Bundessozialgericht, Urteil vom 23.07.2015, Az. B 5 R 32/14 R

5. Senat | REWIS RS 2015, 7632

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Anforderungen an die Begründung einer Revision im sozialgerichtlichen Verfahren - Zulässigkeit einer Revision - Verfahrensdauer - Prozessverlauf - Zusammentreffen von Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung


Tenor

Die Revision wird als unzulässig verworfen.

Zwischen den Beteiligten sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten zuletzt noch darüber, ob im Rahmen der Anrechnung der Verletztenrente des [X.] auf dessen Altersrente für schwerbehinderte Menschen (vormals: Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige) der abgesenkte Freibetrag in Höhe einer "Grundrente Ost" zu berücksichtigen ist. Mit Bescheid vom [X.] und Widerspruchsbescheid vom 13.10.1999 gewährte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß seine Altersrente und rechnete dabei von Anfang an die bezogene Unfallrente an. Von der Anrechnung ausgenommen wurde ein Freibetrag in Höhe der Grundrente nach dem [X.] ([X.]). Da der Kläger seinen Wohnsitz am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer hatte, berücksichtigte die Beklagte diesen Freibetrag in Höhe der für das Beitrittsgebiet abgesenkten Grundrentensätze. Während des Verfahrens vor den Instanzgerichten wurde der [X.] mehrfach fortgeschrieben. Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.10.2002). Das L[X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen und die Klage gegen weitere Verwaltungsakte abgewiesen (Urteil vom 10.4.2008).

2

Mit der vom L[X.] hinsichtlich der Anrechnung der Unfallrente zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 93 Abs 2 [X.] a [X.]B VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Das B[X.] hat im Blick auf eine eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des B[X.] vom 13.11.2008 - B 13 R 129/08 R - das Ruhen des Verfahrens angeordnet (Beschluss vom 19.5.2009). Im Verfahren vor dem [X.] hat der dortige Beschwerdeführer das Verfahren für erledigt erklärt. Das [X.] hat es mit Beschluss vom 8.6.2012 - 1 BvR 349/09 - Juris abgelehnt, die Auslagen nach Erledigung und Rücknahme der Verfassungsbeschwerde zu erstatten. Der Senat hat das ruhende Verfahren von Amts wegen wieder aufgenommen.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision ist unzulässig (§ 169 [X.]). Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 164 Abs 2 [X.]).

4

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 [X.] ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach [X.] der Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Diese gesetzlichen Anforderungen hat das [X.] in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur [X.]-1500 § 164 [X.] RdNr 9 f; [X.]-1500 § 164 [X.]). Sie haben den Zweck, eine Entlastung des [X.] sowie im Interesse aller Beteiligten eine umfassende Vorbereitung des Verfahrens zu gewährleisten (vgl Senatsurteil vom 3.7.2002 - [X.] RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; [X.] vom [X.] - B 3 KR 22/03 R - Juris RdNr 16 und [X.]-1500 § 164 [X.] RdNr 11; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 11. Aufl 2014, § 164 RdNr 7). Im Blick hierauf sind die vom [X.] (erweiterten) Anforderungen an die Begründung einer Revision auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl [X.] [X.] 1500 § 164 Nr 17 S 29).

5

Um anhand der Revisionsbegründung nachvollziehen zu können, ob der Revisionskläger bzw sein [X.] das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und die Rechtslage genau durchdacht hat, muss die Revision daher sowohl bei prozessualen als auch bei materiell-rechtlichen [X.] sorgfältig begründet werden (vgl Senatsurteile vom 11.6.2003 - [X.] RJ 52/02 R - Juris Rd[X.] und vom 3.7.2002 - [X.] RJ 30/01 R - Juris RdNr 10; [X.] vom [X.] KR 23/10 R - Juris Rd[X.]; [X.]-1500 § 164 [X.] und [X.] § 164 Nr 20 [X.]3 f sowie [X.] vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 14). Hieran fehlt es indessen.

6

Der Kläger rügt eine Verletzung des § 93 Abs 2 [X.] a SGB VI sowie einen Verstoß gegen Art 3 GG. Die fehlerhafte Anwendung dieser Normen kann schlüssig nur dadurch gerügt werden, dass der [X.] zunächst angibt, auf welchen festgestellten Sachverhalt das Berufungsgericht die Vorschrift in welcher Weise angewandt hat. Ohne diese stets notwendigen Angaben ist eine Überprüfung des vorgenommenen Subsumtionsschlusses von vornherein ausgeschlossen.

7

Das Rechtsmittel gibt bereits nicht an, von welchem Sachverhalt (im Sinne einer Gesamtheit rechtlich relevanter Tatumstände) das [X.] im Revisionsverfahren auszugehen hat. Aus der Revisionsbegründung geht lediglich hervor, dass die Beklagte auf die Altersrente des [X.] dessen Verletztenrente aus der Unfallversicherung angerechnet habe und dabei wegen des Wohnsitzes des [X.] am 18.5.1990 im Gebiet der neuen Bundesländer lediglich den reduzierten "Freibetrag Ost" zugrunde gelegt habe. Dabei lässt die Revisionsbegründung bereits offen, ob diese tatsächlichen Angaben dem Berufungsgericht überhaupt zuzurechnen sind, dh ganz oder teilweise mit dem Sachverhalt übereinstimmen, den das [X.] im angefochtenen Urteil festgestellt hat. Des Weiteren geht der Kläger nirgendwo darauf ein, an welcher genauen Stelle er dem Berufungsurteil welche der genannten Tatumstände entnehmen möchte. Für das Revisionsgericht sind indes die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen maßgeblich (vgl § 163 [X.]). Fehlen diesbezügliche Ausführungen, wird das [X.] nicht in die Lage versetzt, ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die im Streit stehenden revisiblen Rechtsvorschriften auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden sind. Es ist nicht Aufgabe des erkennenden Senats, die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst zusammenzutragen.

8

Darüber hinaus setzt sich der Kläger auch nicht in der gebotenen Weise mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinander. Wendet sich die Revision gegen die Verletzung von Vorschriften des materiellen Rechts, ist in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Normen in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewandt worden sind (vgl zusammenfassend: [X.] vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10 mit zahlreichen Nachweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung; [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] RJ 46/05 R - Juris RdNr 6 und 9). Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedanken des [X.] einzugehen ([X.] vom [X.] - Juris RdNr 10 und [X.] § 164 Nr 20 [X.]3 f). Dazu muss der [X.] - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist ([X.] § 164 [X.] und Nr 20 [X.]3 f mwN; Senatsurteil vom 11.6.2003 - [X.] RJ 52/02 R - Juris Rd[X.] ff). Insbesondere bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird ([X.] vom 11.11.1993 - 7 [X.] - Juris RdNr 15 mwN; [X.], 186, 187 f = [X.] 3-1200 § 53 [X.]; [X.] § 164 [X.], 20 und 28).

9

Das [X.] hat sich eingehend mit Wortlaut, Gesetzesbegründung und Systematik der streitbefangenen Norm beschäftigt und insbesondere auch einen Verfassungsverstoß gegen Art 14 GG und Art 3 Abs 1 GG verneint. Es hat sich dabei insbesondere auf den Beschluss des [X.] - [X.] RJ 25/05 R - gestützt. Auf diese Gründe und den konkreten Subsumtionsschluss des [X.] geht der Kläger nur unzureichend ein. Er beschränkt sich vielmehr darauf, dem Ergebnis des Berufungsgerichts seine eigene Rechtsauffassung entgegenzuhalten. Danach ermächtige § 93 Abs 2 [X.] a SGB VI den Rentenversicherungsträger nicht, bei der Berücksichtigung des Freibetrags zwischen unfallverletzten Rentenbewerbern in den alten und neuen Bundesländern zu differenzieren. Dabei stützt er sich insbesondere auf die Entscheidungen des 4. Senats des [X.] vom 10.4.2003 - [X.] - und vom [X.] - [X.] RA 27/05 R -, an denen der ab 1.1.2008 anstelle des 4. [X.] aus der Rentenversicherung zuständige 5a-Senat des [X.] nicht mehr festgehalten hat (Beschluss vom 30.7.2008 - [X.]a [X.]). Der Hinweis des [X.] auf das von ihm selbst vertretene Auslegungsergebnis ersetzt nicht die eingehende Auseinandersetzung mit den Überlegungen, von denen sich das [X.] bei seiner Rechtsauslegung hat leiten lassen.

Letztlich macht der Kläger mit seinem Vortrag eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 [X.]) geltend. Eine formgerechte Verfahrensrüge der Verletzung des Rechts der freien Beweiswürdigung liegt aber nicht vor, wenn die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des [X.] setzt oder diese eigene Würdigung als überlegen bezeichnet. Dem Revisionsgericht ist es nämlich nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten (stRspr, vgl nur [X.] § 164 [X.]1 S 50; [X.] vom 19.12.2001 - B 11 AL 50/01 R - Juris RdNr 16).

Die vorliegende Verfahrensdauer gibt keinen Anlass, von den im Gesetz vorgesehenen Anforderungen an die Begründung der Revision abzuweichen. Die Verfahrensdauer ergibt sich vorliegend im Wesentlichen daraus, dass der Senat den Rechtsstreit wegen einer ausstehenden Entscheidung des [X.] zum Ruhen gebracht hat. Ein derartiges Zuwarten erschien vorliegend geboten, um den Kläger in den Genuss einer ihm möglicherweise positiven Entscheidung des [X.] kommen zu lassen. Endet das verfassungsgerichtliche Verfahren indessen erfolglos, begründet der bisherige Prozessverlauf keine Erwartung hinsichtlich der Zulässigkeit der Revision oder darauf, dass sich das Revisionsgericht hierauf nicht mehr berufen werde.

Die nicht formgerecht begründete Revision ist nach § 169 [X.] als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 [X.].

Meta

B 5 R 32/14 R

23.07.2015

Bundessozialgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Cottbus, 9. Oktober 2002, Az: S 6 KN 174/99, Urteil

§ 128 Abs 1 S 1 SGG, § 164 Abs 2 S 3 SGG, § 93 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB 6, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 23.07.2015, Az. B 5 R 32/14 R (REWIS RS 2015, 7632)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7632

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