Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.07.2019, Az. B 1 KR 92/18 B

1. Senat | REWIS RS 2019, 4948

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Einsatz von nicht planmäßigen Richtern - unvorschriftsmäßige Besetzung - absoluter Revisionsgrund


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 25. Oktober 2018 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger ist mit seinem Antrag auf Versorgung mit dem Arzneimittel [X.] 400 mg retard ohne Begrenzung auf den Festbetrag bei der beklagten Krankenkasse und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben (Bescheid vom [X.], Widerspruchsbescheid vom 2.12.2015, SG-Urteil vom [X.] vom 25.10.2018).

2

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im [X.]. Er rügt, das [X.] sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. An dem [X.] habe die an das [X.] abgeordnete [X.]in am [X.] mitgewirkt. Ein den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechender zwingender Grund für das Fortdauern der Abordnung bei der Mitwirkung der [X.]in habe nicht vorgelegen.

3

II. Die zulässige Beschwerde des [X.] ist begründet. Das [X.] beruht auf einem Verfahrensfehler (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 [X.] [X.]; dazu 2.), den der Kläger entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 [X.] bezeichnet (dazu 1.).

4

1. Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der Kläger bezeichnet den Verfahrensmangel der unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts hinreichend. Er untermauert mit der Stellungnahme des Präsidenten des Bayerischen [X.] detailliert, warum es keine zwingenden Gründe im Rechtssinne dafür gegeben habe, [X.]in am [X.] vom 1.1.2018 bis zum [X.] an das [X.] abzuordnen.

5

2. Der zulässig gerügte Verfahrensfehler des [X.] liegt auch vor. Das [X.] war in der mündlichen Verhandlung vom 25.10.2018 nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 547 [X.] iVm § 202 S 1 [X.]). Nach der Rspr des [X.] ([X.] Beschluss vom 13.11.1997 - 2 BvR 2269/93 - NJW 1998, 1053; [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 1551/95 - DtZ 1996, 175; [X.]E 87, 68 mwN; [X.]E 14, 156, 162 ff = Juris RdNr 12 ff) sowie der obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl ua BSG Beschluss vom 23.10.2018 - [X.] [X.] 43/18 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 25.5.2018 - [X.]3 R 217/17 B - Juris RdNr 8 ff; BSG Beschluss vom [X.] - [X.]4 [X.]/17 B - Juris RdNr 6; [X.], 333; [X.], 304; [X.], 22; [X.], 142, 145; BVerwGE 102, 7; [X.] Beschluss vom 18.6.2015 - 8 [X.] 881/14 - Juris RdNr 5; [X.]E 123, 46) sehen das Grundgesetz und die Gerichtsverfassung im Interesse der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der [X.] vor, dass ihr Amt grundsätzlich von bei dem betreffenden Gericht planmäßig und auf Lebenszeit ernannten [X.]n ausgeübt wird. [X.] sind nach Art 97 Abs 1 GG weisungsunabhängig; ihre sachliche Unabhängigkeit wird durch die Garantie der persönlichen Unabhängigkeit in Art 97 Abs 2 GG institutionell gesichert. Auch Art 92 GG setzt als Normalfall [X.] voraus, die unversetzbar und unabsetzbar sind ([X.]E 14, 156, 162 f = Juris RdNr 12 f).

6

Der Einsatz von nicht planmäßigen [X.]n bei einem Gericht ist deshalb auf das zwingend gebotene Maß zu beschränken. Die Notwendigkeiten, die eine solche Verwendung rechtfertigen, können in den einzelnen Gerichtszweigen, bei den einzelnen Gerichten und bei ihren Kammern oder Senaten örtlich und zeitlich verschieden sein; daher hängt es von den jeweiligen besonderen Umständen ab, ob und in welchem Maß im Einzelfall die Besetzung der erkennenden Gerichte mit nicht planmäßigen [X.]n zulässig ist. In jedem Fall muss es sich um unumgängliche Bedürfnisse der Rechtspflege handeln. Das Grundgesetz beschränkt eine solche Verwendung auf das zwingend gebotene Maß ([X.]E 14, 156, 163 = Juris RdNr 15).

7

Zwingende Gründe für den Einsatz planmäßiger [X.] unterer Gerichte in Abordnung an obere Gerichte sind zB die Eignungserprobung und die Notwendigkeit, Nachwuchs heranzubilden oder Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen ([X.] Beschluss vom 22.6.2006 - 2 BvR 957/05 - Juris RdNr 7 mwN; [X.]E 14, 156, 164 = Juris RdNr 17). Zudem liegen zwingende Gründe für einen Einsatz nicht planmäßiger [X.] an oberen Gerichten vor, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige [X.], deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist. Auch in solchen Fällen ist die Verwendung von nicht planmäßigen [X.]n aber nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist, oder weil die Justizverwaltung es verabsäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen ([X.]E 14, 156, 164 f = Juris RdNr 17; BSG Beschluss vom 25.5.2018 - [X.]3 R 217/17 B - Juris RdNr 11).

8

Ausgehend von diesen Maßstäben hat ein zwingender Grund für das Tätigwerden der [X.]in am [X.] statt eines planmäßigen [X.]s am [X.] nicht vorgelegen. Aus der Stellungnahme des Präsidenten des Bayerischen [X.] vom [X.] ergibt sich, dass sich bereits im Jahr 2017 deutlich abgezeichnet hat, dass das [X.] zum [X.] wegen der Entwicklung des Verfahrensbestandes, der Übertragung neuer Zuständigkeiten und der Mehrung von Verwaltungsaufgaben einen zusätzlichen nicht nur vorübergehenden Personalbedarf hatte. Rechtsgründe, die daran gehindert hätten, diesen [X.] in den Haushalt 2018 einzubringen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zwar datiert das Haushaltsgesetz 2017/2018 vom 20.12.2016 ([X.] 2016, 399 und 2017, 5). Es ist aber möglich und ggf zur Garantie des gesetzlichen [X.]s auch geboten, ein Haushaltsgesetz wegen geänderten Bedarfs durch ein Nachtragshaushaltsgesetz zu ändern. So hat der parlamentarische Gesetzgeber des [X.] auch zwei Nachtragshaushaltsgesetze für das [X.] erlassen (vgl § 1 Gesetz vom 22.3.2018, [X.] 2018, 162, und § 1 Gesetz vom 24.7.2018, [X.] 2018, 613).

9

Die unvorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 547 [X.] iVm § 202 S 1 [X.]). Dessen Entscheidung ist in einem solchen Fall stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen (vgl BSG Beschluss vom 17.11.2015 - [X.] KR 65/15 B - Juris RdNr 6 mwN; [X.] in Zeihe/[X.], [X.], Stand Oktober 2018, Anhang 8, [X.] 1b zu § 547 ZPO). Unerheblich ist, dass der Kläger die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des [X.] nicht bereits im Berufungsverfahren gerügt hat. Denn die Besetzungsrüge ist nicht nach § 295 Abs 1 ZPO iVm § 202 S 1 [X.] ausgeschlossen, weil auf die Einhaltung der Vorschriften über die Besetzung des Gerichts nicht wirksam iS von § 295 Abs 2 ZPO verzichtet werden kann (vgl [X.] vom 12.5.1993 - 6 RKa 25/92 - Juris RdNr 16).

3. Nach § 160a Abs 5 [X.] kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.] vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

4. Die Kostenentscheidung bleibt dem [X.] vorbehalten.

Meta

B 1 KR 92/18 B

30.07.2019

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Würzburg, 8. November 2016, Az: S 6 KR 2/16

§ 547 Nr 1 ZPO, § 202 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.07.2019, Az. B 1 KR 92/18 B (REWIS RS 2019, 4948)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 4948

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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8 AZN 881/14

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