Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.08.2010, Az. 2 C 5/10

2. Senat | REWIS RS 2010, 3914

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Gegenstand

Kinderpornographische Datei im Besitz eines Lehrers; Disziplinarmaßnahme


Leitsatz

1. Besitzt ein Lehrer außerdienstlich kinderpornographische Schriften, so ergibt sich die Disziplinarwürdigkeit dieser Pflichtverletzung aus dem Bezug zu seinen dienstlichen Pflichten.

2. Auch wenn der außerdienstliche Besitz kinderpornographischer Schriften Bezug zu den dienstlichen Pflichten des Beamten aufweist, lässt sich diesem Dienstvergehen wegen der Variationsbereite der denkbaren Fallgestaltungen keine bestimmte Disziplinarmaßnahme im Sinne einer Regelmaßnahme zuordnen.

Tatbestand

1

Der 1947 geborene [X.] ist Lehrer im Dienst der Klägerin. 1976 wurde er zum Studienrat an Volks- und Realschulen in der Laufbahn des höheren Dienstes ernannt. Bis Ende August 2004 war er an einer Gesamtschule als Klassenlehrer für die Klassen 5 bis 10 tätig. Am 1. September 2004 wurde er wegen der hier in Rede stehenden Vorwürfe mit seinem Einverständnis in das Sportamt der Klägerin abgeordnet. Abgesehen vom vorliegenden Verfahren ist der [X.] bisher weder straf- noch disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten.

2

Das Amtsgericht ... verurteilte den [X.]n durch rechtskräftiges Urteil vom 14. April 2004 wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts hatte es der [X.] unternommen, sich den Besitz von pornographischen Schriften zu verschaffen, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben und ein tatsächliches Geschehen wiedergeben.

3

Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den [X.]n aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Das Oberwaltungsgericht hat die Berufung des [X.]n zurückgewiesen. Aufgrund der Feststellungen des Amtsgerichts stehe fest, dass der [X.] am 17. September 2002 auf der Festplatte seines privaten Computers kinderpornographische Dateien gespeichert gehalten habe. Durch dieses Dienstvergehen sei das dienstliche Vertrauensverhältnis zerstört worden. Außerdem habe es einen Ansehensverlust bewirkt, der so erheblich sei, dass eine Weiterverwendung des [X.]n das Ansehen des Berufsbeamtentums unzumutbar belasten würde.

4

Hiergegen wendet sich der [X.] mit der Revision, mit der er beantragt,

die Urteile des [X.] vom 1. Dezember 2008 und des [X.] vom 10. Dezember 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

[X.]ie Revision des [X.]n ist mit der Maßgabe der Zurückverweisung nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO begründet. [X.]as Berufungsurteil verletzt revisibles Recht (§ 65 [X.] vom 18. Februar 2004, [X.]). [X.]as Berufungsgericht hat die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Entfernung aus dem Beamtenverhältnis aufgrund einer Bemessungsentscheidung bestätigt, die nicht den gesetzlichen Vorgaben des § 11 Abs. 1 und 2 Hmb[X.]G genügt. [X.]a die Tatsachenfeststellungen im Berufungsurteil nicht ausreichen, um dem Senat eine abschließende Entscheidung über die [X.] zu ermöglichen, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO, § 65 Abs. 4 Hmb[X.]G).

7

1. [X.]er [X.] hat durch den vorsätzlichen Besitz kinderpornographischer Schriften im Sinne von § 11 Abs. 3 StGB, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben, ein außerdienstliches [X.]ienstvergehen begangen (§ 59 Satz 3 HmbBG a.[X.]. § 81 Abs. 1 Satz 2 HmbBG a.F.).

8

a) Maßgeblich ist die Rechtslage zum Tatzeitpunkt, weil sich aus dem Inkrafttreten des [X.] vom 17. Juni 2008 (BeamtStG, [X.]) am 1. April 2009 für den [X.]n kein materiellrechtlich günstigeres Recht ergibt (Urteile vom 25. August 2009 - BVerwG 1 [X.] 1.08 - [X.] 232.0 § 77 [X.] 2009 Nr. 1, Rn. 33 und 51 bis 53 und vom 25. März 2010 - BVerwG 2 [X.] 83.08 - zur Veröffentlichung in den Entscheidungssammlungen BVerwGE und [X.] vorgesehen - juris Rn. 17).

9

[X.]er [X.] hat das [X.]ienstvergehen außerdienstlich begangen, weil sein pflichtwidriges Verhalten nicht in sein Amt und in die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden war (Urteil vom 25. August 2009 - BVerwG 1 [X.] 1.08 - a.a.[X.] Rn. 54). Er hatte die kinderpornographischen [X.]ateien ausschließlich auf seinem privaten [X.]omputer abgespeichert.

[X.]as Verhalten eines Beamten innerhalb und außerhalb des [X.]ienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert (§ 59 Satz 3 HmbBG a.F.). Besitzt ein Beamter vorsätzlich kinderpornographische Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB), so verstößt er gegen diese Pflicht.

Ein Verhalten des Beamten außerhalb des [X.]ienstes erfüllt den objektiven Tatbestand eines [X.]ienstvergehens, wenn die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 81 Abs. 1 Satz 2 HmbBG a.F. erfüllt sind. [X.]anach ist ein Verhalten eines Beamten außerhalb des [X.]ienstes ein [X.]ienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für sein Amt oder das Ansehen des [X.] bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. [X.]ie [X.]isziplinarwürdigkeit außerdienstlichen Verhaltens nach diesen Kriterien ist von der Bemessung der [X.]isziplinarmaßnahme nach § 11 Hmb[X.]G zu unterscheiden. Zwar ist für die Beurteilung der [X.]isziplinarwürdigkeit des Verhaltens nunmehr § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG maßgeblich, der die Beeinträchtigung des Ansehens des [X.] nicht mehr erwähnt. [X.]ennoch ist § 81 Abs. 1 Satz 2 HmbBG a.F. heranzuziehen, weil die Regelung des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG gegenüber der zum Tatzeitpunkt geltenden Rechtslage kein für den Beamten günstigeres Recht geschaffen hat, auf das sich der Betroffene nach dem Rechtsgedanken des § 2 Abs. 3 StGB berufen könnte (Urteil vom 25. März 2010 a.a.[X.] Rn. 14 bis 17). Bereits zum Tatzeitpunkt ging die Rechtsprechung bei der Auslegung des Merkmals "Ansehen des Berufsbeamtentums" davon aus, dass es insoweit allein um die Erhaltung eines allgemeinen Vertrauens in eine rechtsstaatliche Verwaltung geht (Urteil vom 30. August 2000 - BVerwG 1 [X.] 37.99 - BVerwGE 112, 19 <26> = [X.] 232 § 54 Satz 3 [X.] Nr. 23 zu § 77 Abs. 1 Satz 2 [X.] a.F.). [X.]ie Beschränkung auf das Vertrauen in eine objektive, rechtmäßige und effiziente Aufgabenerfüllung hat der Gesetzgeber im Wortlaut des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG zum Ausdruck gebracht (BT[X.]rucks 16/4027, [X.] zu § 48).

Grund für die Einfügung der besonderen Anforderungen für die Annahme eines außerdienstlichen [X.]ienstvergehens in § 79 Abs. 1 HmbBG a.F. (später § 81 Abs. 1 HmbBG a.F.) durch das 14. Gesetz zur Änderung des [X.] vom 29. März 1968 (HmbGVBl [X.]) war das Bestreben des Gesetzgebers, den Tatbestand des [X.]ienstvergehens im Bereich außerdienstlichen Verhaltens von Beamten einzuschränken (Bürgerschaft der [X.], [X.]rucks VI/945, [X.] zu Art. 6 Nr. 2 unter Hinweis auf die Regelung des § 45 BRRG). [X.]er geänderten Stellung der Beamten in der Gesellschaft, von denen außerdienstlich kein wesentlich anderes Sozialverhalten als von jedem Bürger erwartet wird, sollte Rechnung getragen werden (vgl. Urteile vom 30. August 2000 - BVerwG 1 [X.] 37.99 - BVerwGE 112, 19 <23 und 26 f.> = [X.] 232 § 54 Satz 3 [X.] Nr. 23 [X.] und 25 und vom 25. März 2010 a.a.[X.] Rn. 15).

[X.]as Merkmal "in besonderem Maße" bezieht sich auf die Eignung zur Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung und ist nur erfüllt, wenn das Verhalten des Beamten in quantitativer oder qualitativer Hinsicht über das für eine jede Eignung vorausgesetzte Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung hinausgeht. Ist eine derart qualifizierte Möglichkeit der Beeinträchtigung gegeben, kommt es weiterhin darauf an, ob diese Beeinträchtigung bedeutsam wäre. [X.]as Merkmal "in bedeutsamer Weise" bezieht sich auf den "Erfolg" der möglichen Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung. [X.]ie zur Beeinträchtigung in besonderem Maße geeignete Pflichtverletzung weist Bedeutsamkeit auf, wenn sie in qualitativer oder quantitativer Hinsicht das einer jeden außerdienstlichen Pflichtverletzung innewohnende Maß an disziplinarrechtlicher Relevanz deutlich überschreitet (Urteil vom 8. Mai 2001 - BVerwG 1 [X.] 20.00 - BVerwGE 114, 212 <219 f.> = [X.] 232 § 54 Satz 3 [X.] Nr. 29 S. 40).

[X.]ie Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens muss sich entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne ([X.]ienstposten), d.h. auf die Erfüllung der dem Beamten konkret obliegenden [X.]ienstpflichten, oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen (Urteile vom 30. August 2000 - BVerwG 1 [X.] 37.99 - a.a.[X.] S. 25, vom 12. [X.]ezember 2001 - BVerwG 1 [X.] 4.01 - [X.] 232 § 54 Satz 3 [X.] Nr. 32 S. 53 f. und vom 25. August 2009 - BVerwG 1 [X.] 1.08 - a.a.[X.] Rn. 52).

b) [X.]as strafrechtlich geahndete außerdienstliche [X.]ienstvergehen des [X.]n weist einen Bezug zu seinem [X.]ienstposten auf. [X.]er [X.]ienstbezug ist gegeben, wenn das außerdienstliche Verhalten Rückschlüsse auf die [X.]ienstausübung in dem Amt im konkret-funktionellen Sinn zulässt oder den Beamten in der [X.]ienstausübung beeinträchtigt. [X.]ies ist der Fall, weil der außerdienstliche Besitz kinderpornografischer Schriften bei einem Lehrer einen Persönlichkeitsmangel indiziert, der Anlass zu Zweifeln an seiner Eignung gibt, der einem Lehrer als [X.]ienstpflicht obliegenden Erziehungsaufgabe gegenüber den ihm anvertrauten Schülern jederzeit gerecht zu werden. Nach Bekanntwerden eines derartigen Fehlverhaltens ist ein Lehrer bei der Aufgabenwahrnehmung zumindest stark beeinträchtigt, weil er elementare Rechte gerade derjenigen Personengruppe verletzt hat, deren Schutz und Erziehung ihm als [X.]ienstpflicht obliegt und anvertraut sind. Insoweit genügt die bloße Eignung, zu einem konkreten Ansehensschaden oder konkreten Übergriffen muss es nicht gekommen sein.

Wer kinderpornographische Schriften besitzt (§ 184 Abs. 5 Satz 2 StGB a.F.), trägt durch seine Nachfrage nach solchen [X.]arstellungen zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern (§ 176a Abs. 2 StGB) und damit zum Verstoß gegen ihre Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit bei. [X.]er sexuelle Missbrauch eines Kindes ist in hohem Maße persönlichkeits- und sozialschädlich. Er greift in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen ein und gefährdet die harmonische Bildung seiner Gesamtpersönlichkeit sowie seine Einordnung in die [X.], weil ein Kind wegen seiner fehlenden oder noch nicht hinreichenden Reife intellektuell und gefühlsmäßig das Erlebte in der Regel gar nicht oder nur schwer verarbeiten kann. Zudem degradiert der Täter die sexuell missbrauchten kindlichen Opfer zum bloßen auswechselbaren Objekt geschlechtlicher Begierde oder Erregung (Urteile vom 6. Juli 2000 - BVerwG 2 W[X.] 9.00 - BVerwGE 111, 291 <294 f.> = [X.] 236.1 § 17 SG Nr. 33 S. 25 und vom 25. September 2007 - BVerwG 2 W[X.] 19.06 - [X.] 450.2 § 38 W[X.]O Nr. 23 S. 19).

Ein Lehrer ist nach dem umfassenden Bildungsauftrag der Schule nicht nur zur Vermittlung von Wissen, sondern auch zur Erziehung der Kinder verpflichtet. Er muss insbesondere die geistige und sittliche Entwicklung der ihm anvertrauten Kinder fördern und schützen. Zudem muss der Lehrer in seiner Vorbildfunktion die verfassungsrechtlich geschützte Wertordnung glaubhaft vermitteln. [X.]er Besitz von Schriften, die den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, ist mit diesem Bildungsauftrag der Schule unvereinbar und lässt dessen Erfüllung durch den Beamten zweifelhaft erscheinen.

2. [X.]ie Bemessungsentscheidung des Berufungsgerichts verstößt gegen § 11 Abs. 1 und 2 Hmb[X.]G.

a) [X.]ie Verwaltungsgerichte erkennen aufgrund einer eigenen Bemessungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 und 2 Hmb[X.]G auf die erforderliche [X.]isziplinarmaßnahme, wenn sie nach umfassender Sachaufklärung (§ 54 Hmb[X.]G sowie § 86 Abs. 1 und 2 VwGO) zu der Überzeugung gelangen, dass der Beamte die ihm in der [X.]schrift zur Last gelegten dienstpflichtwidrigen Handlungen begangen hat, und dem Ausspruch der [X.]isziplinarmaßnahme kein rechtliches Hindernis entgegensteht (§ 56 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 Nr. 1 Hmb[X.]G). Sie sind dabei an die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Wertungen des klagenden [X.]ienstherrn nicht gebunden (Urteile vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 [X.] 9.06 - [X.] 235.1 § 13 B[X.]G Nr. 3 Rn. 11 und vom 25. März 2010 - BVerwG 2 [X.] 83.08 - juris Rn. 9 sowie Beschluss vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 - [X.] 235.1 § 58 B[X.]G Nr. 1 S. 2).

Welche [X.]isziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 Hmb[X.]G nach der Schwere des [X.]ienstvergehens sowie nach dem gesamten dienstlichen und außerdienstlichen Verhalten des Beamten. [X.]en Bedeutungsgehalt dieser gesetzlichen Begriffe hat der Senat in den Urteilen vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 [X.] 12.04 - (BVerwGE 124, 252 <258 ff.> = [X.] 235.1 § 13 B[X.]G Nr. 1 Rn. 21 ff.) und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 [X.] 9.06 - (a.a.[X.] Rn. 13 ff.; seitdem stRspr) näher bestimmt. [X.]anach ist [X.] für die Bestimmung der [X.]isziplinarmaßnahme gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 Hmb[X.]G die Schwere des [X.]ienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten [X.]ienstpflichten, [X.]auer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Bereich und für [X.]ritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens.

Aus § 11 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 Nr. 1 bis 10 Hmb[X.]G folgt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, über die erforderliche [X.]isziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche [X.]isziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen [X.]ienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums zu gewährleisten (Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 [X.] 9.06 - a.a.[X.] Rn. 16).

b) Für das außerdienstlich begangene [X.]ienstvergehen des Besitzes kinderpornographischer Schriften scheidet eine Regeleinstufung, wie sie in der Rechtsprechung für schwerwiegendes innerdienstliches Fehlverhalten entwickelt worden ist (Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 [X.] 9.06 - a.a.[X.] Rn. 20 m.w.N.), aus. [X.]anach kommt regelmäßig die Entfernung aus dem [X.]ienst (bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts) dann in Betracht, wenn die Schwere des innerdienstlichen [X.]ienstvergehens das für die weitere dienstliche Tätigkeit notwendige Vertrauensverhältnis endgültig zerstört hat (z.B. Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 [X.] 12.04 - BVerwGE 124, 252 <261> = [X.] 235.1 § 13 B[X.]G Nr. 1 Rn. 28). Im Bereich der Sexualdelikte hat der Senat den mit Freiheitsstrafe geahndeten außerdienstlichen sexuellen Missbrauch eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB) als derart schwerwiegend erachtet, dass die [X.] indiziert ist, wenn es insgesamt an hinreichend gewichtigen entlastenden Umständen fehlt (Urteil vom 25. März 2010 - BVerwG 2 [X.] 83.08 - a.a.[X.]) Anders als bei einem solchen unmittelbaren Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung ist beim Besitz kinderpornografischer Schriften eine Regeleinstufung nicht angezeigt, weil die Variationsbreite der jeweiligen Schwere der außerdienstlichen Verfehlung zu groß ist. [X.]ies gilt auch für die Fälle, in denen das strafbare Verhalten einen Bezug zu den dienstlichen Pflichten des Beamten aufweist. Maßgeblich für die Maßnahmebemessung ist hier ebenfalls die jeweilige Strafandrohung unter Berücksichtigung des [X.]ienstbezugs der Pflichtverletzung des Beamten. [X.]enn durch die Strafandrohung bringt der Gesetzgeber seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens verbindlich zum Ausdruck, die bei der Bemessung der [X.]isziplinarmaßnahme als Orientierungsrahmen dient. [X.]as Ausmaß des Ansehensschadens, der durch eine außerdienstlich begangene Straftat herangerufen wird, wird maßgeblich durch den Strafrahmen bestimmt. [X.]ie Anknüpfung an den Strafrahmen gewährleistet auch insoweit eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Ahndung von [X.]ienstvergehen. [X.]ie Verwaltungsgerichte dürfen ihre eigene Einschätzung des [X.] eines [X.]elikts nicht an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen, wenn sie den Strafrahmen für unangemessen niedrig halten. Ebenso wie bei einer Regeleinstufung sind die Verwaltungsgerichte auch bei der Bestimmung eines Orientierungsrahmens gehalten, über die erforderliche [X.]isziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden.

Für die Bestimmung des Orientierungsrahmens ist der zum Tatzeitpunkt geltende Strafrahmen maßgeblich. Nachträgliche Verschärfungen können nicht rückwirkend für die Beurteilung des zuvor begangenen [X.]ienstvergehens herangezogen werden. [X.]eshalb bleibt hier das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. [X.]ezember 2003 ([X.]) unberücksichtigt, mit dem der Gesetzgeber den Strafrahmen für das Vergehen des Besitzes kinderpornographischer Schriften von einem auf zwei Jahre Freiheitsstrafe erhöht hat. Auszugehen ist hier von der zum Tatzeitpunkt geltenden Strafandrohung von einem Jahr Freiheitsstrafe (§ 184 Abs. 5 StGB a.F.). [X.]as Ausmaß des Ansehensschadens, der durch eine außerdienstlich begangene Straftat hervorgerufen wird, wird maßgeblich durch diesen Strafrahmen bestimmt, so dass bei Fehlen jeglichen [X.]ienstbezuges allenfalls eine [X.]isziplinarmaßnahme im unteren Bereich in Betracht käme. Unter Berücksichtigung der dienstlichen Pflichten eines Lehrers hinsichtlich des Schutzes von Kindern und wegen des mit dem [X.]ienstvergehen gerade bei einem Lehrer einhergehenden Autoritätsverlustes ist jedoch eine andere Einordnung gerechtfertigt. [X.]iese bewegt sich im Regelfall auf [X.] der Zurückstufung (§ 7 Hmb[X.]G) im Sinne eines Orientierungsrahmens.

Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass unter der Geltung der erhöhten Strafandrohung des § 184b Abs. 5 StGB in den Fällen des Besitzes kinderpornographischer Schriften deshalb angesichts der [X.]ienstpflichten von Lehrern der Orientierungsrahmen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist.

3. [X.]ie tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts reichen für eine Bestimmung der angemessenen [X.]isziplinarmaßnahme durch den Senat nicht aus:

Nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil hat der [X.] nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts ... berichtet, er habe gegenüber seiner Kollegin S. angekündigt, testen zu wollen, ob Schüler im [X.] leicht an Kinderpornographie kommen können, und habe dieser Kollegin auch mitgeteilt, dass dies nicht der Fall sei. [X.]iesen Behauptungen des [X.]n hat das Berufungsgericht Bedeutung sowohl für die Frage der Kenntnisnahme des [X.]n von den herunter geladenen kinderpornographischen [X.]ateien als auch für die subjektive Tatseite beigemessen. Insoweit hat das Berufungsgericht die Lösung von den Feststellungen des Amtsgerichts ausdrücklich abgelehnt. [X.]abei hat es zwar die Rechtsprechung des [X.] zur Lösung von den Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils angeführt, hat sie aber nicht vollständig verwertet. [X.]anach kommt eine Lösung von den tatsächlichen Feststellungen auch in Betracht, wenn neue Beweismittel vorgelegt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen, und nach denen die Tatsachenfeststellungen jedenfalls auf erhebliche Zweifel stoßen (Urteile vom 29. November 2000 - BVerwG 1 [X.] 13.99 - BVerwGE 112, 243 <245> und vom 16. März 2004 - BVerwG 1 [X.] 15.03 - [X.] 232 § 54 Satz 3 [X.] Nr. 36 und Beschluss vom 24. Juli 2007 - BVerwG 2 [X.] - [X.] 235.2 L[X.]isziplinarG Nr. 4 Rn. 11). [X.]iese Formulierung entspricht der dem § 18 Abs. 1 B[X.]O nachgebildeten Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 2 Hmb[X.]G, die im Gegensatz zu § 57 Abs. 1 Satz 2 B[X.]G die "offenkundige Unrichtigkeit" der Feststellungen nicht voraussetzt.

[X.]ie Bindungswirkung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Hmb[X.]G schließt zudem eine vom Strafgericht abweichende Würdigung aus. [X.]ennoch hat das Berufungsgericht die vom [X.]n behaupteten Tatsachen zu den Gesprächen mit seiner Kollegin als wahr unterstellt und sodann als Schutzbehauptung gewürdigt. Er habe diese Erklärungen gegenüber [X.] nur abgegeben, um im Falle der Entdeckung eine Entlastungszeugin für die von ihm behauptete Motivation für die Suche nach Kinderpornographie im [X.] präsentieren zu können.

Bei dieser Würdigung hat das Berufungsgericht zudem den Anspruch des [X.]n auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. [X.]er Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass der Einzelne nicht bloßes Objekt des gerichtlichen Verfahrens ist. [X.]er Verfahrensbeteiligte soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können ([X.], Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - [X.]E 84, 188 <190>). Zwar verlangt Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist; ihm ist auch keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts zu entnehmen ([X.], Beschluss vom 25. Januar 1984 - 1 BvR 272/81 - [X.]E 66, 116 <147>). [X.]er Schutz vor einer Überraschungsentscheidung verlangt aber, dass die Beteiligten erkennen können, auf welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte es für die Entscheidung nach Ansicht des Gerichts ankommt ([X.], [X.] vom 24. Oktober 2007 - 1 BvR 1086/07 - [X.], 244 Rn. 21).

Nach diesen Grundsätzen war das Berufungsgericht gehalten, den [X.]n zu den Beweggründen der als wahr unterstellten Gespräche mit der Kollegin [X.] anzuhören und ihm die eigene Würdigung, es handele sich um eine Schutzbehauptung, vorzuhalten. [X.]ies gilt gerade angesichts des Umstands, dass der [X.] in der Berufungsverhandlung umfangreich befragt worden ist und dabei auch die Gespräche mit der Kollegin [X.] erwähnt worden sind. Aus diesem Verhalten des Gerichts konnte und musste der [X.] schließen, das Berufungsgericht habe ihn zu allen aus gerichtlicher Sicht maßgeblichen Aspekten des Falles befragt, zu denen er persönlich Auskunft geben könnte. [X.]ie Behauptungen des [X.]n zum Hintergrund seiner Gespräche mit der Kollegin [X.] waren infolge der [X.] nicht mehr Gegenstand der Berufungsverhandlung. Mit der vom Berufungsgericht im Urteil vorgenommenen Würdigung seines Vorbringens musste der [X.] nach diesem Verlauf der Berufungsverhandlung aber nicht rechnen.

4. Sollte das Berufungsgericht bei seiner neuen Bemessensentscheidung nach § 11 Hmb[X.]G zu dem Ergebnis kommen, angemessene [X.]isziplinarmaßnahme sei die Zurückstufung des [X.]n nach § 7 Hmb[X.]G, so wäre diese aus laufbahnrechtlichen Gründen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Hmb[X.]G ausgeschlossen. [X.]er [X.] befindet sich nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil noch in seinem [X.]. [X.]er [X.] hat zwar bei der Neuordnung des Laufbahnrechts nur noch zwei Laufbahngruppen vorgesehen. Für den Bereich des [X.]isziplinarrechts hat er aber von der damit verbundenen Ausweitung der Möglichkeiten der Zurückstufung Abstand genommen und diese auf das jeweilige [X.] begrenzt (Bürgerschaft der [X.], [X.]rucks 19/3757, S. 78 f.).

Kommt allein deshalb die Kürzung der [X.]ienstbezüge nach § 6 Hmb[X.]G als nächstmildere Maßnahme in Betracht, so sind die besonderen Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 2 Hmb[X.]G stets erfüllt (Urteil vom 19. August 2010 - BVerwG 2 [X.] 13.10 - zur Veröffentlichung bestimmt).

Nach § 17 Abs. 4 und 5 Hmb[X.]G ist eine Ahndung des [X.]ienstvergehens des [X.]n mit einer Kürzung der [X.]ienstbezüge noch möglich.

Meta

2 C 5/10

19.08.2010

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, 1. Dezember 2008, Az: 12 Bf 42/08.F, Urteil

§ 11 Abs 1 DG HA, § 11 Abs 2 DG HA, § 59 Abs 3 BG HA 1977, § 81 Abs 1 S 2 BG HA 1977, § 11 Abs 3 StGB, § 2 Abs 3 StGB, § 184 Abs 5 StGB, § 184 Abs 5aF StGB, § 184b Abs 5 StGB, § 34 S 3 BeamtStG, § 47 Abs 1 S 2 BeamtStG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.08.2010, Az. 2 C 5/10 (REWIS RS 2010, 3914)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3914

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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