Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 01.03.2012, Az. 2 B 140/11

2. Senat | REWIS RS 2012, 8624

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Gegenstand

Lehrer; sexueller Missbrauch von Schülern; Aberkennung des Ruhegehalts nach Versetzung in den Ruhestand; Weiterbeschäftigung nach Aufdeckung des Dienstvergehens


Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 19. August 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

[X.]ie Nichtzulassungsbeschwerde des [X.]eklagten hat keinen Erfolg. [X.]er geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen [X.]edeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 65 Abs. 1 [X.] - Hmb[X.]G - liegt nicht vor.

2

[X.]er [X.]eklagte war als beamteter Lehrer an einer Gesamtschule tätig. Im Mai 2008 wurde gegen ihn durch Strafbefehl eine Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StG[X.]) und Kindern (§ 176 Abs. 1 StG[X.]), wegen des [X.]esitzes kinderpornografischer Schriften (§ 184b Abs. 4 Satz 2 StG[X.]), wegen Nötigung (§ 240 Abs. 1 und 2 StG[X.]) sowie wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch [X.]ildaufnahmen (§ 201a StG[X.]) festgesetzt. [X.]ie Vollstreckung wurde zur [X.]ewährung ausgesetzt und der [X.]eklagte erhielt die Weisung, jede Kontaktaufnahme mit fremden Kindern und Jugendlichen zu vermeiden. In dem Strafbefehl wurden ihm insgesamt 18 Straftaten zur Last gelegt. [X.]. soll er in seiner Eigenschaft als Lehrer und Fußballtrainer seiner Schule in mehreren Fällen in den Jahren 1997 bis 1998 und 2005 bis 2006 sexuell motivierte Handlungen an Schülern begangen haben.

3

Nach [X.]ekanntwerden der Vorwürfe im Jahre 2007 wurde ein [X.]isziplinarverfahren gegen den [X.]eklagten eingeleitet. Er wurde zum ... umgesetzt, wo er bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand zum Ablauf des ... 2009 tätig war. [X.]as Verwaltungsgericht hat dem [X.]eklagten das Ruhegehalt aberkannt; die [X.]erufung des [X.]eklagten blieb erfolglos. [X.]as Oberverwaltungsgericht hat die tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehl der Entscheidung im [X.]isziplinarverfahren zugrunde gelegt. [X.]ie Revision gegen sein Urteil hat es nicht zugelassen. [X.]ie hiergegen gerichtete [X.]eschwerde hat keinen Erfolg. [X.]ie Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 65 Abs. 1 Hmb[X.]G), die ihr die [X.]eschwerde beimisst.

4

1. [X.]ie Revision ist nicht zur Klärung der von der [X.]eschwerde in die folgende Formulierung gekleideten Fragen zuzulassen:

"[X.]egeht ein aktiver [X.]eamter ein schweres [X.]ienstvergehen, wird er jedoch nicht suspendiert, keine Gehaltskürzung vorgenommen und in diesem Zusammenhang mit der Wahrnehmung wichtiger anderer Aufgaben betraut, wie etwa der Mitwirkung als Prüfer in einem Staatsexamen, dann indiziert das [X.]ienstvergehen nicht die [X.] auf Grund eines nicht reparablen [X.], sondern es bedarf einer Einzelfallprüfung, ob gleichwohl die [X.] geboten ist, jedenfalls dann, wenn der [X.]eamte inzwischen auf Grund seiner Schwerbehinderung in den Ruhestand versetzt worden ist."

5

[X.]er Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen [X.]edeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf ([X.]eschluss vom 2. Oktober 1961 - [X.]VerwG 8 [X.] 78.61 - [X.]VerwGE 13, 90 <91 > = [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 18; [X.]eschluss vom 2. Februar 2011 - [X.]VerwG 6 [X.] 37.10 - NVwZ 2011, 507 = [X.] 421.2 Hochschulrecht Nr. 173; stRspr). [X.]aran fehlt es hier, weil die aufgeworfenen Fragen in der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts bereits geklärt sind.

6

Zunächst ist es ohne [X.]edeutung, ob sich der [X.]eamte im Zeitpunkt der [X.]isziplinarmaßnahme noch im aktiven [X.]ienst befindet oder schon - wegen Erreichens der allgemeinen Altersgrenze oder aus anderen Gründen - im Ruhestand ist. Wäre für den noch aktiven [X.]eamten die Entfernung aus dem [X.]eamtenverhältnis geboten, so tritt an deren Stelle für den [X.]n die Aberkennung des Ruhegehalts (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Hmb[X.]G). [X.]urch die Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Versetzung eines [X.]eamten in den Ruhestand die Ausübung der [X.]isziplinarbefugnis nicht beeinträchtigt. [X.]enn auch [X.]isziplinarmaßnahmen gegen [X.] verfolgen den Zweck, die Integrität des [X.]erufsbeamtentums zu wahren und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen [X.]ienstes sicherzustellen. Es wären Rückwirkungen auf das Vertrauen in die Integrität der [X.]eamtenschaft zu erwarten, wenn ein [X.]r trotz eines erheblichen, während seiner aktiven [X.]ienstzeit begangenen [X.]ienstvergehens, durch das er das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit zerstört hat, weiterhin sein Ruhegehalt beziehen könnte und berechtigt bliebe, die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem früheren Amt verliehenen Titel zu führen. Auch gebietet der Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, dass ein [X.]eamter, der nach [X.]egehung einer schwerwiegenden Verfehlung in den Ruhestand tritt, nicht besser gestellt werden darf als ein [X.]eamter, der bis zum Abschluss des [X.]isziplinarverfahrens im aktiven [X.]ienst verbleibt. Auf diese Weise wird die [X.]isziplinarmaßnahme nicht von dem mehr oder weniger zufälligen oder gar gesteuerten Ausscheiden aus dem aktiven [X.]ienst abhängig gemacht (vgl. [X.]eschlüsse vom 26. Oktober 2011 - [X.]VerwG 2 [X.] 69.10 - juris Rn. 31 f., vom 26. August 2009 - [X.]VerwG 2 [X.] 66.09 - juris Rn. 9 f. und vom 13. Oktober 2005 - [X.]VerwG 2 [X.] 19.05 - [X.] 235.1 § 15 [X.][X.]G Nr. 2, Urteile vom 26. Januar 1999 - [X.]VerwG 1 [X.] 34.97 - juris Rn. 16 und vom 28. Juli 2011 - [X.]VerwG 2 [X.] 16.10 - [X.], 267 <271 > Rn. 32, jeweils m.w.N. stRspr, bestätigt durch [X.]VerfG, [X.] vom 22. November 2001 - 2 [X.]vR 2138/00 - NVwZ 2002, 467).

7

Auch dass im Falle des [X.]eklagten nach [X.]ekanntwerden der Vorwürfe keine vorläufige [X.]ienstenthebung nach § 37 Hmb[X.]G und keine Gehaltskürzung nach § 38 Hmb[X.]G erfolgt sind, führt nicht zu einer geringeren Schwere des [X.]ienstvergehens. Nach § 11 Abs. 1 Hmb[X.]G ergeht die Entscheidung über eine [X.]isziplinarmaßnahme nach pflichtgemäßem Ermessen, wobei auf die Schwere des [X.]ienstvergehens sowie auf das gesamte dienstliche und außerdienstliche Verhalten des [X.]eamten abzustellen ist und insbesondere eine Reihe von im Gesetz genannten Umständen zu berücksichtigen sind. [X.]er Umstand, dass ein [X.]eamter nach der Aufdeckung des [X.]ienstvergehens auf einem anderen [X.]ienstposten weiterbeschäftigt worden ist, rechtfertigt keine mildere [X.]isziplinarmaßnahme. Über die Frage seines Verbleibs im [X.]eamtenverhältnis ist nicht von seinem [X.]ienstvorgesetzten, sondern von den Gerichten zu entscheiden. [X.]eren Aufgabe ist es zu beurteilen, ob aufgrund des [X.]ienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist. Ist das der Fall, so vermag daran auch eine Weiterverwendung auf einem anderen [X.]ienstposten nichts zu ändern (Urteile vom 11. Januar 2007 - [X.]VerwG 1 [X.] 16.05 - juris Rn. 65, vom 8. Juni 2005 - [X.]VerwG 1 [X.] 3.04 - juris Rn. 26, vom 9. April 2002 - [X.]VerwG 1 [X.] 14.01 -juris Rn. 36, vom 20. Februar 2002 - [X.]VerwG 1 [X.] 19.01 - [X.] 232 § 70 [X.][X.]G Nr. 11, vom 26. August 1997 - [X.]VerwG 1 [X.] 68.96 - [X.] 232 § 54 Satz 2 [X.][X.]G Nr. 13 und vom 22. Mai 1996 - [X.]VerwG 1 [X.] 72.95 - [X.] 232 § 54 Satz 3 [X.][X.]G Nr. 6; stRspr).

8

2. Soweit das [X.]eschwerdevorbringen dahin zu verstehen ist, dass außerdem auch als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehen wird, ob bei der Prüfung der Schwere des [X.]ienstvergehens bei bestimmten Handlungen von einer Indizwirkung ausgegangen werden kann und es zur Entkräftung einer solchen Indizwirkung hinreichend gewichtiger entlastender Umstände bedarf oder ob - wie die [X.]eschwerde meint - gleichermaßen alle belastenden und entlastenden Umstände geprüft und bewertet werden müssten und Zweifelsfragen zugunsten des [X.]eamten zu entscheiden seien, rechtfertigt dies ebenfalls nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung.

9

Als maßgebendes [X.]emessungskriterium ist die Schwere des [X.]ienstvergehens gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 Hmb[X.]G richtungweisend für die [X.]estimmung der erforderlichen [X.]isziplinarmaßnahme. [X.]ies bedeutet, dass das festgestellte [X.]ienstvergehen zunächst nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 3 Abs. 1 Hmb[X.]G aufgeführten [X.]isziplinarmaßnahmen zuzuordnen ist. Sie indiziert bei einem Lehrer, der ihm anvertraute Schüler sexuell missbraucht hat (§ 174 Abs. 1 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StG[X.]), die [X.]. Ein solches Verhalten stellt bei einem Lehrer ein außerordentlich schweres Versagen im Kernbereich seiner dienstlichen Pflichten dar. Er beeinträchtigt nicht nur das Ansehen des [X.]erufsbeamtentums, sondern zeigt damit in der Regel seine Nichteignung für den Lehrerberuf. Ein Lehrer ist nach dem umfassenden [X.]ildungsauftrag der Schule nicht nur zur Vermittlung von Wissen, sondern auch zur Erziehung der Kinder verpflichtet. Er muss insbesondere die geistige und sittliche Entwicklung der ihm anvertrauten Kinder fördern und schützen (Urteil vom 19. August 2010 - [X.]VerwG 2 [X.] 5.10 - [X.] 235.2 L[X.]isziplinarG Nr. 12 Rn. 17). Schüler, Eltern, [X.]ienstherr und Öffentlichkeit müssen sich unbedingt darauf verlassen können, dass sexuelle Übergriffe von Lehrern auf Schüler unterbleiben. [X.]eshalb ist bei sexuellem Missbrauch von anvertrauten Schülern unter 16 Jahren durch Lehrer gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StG[X.] die [X.] der Entfernung aus dem [X.]ienst indiziert, wenn es in der Gesamtheit an hinreichend gewichtigen entlastenden Gesichtspunkten fehlt (vgl. für den Fall eines außerdienstlich erfolgten sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StG[X.] Urteil vom 25. März 2010 - [X.]VerwG 2 [X.] 83.08 -[X.]VerwGE 136, 173 Rn. 18, [X.]eschluss vom 23. Juni 2010 - [X.]VerwG 2 [X.] 44.09 -juris Rn. 5 ff. = IÖ[X.] 2010, 189). [X.]avon ausgehend kommt es für die [X.]estimmung der [X.]isziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der [X.] im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des [X.]ienstvergehens indizierte [X.]isziplinarmaßnahme geboten ist (vgl. Urteil vom 25. März 2010 a.a.[X.] Rn. 20 m.w.N.). [X.]as Oberverwaltungsgericht hat sich bei seiner Entscheidung an diesen Rechtssätzen orientiert. [X.]arüber hinausgehende klärungsbedürftige Fragen von fallübergreifender [X.]edeutung zeigt die [X.]eschwerde nicht auf. Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.

[X.]ie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 76 Abs. 4 Satz 1 Hmb[X.]G. Ein Streitwert für das [X.]eschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil das Verfahren gerichtsgebührenfrei ist (§ 75 Abs. 1 Hmb[X.]G).

Meta

2 B 140/11

01.03.2012

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, 19. August 2011, Az: 12 Bf 24/11.F, Urteil

§ 11 Abs 1 DG HA, § 3 Abs 1 DG HA, § 174 Abs 1 Nr 1 StGB, § 176 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 01.03.2012, Az. 2 B 140/11 (REWIS RS 2012, 8624)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8624

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