Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.10.2018, Az. B 11 AL 43/18 B

11. Senat | REWIS RS 2018, 2559

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts - Besetzung mit einem zur Verwaltungserprobung mit Rechtsprechungsaufgaben abgeordneten Richter


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des [X.] vom 11. Juni 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Klägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten. Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 6.12.2017). Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos, die Revision wurde nicht zugelassen (Beschluss des L[X.] vom [X.]). An dem Beschluss hat die an das L[X.] abgeordnete [X.]in am [X.] D mitgewirkt.

2

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin als Verfahrensmangel eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des L[X.] durch die Mitwirkung [X.]in am [X.] D Die Abordnung dieser [X.]in sei weder zur Erprobung noch wegen einer nicht vorhersehbaren Überlastung des L[X.] erfolgt.

3

Der Senat hat eine Auskunft der Präsidentin des L[X.] vom 19.9.2018 zu den Gründen der Abordnung [X.]in am [X.] D eingeholt. Eine Abordnung [X.]in an das L[X.] sei vom 1.1.2017 bis [X.] zur "Rechtserprobung" und vom 1.10.2017 bis 31.12.2019 zur "Verwaltungserprobung" erfolgt. Für die Stelle eines "Ständigen Vertreters des Direktors eines Gerichts" und die eines "Weiteren aufsichtsführenden [X.]s bei einem Amtsgericht" könne die Verwaltungserprobung nach dem Personalentwicklungskonzept des [X.] bei einem Obergericht erfolgen. Die [X.]in sei mit 40 % ihrer Arbeitskraft für Aufgaben der Verwaltung freigestellt.

4

II. Die zulässige Beschwerde der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das L[X.] gemäß § 160a Abs 5 [X.]G. Der Entscheidung liegt ein formgerecht gerügter (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) zugrunde, denn sie ist unter Verletzung der Vorschriften über die Besetzung des L[X.] ergangen.

5

Das L[X.] besteht nach § 30 Abs 1 [X.]G aus dem Präsidenten, den Vorsitzenden [X.]n, weiteren Berufsrichtern und den ehrenamtlichen [X.]n, und jeder Senat des L[X.] wird nach § 33 Abs 1 Satz 1 [X.]G in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen [X.]n tätig. Die Verletzung der Vorschriften über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 Satz 1 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 ZPO).

6

Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] sehen Art 92, 97 GG zur Sicherung der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit [X.] vor, dass die Gerichte, soweit Berufsrichter beschäftigt werden, grundsätzlich mit hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten [X.]n besetzt sind; die Beschäftigung persönlich nicht unabhängiger "[X.]", worunter auch an das L[X.] abgeordnete [X.]innen und [X.] des [X.] zu fassen sind, setzt zwingende Gründe voraus und ihre Anzahl ist so klein wie möglich zu halten. Solche zwingenden Gründe liegen vor, wenn für eine planmäßig endgültige Anstellung als [X.] in Betracht kommende Assessoren auszubilden sind, wenn planmäßige [X.] unterer Gerichte an obere Gerichte abgeordnet werden, um ihre Eignung zu erproben, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige [X.], deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist (vgl zum Ganzen [X.] vom [X.] - 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 - [X.]E 14, 156 - juris Rd[X.] 12 ff; ausführlich zur richterlichen Unabhängigkeit zuletzt [X.] vom 22.3.2018 - 2 BvR 780/16 - Rd[X.] 53 ff mwN; zur Senatsbesetzung am L[X.] Mecklenburg-Vorpommern mit abgeordneten [X.]n am [X.] bereits B[X.] vom [X.] - B 14 [X.]/17 B - Rd[X.] 6; B[X.] vom [X.] - B 14 [X.]/17 B - Rd[X.] 6; B[X.] vom 25.5.2018 - B 13 R 107/17 B - Rd[X.] 8 ff, mwN; B[X.] vom 25.5.2018 - B 13 R 217/17 B - Rd[X.] 8 ff, mwN).

7

Ausgehend von diesen Maßstäben war der Senat des L[X.] bei seiner Entscheidung vom [X.] wegen der Mitwirkung [X.]in am [X.] D nicht ordnungsgemäß besetzt. Ein zwingender Grund, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen für das Tätigwerden dieser [X.]in statt eines planmäßigen [X.]s am L[X.] genügen würde, lag nach der eingeholten Auskunft der Präsidentin des L[X.] nicht vor. Die Abordnung [X.]in zur sog "Rechtserprobung" (vom 1.1. bis zum [X.]), also die Erprobung in Aufgaben der Rechtsprechung, um die Eignung für eine Tätigkeit in der Berufungsinstanz festzustellen, war bereits abgeschlossen. Zu den Voraussetzungen für eine der beiden weiteren vom [X.] angeführten Ausnahmen - vorübergehender Ausfall planmäßiger [X.], deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, oder zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall - ist der Auskunft der Präsidentin des L[X.] nichts zu entnehmen. Solche Umstände liegen nach den Feststellungen des B[X.] in Parallelverfahren zur Personalsituation beim L[X.] Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2017 auch nicht nahe (vgl B[X.] vom [X.] - B 14 [X.]/17 B - Rd[X.] 7 ff; B[X.] vom [X.] - B 14 [X.]/17 B - Rd[X.] 7 ff; B[X.] vom 25.5.2018 - B 13 R 107/17 B - Rd[X.] 12 ff, mwN; B[X.] vom 25.5.2018 - B 13 R 217/17 B - Rd[X.] 12 ff).

8

Ob eine sog "Verwaltungserprobung", in der sich die [X.]in am [X.] D zum Zeitpunkt der Entscheidung noch befunden hat, als weitere Ausnahme von der gebotenen Besetzung des Senats des L[X.] mit hauptamtlichen [X.]n am L[X.] verfassungsrechtlich überhaupt zu rechtfertigen ist, lässt der Senat offen. Die hier erfolgende, mit der Wahrnehmung von [X.] verbundene Verwaltungserprobung über einen Zeitraum von 27 Monaten ist es jedenfalls nicht (zweifelnd bereits - obwohl nicht entscheidungserheblich - B[X.] vom [X.] - B 14 [X.]/17 B - Rd[X.] 12; B[X.] vom [X.] - B 14 [X.]/17 B - Rd[X.] 12).

9

Die Tätigkeit in der Verwaltung in Verbindung mit der richterlichen Tätigkeit in einem Senat des L[X.] mag zwar in kleineren Gerichtsbezirken zur Erprobung von [X.]innen und [X.]n am [X.] zu Ausbildungszwecken mit dem Ziel der Vorbereitung auf bestimmte Tätigkeiten in Führungspositionen mit Verwaltungsaufgaben und einer planmäßig endgültigen Anstellung in einem Beförderungsamt mangels anderer Alternativen (etwa einer reinen Verwaltungserprobung in der Gerichtsverwaltung oder in einem Ministerium) ausnahmsweise erforderlich sein. Dies rechtfertigt es indes nicht, wie hier, [X.] in einem Umfang von 60 % der Arbeitskraft und über einen Zeitraum von 27 Monaten, der den für eine "Rechtserprobung" erforderlich gehaltenen Zeitraum von neun Monaten weit übersteigt, zu übertragen. Ob anderes gelten kann, wenn eine "Verwaltungserprobung" von [X.]innen und [X.]n mit gleichem Statusamt im Wege der Abordnung erfolgt (dafür mit beachtlichen Argumenten Aubel in Zeihe, [X.]G, § 30 Rd[X.] 4, Stand April 2018), war nicht zu entscheiden.

Gemäß § 160a Abs 5 [X.]G kann das B[X.] in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G - wie hier - vorliegen. Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem L[X.] vorbehalten.

Meta

B 11 AL 43/18 B

23.10.2018

Bundessozialgericht 11. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Rostock, 6. Dezember 2017, Az: S 2 AL 121/15, Urteil

§ 160a Abs 5 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 202 S 1 SGG, § 30 Abs 1 SGG, § 33 SGG, § 547 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.10.2018, Az. B 11 AL 43/18 B (REWIS RS 2018, 2559)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 2559

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2 BvR 780/16

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