht (mehr) vor (§ 552a Satz 1, § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 ZPO). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

4

1. Das Berufungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, weil es Zweifel hat, ob § 4 Abs. 1, 2 [X.] mangels Transparenz als Rechtsgrundlage für Preiserhöhungen gegenüber [X.] weiterhin herangezogen werden kann. Diese Zweifel sind indes durch die grundlegenden, nach Erlass des Berufungsurteils verkündeten Entscheidungen des Senats vom 28. Oktober 2015 ([X.], [X.], 2226, zur [X.] in [X.] bestimmt, und [X.], juris) beseitigt, so dass ein Klärungsbedarf nicht mehr besteht.

5

Der Senat hat in seiner früheren ständigen Rechtsprechung aus § 4 Abs. 1, 2 [X.] beziehungsweise aus § 5 Abs. 2 [X.] (in der bis zum 29. Oktober 2014 geltenden Fassung vom 26. Oktober 2006 [BGBl. I S. 2391]; im Folgenden [X.] aF) ein nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) bestehendes Preisänderungsrecht des [X.] entnommen (vgl. nur Senatsurteile vom 13. Juni 2007 - [X.], [X.] 172, 315 Rn. 14 ff.; vom 19. November 2008 - [X.], [X.] 178, 362 Rn. 26; ebenso [X.], Urteil vom 29. April 2008 - [X.], [X.] 176, 244 Rn. 26, 29). Wie der Senat - nach Erlass des Berufungsurteils -  im [X.] an das vorgenannte Urteil des Gerichtshofs vom 23. Oktober 2014 entschieden hat, kann aus § 4 Abs. 1 und 2 [X.] beziehungsweise aus § 5 Abs. 2 [X.] aF für die [X.] ab 1. Juli 2004 - dem Ablauf der Umsetzungsfrist der [X.] 2003/55/[X.] - ein einseitiges Preisänderungsrecht des Versorgers nicht entnommen werden, weil eine solche Annahme nicht mit den Transparenzanforderungen des Art. 3 Abs. 3 Sätze 4 bis 6 in Verbindung mit Anhang A der vorgenannten [X.] (aufgehoben zum 3. März 2011 durch Art. 53 der [X.] 2009/73/[X.]) zu vereinbaren ist (Senatsurteile vom 28. Oktober 2015 - [X.], aaO Rn. 33 ff.; und [X.], aaO Rn. 35 ff.).

6

Wie der Senat in den Urteilen vom 28. Oktober 2015 ([X.], aaO Rn. 66 ff. und [X.], aaO Rn. 68 ff.) weiter entschieden hat, ergibt sich jedoch aus der gebotenen und an dem objektiv zu ermittelnden hypothetischen Willen der Vertragsparteien [X.] ergänzenden Auslegung (§§ 157, 133 BGB) eines - wie hier - auf unbestimmte Dauer angelegten Gaslieferungsvertrags, dass der Grundversorger berechtigt ist, Steigerungen seiner (Bezugs-)Kosten, soweit diese nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, während der Vertragslaufzeit an seine Kunden weiterzugeben, und er verpflichtet ist, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Die Beurteilung der Wirksamkeit einer einseitigen Preisbestimmung des Grundversorgers während der Vertragslaufzeit konzentriert sich mithin auf die tatsächliche Frage, ob die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind.

7

2. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat das Berufungsgericht  im Ergebnis richtig entschieden, so dass die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat.

8

a) Das Berufungsgericht hat bei seiner Beurteilung, die Preisbemessung der [X.] sei wirksam, maßgeblich darauf abgestellt, dass die [X.] in dem durch die Feststellungsklage zur Überprüfung gestellten [X.]raum 2004 bis 2006 Bezugskostensteigerungen in Höhe von insgesamt 1,3256 Cent/kWh zu verzeichnen hatte, wovon sie jedoch nur 1,2400 Cent/kWh an die Kläger weiterberechnet hat. Dies sei nicht als unbillig anzusehen.

9

b) Diese Entscheidung ist - auch wenn sie unter dem im Rahmen der vorgenannten ergänzenden Vertragsauslegung nicht maßgeblichen Blickwinkel der Billigkeit nach § 315 BGB (vgl. Senatsurteile vom 28. Oktober 2015 - [X.], aaO Rn. 100, und [X.], aaO Rn. 102) getroffen wurde - im Ergebnis nicht zu beanstanden. Denn die [X.] kann sich bei den im [X.]raum 2004 bis 2006 vorgenommenen Preiserhöhungen auf ein in ergänzender Auslegung des Gaslieferungsvertrags der Parteien bestehendes Preisänderungsrecht stützen, weil sie ihre Bezugskostensteigerungen auf den gesamten [X.]raum bezogen nicht einmal vollständig an die Kläger weitergegeben hat.

aa) Zwar berechnete die [X.] den Klägern nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im [X.] einen um 0,3 Cent/kWh erhöhten Arbeitspreis, obwohl in diesem Jahr ihre Bezugskosten nur um 0,13259 Cent/kWh stiegen. Diese im [X.] zu verzeichnende zu starke Erhöhung glich sich in den Folgejahren 2005 und 2006 jedoch aus. So hatte die [X.] im Jahr 2005 Erhöhungen ihrer Bezugspreise in einer Gesamthöhe von 0,7685 Cent/kWh hinzunehmen, wovon sie jedoch nur 0,55 Cent/kWh an die Kläger weitergegeben hat. Ähnliches hat das Berufungsgericht für das [X.] festgestellt. Zum 1. Januar 2006 erhöhte der Vorlieferant die Bezugskosten der [X.] um 0,4212 Cent/kWh, wovon die [X.] den Klägern jedoch nur 0,39 Cent/kWh weitergaben. Das Berufungsgericht hat, die mit der Feststellungsklage angegriffenen Preiserhöhungen in ihrer Abfolge in den Blick nehmend, zusammenfassend festgestellt, dass die [X.] in dem [X.]raum 2004 bis 2006 Bezugskostensteigerungen in Höhe von 1,3256 Cent/kWh ausgesetzt war, von denen sie die Kläger jedoch nur in einer Höhe von nur 1,24 Cent/kWh belastet hat.

bb) Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Preisbemessung der [X.] auf der Grundlage dieser Feststellungen und unter Berücksichtigung der nachstehend unter (2) angeführten Umstände als wirksam angesehen und seine diesbezügliche Beurteilung an dem gesamten in Streit stehenden [X.]raum ausgerichtet hat.

(1) Der Senat hat in den Urteilen vom 28. Oktober 2015 ([X.], aaO Rn. 101, und [X.], aaO Rn. 103) entschieden, dass dem Tatrichter bei der Beurteilung, ob die Preiserhöhungen des Energieversorgers dessen (Bezugs-)Kostensteigerungen (hinreichend) abbilden, ein Ermessen zusteht. Dessen Ausübung unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung darauf, ob sie auf grundsätzlich falschen oder offenbar unrichtigen Erwägungen beruht, erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Bemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder bei einer etwaigen Schätzung unrichtige Maßstäbe zu Grunde gelegt wurden.

So hat der Senat die auch im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung zu berücksichtigende tatrichterliche Erwägung gebilligt, dass dem Energieversorgungsunternehmen bei der Weitergabe von (Bezugs-)Kosten-steigerungen - auch mit Rücksicht auf die oftmals nicht sicher voraussehbare Entwicklung der Bezugskosten - ein Ermessensspielraum zuzugestehen ist. Denn bei einem Massengeschäft wie dem [X.]vertrag liegt es - auch aus Praktikabilitätsgründen - im Interesse beider Vertragsparteien, eine Weitergabe von Kostensenkungen und Kostenerhöhungen nicht - was regelmäßig mit einem die Energieversorgung unnötigerweise verteuernden hohen Aufwand verbunden wäre - tagesgenau vorzunehmen, sondern auf die Kostenentwicklung in einem gewissen [X.]raum abzustellen. Wie lange der [X.]raum für die vorbezeichnete Gesamtbetrachtung sein muss, lässt sich, wenn auch das Gaswirtschaftsjahr ein in den meisten Fällen geeigneter Prüfungsmaßstab sein wird, nicht generell bestimmen, sondern bedarf der Beurteilung des Tatrichters auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls (Senatsurteile vom 28. Oktober 2015 - [X.], aaO Rn. 101 ff., und [X.], aaO Rn. 103 ff.).

(2) Ausgehend hiervon hält sich die im Streitfall vom Berufungsgericht an der Gesamtbetrachtung des streitgegenständlichen Streitraums ausgerichtete Bewertung noch innerhalb des vorstehend aufgezeigten tatrichterlichen Beurteilungsermessens.

Insbesondere hat es das Berufungsgericht angesichts der von ihm aufgezeigten Umstände des Einzelfalls rechtsfehlerfrei als nicht zu beanstanden angesehen, dass die [X.] den Klägern bezogen auf das Gaswirtschaftsjahr 2004 mit der Preiserhöhung vom 1. Oktober 2004 0,16741 Cent/kWh mehr in Rechnung gestellt hat, als sie ihrem Vorlieferanten für den Einkauf zu zahlen hatte. Das Berufungsgericht hat sich nach Zeugeneinvernahme davon überzeugen können, dass der [X.] die Preiserhöhungen seitens ihrer Lieferanten erst rückwirkend mitgeteilt wurden und auch die Abrechnungszeiträume nicht mit denjenigen gegenüber den Klägern identisch waren. Der [X.] ist daher nach Auffassung des Berufungsgerichts ein gewisser unternehmerischer Risikozuschlag bei der Preisbemessung zuzugestehen, der die über die Bezugskostensteigerung hinausgehende Preisbestimmung im [X.] rechtfertigt. Diese im Streitfall getroffene Wertung des Berufungsgerichts ist aus Rechtsgründen jedenfalls deshalb nicht zu beanstanden, weil das Berufungsgericht, gestützt auf sachverständige Ausführungen, zugleich festgestellt hat, dass die [X.] in den unmittelbar folgenden [X.]sjahren 2005 und 2006 nicht alle ihr entstandenen Bezugskostensteigerungen weitergegeben hat, mit der Folge, dass den Klägern über den streitgegenständlichen Gesamtzeitraum 2004 bis 2006 ein Kostenvorteil entstand, weil die [X.] Bezugskostensteigerungen von 1,3256 Cent/kWh nur in Höhe von 1,24 Cent/kWh an die Kläger weiterberechnete.

c) Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet; von einen näheren Begründung wird gemäß § 564 ZPO abgesehen.

3. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Dr. [X.]

                    Dr. Bünger                                    Kosziol

Hinweis:

Das Revisionsverfahren ist durch Zurückweisungsbeschluss erledigt worden.

Meta

VIII ZR 76/13

15.12.2015

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 14. Februar 2013, Az: 9 S 574/06

§ 133 BGB, § 157 BGB, § 315 BGB, § 4 Abs 1 AVBGasV, § 4 Abs 2 AVBGasV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.12.2015, Az. VIII ZR 76/13 (REWIS RS 2015, 687)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 687


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 1131/16

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1131/16, 17.11.2017.


Az. VIII ZR 76/13

Bundesgerichtshof, VIII ZR 76/13, 15.12.2015.


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Energielieferungsvertrag: Einseitige Preisbestimmung durch das Energieversorgungsunternehmen


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