Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.05.2018, Az. B 13 R 217/17 B

13. Senat | REWIS RS 2018, 8650

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Besetzungsrüge - nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Senats - Mitwirkung eines seit mehreren Jahren abgeordneten Richters


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des [X.] vom 19. Juni 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig. Das [X.] hat die Klage mit Urteil vom [X.] abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das [X.] nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss des 7. Senats vom 19.6.2017, an dem der an das [X.] abgeordnete [X.] am [X.] mitgewirkt hat, zurückgewiesen.

2

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das [X.]. Sie rügt die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts (§ 202 S 1 S[X.] iVm § 547 [X.] 1 ZPO). [X.] am [X.] habe bei der Beschlussfassung des 7. Senats des [X.] nicht mitwirken dürfen. Dieser sei mindestens seit dem 1.1.2015 an das [X.] abgeordnet, was sich aus den [X.] dieses Gerichts ergäbe. Die Länge der Abordnung überschreite die nach der Rechtsprechung des [X.] hierfür geltenden Grenzen erheblich. Die Abordnung möge ursprünglich zur Erprobung erfolgt sein. Dieser Rechtfertigungsgrund sei mittlerweile aber weggefallen. Jedenfalls legitimiere er keine Abordnung über mehrere Jahre. Angesichts ihrer Länge sei die Abordnung auch nicht durch eine unvorhergesehene Überlastung des [X.] zu rechtfertigen.

3

Der Senat hat Stellungnahmen der Präsidentin des [X.] vom 6.7.2017 und 17.10.2017 zu den Gründen und die (Fort-)Dauer der Abordnung des [X.]s am [X.] an das [X.] aus dem Parallelverfahren [X.] R 107/17 B beigezogen und den Beteiligten zur Kenntnis gegeben.

4

II. Auf die Beschwerde der Klägerin war der angefochtene Beschluss des [X.] aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

5

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Die Klägerin hat formgerecht (vgl § 160a Abs 2 S 3 S[X.]) und auch in der Sache zutreffend die Verletzung ihres Rechts aus Art 101 Abs 1 S 2 [X.] auf den gesetzlichen [X.] gerügt (§ 160 Abs 2 [X.] 3 S[X.]).

6

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Die Klägerin rügt mit ihrer Beschwerde zu Recht eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des 7. Senats des [X.] [X.] bei der am 19.6.2017 erfolgten Beschlussfassung in der hier streitbefangenen Sache.

7

Das [X.] besteht nach § 30 Abs 1 S[X.] aus dem Präsidenten, den Vorsitzenden [X.]n, weiteren Berufsrichtern und den ehrenamtlichen [X.]n, und jeder Senat des [X.] wird nach § 33 Abs 1 S 1 S[X.] in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen [X.]n tätig. Die Verletzung der Vorschriften über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 S 1 S[X.] iVm § 547 [X.] 1 ZPO).

8

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] (zB [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 1551/95 - Juris Rd[X.] 3; ebenso auch [X.] Urteil vom 16.3.2005 - RiZ 2/04 - [X.]Z 162, 333, 340 f; BVerwG Urteil vom 23.8.1996 - 8 C 19/95 - BVerwGE 102, 7, 8; [X.] Beschluss vom 18.6.2015 - 8 [X.] 881/14 - Juris Rd[X.] 5) sieht das [X.] im Interesse der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der [X.] vor, dass deren Amt grundsätzlich von bei dem betreffenden Gericht planmäßig und auf Lebenszeit ernannten [X.]n ausgeübt wird. [X.] sind nach Art 97 Abs 1 [X.] weisungsunabhängig; ihre sachliche Unabhängigkeit wird durch die Garantie der persönlichen Unabhängigkeit in Art 97 Abs 2 [X.] institutionell gesichert. Auch Art 92 [X.] setzt als Normalfall [X.] voraus, die unversetzbar und unabsetzbar sind ([X.] Urteil vom [X.] - 2 BvR 628/60 ua - [X.]E 14, 156, 162).

9

Der Einsatz von nicht planmäßigen [X.]n bei einem Gericht ist deshalb auf das zwingend gebotene Maß zu beschränken ([X.] Urteil vom [X.] - 2 BvR 628/60 ua - [X.]E 14, 156, 162). Die Notwendigkeiten, die eine solche Verwendung rechtfertigen, können in den einzelnen Gerichtszweigen, bei den einzelnen Gerichten und bei ihren Kammern oder Senaten örtlich und zeitlich verschieden sein; daher hängt es von den jeweiligen besonderen Umständen ab, ob und in welchem Maß im Einzelfall die Besetzung der erkennenden Gerichte mit nicht planmäßigen [X.]n zulässig ist. In jedem Fall muss es sich um unumgängliche Bedürfnisse der Rechtspflege handeln.

Ein zwingender Grund für den Einsatz planmäßiger [X.] unterer Gerichte in Abordnung an obere Gerichte ist die Eignungserprobung ([X.] Urteil vom [X.] - 2 BvR 628/60 ua - [X.]E 14, 156, 164). Die Notwendigkeit, Nachwuchs heranzubilden oder Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen, erlaubt die Heranziehung auch solcher [X.] an ein Gericht, die nicht planmäßige [X.] dieses Gerichts sind ([X.] Beschluss vom 22.6.2006 - 2 BvR 957/05 - Juris Rd[X.] 7 mwN).

Zudem liegen zwingende Gründe für einen Einsatz nicht planmäßiger [X.] an oberen Gerichten vor, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige [X.], deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen (typischweise bei Mutterschutz oder Dienstunfähigkeit) oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist. Auch in solchen Fällen ist die Verwendung von nicht planmäßigen [X.]n aber nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist, oder weil die Justizverwaltung es verabsäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen ([X.] Urteil vom [X.] - 2 BvR 628/60 ua - [X.]E 14, 156, 164 f; ebenso [X.] Beschluss vom 18.6.2015 - 8 [X.] 881/14 - Juris Rd[X.] 8).

b) Ausgehend von diesen Maßstäben war, wie sich aus den vom Senat eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des [X.] [X.] vom 6.7.2017 und 17.10.2017 ergibt, der 7. Senat des [X.] bei der Beschlussfassung am 19.6.2017 nicht ordnungsgemäß besetzt. Ein zwingender Grund im obigen Sinne für das Tätigwerden des [X.]s am [X.] statt eines planmäßigen [X.]s am [X.] lag nicht vor.

Aus den dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des [X.] [X.] geht hervor, dass [X.] am [X.] zunächst für den Zeitraum vom 1.1.2015 bis [X.] zur "Rechtserprobung" an das [X.] abgeordnet war. Sodann wurde seine Abordnung bis zum 31.12.2016 und anschließend erneut bis zum 31.12.2018 verlängert. Die Fortdauer der Abordnung des [X.]s am [X.]"über den Zeitraum der Rechtserprobung hinaus" sei - so die Präsidentin des [X.] [X.] - "mit Blick auf die Eingangsbelastung und insbesondere auf die erheblichen Bestände" des [X.] erfolgt. Ende 2015 entfielen auf jeden [X.] am [X.] [X.] durchschnittlich 208 Verfahren, während der [X.] bei 114 lag. 2016 betrug in [X.] die [X.] Verfahrenszugänge pro [X.], während es im [X.] waren. Weiter heißt es in ihrem Schreiben vom 6.7.2017 wie folgt: "Da alle 12 dem [X.] zugewiesenen Planstellen besetzt sind, war [X.] in der Vergangenheit eine Verstärkung nur durch die Abordnung von [X.]innen und [X.]n der ersten Instanz möglich. Meinen wiederholten Anzeigen eines erhöhten Stellenbedarfs ist erstmals im [X.] 2016 dadurch Rechnung getragen worden, dass eine kapitelübergreifend genutzte Stelle ausgeschrieben werden konnte." Nach ihrer [X.] vom 17.10.2017 ist ein weiterer [X.] zum [X.] am [X.] alsdann im Vorgriff auf den [X.]/2018 - kapitelübergreifend - ernannt worden. Das [X.] sei trotz gestiegener Eingangszahlen seit 1993 bis heute ([X.] Oktober 2017) mit zwölf Planstellen ausgestattet. Die weitere Abordnung des [X.]s am [X.] sei den im Einzelnen aufgefächerten Zahlen geschuldet, da die alleinige Besetzung einer weiteren Stelle den Bedarf des Gerichts nicht habe decken können.

Zwingende Gründe im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des [X.] für die auch noch im Juni 2017 fortbestehende Abordnung des [X.]s am [X.] an das [X.] ergeben sich aus den dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des [X.] [X.] nicht.

aa) Die eine Abordnung an das [X.] rechtfertigende Eignungserprobung des [X.]s am [X.] war bereits zum [X.] beendet.

bb) Zwar weist die Präsidentin des [X.] [X.] auf eine erhebliche Belastungssituation Ende 2015 und 2016 beim Berufungsgericht hin, deren Bewältigung durch Verstärkung richterlichen Personals "nur durch die Abordnung von [X.]innen und [X.]n der ersten Instanz möglich" war, weil "alle 12 dem [X.] zugewiesenen Planstellen besetzt" waren und ihren "wiederholten Anzeigen eines erhöhten Stellenbedarfs" vom zuständigen Ministerium offenbar nur sehr zögerlich Rechnung ("erstmals im Januar 2017") getragen wurde. Nach der oben dargestellten Rechtsprechung des [X.] ist allerdings in Fällen eines "außergewöhnlichen Arbeitsanfalls" die Verwendung von nicht planmäßigen [X.]n bei dem betreffenden Gericht nur "zeitweilig" gerechtfertigt, jedoch dann nicht, wenn dessen Arbeitslast deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es strukturell unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist. Letzteres kommt in den dienstlichen Stellungnahmen der Präsidentin des [X.] [X.] aber mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, die - laut [X.] - selbst für die Abordnung zuständig und verantwortlich zeichnet. Denn sie begründet die Abordnung mit einer dauerhaften erheblichen Belastung des [X.] durch entsprechende Eingänge, die nahezu zwangsläufig zu einer erhöhten Bestandsbelastung führen, sowie mit einer nicht ausreichenden Ausstattung des [X.] mit Planstellen. Unabhängig davon, ob und seit wann eine Ausstattung mit weiteren Planstellen objektiv erforderlich gewesen wäre, kann von einem "zeitweilig außergewöhnlichen Arbeitsanfall", der eine weitere Abordnung rechtfertigen könnte, damit jedenfalls zum Zeitpunkt der hier fraglichen Beschlussfassung am 19.6.2017 nicht mehr die Rede sein.

Die in der [X.] der Präsidentin vom 17.10.2017 angesprochene Abordnung eines Vorsitzenden [X.]s am [X.] in das [X.] ist kein Ausfall eines planmäßigen [X.]s im Sinne der Rechtsprechung des [X.], sondern eine gezielte Personalmaßnahme.

c) Bei dem hiernach vorliegenden absoluten Revisionsgrund (§ 202 S 1 S[X.] iVm § 547 [X.] 1 ZPO) wird das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler vermutet (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] KR 28/16 B - Juris Rd[X.] 9).

Unerheblich ist, dass die Klägerin die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des 7. Senats des [X.] nicht bereits während des berufungsgerichtlichen Verfahrens gerügt hat. Die Besetzungsrüge ist nicht gemäß § 202 S 1 S[X.] iVm § 295 Abs 1 ZPO ausgeschlossen, weil auf die Befolgung der für eine vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen nicht wirksam iS von § 295 Abs 2 ZPO verzichtet werden kann (B[X.] Urteil vom 12.5.1993 - 6 RKa 25/92 - Juris Rd[X.] 16).

d) Der Senat macht aus prozessökonomischen Gründen von der in § 160a Abs 5 S[X.] vorgesehenen Möglichkeit der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des [X.] wegen des benannten [X.] und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz Gebrauch.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 13 R 217/17 B

25.05.2018

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Neubrandenburg, 12. Mai 2016, Az: S 10 R 257/12, Urteil

§ 30 Abs 1 SGG, § 33 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 202 S 1 SGG, § 295 Abs 1 ZPO, § 295 Abs 2 ZPO, § 547 Nr 1 ZPO, Art 92 GG, Art 97 Abs 1 GG, Art 97 Abs 2 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.05.2018, Az. B 13 R 217/17 B (REWIS RS 2018, 8650)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 8650

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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