Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.06.2017, Az. III ZB 77/16

3. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 10018

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Gegenstand

Berufungsverfahren: Zulässigkeit der Berufung des Klägers bei Reduzierung des Gesamtumfangs der Klageforderung ohne Angabe der Verteilung des reduzierten Gesamtbetrags auf seine mehreren erstinstanzlich gestellten Klageanträge; Begrenzung der Berufungsverwerfung auf einzelne Streitgenossen


Leitsatz

1. Reduziert der in erster Instanz voll unterlegene Kläger in seiner Berufung den Gesamtumfang der Klageforderung ohne anzugeben, wie sich der reduzierte Gesamtbetrag auf seine mehreren erstinstanzlich gestellten Klageanträge verteilt, so steht dies nicht der Zulässigkeit der Berufung, sondern allein der Zulässigkeit der Klage entgegen und betrifft somit einen Mangel, der auch noch nach dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, nämlich bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz, behoben werden kann (Anschluss an Senatsurteil vom 18. September 1986, III ZR 124/85, VersR 1987, 101 f sowie BGH, Beschlüsse vom 15. März 1956, II ZB 19/55, BGHZ 20, 219, 220 f und vom 27. März 1985, IVb ZB 20/85, FamRZ 1985, 631).

2. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig kann auf einzelne Streitgenossen begrenzt werden.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin zu 1 wird der Beschluss des 9. Zivilsenats des [X.] vom 8. November 2016 - 9 U 56/16 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin zu 1 gegen das am 20. April 2016 verkündete Urteil der [X.] des [X.] - 86 O 51/13 - als unzulässig verworfen worden ist.

Die Rechtsbeschwerde des [X.] zu 2 gegen den vorgenannten Beschluss des [X.] wird als unzulässig verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert des [X.] beträgt bis zu 6.000 €.

Gründe

I.

1

Die Kläger begehren vom beklagten Land unter dem Vorwurf von Amtspflichtverletzungen zum Nachteil des [X.] zu 2, einem früheren Beamten und Angestellten des [X.], den Ersatz materieller und immaterieller Schäden.

2

In erster Instanz hat die Klägerin zu 1 aus abgetretenem Recht des [X.] zu 2, ihres [X.], folgende Ansprüche geltend gemacht:

1. Erstattung von Verdienstausfall in Höhe von 48.000 €;

2. Feststellung der Ersatzpflicht des [X.] hinsichtlich eingetretener und künftiger Schäden wegen Persönlichkeitsverletzungen in der [X.] von 1998 bis 2008, hilfsweise wegen nachteiliger Behauptungen oder Persönlichkeitsverletzungen in der [X.] von 1. Oktober 1995 bis 31. Dezember 2009;

3. Erstattung von Aufwendungen für berufliche Umorientierung in Höhe von 7.020 €;

4. Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, mindestens jedoch 1.000 €;

5. Zinsen auf die vorgenannten Forderungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit.

3

Der Kläger zu 2 hat ergänzend beantragt, den [X.] zur Erstattung von Anwaltskosten in Höhe von 160 € für die Einlegung einer Beschwerde gegen einen Durchsuchungsbeschluss zu verurteilen.

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Hiergegen haben beide Kläger Berufung eingelegt. In der Berufungsbegründung ist der Antrag angekündigt worden, den [X.] unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zur Zahlung von "5.010 €" (richtig: 5.100 €) zu verurteilen.

5

Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel durch Beschluss als unzulässig verworfen und hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Die Berufung der Klägerin zu 1 sei nicht ordnungsgemäß und die Berufung des [X.] zu 2 überhaupt nicht begründet worden. Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO müsse die Berufungsbegründung die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten werde und welche Abänderungen des Urteils beantragt würden. Dem werde die Berufungsbegründung der Klägerin zu 1 nicht gerecht. Sie habe den Umfang der Berufung auf einen Teilbetrag von 5.100 € beschränkt ohne klarzustellen, in Bezug auf welchen Antrag das landgerichtliche Urteil angefochten werden solle. Damit seien Umfang und Ziel des Rechtsmittels nicht eindeutig bestimmt. Eine Berufungsbegründung des [X.] zu 2 sei nicht zur Akte gelangt. Die eingegangene Berufungsbegründung sei dem Rubrum nach allein für die Klägerin zu 1 eingereicht worden und befasse sich auch nicht mit der Abweisung des Klageantrags des [X.] zu 2.

6

Hiergegen wenden sich beide Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

7

1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Klägerin zu 1 ist auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Klägerin zu 1 in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hat die in § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO beschriebenen Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung verkannt und hierdurch der Klägerin zu 1 den Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise versagt.

8

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO muss die Berufungsbegründung die Erklärung enthalten, inwieweit das erstinstanzliche Urteil angefochten wird und welche Abänderungen beantragt werden. Diese Erklärung muss nicht notwendig in einem bestimmten Antrag niedergelegt werden. Die Vorschrift verlangt lediglich, dass die Begründungsschrift ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig erkennen lässt, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil der ersten Instanz angefochten werden soll (s. etwa [X.], Beschlüsse vom 15. Dezember 2009 - [X.], NJW-RR 2010, 424 Rn. 9; vom 31. August 2010 - [X.], [X.], 48 Rn. 7 und vom 19. November 2014 - [X.] 522/14, NJW-RR 2015, 188 Rn. 10).

9

b) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung gerecht. Die Klägerin zu 1 hat mit ihrem angekündigten Berufungsantrag hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie das erstinstanzliche Urteil in einem Umfang von 5.100 € anfechten möchte. Damit war das Ziel des Rechtsmittels in bestimmter Weise erkennbar. Die unterbliebene Aufteilung des noch verlangten ([X.] auf die einzelnen erstinstanzlich gestellten Klageanträge hindert entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht die Zulässigkeit der Berufung, sondern allein die Zulässigkeit der Klage (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und betrifft somit einen Mangel, der auch noch nach dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, nämlich bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz, behoben werden kann (s. Senatsurteil vom 18. September 1986 - [X.], [X.], 101 f sowie [X.], Beschlüsse vom 15. März 1956 - [X.], [X.]Z 20, 219, 220 f und vom 27. März 1985 - [X.], [X.], 631; vgl. auch Senatsurteil vom 3. Dezember 1953 - [X.], [X.]Z 11, 192, 193 ff; [X.], 5. Aufl., § 520 Rn. 27 mwN). Dies steht in Einklang damit, dass der Berufungskläger sein Rechtsmittel noch bis zum Schluss der Berufungsverhandlung erweitern kann, soweit die fristgerecht vorgetragenen Berufungsgründe die Antragserweiterung decken (s. etwa [X.], Beschluss vom 27. März 1985 aaO; Urteil vom 28. September 2000 - [X.], NJW 2001, 146 [insoweit nicht in [X.]Z 145, 256 mit abgedruckt] und Beschluss vom 27. März 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 662 f Rn. 7 f).

2. Demgegenüber ist die - ebenfalls nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 statthafte sowie rechtzeitig eingelegte und begründete - Rechtsbeschwerde des [X.] zu 2 nicht zulässig, weil insoweit weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO).

Zu Recht hat das Berufungsgericht das Fehlen einer Begründung der Berufung des [X.] zu 2 beanstandet. Zwar kann der Berufungsangriff, das erstinstanzliche Urteil sei nicht von den zuständigen Richtern unterschrieben worden, grundsätzlich auch die Abweisung des Klageantrags des [X.] zu 2 betreffen. Der [X.] vom 7. August 2016 erwähnt im Rubrum jedoch allein die Klägerin zu 1 und lässt auch im Übrigen nicht hinreichend erkennen, dass sich die Berufungsbegründung auch auf das Klagebegehren des [X.] zu 2 erstrecken soll. Die darin enthaltenen umfangreichen Ausführungen sind - bis auf die unspezifische Rüge der Mitwirkung [X.] - ganz auf die Klage der Klägerin zu 1 zugeschnitten. Dementsprechend zeigt die Rechtsbeschwerde auch nicht auf, aus welchen Gründen die Würdigung des Berufungsgerichts, es fehle an einer Berufungsbegründung des [X.] zu 2, rechtsfehlerhaft sein sollte.

3. Nach alledem hat das [X.] die Berufung des [X.] zu 2 zu Recht, die Berufung der Klägerin zu 1 hingegen zu Unrecht als unzulässig verworfen. Hinsichtlich der Entscheidung über die Berufung des [X.] zu 2 kann der Beschluss des Berufungsgerichts Bestand behalten; die Verwerfung einer Berufung als unzulässig kann auf einzelne Streitgenossen begrenzt werden (s. etwa [X.], [X.], 1375, 1376; MüKoZPO/[X.] aaO § 522 Rn. 12; [X.] in Musielak/[X.], ZPO, 14. Aufl., § 522 Rn. 11: [X.]/[X.], ZPO, 9. Aufl., § 522 Rn. 18). Im Übrigen unterliegt der Beschluss der Aufhebung und ist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Herrmann     

      

Hucke     

      

Tombrink

      

Remmert     

      

Liebert     

      

Meta

III ZB 77/16

01.06.2017

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 8. November 2016, Az: 9 U 56/16

§ 253 Abs 2 Nr 2 ZPO, § 520 Abs 3 S 2 Nr 1 ZPO, § 522 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.06.2017, Az. III ZB 77/16 (REWIS RS 2017, 10018)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10018

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