Bundessozialgericht, Urteil vom 26.04.2016, Az. B 2 U 14/14 R

2. Senat | REWIS RS 2016, 12348

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Gesetzliche Unfallversicherung - Höhe der Verletztenrente - Neuberechnung des Jahresarbeitsverdienstes - Diplom-Chemiker - Teilzeittätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft mit Abschluss - Maßgeblichkeit des zum Unfallzeitpunkt lebensstandardsichernden Entgelts ungeachtet späterer Promotion - Abgrenzung: Berufsausbildung und berufliche Weiterbildung - keine erhebliche Unbilligkeit iS von § 577 RVO - anzuwendendes Recht)


Leitsatz

Der Jahresarbeitsverdienst eines Chemikers ist ungeachtet der noch ausstehenden Promotion endgültig auf der Grundlage des Entgelts zu bemessen, das zum Unfallzeitpunkt den Lebensstandard gesichert hat.

Tenor

Die Revision wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 [X.]B X über die Höhe des [X.] ([X.]) als Grundlage für die Berechnung der Verletztenrente des [X.].

2

Der am 1954 geborene Kläger verunfallte am [X.] mit seinem Motorrad auf dem Weg zu seiner Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft an der [X.], wodurch er eine komplette Querschnittslähmung ab dem vierten [X.] erlitt. Seit dem 15.7.1981 war er dort als "wissenschaftliche Hilfskraft mit Abschluss" im Fachbereich Chemie mit 92 Stunden im Monat zu einem Jahreseinkommen von 21 126,58 [X.] brutto zuzüglich 1902,83 [X.] entsprechend einer halben [X.] beschäftigt. Zuvor hatte er das Studium der Chemie als [X.] abgeschlossen. Zum Zeitpunkt des Unfalls war er verheiratet und hatte drei Kinder. Das Arbeitsverhältnis war zunächst bis Ende 1983 befristet, wurde jedoch im Hinblick auf den Unfall bis Juli 1985 verlängert, sodass der Kläger seine Promotion am 13.2.1985 zum Abschluss bringen konnte. Der Kläger hatte ohne den Unfall den Abschluss der Promotion im Februar 1984 geplant.

3

Die Beklagte bewilligte durch Bescheid vom 23.8.1984 dem Kläger Verletztenrente ab 1.6.1984 nach einer MdE von [X.] und legte hierbei einen [X.] von 23 029,41 [X.] (11.6.1984 bis 30.6.1984) bzw 23 331,09 [X.] (ab 1.7.1984 wegen einer Rentenanpassung) zugrunde.

4

Am 8.12.2004 beantragte der Kläger die Überprüfung des [X.] mit der Maßgabe, dieser sei auf der Grundlage einer vollschichtigen Berufstätigkeit als [X.] zu berechnen.

5

Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheids vom 23.8.1984 sowie die Neuberechnung der Verletztenrente ab (Bescheid vom 26.2.2008). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21.11.2008).

6

Auf die Klage vom 3.12.2008 hat das [X.] durch Urteil vom 6.10.2011 den Bescheid vom 26.2.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.11.2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, unter Zurücknahme des Bescheids vom 23.8.1984 die Verletztenrente des [X.] ab 1.1.2000 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu berechnen sowie im Übrigen die Klage abgewiesen. Der seitens der Beklagten zugrunde gelegte [X.] sei unbillig iS des § 577 [X.].

7

Auf die Berufung der Beklagten hat das L[X.] durch Urteil vom [X.] das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Es hat außerdem die Anschlussberufung des [X.] zurückgewiesen. Die Beklagte habe im Bescheid vom 23.8.1984 die Höhe der Verletztenrente des [X.] zutreffend bemessen und sei insbesondere bei Feststellung des [X.] zu Recht von den Einkünften des [X.] entsprechend einer halben [X.] ausgegangen. Die nach § 44 Abs 1 [X.]B X maßgebliche Frage der zutreffenden [X.]-Bemessung sei vom Senat nach den §§ 570 bis 578 [X.] zu beurteilen. Die [X.]B VII-Bestimmungen für "Altfälle" seien nur bei erstmaliger [X.]-Feststellung oder bei erstmaliger Neufeststellung des [X.] nach § 90 [X.]B VII vorgesehen, nicht aber bei einer Überprüfung nach § 44 Abs 1 [X.]B X. Da der Kläger zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls das Examen als [X.] bereits abgelegt habe, habe er keinen Anspruch auf Neufeststellung des [X.] nach § 573 Abs 1 [X.] gehabt.

8

Entgegen der erstinstanzlichen Auffassung komme eine Korrektur des [X.] über die Billigkeitsregelung des § 577 [X.] nicht in Betracht. Bei der Bewertung, ob der [X.] unbillig sei, stehe dem Versicherungsträger kein Beurteilungsspielraum zu. Ein Arbeitsentgelt, das einen nicht nur vorübergehend niedrigeren, dem Lebensstandard des Verletzten entsprechenden Verdienst [X.], sei grundsätzlich nicht als erheblich unbillig angesehen worden. Die Einkommenssituation des [X.] und seiner Familie sei Mitte 1981 geprägt gewesen durch das aus der halben [X.] erzielte Einkommen als wissenschaftliche Hilfskraft.

9

Mit seiner Revision gegen das am 29.7.2014 zugestellte Urteil des L[X.] rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung des § 44 [X.]B X sowie des § 573 Abs 1 [X.] als auch des § 577 [X.]. Nach dem Wortsinn diene eine Berufsausbildung der Vermittlung bzw dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten, die zur späteren Ausübung des Berufs benötigt werden. Für die berufliche Tätigkeit als Chemiker werde - anders als bei vielen anderen akademischen Ausbildungsgängen - der erfolgreiche Abschluss eines Promotionsverfahrens als Eingangsqualifikation verlangt. Lediglich 5 bis 7 % der [X.] verließen die [X.] ohne Promotion. Das L[X.] selbst habe die doppelte Ungleichbehandlung für promovierte Chemiker und für andere Naturwissenschaftler genannt. Schließlich beruhe das Urteil des L[X.] auch auf einer Verletzung des § 577 [X.]. Zu berücksichtigen sei im Rahmen des § 577 [X.], wo der Versicherte den Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit bilden werde. Als vorübergehend sei ein niedrigeres Einkommen auch dann einzustufen, wenn es über einen längeren Zeitraum als ein Jahr gezahlt werde, allerdings nach der Art der Beschäftigung und der bestehenden Befristung zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls bereits sicher feststehe, dass es [X.] über den Zeitraum des [X.] hinausgehend nicht maßgeblich sein werde. Die Dauerhaftigkeit sei nicht gegeben, weil das Beschäftigungsverhältnis mit der [X.] lediglich befristet und definitiv eine Verlängerung nach Abschluss des Promotionsverfahrens ausgeschlossen gewesen sei. Die Vergütung des [X.] sei als Teilzeittätigkeit um 50 % unter einer qualifikationsadäquaten Vergütung zurückgeblieben.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] vom 29. April 2014 aufzuheben, das Urteil des [X.] vom 6. Oktober 2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Februar 2008 und des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2008 die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 23. August 1984 abzuändern und dem Kläger ab dem 1. Januar 2000 Rente nach einem Jahresarbeitsverdienst entsprechend dem Gehalt eines vollschichtig tätigen promovierten [X.]s zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass die Revision bereits unzulässig sei, weil der Revisionskläger die Voraussetzungen des § 44 [X.]B X nicht in Frage gestellt habe. Darüber hinaus liege weder eine Verletzung des § 573 [X.] noch des § 577 [X.] vor.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Der Revisionsbegründung lässt sich sinngemäß entnehmen, dass das Begehren des [X.] auf Überprüfung einer bestandskräftigen Verwaltungsentscheidung in einem Zugunstenverfahren gerichtet ist und er damit zwangsläufig eine Verletzung von § 44 [X.] rügt. Auch im Übrigen genügt die Revision den Zulässigkeitsanforderungen gemäß § 164 Abs 2 Satz 3 SGG (BSG vom 19.8.2003 - [X.] U 38/02 R - [X.] 4-2700 § 2 [X.] Rd[X.] 7; [X.]/[X.], SGG, § 164 Rd[X.]9).

Die Revision ist jedoch nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.], durch welche es die Beklagte abgelehnt hat, ihren Bescheid vom 23.8.1984 abzuändern und dem [X.]läger Rente ab dem 1.1.2000 nach einem [X.] entsprechend dem Gehalt eines vollschichtig tätigen promovierten [X.] zu gewähren (vgl BSG vom 23.7.2015 - [X.] U 9/14 R - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen, [X.] 4-2700 § 82 [X.] Rd[X.]1).

Statthafte [X.]lageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage sowie Leistungsklage gemäß § 54 Abs 1 und [X.] SGG. Die Anfechtungsklage zielt auf die Aufhebung der Überprüfungsbescheide, die Verpflichtungsklage auf die Aufhebung des bestandskräftigen Bescheids vom 23.8.1984 sowie die Leistungsklage auf Zahlung einer höheren Rente ab (BSG vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R - [X.] 115, 126 = [X.] 4-1300 § 44 [X.], Rd[X.]1; BSG vom 19.12.2013 - [X.] U 17/12 R - [X.] 4-2700 § 73 [X.] Rd[X.]2; BSG vom 11.4.2013 - [X.] U 34/11 R - [X.] 4-2700 § 200 [X.] Rd[X.]5; [X.] in [X.]/[X.], SGG, § 54 Rd[X.]32).

Die zulässigen [X.]lagen sind nicht begründet. Anspruchsgrundlage für das Begehren des [X.] ist § 44 Abs 1 Satz 1 [X.], wonach ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die Beklagte ist weder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen (§ 44 Abs 1 Satz 1 2. Alt [X.]), was seitens der Revision auch nicht geltend gemacht wird, noch hat sie bei Erlass des Bescheids vom 23.8.1984 entgegen der Auffassung des [X.] das Recht unrichtig angewandt (§ 44 Abs 1 Satz 1 1. Alt [X.]). Sie hat zutreffend die Normen der [X.] zugrunde gelegt (dazu unter 1.). Das [X.] hat ebenso zutreffend die Berechnung des [X.] nach § 571 [X.] nicht beanstandet und ist davon ausgegangen, dass sich der [X.]läger zum [X.]punkt des [X.] vom [X.] nicht mehr in der Berufs- oder Schulausbildung iS von § 573 Abs 1 [X.] befand (dazu unter 2.). Schließlich war die Zugrundelegung eines hälftigen Jahreseinkommens nach [X.] auch nicht grob unbillig iS von § 577 [X.] (dazu unter 3.).

1. Zutreffend hat das [X.] die Normen der [X.] zugrunde gelegt. Nach § 212 [X.] gelten die §§ 1 bis 211 [X.] (nur) für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten des [X.] eingetreten sind, sodass für vor diesem Termin liegende Versicherungsfälle weiterhin die Vorschriften des [X.] der [X.] Anwendung finden. Weder erfolgte im vorliegenden Fall im Sinn der abweichenden Regelung des § 214 Abs 2 Satz 1 [X.] die erstmalige Festsetzung vor Inkrafttreten des [X.] am [X.] (Art 36 [X.] - [X.], 1254, 1317), weil bereits der zu überprüfende Bescheid der Beklagten vom 23.8.1984 die erstmalige Festsetzung einer Verletztenrente enthielt. Noch stellt die Überprüfung im [X.] im Rahmen des § 44 [X.] eine Neufestsetzung "aufgrund des § 90 [X.]" dar. Dementsprechend findet auf den vorliegenden Fall auch nicht § 90 Abs 2 [X.] Anwendung. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, begründet § 214 Abs 2 Satz 1 [X.] mangels materiellrechtlicher Rückwirkung nicht eine Anwendung des § 90 [X.] in den "[X.]", bei denen die Sachverhalte neuer, durch die Vorschrift erst geschaffener Voraussetzungen für eine Erhöhung des [X.] bereits vor dem [X.] eingetreten waren, weil dies einen Zirkelschluss bedeuten würde. Deshalb ist, wenn bei einem vor Inkrafttreten des [X.] eingetretenen Versicherungsfall der [X.] eines Versicherten nach Inkrafttreten des [X.] nach Altersstufen neu festgesetzt wird, hierfür noch die Höchstaltersgrenze des § 573 Abs 2 [X.] und nicht die des § 90 Abs 2 [X.] maßgebend, wenn der Versicherte wie im vorliegenden Fall das 30. Lebensjahr bereits vor Inkrafttreten des [X.] vollendet hatte (BSG vom [X.] - [X.] U 28/01 R - [X.] 3-2700 § 214 [X.]; vgl BSG vom [X.] - [X.] U 14/11 R - juris Rd[X.]2 und BSG vom 19.12.2013 - [X.] U 5/13 R - [X.] 4-2700 § 90 [X.] Rd[X.]2; s auch BT-Drucks 13/2204 S 121).

2. Zutreffend hat das [X.] entschieden, dass im Verwaltungsakt vom 23.8.1984 die Beklagte den [X.] rechtmäßig nach § 571 [X.] (dazu unter a) und ebenso rechtmäßig ohne Anwendung des § 573 Abs 1 [X.] (dazu unter b) festgesetzt hat.

a) Nach § 571 Abs 1 Satz 1 [X.] gilt der Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§§ 14, 15 SGB IV - s dazu BSG vom 23.7.2015 - [X.] U 9/14 R - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen, [X.] 4-2700 § 82 [X.] Rd[X.]4; s bereits BSG vom 27.11.1985 - 2 RU 55/84 - [X.] 2200 § 577 [X.]1 = juris Rd[X.]3) des [X.] vor dem Arbeitsunfall als [X.], welches nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG) das Gehalt in Höhe einer halben [X.] von 21 126,58 [X.] zuzüglich 1902,83 [X.] war.

b) Zutreffend hat das [X.] auch die (Neu-)Berechnung des [X.] nach § 573 Abs 1 [X.] abgelehnt. Nach dieser Norm wird, wenn sich der Verletzte zur [X.] noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befand und es für den Berechtigten günstiger ist, der [X.] für die [X.] nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung neu berechnet. Der Bescheid vom 23.8.1984 beruht nicht auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung iS von § 44 [X.], weil die Beklagte etwa einen fiktiven [X.] für die [X.] nach einer zum [X.]punkt des Versicherungsfalls noch betriebenen Ausbildung hätte zugrunde legen müssen. Zwar findet nach Sinn und Zweck des § 573 Abs 1 [X.] die Vorschrift auch bei erstmaliger Festsetzung nach dem [X.]punkt des voraussichtlichen Endes der Ausbildung Anwendung (vgl den Wortlaut der mit Art 1 [X.] des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom [X.] neu eingefügten Vorläufernorm § 565 [X.] sowie BSG vom [X.] - [X.] U 11/11 R - [X.] 112, 43 = [X.] 4-2700 § 90 [X.], Rd[X.]8). Jedoch befand sich der [X.]läger zum [X.]punkt des Arbeitsunfalls am [X.] nicht (mehr) in einer Schul- oder Berufsausbildung, wie es § 573 Abs 1 [X.] nach seinem Wortlaut voraussetzt. Die Ausbildung des Versicherten war zum Unfallzeitpunkt schon beendet. Er hatte nach den nicht gerügten und daher bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG) bereits vor dem Versicherungsfall sein Examen als [X.] abgelegt. Eine Neuberechnung der Verletztenrente erfolgt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats indes nur, wenn die Maßnahme, während der sich der Versicherungsfall ereignet hat, zu einem - wenn auch nicht zwingend ersten - beruflichen Abschluss führt ([X.] [X.] U 3/05 R - [X.] 4-2700 § 90 [X.] Rd[X.]8; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.]/[X.], Gesetzliche Unfallversicherung, [X.], § 90 Rd[X.]3). Sobald das angestrebte Ausbildungsziel aber erreicht ist, kommt nur eine berufliche Weiterbildung in Betracht, die der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung nicht der Berufsausbildung zugerechnet hat (s bereits BSG vom [X.] - [X.] 18, 136, 140 = [X.] [X.] 5 zu § 565 [X.] aF Aa 7; BSG vom 30.10.1991 - 2 [X.] - juris Rd[X.]6; BSG vom 5.8.1993 - 2 RU 24/92 - [X.] 3-2200 § 573 [X.] S 5). Der Gesetzgeber hat diese Vorschrift insoweit durch das [X.] ([X.]) vom 30.4.1963 ([X.]) trotz [X.]enntnis dieser Rechtsprechung nicht geändert (BSG vom 30.10.1991 - 2 [X.] - juris Rd[X.]7), ebenso wenig hat er bei der Übernahme in § 90 [X.] durch das [X.] vom 7.8.1996 ([X.] 1254) inhaltliche Änderungen vorgenommen.

Der [X.]läger hatte zum [X.]punkt des Arbeitsunfalls am [X.] das angestrebte Ausbildungsziel des [X.] bereits erreicht. Ein eigenes Berufsbild des "promovierten" [X.] existiert demgegenüber nicht. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung ein Weiterstudium zum Zwecke der Promotion nicht als berufliche Ausbildung, sondern als berufliche Weiterbildung angesehen (s zu einem Arzt BSG vom 30.10.1991 - 2 [X.] - juris Rd[X.]7). Der Unterschied zwischen einem promovierten und einem nicht promovierten Chemiker besteht darin, dass ersterer sich durch die Anfertigung einer Doktorarbeit erweiterte [X.]enntnisse auf einem Spezialgebiet der Chemie erworben, durch die Ablegung des Doktorexamens seine Befähigung zu wissenschaftlichen Arbeiten besonders unter Beweis gestellt und sich für den Wettbewerb im Wirtschafts- oder Arbeitsleben eine nach herkömmlicher Bewertung günstigere Position geschaffen hat. Diese Vorteile gegenüber dem nicht promovierten Chemiker sind jedoch nicht das Ergebnis einer "Berufsausbildung". Dass jemand aus wirtschaftlichen Gründen zur Promotion mehr oder weniger gezwungen gewesen ist, rechtfertigt unfallrechtlich keine andere Beurteilung (so bereits BSG vom [X.] - [X.] 18, 136, 140 = [X.] [X.] 5 zu § 565 [X.] aF Aa 7 = juris Rd[X.]0), weshalb es unerheblich ist, dass - wie der [X.]läger vorträgt - mittlerweile nur 5 bis 7 % der [X.] die [X.] ohne Promotion verlassen.

Dass der Begriff der Berufsausbildung in § 573 Abs 1 [X.] nicht über den Wortsinn hinaus auf andere Formen beruflicher Bildung ausgedehnt werden kann, folgt ua aus dem Ausnahmecharakter der gesetzlichen Regelung, den die Rechtsprechung stets betont hat (BSG vom [X.] - [X.] 19, 252, 254 = [X.] [X.] 6 zu § 565 [X.] aF Aa 9; BSG vom 23.8.1973 - 8/2 RU 151/70 - [X.] [X.] 7 zu § 565 [X.] aF Aa 11; BSG vom 26.3.1986 - 2 RU 32/84 - [X.] 1986, 860; BSG vom 4.12.1991 - 2 RU 69/90 - [X.] 1992, 598). Mit der Möglichkeit, bei Eintritt des Versicherungsfalls während einer Schul- oder Berufsausbildung die Bemessungsgrundlage anzuheben, weicht das Gesetz für einen Sonderfall von dem die Unfallversicherung beherrschenden Grundsatz ab, dass die [X.] vor dem Arbeitsunfall für alle Zukunft die maßgebende Grundlage der Geldleistungen bleiben und spätere Erwerbsaussichten bei der Feststellung des [X.] nicht zu berücksichtigen sind (BSG vom 27.2.1970 - 2 [X.] - [X.] 31, 38, 40 = [X.] [X.] zu § 573 [X.] Aa 2; BSG vom 14.11.1974 - 8 RU 10/73 - [X.] 38, 216, 218 = [X.] 2200 § 573 [X.] S 6; [X.]/76 - [X.] 47, 137, 140 = [X.] 2200 § 573 [X.]). Einzig Personen, die bereits während der [X.] der Ausbildung für einen späteren Beruf einen Arbeitsunfall erleiden und deshalb im Jahr vor dem Unfall regelmäßig noch kein Arbeitsentgelt, sondern allenfalls eine geringe Ausbildungsvergütung erhalten haben, sowie aufgrund des Versicherungsfalls ihre Ausbildung später beenden, sollen zur Vermeidung von Härten geschützt und so gestellt werden, als hätten sie den Unfall nach der voraussichtlichen Beendigung der Berufsausbildung erlitten ( s zum stimmigen [X.]onzept des § 90 [X.] BSG vom [X.] - [X.] U 11/11 R - [X.] 112, 43 = [X.] 4-2700 § 90 [X.], Rd[X.]5). Eine solche genau umschriebene Ausnahmeregelung kann nicht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung auf andere, vermeintlich ähnlich liegende Sachverhalte erstreckt werden. Es besteht insoweit auch kein Widerspruch zu Vorschriften der [X.]rankenversicherung und Rentenversicherung, weil der Begriff der Berufsausbildung im Sinn der gesetzlichen Unfallversicherung eigenständig ist (s bereits BSG vom [X.] - [X.] 12, 109, 116; BSG vom [X.] - [X.] 18, 136 = [X.] [X.] 5 zu § 565 [X.] aF = juris Rd[X.]0).Schließlich bestehen zwischen Personen, die das Ausbildungsziel noch nicht erreicht haben und solchen, die sich noch in der Ausbildung befinden, Unterschiede von solcher Art und Gewicht, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen, sodass dahinstehen kann, ob es sich überhaupt um iS des Art 3 Abs 1 GG vergleichbare Personengruppen handelt (vgl zum Prüfungsmaßstab zu Art 3 Abs 1 GG BVerfG vom [X.] - 1 BvR 1926/96, 1 BvR 485/97 - [X.] 100, 104 = [X.] 3-2600 § 307b [X.] f; BSG vom [X.] - [X.] 4-2700 § 9 [X.]2 Rd[X.]4).

3. Das [X.] hat auch zutreffend erkannt, dass der [X.]läger keinen Anspruch auf Bewilligung einer höheren Verletztenrente aufgrund der Billigkeitsnorm des § 577 [X.] hat. Die Wertung, ob der berechnete [X.] "in erheblichem Maße unbillig" ist, ist als unbestimmter Rechtsbegriff durch das Gericht in vollem Umfang selbst vorzunehmen (BSG vom 15.9.2011 - [X.] U 24/10 R - [X.] 4-2700 § 87 [X.] Rd[X.]6; BSG vom [X.] - [X.] 1993, 972 mwN; BSG vom 30.10.1991 - 2 [X.] - [X.] 1992, 428; BSG vom 29.10.1981 - 8/8a [X.] - [X.] 2200 § 577 [X.] mwN). § 577 [X.] soll atypische Fallgestaltungen erfassen und - ausgerichtet ua am Lebensstandard des Versicherten - für diese zu einem billigen Ergebnis führen. Ziel der Regelung ist es, den [X.] als Grundlage der Rente so zu bemessen, dass der Lebensstandard gesichert wird, den der Versicherte zeitnah vor dem Versicherungsfall erreicht und auf den er sich eingerichtet hat. Die Regelungen zur Berechnung des [X.] sollen für den Regelfall eine einfache, schnell praktizierbare und nachvollziehbare Berechnung des [X.] in der Verwaltungspraxis ermöglichen. Nur wenn besondere Umstände vorliegen, die sich auf den maßgeblichen [X.]raum auswirken und die eine erhebliche Unbilligkeit der Regelberechnung begründen (unterwertige Beschäftigung; Verdienstausfall innerhalb der Jahresfrist zB durch unbezahlten Urlaub; dazu BSG vom 11.2.1981 - 2 RU 65/79 - [X.] 51, 178, 182 = [X.] 2200 § 571 [X.]0 S 42 f), kann zur Vermeidung von Zufallsergebnissen eine [X.]orrektur des [X.] angezeigt sein (BSG vom 15.9.2011 - [X.] U 24/10 R - [X.] 4-2700 § 87 [X.] Rd[X.]).

Die Nachfolgeregelung des § 577 [X.] - § 87 Satz 2 [X.] - nennt, ohne abschließend zu sein (s bereits zum früheren Recht BSG vom [X.] - [X.] 7, 269, 273; sowie BT-Drucks 13/2204 [X.]), [X.]riterien für die Beurteilung der Unbilligkeit. Bei der Überprüfung des [X.] sind die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im [X.]punkt des Versicherungsfalls zu berücksichtigen. In Bezug auf die erreichte "Lebensstellung" ist darauf abzustellen, welche Einkünfte die Einkommenssituation des Versicherten geprägt haben ([X.] 239/68 - [X.] 32, 169, 173 = [X.] [X.] zu § 577 [X.] Aa 1; BSG vom 11.2.1981 - 2 RU 65/79 - [X.] 51, 178, 182 = [X.] 2200 § 571 [X.]0 S 43; BSG vom 29.10.1981 - 8/8a [X.] - [X.] 2200 § 577 [X.] S 14 mwN; BSG vom [X.] - [X.] 73, 258, 260 = [X.] 3-2200 § 577 [X.] S 3; BSG vom [X.] - [X.] U 23/02 R - [X.] 3-2200 § 577 [X.] 3-2200 § 577 [X.] = HVBG-Info 2003, 428; Schudmann in jurisP[X.]-[X.], 2. Aufl 2014, § 87 Rd[X.]8). In zeitlicher Hinsicht ist zu prüfen, welche Einkünfte der Versicherte innerhalb der Jahresfrist vor dem Versicherungsfall erzielt hat. Seine Einnahmen aus Erwerbstätigkeit im maßgeblichen Jahreszeitraum sind mit dem Ergebnis der gesetzlichen Berechnung zu vergleichen. Durch diesen Vergleich ergibt sich, ob der nach gesetzlichen Vorgaben festgesetzte Betrag des [X.] außerhalb jeder Beziehung zu den Einnahmen steht, die für den Versicherten zum [X.]punkt des Versicherungsfalls oder innerhalb der Jahresfrist vor diesem [X.]punkt die finanzielle Lebensgrundlage gebildet haben (BSG vom 18.3.2003 - [X.] U 15/02 R - [X.] 4-2700 § 87 [X.] Rd[X.]7; so auch BSG vom 28.4.1977 - 2 RU 39/75 - [X.] 44, 12 = [X.] 2200 § 571 [X.]0). Die Festsetzung des [X.] ist danach nicht in erheblichem Maße unbillig, wenn der ermittelte [X.] - wie hier ausgehend von einer halben [X.] - den Fähigkeiten, der Ausbildung, Lebensstellung und Tätigkeit der Versicherten in den zwölf [X.]alendermonaten vor dem Monat des Versicherungsfalls entspricht (BSG vom 15.9.2011 - [X.] U 24/10 R - [X.] 4-2700 § 87 [X.] Rd[X.]6; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 87 Rd[X.] 6).

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Meta

B 2 U 14/14 R

26.04.2016

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Gießen, 6. Oktober 2011, Az: S 3 U 231/08, Urteil

§ 44 Abs 1 S 1 Alt 1 SGB 10, § 212 SGB 7, § 214 Abs 2 S 1 SGB 7, § 90 Abs 2 SGB 7, § 87 S 2 SGB 7, § 571 Abs 1 S 1 RVO, § 573 Abs 1 RVO, § 573 Abs 2 RVO, § 577 S 1 RVO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 26.04.2016, Az. B 2 U 14/14 R (REWIS RS 2016, 12348)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 12348

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