Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 12.03.2019, Az. 1 BvR 2535/16

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2019, 9492

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zu den Voraussetzungen eines Fortbestehens des Rechtsschutzinteresses trotz Erledigung der Hauptsache (Aufnahme der Beschwerdeführerin in eine weiterführende Schule) - Anordnung der Auslagenerstattung aus Billigkeitsgründen (§ 34a Abs 3 BVerfGG) bei geklärter verfassungsrechtlicher Lage aufgrund stattgebender Entscheidung in gleichgelagertem Fall - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Das [X.] hat der Beschwerdeführerin zu 1) ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das [X.] auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft verwaltungsgerichtliche Entscheidungen über die Aufnahme der Beschwerdeführerin zu 1) an einer weiterführenden Schule.

2

1. Das von den Beschwerdeführern zu 2) und 3), den Eltern der Beschwerdeführerin zu 1), als [X.] angegebene [X.] lehnte deren Aufnahme ab. Das Begehren der Beschwerdeführerin zu 1) auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieb ohne Erfolg. Seit dem 6. Februar 2017 besucht die Beschwerdeführerin zu 1) das [X.]

3

2. Die Beschwerdeführer wenden sich gegen das Verfahren betreffend der Wahl der weiterführenden Schule, den Beschluss des [X.] vom 23. August 2016, den Beschluss des [X.]hofs vom 7. Oktober 2016 über die Zurückweisung der Beschwerde und den Beschluss des [X.]hofs vom 31. Oktober 2016 über die Zurückweisung der Anhörungsrüge. Sie rügen eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG. Die Beschwerdeführerin zu 1) rügt darüber hinaus eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG; die Beschwerdeführer zu 2) und 3) rügen darüber hinaus eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 GG.

4

Das [X.] hat zur Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Die Gerichtsakten des Ausgangsverfahrens lagen dem [X.] vor.

5

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig ist.

6

1. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu 2) und 3) ist bereits deshalb unzulässig, weil sie nicht den Begründungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 [X.]G genügt.

7

2. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) ist mit Annahme des [X.] unzulässig geworden, da damit das Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde entfallen ist.

8

a) Erledigt sich eine Verfassungsbeschwerde hinsichtlich des mit ihr verfolgten [X.], ist die Verfassungsbeschwerde mangels Rechtsschutzinteresses regelmäßig unzulässig (vgl. [X.] 116, 69 <79>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 1. Oktober 2008 - 1 BvR 2733/04, 1 BvR 2782/04 -, juris; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 3. November 2015 - 2 BvR 2019/09 -, [X.] 2016, S. 465 <467>; [X.], in: [X.], [X.]G, § 90 Rn. 260). Das Rechtsschutzinteresse kann jedoch in besonderen Fällen trotz Erledigung fortbestehen (vgl. [X.] 50, 244 <248>; 116, 69 <79>). Dies ist dann der Fall, wenn die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung andernfalls unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint oder wenn eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist oder die gegenstandlos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer weiterhin beeinträchtigt (vgl. [X.] 81, 138 <140>; 110, 177 <188>; [X.]K 17, 512 <516>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 3. November 2015 - 2 BvR 2019/09 -, [X.] 2016, S. 465 <467>).

9

b) Gemessen an diesem Maßstab fehlt es vorliegend am Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde.

aa) Das Rechtsschutzziel der Beschwerdeführerin zu 1) war auf (vorläufige) Aufnahme im [X.] gerichtet. Dieses Ziel hat die Beschwerdeführerin zu 1) mit der Annahme des [X.] erreicht.

bb) Es liegt auch kein Fall vor, in dem trotz Erledigung das Rechtsschutzinteresse fortbesteht.

Durch die Annahme der Erledigung unterbleibt vorliegend nicht die Klärung einer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Frage. Eine solche stellt sich nicht und wird von der Beschwerdeführerin zu 1) auch nicht aufgezeigt. Die entscheidungserheblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind vielmehr bereits durch das [X.] geklärt. Es steht lediglich die Anwendung im Einzelfall in Streit. Dass der Beschwerdeführerin zu 1) unter im Wesentlichen unveränderten Umständen eine identische Entscheidung droht (Wiederholungsgefahr), ist nicht zu erkennen.

Die Beschwerdeführerin zu 1) ist auch nicht weiterhin von den angefochtenen Entscheidungen beeinträchtigt.

Unerheblich ist insoweit, dass die Beschwerdeführerin zu 1) weiterhin mit den Kosten des Gerichtsverfahrens beschwert ist. Denn die aus der Kostenentscheidung herrührende Beschwer reicht nicht aus, um ein Rechtsschutzbedürfnis für die verfassungsrechtliche Überprüfung der gesamten Gerichtsentscheidung und deren Aufhebung zu begründen (vgl. [X.] 33, 247 <256 ff.>; 50, 244 <248>; 75, 318 <325>; 85, 109 <113>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 3. November 2015 - 2 BvR 2019/09 -, [X.] 2016, S. 465 <467>).

Eine fortwährende Beeinträchtigung aus den angefochtenen Entscheidungen folgt auch nicht daraus, dass die Hauptsacheklage der Beschwerdeführerin zu 1) noch als Fortsetzungsfeststellungsklage anhängig ist. Denn die Entscheidung über die Fortsetzungsfeststellungsklage ist rechtlich nicht durch die angefochtenen Entscheidungen gebunden.

cc) Schließlich besteht das Rechtsschutzinteresse auch nicht deshalb fort, weil andernfalls die Schulbehörde stets eine Erledigung herbeiführen und so eine verfassungsgerichtliche Entscheidung verhindern könnte. Dies zeigt sich schon daran, dass in einem inhaltlich parallel gelagerten Verfahren (1 BvR 2721/16) gerade keine Erledigung herbeigeführt wurde.

1. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 [X.]G.

Über die Auslagenerstattung ist gemäß § 34a Abs. 3 [X.]G nach [X.] zu entscheiden. Erledigt sich die Verfassungsbeschwerde während des Verfahrens, so entspricht es der Billigkeit, eine Auslagenerstattung anzuordnen, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abhilft und davon auszugehen ist, dass dies deshalb erfolgt ist, weil sie das Begehren des Beschwerdeführers für berechtigt hält oder wenn der Erfolg der Verfassungsbeschwerde unterstellt werden kann oder die verfassungsrechtliche Lage - etwa durch eine Entscheidung des [X.]s in einem gleichgelagerten Fall - bereits geklärt ist (vgl. [X.] 85, 109 <115 f.>; 133, 37 <38 f.>; [X.]K 3, 247 <253>). Darauf, ob der Beschwerdeführer seine Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt hat, kommt es nicht an (vgl. [X.] 85, 109 <115 f.>; [X.]K 7, 283 <302 f.>).

Danach ist hier zugunsten der Beschwerdeführerin zu 1) die Auslagenerstattung anzuordnen. Dabei kann dahinstehen, ob davon ausgegangen werden kann, dass das [X.] dadurch, dass es der Beschwerdeführerin zu 1) einen Schulplatz an ihrer [X.] angeboten hat, deren Begehren als berechtigt anerkannt hat. Denn aus den im stattgebenden Beschluss im Verfahren 1 BvR 2721/16 genannten Gründen steht fest, dass die - insoweit zulässig erhobene - Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1) wegen einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch den angegriffenen Beschluss des [X.]hofs vom 7. Oktober 2016 begründet war (vgl. Beschluss der [X.] des [X.] vom 12. März 2019 - 1 BvR 2721/16 -, www.bverfg.de).

2. Den Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im verfassungsgerichtlichen Verfahren setzt die Kammer nach § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 [X.] auf 25.000 € fest.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2535/16

12.03.2019

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 28. Oktober 2016, Az: 7 B 2632/16.R, Beschluss

Art 19 Abs 4 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 34a Abs 3 BVerfGG, § 90 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 12.03.2019, Az. 1 BvR 2535/16 (REWIS RS 2019, 9492)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 9492

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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