Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.05.2011, Az. VII B 195/10

7. Senat | REWIS RS 2011, 6497

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Gegenstand

Keine Nichtigkeit des UStG und der AO aufgrund eines etwaigen Verstoßes gegen das Zitiergebot - Keine grundsätzliche Bedeutung - Unterlassene Vorlage an das BVerfG kein Verfahrensmangel - Verfahrensmangel des Fehlens von Urteilsgründen


Leitsatz

1. NV: Der Frage, ob das UStG und die AO aufgrund eines Verstoßes des § 27b UStG und des § 284 AO gegen das Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleitende Zitiergebot insgesamt nichtig sind, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu .

2. NV: Die Vorschriften des § 27b UStG und § 284 AO sind mit dem UStG bzw. mit der AO nicht derart verflochten, dass ein Verstoß gegen das Zitiergebot in Bezug auf diese Bestimmungen die Nichtigkeit der beiden Gesetze zur Folge hätte .

3. NV: Es stellt keinen Verfahrensmangel dar, wenn das FG eine Vorlage des Rechtsstreits an das BVerfG unterlässt .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH; zudem betreibt er ein Einzelunternehmen. Wegen rückständiger Lohnsteuern der GmbH wurde er vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) mit inzwischen bestandskräftigem [X.] als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Fällige Steuern aus seinem Unternehmen zahlte der Kläger über mehrere Jahre hinweg nicht oder erst nach Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen. Auch einen Teil der Haftungsschuld hat der Kläger noch nicht beglichen. Nachdem mehrere [X.] erfolglos geblieben waren, forderte das [X.] den Kläger mit Bescheid vom 13. Juni 2005 zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses sowie zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung auf.

2

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) urteilte, dass die Voraussetzungen des § 284 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]) im Streitfall erfüllt seien. Mehrfach habe sich der Kläger den Versuchen des [X.], vollstreckungsfähiges Vermögen ausfindig zu machen, widersetzt. Auch die mehrfach in Aussicht gestellte Tilgung der rückständigen Abgabenbeträge aus Guthaben bei verschiedenen Kreditinstituten und der Hinweis, Grundvermögen des Klägers mit Sicherungs- und Pfandrechten zu belasten, habe das [X.] nicht dazu veranlassen müssen, von dem Verlangen nach Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und Abgabe der eidesstattlichen Versicherung abzusehen. Wie sich mittlerweile herausgestellt habe, hätten die Guthaben dem Kläger nicht mehr zur Verfügung gestanden. Auch sei das Grundvermögen bereits mit vorrangigen Grundpfandrechten in erheblicher Höhe belastet gewesen.

3

Im Übrigen seien weder das [X.] (UStG) noch die [X.] wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) unwirksam und nichtig.

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren hat der Senat mit Beschluss vom 10. Februar 2011 [X.]/10 (PKH) abgelehnt.

5

Zur Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde trägt der Kläger vor, dass der Frage grundsätzliche Bedeutung zukomme, ob das UStG und die [X.] gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG verstießen und infolgedessen nichtig seien. In § 413 [X.] werde nicht auf Art. 14 Abs. 1 GG Bezug genommen, obwohl die im sechsten Abschnitt der [X.] geregelten Vollstreckungsmaßnahmen durchweg eine Einschränkung des Eigentums begründeten. Sobald auch nur eine Vorschrift eines Gesetzes gegen das Zitiergebot verstoße, sei das gesamte Gesetz als nichtig zu betrachten. Dies ergebe sich aus der Entscheidung des [X.] ([X.]) vom 27. Juli 2005  1 [X.] ([X.]E 113, 348).

6

Darüber hinaus liege dem Prozessbevollmächtigten bis zum heutigen Tag lediglich ein Telefax des [X.] vor, das die Überschrift "Im Namen des Volkes Urteil" trage und das jegliche Unterschrift der [X.] vermissen lasse und zudem von einem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterzeichnet sei. Nach erfolgter Akteneinsicht sei in der Akte des [X.] kein richterliches Originalexemplar vorhanden. Unter diesen Umständen müsse davon ausgegangen werden, dass lediglich ein Urteilsentwurf vorliege. Zudem habe sich das [X.] nicht mit dem Vortrag hinsichtlich der Unwirksamkeit und Nichtigkeit des UStG und der [X.] befasst.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

8

Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] --[X.]-- (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 [X.]O). Auch die gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) liegen nicht vor.

9

1. Der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage, ob das UStG und die [X.] aufgrund eines Verstoßes gegen das aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleitende Zitiergebot insgesamt nichtig sind, kommt deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie so zu beantworten ist, wie es das [X.] unter Bezugnahme auf die [X.] vom 9. Januar 2009 [X.]/08 ([X.], 801) getan hat. Wie der [X.] ausgeführt hat, ergäbe sich selbst bei einem Verstoß des § 27b UStG gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG allenfalls eine Teilnichtigkeit des UStG, nicht jedoch dessen vollständige Nichtigkeit. Denn die Verletzung des [X.] durch eine einzelne Vorschrift eines Gesetzes begründet nur die Nichtigkeit dieser Vorschrift und damit nur eine Teilnichtigkeit des Gesetzes. Die Nichtigkeit des gesamten Gesetzes kommt nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nur in Betracht, wenn der ungültige Gesetzesteil mit dem Gesetz im Übrigen derart verflochten ist, dass beide eine untrennbare Einheit bilden. Dies trifft auf das Verhältnis von § 27b UStG zu den weiteren Vorschriften des UStG nicht zu ([X.]-Beschlüsse in [X.], 801, und vom 16. Dezember 2009 [X.]/08, [X.]/NV 2010, 1866 zum UStG, und vom 22. Juli 2010 [X.], [X.]/NV 2010, 2095 zur [X.]O).

2. Auch die der Vollstreckung zuzurechnende Vorschrift des § 284 [X.] steht mit den übrigen Bestimmungen der [X.] nicht in einem solch untrennbaren Zusammenhang, dass ein etwaiger Verstoß gegen das Zitiergebot die Nichtigkeit der gesamten [X.] zur Folge hätte. Mit den vorgenannten Entscheidungen setzt sich der anwaltlich vertretene Kläger auch nicht ansatzweise auseinander. Im Übrigen hat sich das [X.] in der vom Kläger in Bezug genommenen Entscheidung in [X.]E 113, 348 nicht mit der Frage befasst, ob die Nichtigkeit nur einer Bestimmung eines Gesetzes die Nichtigkeit des Gesetzes im Ganzen zur Folge hat. Vielmehr hat es sich darauf beschränkt, die Unvereinbarkeit von § 33a Abs. 1 Nr. 2 und 3 des [X.] über die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit Art. 10 Abs. 1 GG festzustellen; die Nichtigkeit des gesamten Gesetzes hat es nicht angeordnet. Bereits dieser Umstand widerspricht dem Verständnis des [X.].

3. Soweit der Kläger rügt, dass das [X.] das Verfahren nicht ausgesetzt und die Frage nach der Nichtigkeit des UStG und der [X.] unter Verstoß gegen die sich aus Art. 100 Abs. 1 GG ergebende Vorlagepflicht nicht dem [X.] vorgelegt habe, liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor. Denn es stellt keinen Verfahrensmangel dar, wenn das [X.] eine Vorlage des Rechtsstreits an das [X.] unterlässt. Die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen ist eine materiell-rechtliche Frage ([X.]-Beschluss vom 4. Februar 2004 [X.], [X.]/NV 2004, 639).

4. Sollte der Behauptung, dass sich das [X.] mit dem Vortrag hinsichtlich der Nichtigkeit des UStG nicht auseinandergesetzt habe, die Rüge der Verletzung des Gehörsanspruchs entnommen werden können, liegt auch ein solcher Verfahrensmangel nicht vor. Das [X.] hat in den Entscheidungsgründen zu dieser Frage Stellung genommen und sich ausdrücklich der Auffassung des [X.] angeschlossen. Dass es dabei den Argumenten des [X.] nicht gefolgt ist, stellt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.

5. Schließlich liegt auch der mit der Behauptung des Vorliegens eines nicht unterschriebenen [X.] gerügte Verfahrensmangel des Fehlens von Urteilsgründen (vgl. hierzu [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 119 [X.]O [X.], und [X.]-Beschluss vom 7. Mai 2003 [X.], [X.]/NV 2003, 1203) nicht vor. Aus dem "Fehlblattvermerk" in der Akte des [X.] ergibt sich vielmehr, dass die Urschrift (mit den Unterschriften der [X.]) entnommen worden ist. Aus dem Umstand, dass die [X.], die dem Rechtsbeistand des [X.] [X.] worden ist, keine (Original-)Unterschriften der an der Entscheidung beteiligten [X.] aufweist, lässt sich nicht schließen, dass die Urschrift nicht unterschrieben worden ist; das Gegenteil bezeugt vielmehr der Ausfertigungsvermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Zudem trifft die Behauptung nicht zu, dass das Urteil nicht verkündet worden ist. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung hat das [X.] nicht nur den Beschluss gefasst, eine Entscheidung im [X.] an die Sitzung zu verkünden, sondern das Urteil auch nach geheimer Beratung verkündet. Damit ist das Urteil wirksam geworden, so dass Mängel in der Unterschriftsleistung allenfalls Einfluss auf den Lauf der Rechtsmittelfrist hätten (Senatsbeschluss vom 23. Februar 1998 [X.], [X.]/NV 1999, 1343, m.w.N.), die der Kläger mit fristgerechter Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gewahrt hat.

Meta

VII B 195/10

18.05.2011

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 7. Juli 2010, Az: 12 K 1957/05, Urteil

Art 19 Abs 1 S 2 GG, Art 100 Abs 1 GG, § 284 AO, § 27b UStG 2005, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.05.2011, Az. VII B 195/10 (REWIS RS 2011, 6497)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6497

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