Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20.11.2014, Az. 1 BvL 4/13

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2014, 1139

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Unzulässige Richtervorlage zur Vereinbarkeit von Art 3 Ziff 1 Buchst c StOG SN ("Gesetz zur Neuordnung von Standorten der Verwaltung und der Justiz des Freistaates Sachsen") mit Art 101 Abs 1 S 2 GG - Unzureichende Begründung des Vorwurfs der Verfassungswidrigkeit - Zur Möglichkeit, Regelungen der örtlichen Zuständigkeit gem § 13a GVG durch "Landesrecht" auf die Exekutive zu übertragen


Gründe

1

1. Gegenstand der Vorlage ist Art. 3 Ziffer 1 Buchstabe c) des [X.] von Standorten der Verwaltung und der Justiz des [X.] ([X.]) vom 27. Januar 2012 ([X.]), mit dem ein neuer Absatz 6 dem § 1 des [X.] ([X.]) angefügt wurde. Der neue § 1 Abs. 6 [X.] lautet:

In [X.] bestehen eine auswärtige Kammer für Handelssachen, eine auswärtige Strafvollstreckungskammer sowie auswärtige Zivil- und Strafkammern des [X.]. Diese sind zuständig für die Amtsgerichtsbezirke [X.], [X.] und [X.], soweit nicht einzelne Geschäfte durch die Geschäftsverteilung an dem [X.] oder den auswärtigen Kammern konzentriert sind oder gesetzliche Vorschriften andere Zuständigkeiten vorsehen. Für die Anzahl der auswärtigen Kammern gilt § 9 entsprechend.

2

§ 9 [X.] lautet:

Die Zahl der Senate bei dem [X.], dem [X.], dem [X.] und dem [X.] sowie die Zahl der Kammern bei den [X.]en, den Verwaltungsgerichten und den Sozialgerichten bestimmt das [X.]. Diese Befugnis kann auf die Präsidenten der Gerichte übertragen werden.

3

2. Das vorlegende Gericht hat mit Beschluss vom 25. März 2013 das Ausgangsverfahren, eine Strafsache aus dem Bereich des Betäubungsmittelrechts, ausgesetzt und dem [X.] gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob Artikel 3 Ziffer 1 Buchstabe c) des [X.] von Standorten der Verwaltung und der Justiz des [X.] ([X.]) und damit § 1 Absatz 6 des [X.] ([X.]) gegen Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes sowie gegen [X.]esrecht (§ 13a [X.]) verstößt und somit verfassungswidrig ist.

4

3. Das vorlegende Gericht ist der Überzeugung, die vorgelegte Vorschrift verletze Art. 101 Abs. 2 Satz 1 GG und § 13a [X.].

5

Art. 3 Ziffer 1 Buchstabe c) [X.] sei verfassungswidrig, da mit dieser Regelung gegen das grundrechtsgleiche Recht auf [X.] und zugleich gegen § 13a [X.] und damit gegen [X.]esrecht verstoßen werde. Die Einrichtung auswärtiger Spruchkörper bedürfe eines Gesetzes. Ein solches müsse als Landesgesetz erlassen werden und die sachliche und örtliche Zuständigkeit eines auswärtigen Spruchkörpers bestimmen. Das Landesrecht erwähne aber in Art. 3 Ziffer 1 Buchstabe c) [X.] lediglich, dass es in [X.] auswärtige Zivil- und Strafkammern geben solle, ohne die jeweiligen sachlichen Zuständigkeiten und ohne die genaue Anzahl der Kammern festzulegen. Eine solche Beliebigkeit lasse § 13a [X.] nicht zu.

6

Nach Überzeugung des vorlegenden Gerichts sei bereits die Grundentscheidung, das [X.] [X.] aufzulösen und als Außenkammern des [X.] fortzuführen, verfassungswidrig. Diese Entscheidung sei nicht erforderlich und zudem willkürlich.

7

[X.]esrechtlich regle § 184 Satz 2 [X.] außerdem, dass [X.] in ihren Heimatkreisen sorbisch vor Gericht sprechen dürften. Durch die Zusammenlegung der [X.]e [X.] und [X.] in [X.] täte sich für den Landesgesetzgeber das Problem auf, die Rechte der [X.] vor Gericht nicht zu beschneiden. Die Lösung des Gesetzgebers, den niederschlesischen Landesteil [X.] zum sorbischen Heimatkreis zu erklären, verkenne, dass er dies historisch nie gewesen sei. [X.] Siedlungsgebiet befinde sich ausschließlich im Bereich der Nieder- und [X.], nicht in [X.] und schon gar nicht in [X.]. Damit habe der Landesgesetzgeber in [X.] eingegriffen, denn der [X.]esgesetzgeber habe in § 184 [X.] eine abschließende Regelung getroffen. Es könne nicht sein, dass der Landesgesetzgeber durch politische Gebietsreformen den Anwendungsbereich des § 184 Satz 2 [X.] bestimme und damit in die Gesetzgebungskompetenz des [X.]es eingreife.

8

Die Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist unzulässig, denn das vorlegende Gericht hat sie entgegen § 80 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht hinreichend begründet. Dies kann die Kammer durch einstimmigen Beschluss feststellen (§ 81a Satz 1 [X.]).

9

1. Nach Art. 100 Abs. 1 GG muss ein vorlegendes Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm näher darlegen und deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist. Es bedarf einer Auseinandersetzung mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten sowie einer eingehenden, Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehenden Darstellung der Rechtslage (vgl. [X.] 86, 71 <77>; 97, 49 <60>). Die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Normen müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab dabei nicht nur benennen, sondern auch die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar darlegen.

2. Diese Anforderungen verfehlt die Vorlage. Das vorlegende Gericht hat nicht nachvollziehbar dargelegt, warum ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und gegen § 13a [X.] vorliegen sollte.

a) Soweit das Gericht einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG daraus ableiten möchte, dass es an einer ausreichenden gesetzlichen Regelung zur Zuständigkeit fehle, genügt der Vorlagebeschluss den Begründungsanforderungen nicht.

aa) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG soll der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch ein Manipulieren der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird, insbesondere, dass im Einzelfall durch die Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter ad hoc das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst wird, gleichgültig, wer manipuliert (vgl. [X.] 4, 412 <416 f.>; 17, 294 <299>; 24, 33 <54>). Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erfordert, dass [X.] sich im Einzelfall möglichst eindeutig aus einer allgemeinen Norm ergibt ([X.] 6, 45 <51>; 17, 294 <298>). Er setzt einen Bestand von Rechtssätzen voraus, die für jeden denkbaren Streitfall [X.] bezeichnen ([X.] 21, 139 <145> m.w.N.). Die danach erforderlichen gesetzlichen Bestimmungen werden jedoch durch "Organisationsakte" ergänzt und praktikabel gemacht (vgl. [X.] 2, 307 <320>). Aus dem Erfordernis gesetzlicher Regelung folgt insbesondere nicht, dass es der Legislative verwehrt wäre, ihre Befugnis zu Maßnahmen, die die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts berühren, innerhalb der vom Grundgesetz für die Übertragung rechtsetzender Gewalt bestimmten Grenzen der Exekutive zu übertragen (vgl. [X.] 2, 307 <326>).

bb) Das vorlegende Gericht macht nicht hinreichend deutlich, inwiefern nach diesen Grundsätzen die angegriffene Bestimmung nicht den Anforderungen an eine hinreichende gesetzliche Regelung genügen sollte.

Hierzu hätte umso mehr Anlass bestanden, als die Neuregelung über die auswärtigen Kammern des [X.] sowohl generelle Aussagen zu deren sachlicher und örtlicher Zuständigkeit trifft als auch eine Bestimmung über die Anzahl der auswärtigen Strafvollstreckungskammern sowie Kammern für Handelssachen. Lediglich die Bestimmung der Anzahl der Zivil- und Strafkammern wird über die Verweisung auf § 9 [X.] dem [X.] überlassen, das dies wiederum auf die Gerichtspräsidenten übertragen kann. § 1 Abs. 6 Satz 1 [X.] kann nach seinem Wortlaut ("In [X.] bestehen […] auswärtige Zivil- und Strafkammern des [X.].") zudem nur so verstanden werden, dass zumindest je eine auswärtige Zivil- und Strafkammer in [X.] bestehen müssen. Angesichts des Wortlauts von § 13a [X.], der dem "Landesrecht" und nicht dem "Landesgesetz" die Errichtung auswärtiger Kammern überträgt, ist nicht ohne Weiteres erkennbar, aus welchen Gründen angesichts der oben aufgezeigten Maßstäbe die Bestimmung lediglich der Anzahl der Spruchkörper nicht auch durch andere Formen des Landesrechts erfolgen könnte. Weitergehende Anforderungen an den Vorbehalt einer gesetzlichen Ausgestaltung der Gerichtsorganisation ergeben sich auch nicht aus § 13a [X.], wonach durch Landesrecht einem Gericht für die Bezirke mehrerer Gerichte Sachen aller Art ganz oder teilweise zugewiesen sowie auswärtige Spruchkörper von Gerichten eingerichtet werden können. Das vorlegende Gericht beschränkt sich insoweit auf die Behauptung, es sei ein Landesgesetz erforderlich. Auf die möglicherweise unterschiedliche Bedeutung von "Landesrecht" und "Landesgesetz" geht es nicht ein.

cc) Das vorlegende Gericht setzt sich vor allem nicht mit der naheliegenden Frage auseinander, warum es verfassungsrechtlich unzulässig sein soll, es der Geschäftsverteilung des Gerichts zu überlassen, einzelne Geschäfte an dem [X.] oder den auswärtigen Kammern zu konzentrieren. Der Vortrag besteht auch insoweit nur aus der Behauptung, § 13a [X.] verlange, dass sich die Zahl der auswärtigen Kammern aus dem Gesetz selbst ergebe.

b) Soweit das vorlegende Gericht einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG daraus ableiten möchte, dass der [X.] Gesetzgeber durch die Standortreform gegen § 184 Satz 2 [X.] verstoßen habe, fehlt auch hierfür eine ausreichende Begründung.

Die [X.] ist Aufgabe der Länder. Der [X.] könnte deshalb nicht selbst Sitz und Bezirk der Gerichte in den [X.] konkret bestimmen (vgl. [X.] 24, 155 <166>). Er kann nur allgemein Regelungen über die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Gerichte in den [X.] treffen.

Folglich ist es nach der grundgesetzlichen Kompetenzordnung hier allein Sache des [X.], an welchen Orten er seine Gerichte errichtet und wie er deren Bezirke zuschneidet. Eine Auslegung des § 184 Satz 2 [X.] dahingehend, dass das Land verpflichtet ist, in einem bestimmten Gebiet ein bestimmtes Gericht "vorzuhalten", würde dieser grundsätzlichen Kompetenzverteilung zwischen [X.] und [X.] bei der Gerichtsorganisation zuwiderlaufen.

Inwiefern die Einrichtung auswärtiger Kammern am [X.] das Recht auf [X.] dadurch verletzen soll, dass offenbar künftig auch am [X.] [X.] die [X.] verwendet werden darf, ist nicht erkennbar und wird vom vorlegenden Gericht auch nicht begründet. Hierdurch werden Rechte der [X.] eher ausgeweitet. Es ist indes nicht erkennbar, dass damit Einfluss auf die Zusammensetzung des zur Entscheidung berufenen Gerichts im Sinne eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ausgeübt würde.

3. Da die Vorlage schon [X.] ihres verfassungsrechtlichen Vorwurfs nicht ausreichend begründet, kann offen bleiben, ob sie auch deshalb unzulässig ist, weil die Abschaffung des [X.]s [X.], durch die das vorlegende Gericht Verfassungsrecht verletzt sieht, nicht vom [X.] umfasst ist. Die Regelung, wonach in [X.] kein [X.] (mehr) besteht, findet sich nicht in dem vorgelegten Art. 3 Ziffer 1 Buchstabe c) [X.] beziehungsweise § 1 Abs. 6 [X.], sondern in Art. 3 Ziffer 1 Buchstabe a) [X.] beziehungsweise § 1 Abs. 1 [X.]. Die vorgelegte Bestimmung ist gewissermaßen eine Folgeentscheidung, die lediglich denklogisch voraussetzt, dass in [X.] kein [X.] mehr besteht. [X.] ist vorliegend allein, ob Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG oder § 13a [X.] einer Entscheidung der das Ausgangsverfahren bildenden Strafsache durch die vorlegende [X.] als auswärtiger Kammer entgegenstehen.

Meta

1 BvL 4/13

20.11.2014

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Beschluss

Sachgebiet: BvL

vorgehend LG Görlitz, 25. März 2013, Az: 9 KLs 350 Js 12973/11, Vorlagebeschluss

Art 100 Abs 1 S 1 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 80 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 81a S 1 BVerfGG, § 13a GVG, § 184 S 2 GVG, § 1 Abs 6 JustizG SN vom 14.12.2012, § 9 JustizG SN vom 14.12.2012, Art 3 Ziff 1 Buchst c StOG SN

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20.11.2014, Az. 1 BvL 4/13 (REWIS RS 2014, 1139)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1139

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