Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 06.05.2020, Az. 1 BvR 2757/19

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2020, 2810

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verfehlte Annahme einer Erledigung des Rechtsschutzziels im Verwaltungsprozess verletzt Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 S 1 GG) - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

1. Der Beschluss des [X.] vom 29. August 2019 - 7 B 2371/16 (Zurückverweisung) - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an den [X.] zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des [X.] vom 30. Oktober 2019 - 7 B 2371/16 (Anhörungsrüge) - gegenstandslos. Die Sache wird an einen anderen Senat des [X.] zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Das [X.] hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

4. [X.] wird für das [X.] auf 25.000 Euro (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind verwaltungs(gerichtliche) Entscheidungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes über die Aufnahme der Beschwerdeführerin an einer weiterführenden Schule.

2

1. Die Beschwerdeführerin geht in [X.] zur Schule. Im Verfahren zur Wahl des weiterführenden Bildungsgangs nach der Grundschule im Schuljahr 2016/17 gaben die Eltern der Beschwerdeführerin als Erstwunsch die [X.] und als [X.] die …schule an.

3

Mit Bescheid vom 31. Mai 2016 teilte die [X.] der Beschwerdeführerin mit, dass eine Aufnahme aus Kapazitätsgründen nicht erfolgen könne. Eine Information hierüber vor Versendung des Bescheids erfolgte - anders als dies nach Angabe der Beschwerdeführerin bis zum Schuljahr 2015/16 Praxis war - nicht. Nachdem die Eltern der Beschwerdeführerin das Angebot einer Aufnahme in der [X.]schule abgelehnt hatten, wurde die Beschwerdeführerin dem Gymnasium … in [X.] zugewiesen. Diesen Platz nahm sie jedoch ebenfalls nicht an, sondern wechselte auf eine Privatschule, die sie bis heute besucht.

4

2. Die Beschwerdeführerin beantragte daraufhin beim Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung der - soweit vorliegend von Interesse - darauf gerichtet war, das im Ausgangsverfahren beklagte Land zu verpflichten, sie vorläufig an der [X.] aufzunehmen, hilfsweise ein erneutes Auswahlverfahren durchzuführen. Das Verwaltungsgericht lehnte den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.

5

3. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies der [X.]hof mit im Wesentlichen folgender Begründung zurück:

6

Nach § 70 Abs. 1 Satz 2 des [X.] in der Fassung vom 14. Juni 2005 ([X.]) gebe es keinen Anspruch auf Aufnahme in eine bestimmte Schule, wenn im Gebiet des Schulträgers - wie hier in [X.] - mehrere weiterführende Schulen desselben Bildungsganges beständen. Es bestehe jedoch ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung als Ausdruck des Teilhaberechts auf gleichberechtigten Zugang zu den von einem Hoheitsträger zur Verfügung gestellten Bildungsangeboten. Dieses Teilhaberecht auf Zugang zu einer bestimmten Schule habe nur im Rahmen der normativ festgelegten Aufnahmekapazität Bestand. Es gehe unter, wenn die Kapazität nach erfolgter Vergabe erschöpft sei und kein Fall vorliege, in dem ausnahmsweise eine überkapazitäre Aufnahme zu gewähren sei. Dies gelte unabhängig davon, ob die der Platzvergabe zugrundeliegende Auswahlentscheidung fehlerhaft sei.

7

4. Eine gegen diesen Beschluss gerichtete Anhörungsrüge blieb ohne Erfolg.

8

5. Die Beschwerdeführerin - sowie ihre Eltern - erhoben daraufhin Verfassungsbeschwerde (1 BvR 2721/16). Mit Beschluss vom 12. März 2019 hat die Kammer den Beschluss des [X.]hofs über die sofortige Beschwerde wegen einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG aufgehoben, festgestellt, dass der Beschluss über die Anhörungsrüge gegenstandslos geworden ist, und die Verfassungsbeschwerde im Übrigen nicht zur Entscheidung angenommen.

9

a) [X.] hat die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG dabei im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Die Beschwerdeführerin habe vorgetragen, bis zum Schuljahr 2015/16 hätten die Schulen vor der Vergabe der Schulplätze über die beabsichtigte Ablehnung der Aufnahme in der [X.] informiert. Dadurch sei es möglich gewesen, rechtzeitig vor der Platzvergabe, die nach der Rechtsprechung des [X.]hofs bei [X.] zum Untergang des Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung (Teilhabeanspruch) führe, vorläufigen Rechtsschutz zu erlangen. Für das Schuljahr 2016/17 sei den Schulen erstmals untersagt worden, solche Informationen vor der Platzvergabe zu erteilen. Somit habe für die Beschwerdeführerin keine Möglichkeit bestanden, ihren Teilhabeanspruch vor einer Vergabe der Schulplätze im Wege vorläufigen Rechtsschutzes zu sichern. Unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung des [X.]hofs zum Untergang des Teilhabeanspruchs bei einer kapazitätserschöpfenden Vergabe komme dies einer Vereitelung des Rechtsschutzes gleich. Auf dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin, das für das Verfahren erkennbar von zentraler Bedeutung gewesen sei, sei der [X.]hof indes nicht eingegangen. Es finde keine Erörterung der von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Frage statt, ob der Wegfall der Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes vor einer Platzvergabe bezogen auf die innerkapazitäre Verteilung der Schulplätze eine Neubewertung des Vertrauensschutzes der nach den Auswahlkriterien zu Unrecht aufgenommenen Schüler oder eine Erweiterung der Möglichkeit nachträglicher überkapazitärer Aufnahme auf Fälle zur Folge haben müsste, in denen der abgelehnte Schüler bei ordnungsgemäßer Durchführung des Auswahlverfahrens in die [X.] hätte aufgenommen werden müssen.

b) Die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Rüge einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4, Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hat die Kammer im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG gerade durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes werde nicht hinreichend dargetan. Der Rüge einer Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG durch Vereitelung des Rechtsschutzes gegen eine rechtswidrige Vergabe von [X.] stehe der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen. Die behauptete Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG könne in einem Hauptsacheverfahren noch beseitigt werden, wenn dort auf der Grundlage einer gegenüber dem angegriffenen Beschluss des [X.]hofs geänderten Rechtsauffassung eine gerichtliche Kontrolle der Auswahlentscheidung erfolge. Die Beschreitung des Rechtswegs in der Hauptsache sei auch nicht unzumutbar.

Die gerügte Verletzung von Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG (freie Wahl der Ausbildungsstätte und Berufswahl), Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ("schulisches Selbstverwirklichungsrecht") und Art. 3 Abs. 1 GG beziehe sich ebenfalls nicht spezifisch auf das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern könne auch im Hauptsacheverfahren ausgeräumt werden.

6. Im daraufhin beim [X.]hof fortgesetzten Beschwerdeverfahren beantragte die Beschwerdeführerin zuletzt, dem Land aufzugeben, sie vorläufig in der fortgesetzten 5. Klasse aus dem Schuljahr 2016/17, aktuell zum Schuljahr 2019/20 in die 8. Jahrgangsstufe/Klasse, aufzunehmen. Der [X.]hof wies die Beschwerde abermals zurück. Er begründete seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt:

Soweit die Beschwerdeführerin die Aufnahme in die 5. Klasse begehre, sei - worauf sie selbst sinngemäß hinweise - Erledigung eingetreten. Dies sei bereits im Zeitpunkt der aufhebenden Entscheidung des [X.] der Fall gewesen, da die Beschwerdeführerin zu dieser Zeit bereits die 7. Klasse besucht habe.

Soweit die Beschwerdeführerin nunmehr die Aufnahme in die 8. Klasse begehre, fehle es schon deshalb an einem Anordnungsgrund, weil offensichtlich kein vorheriger Antrag auf Aufnahme in die 8. Klasse gestellt worden sei und nunmehr alle Plätze der Französischklasse der [X.] besetzt seien, ohne dass insoweit Verfahrensfehler ersichtlich seien. Die im Schuljahr 2019/20 bestehende Aufnahmekapazität der [X.] (in der Jahrgangsstufe 8) sei nach den Angaben des Antragsgegners des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragsgegner) erschöpft. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass diese Angaben unzutreffend seien. Damit bliebe für eine Aufnahme der Beschwerdeführerin nur dann Raum, wenn der Antragsgegner bei seiner Ermessensentscheidung gehalten wäre, diese trotz erschöpfter Kapazität aufzunehmen. Dies sei jedoch nicht der Fall, da keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Antragsgegner bei der Platzvergabe für die 8. Klasse fehlerhaft gehandelt habe. Der Untergang des Teilhaberechts eines in einem Auswahlverfahren nicht zum Zuge gekommenen Bewerbers um Aufnahme in eine bestimmte Schule, der mit erfolgter Vergabe der Plätze an die ausgewählten Bewerber und damit verbundener [X.] eintrete, greife jedenfalls dann ein, wenn keine Anhaltspunkte für Mängel der der Platzvergabe zugrundeliegenden Auswahlentscheidung vorlägen.

7. Die Beschwerdeführerin erhob auch gegen diesen Beschluss Anhörungsrüge. Der [X.]hof habe sich abermals unter keinem tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkt mit der von der Beschwerdeführerin ausdrücklich gerügten Verfahrensgestaltung betreffend der Aufnahme an der weiterführenden Schule auseinandergesetzt.

8. Der Verwaltungsgerichthof wies die Anhörungsrüge zurück. Er begründete dies im Wesentlichen wie folgt: Der Senat habe sich ausführlich mit den von der Beschwerdeführerin gerügten Mängeln auseinandergesetzt. Überdies liege eine Gehörsverletzung auch deshalb nicht vor, weil sich die Verfahrensgestaltung der [X.] zur Aufnahme in die weiterführende Schule nach der vierten Klasse und die behauptete Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz sich nicht mehr für die [X.] bezüglich der 8. Klasse auswirke. In der 8. Klasse sei die Kapazität erschöpft. Dass das Aufnahmeverfahren in die 5. Klasse der [X.] mit einem so schweren Fehler belastet gewesen sei, dass ein Anspruch auf eine überkapazitäre Aufnahme in die 8. Klasse bestünde, sei nicht ersichtlich. Ebenso sei nicht ersichtlich, dass die Ablehnung der Aufnahme der Beschwerdeführerin in die 8. Klasse so fehlerhaft gewesen sei, dass ein Anspruch auf eine überkapazitäre Aufnahme in die 8. Klasse bestünde.

Der von der Beschwerdeführerin gezogene Vergleich zur Studienplatzvergabe an einer Hochschule vermöge eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung ebenfalls nicht begründen. Die Ziele beider Verfahren seien nicht hinreichend miteinander vergleichbar. Bei der Studienplatzvergabe richte sich das Begehren des Antragstellers unverändert auf die Aufnahme in das 1. Semester, unabhängig davon, wie viele Jahre nach dem Aufnahmeantrag vergangen seien. Beim Verfahren zur Aufnahme in die weiterführende Schule hingegen sei der Bezugspunkt die jeweilige Klassenstufe. Dieser diametrale Unterschied stehe einer Vergleichbarkeit der Verfahren entgegen.

1. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen das Verfahren betreffend der Wahl der weiterführenden Schule, den Beschluss des [X.] vom 23. August 2016, den Beschluss des [X.]hofs vom 29. August 2019 über die (erneute) Zurückweisung der Beschwerde und den Beschluss des [X.]hofs vom 30. Oktober 2019 über die Zurückweisung der Anhörungsrüge. Sie rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG.

2. Das [X.] und das [X.] hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Gerichtsakten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

1. [X.] nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG durch den Beschluss des Hessischen [X.]hofs über die Zurückweisung der Beschwerde rügt. Die insoweit für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits geklärt. Ausgehend hiervon ist die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]G).

a) Das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert jedem den Rechtsweg, der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Damit wird sowohl der Zugang zu den Gerichten als auch die Wirksamkeit des Rechtsschutzes gewährleistet. Der Bürger hat einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle in [X.] ihm von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen, wobei es keinen Unterschied macht, ob es sich um Eingriffe in geschützte Rechtspositionen oder die Versagung gesetzlich eingeräumter Leistungsansprüche handelt (vgl. [X.] 113, 273 <310>; 129, 1 <20>; stRspr). Der Anspruch aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert nicht nur formal die Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gebietet auch die Effektivität des damit verbundenen Rechtsschutzes, das heißt einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Der Zugang zu Gericht darf daher nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. [X.] 35, 263 <274>; 40, 272 <274 f.>; 77, 275 <284>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 29. Oktober 2015 - 2 BvR 1493/11 -, Rn. 33). Die Gerichte dürfen insbesondere nicht durch die Art und Weise der Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Anspruch auf die gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar verkürzen (vgl. [X.] 84, 366 <369 f.>).

b) Gemessen hieran verstößt der Beschluss des [X.]hofs über die Zurückweisung der Beschwerde gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Der [X.]hof hat durch die Annahme einer Erledigung des [X.] der Beschwerdeführerin den Zugang zu Gericht bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in einer unzumutbaren, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigenden Art und Weise erschwert.

aa) Die Beschwerdeführerin hatte ursprünglich beantragt, vorläufig "im kommenden Schuljahr" an der [X.] in die 5. Klasse aufgenommen zu werden. Zuletzt hat die Beschwerdeführerin beantragt, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Beschwerdeführerin vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gemäß Aufnahmeantrag aus dem [X.] an der [X.] in der fortgesetzten 5. Klasse aus dem Schuljahr 2016/17, aktuell zum Schuljahr 2019/20 in die 8. Jahrgangsstufe/Klasse aufzunehmen. Das Rechtsschutzziel der Beschwerdeführerin war erkennbar darauf gerichtet, an der [X.] aufgenommen zu werden. Hiervon ist ersichtlich auch die Kammer ausgegangen, als sie im Verfahren 1 BvR 2721/16 den Beschluss des [X.]hofs aufgehoben und die Sache an diesen zurückverwiesen hat. Dies ergibt sich nicht nur daraus, dass die Kammer keine Erledigung angenommen hat, sondern auch daraus, dass die Kammer die Rüge einer Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG ausdrücklich wegen fehlender Wahrung der Subsidiarität für unzulässig gehalten und insoweit ausgeführt hat, dass die gerügte Verletzung in einem Hauptsacheverfahren noch beseitigt werden könne, wenn dort aufgrund einer gegenüber dem angegriffenen Beschluss geänderten Rechtsauffassung eine gerichtliche Kontrolle der Auswahlentscheidung erfolge (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 12. März 2019 - 1 BvR 2721/16 -, Rn. 31).

bb) Der [X.]hof hat dagegen das [X.] der Beschwerdeführerin aufgespalten in einen ursprünglichen Antrag, in die 5. Klasse aufgenommen zu werden und in einen Antrag, in die 8. Klasse aufgenommen zu werden. Ausgehend hiervon geht der [X.]hof davon aus, dass sich das Ziel, in die 5. Klasse aufgenommen zu werden, mit Ende der 5. Klasse erledigt habe und somit bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des [X.] im Verfahren 1 BvR 2721/16 Erledigung eingetreten sei. Hinsichtlich des Ziels, in die 8. Klasse aufgenommen zu werden, fehle es an einem Anordnungsanspruch schon deshalb, weil die Beschwerdeführerin keinen diesbezüglichen Antrag gestellt habe. Darüber hinaus seien Auswahlfehler hinsichtlich der [X.] in die 8. Klasse nicht erkennbar.

Damit verfehlt der [X.]hof die Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Denn der [X.]hof spaltet das (einheitliche) Rechtsschutzziel der Beschwerdeführerin, in die [X.] aufgenommen zu werden, auf, und unterlässt ausgehend hiervon eine rechtliche Prüfung, ob ein Anspruch auf Aufnahme besteht. Er umgeht auf diese Weise erneut eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, der Wegfall der Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes vor einer Platzvergabe müsse bei Fehlern des Auswahlverfahrens unter bestimmten Umständen innerkapazitär oder nachträglich über die Kapazitätsgrenze hinaus zu einem Anspruch auf Aufnahme in die [X.] führen.

Sachliche Gründe hierfür lässt die Entscheidung nicht erkennen. Der [X.]hof erläutert bereits nicht, weshalb alleine die Beendigung der 5. Klasse insoweit zu einer Erledigung führen sollte. Der [X.]hof befasst sich auch nicht damit, dass der aufhebende [X.] - wie ausgeführt - erkennbar davon ausgeht, dass das [X.] der Beschwerdeführerin nicht erledigt ist. Auch die Entscheidung des [X.]hofs über die Anhörungsrüge lässt keine sachlichen Gründe für die Aufspaltung des [X.] der Beschwerdeführerin erkennen. Zwar führt der [X.]hof im Hinblick auf den Einwand der Beschwerdeführerin, dass eine Erledigung auch bei der Studienplatzvergabe nicht mit Ablauf des jeweiligen Semesters eintrete, aus, dass die Ziele der Studienplatzvergabe und der [X.] nicht vergleichbar seien, da bei der Studienplatzvergabe stets die Aufnahme ins 1. Fachsemester begehrt werde, während Bezugspunkt im [X.]verfahren die jeweilige Klasse sei. Dies stellt jedoch keine nachvollziehbare Begründung für eine Aufspaltung des [X.]s der Beschwerdeführerin dar.

c) Angesichts dessen, dass die Rüge hinsichtlich Art. 19 Abs. 4 GG durchgreift, kann dahinstehen, ob der Beschluss des [X.]hofs (erneut) auch Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

2. Mit der Aufhebung des Beschlusses des [X.] vom 29. August 2019 wird der Beschluss des [X.]hofs vom 30. Oktober 2019 über die Anhörungsrüge gegenstandslos (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 5. März 2018 - 1 BvR 1011/17 -).

3. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des [X.] und das Verfahren der Schulbehörde richtet, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Sie ist insoweit unzulässig, da infolge der Aufhebung der Entscheidung des [X.]hofs der Rechtsweg noch nicht erschöpft ist (vgl. [X.] 104, 220 <237>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. Dezember 2013 - 1 BvR 953/11 -; Beschluss der [X.] des [X.] vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -).

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 [X.]G.

Den Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im verfassungsgerichtlichen Verfahren setzt die Kammer nach § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 [X.] auf 25.000 Euro fest.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2757/19

06.05.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 30. Oktober 2019, Az: 7 B 2371/16, Beschluss

Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 70 SchulG HE 2005, § 77 SchulG HE 2005

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 06.05.2020, Az. 1 BvR 2757/19 (REWIS RS 2020, 2810)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2810

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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