Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 19.11.2015, Az. 2 BvR 2088/15

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2015, 2096

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Anforderungen an die Amtsaufklärung im Auslieferungsverfahren sowie an die Begründung des Beschlusses über die Zulässigkeit der Auslieferung - hier: Auslieferung eines US-Amerikaners an die USA zum Zwecke der Strafverfolgung wegen Betrugsstraftaten - angegriffene Entscheidung erfüllt Begründungsanforderungen - keine unvollständige Faktenbasis bzgl der Strafzumessungskriterien nach US-amerikanischem Recht


Gründe

1

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der [X.] ([X.]). Die [X.] Behörden ersuchen um seine Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung. Dem Auslieferungsersuchen liegt ein Haftbefehl des Bundesbezirksgerichts für den südlichen Gerichtsbezirk des Staates New York vom 5. Mai 2015 zugrunde, das sich auf eine ersetzende Anklageschrift der Grand Jury des Gerichts stützt. Dem Beschwerdeführer werden darin Verschwörung zur Begehung von [X.], [X.], Verschwörung zur Begehung von Betrug im Zusammenhang mit elektronischer Datenübertragung/Überweisungsbetrug, Betrug im Zusammenhang mit elektronischer Datenübertragung/Überweisungsbetrug, Verschwörung zur Begehung von Geldwäsche, Geldwäsche und Meineid vorgeworfen.

2

2. Der Beschwerdeführer wurde am 18. März 2015 von der Bundespolizeidirektion [X.], [X.], zum Zwecke der Auslieferung festgenommen. Mit Beschluss vom 25. März 2015 hat das [X.] die vorläufige Auslieferungshaft gegen den Beschwerdeführer angeordnet. Seither befindet er sich in Auslieferungshaft. Bei seiner richterlichen Vernehmung am 18. Juni 2015 hat er sich nicht mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt.

3

3. Mit Beschluss vom 3. August 2015 ersuchte das [X.] die [X.] um nähere Darlegung, mit welcher Strafe der Verfolgte im Falle einer Verurteilung insgesamt zu rechnen habe, von welchen Umständen die Bestimmung des Strafmaßes abhängig sei, ob der Verfolgte die gegen ihn insgesamt zu verhängende Strafe voll zu verbüßen hätte oder ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen eine vorzeitige Entlassung oder Begnadigung in Betracht komme.

4

4. Mit Schreiben vom 4. September 2015 nahm das [X.] zum Ersuchen des [X.] vom 3. August 2015 ausführlich Stellung. Hierzu und zu der hierzu ergangenen, nicht in den Akten befindlichen Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft [X.] vom 10. September 2015 hat das [X.] dem Beschwerdeführer mit Beschluss vom 11. September 2015 rechtliches Gehör eingeräumt.

5

5. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft [X.] erklärte das [X.] die Auslieferung des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 15. Oktober 2015 für zulässig.

6

a) Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten seien nach Art. 2 des [X.] zwischen der [X.] und den [X.] vom 20. Juni 1978 in der Fassung des [X.] vom 21. Oktober 1986 sowie des am 1. Februar 2010 in [X.] getretenen Zweiten [X.] vom 18. April 2006 auslieferungsfähig. Dies wird vom Beschwerdeführer ausdrücklich anerkannt und wird in der vorliegenden Verfassungsbeschwerde nicht thematisiert.

7

b) Dem Verfolgten drohe in den [X.] selbst im Falle eines Schuldspruchs in allen Anklagepunkten auch keine unverhältnismäßig harte und unter jedem Gesichtspunkt als unangemessen erscheinende Sanktion. Nach der [X.] des [X.] vom 8. September 2015 und der beigefügten Stellungnahme vom 4. September 2015 des [X.] bei der Strafrechtsabteilung des [X.] sei dabei von folgendem auszugehen:

8

Für den Fall, dass der Verfolgte wegen einiger oder sämtlicher der ihm zur Last gelegten Straftaten für schuldig befunden würde, müsse der das Strafmaß verhängende [X.] relevante Informationen hinsichtlich des Hintergrunds des Verfolgten bei der Festlegung des angemessenen Strafmaßes berücksichtigen, einschließlich von Informationen, die vom [X.] zusammengetragen worden seien, das heißt auch strafmildernde Informationen, Beweismittel und Argumente, die durch den Verfolgten und seinen Verteidiger vorgetragen worden seien.

9

Bei der Auferlegung eines Strafmaßes in einer Bundesstrafsache müsse der [X.] die [X.] zur Strafzumessung heranziehen. Diese Richtlinien einschließlich des "sentencing table" seien im [X.] veröffentlicht und allgemein zugänglich. Die Richtlinien hätten allerdings eine rein beratende Funktion, und es liege im Ermessen des [X.]s, ein Strafmaß außerhalb des anwendbaren [X.] aufzuerlegen, solange das Gericht seine Gründe bei der Verkündung des Strafmaßes und im schriftlichen Urteil "mit Genauigkeit" angebe. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft könnten gegen das verhängte Strafmaß Berufung einlegen.

Bei der Strafzumessung solle das Gericht insbesondere das Wesen und die Umstände der Straftat sowie das Vorstrafenregister und den Charakter des Angeklagten berücksichtigen, spezial- und generalpräventive Gesichtspunkte, die Straftat sowie die Arten der zur Verfügung stehenden Strafen. Das gelte auch für das verfügbare Richtlinienspektrum, die Möglichkeiten, dem Angeklagten Bildung oder berufliche Ausbildung, medizinische Versorgung oder andere Behandlungen zwecks Besserung zur Verfügung zu stellen, die Vermeidung unvertretbarer Ungleichheiten im Strafmaß sowie die Notwendigkeit der Wiedergutmachung gegenüber den Opfern.

Unter Zugrundelegung der Richtlinien zur Strafzumessung sei für den Fall, dass der Verfolgte in allen Anklagepunkten für schuldig erachtet werde, er sich zuvor aber nicht schuldig bekannt haben sollte, eine [X.] von 262 bis 327 Monaten Freiheitsstrafe zu erwarten.

Im Hinblick auf die dem Verfolgten voraussichtlich drohende Strafe sei weiter zu berücksichtigen, dass nach den Richtlinien eine erhebliche Verringerung der Bandbreite der Freiheitsstrafe möglich sei, wenn er sich wegen einzelner Anklagepunkte für schuldig bekenne. Abgesehen davon und von einer aus humanitären Gründen (z.B. bei Auftreten einer schweren Erkrankung) veranlassten vorzeitigen Entlassung, könne der Verfolgte bei guter Führung für jedes Jahr der Haft ein Zeitguthaben von 54 Tagen erhalten, woraus sich eine Reduzierung der tatsächlichen Strafvollstreckungsdauer von ca. 48 Monaten bei einem Strafmaß von 327 und von ca. 38 Monaten bei einem solchen von 262 Monaten errechne. Darüber hinaus könne dem Verfolgten auf seinen Antrag hin im [X.] eine Verminderung der Strafe gewährt werden.

Dieser Berechnung komme lediglich eine prognostische Bedeutung zu; eine verbindliche Zusicherung einer Strafobergrenze enthalte sie nicht. Eine solche könne auch nicht gefordert werden, da die völkerrechtliche Zusicherung einer konkreten Strafobergrenze mit einer unabhängigen, Weisungen nicht unterworfenen Strafgerichtsbarkeit nicht zu vereinbaren sei und deshalb nicht abgegeben werden könne. Im Rahmen einer Zulässigkeitsentscheidung könne nicht eine aus Rechtsgründen nicht zu erlangende Gewissheit über die konkret zu erwartende Höchststrafe, sondern lediglich das in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht mögliche und wahrscheinliche Maß zugrunde gelegt werden. Dieses ergebe sich aus den förmlichen [X.], die das erkennende Gericht grundsätzlich heranziehen müsse und von denen es nur mit einem erhöhten [X.] abweichen könne. Mangels weiterer Anhaltspunkte gehe das [X.] davon aus, dass sich das erkennende US-Gericht ohne Feststellung derzeit nicht ersichtlicher zusätzlicher Umstände in dem durch die Richtlinien vorgegebenen Zumessungsrahmen halten werde.

Da dem Beschwerdeführer von den [X.] zur Last gelegt werde, in maßgeblicher Position an einer Verschwörung beteiligt gewesen zu sein, bei der mit hoher krimineller Energie mittels Preismanipulation von Aktien und weiterer betrügerischer Handlungen Anleger in Höhe von mindestens 14 Millionen US-Dollar geschädigt worden seien, könne die ihm hierfür in den [X.] drohende Strafe nicht als unangemessen hart angesehen werden. Im Übrigen solle der Verfolgte bereits wegen der Begehung einschlägiger ([X.] vorbestraft sein.

c) Auch darüber hinaus seien keinerlei Hindernisse ersichtlich, die der Bewilligung der Auslieferung entgegenstehen könnten.

Der Beschwerdeführer stützt seine Verfassungsbeschwerde auf eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] seien die Anwendung des einfachen Rechts und die dazu erforderliche Aufklärung des Sachverhalts zwar grundsätzlich Sache der Fachgerichte. Diese unterlägen jedoch insoweit verfassungsgerichtlicher Kontrolle, als eine Verletzung des Willkürverbots oder eine grundsätzlich unrichtige Auffassung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts im Raume stünden (vgl. [X.] 18, 85 <92 f.>; 106, 28 <45>).

Die fachgerichtliche Überprüfung grundrechtseingreifender Maßnahmen könne die rechtsstaatlich gebotene Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Rechtsschutz der berührten materiellen Rechte nur gewährleisten, wenn sie auf einer zureichenden Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruhe ([X.], Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 2 BvR 30/06 -, Rn. 24 juris). Das [X.] habe insoweit entschieden, dass das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), die materiell berührten Grundrechte und die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzt seien, wenn grundrechtseingreifende Maßnahmen im Strafvollzug von den Gerichten ohne zureichende Sachaufklärung als rechtmäßig bestätigt würden. Nichts anderes könne gelten, wenn die Fachgerichte ihrer Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legten, der evident und entscheidend von dem zu beurteilenden Sachverhalt abweicht.

2. Dies sei hier der Fall. Das [X.] habe die Entscheidung des [X.] vom 20. November 2014 ([X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 20. November 2014 - 2 BvR 1820/14 -, wistra 2015, [X.]) missachtet, wonach die jeweilige Straferwartung im Einzelfall zu bestimmen sei. Es führe in seinem Beschluss aus, dass der Beschwerdeführer bereits einschlägig vorbestraft sei; in der Stellungnahme des [X.] bei der Strafrechtsabteilung des Justizministeriums der [X.] werde diese [X.] aber ebenso wenig erwähnt wie der Umstand, ob sich dies auf die Strafzumessung auswirke. Damit stehe fest, dass die [X.] auf das konkrete Ersuchen des [X.] [X.] vom 3. August 2015 bislang nicht reagiert hätten. Konsequenterweise sei dieses bei der Beurteilung der einer Auslieferung entgegenstehenden Gründe - willkürlich - von einem falschen Sachverhalt ausgegangen.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen für eine notwendige Annahme liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerf-GG); die Annahme ist auch im Übrigen nicht angezeigt. Sie hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a [X.]G), weil die für die Entscheidung im Wesentlichen maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch die Rechtsprechung des [X.] geklärt sind, noch ist sie zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.]G genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]G). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>; 108, 129 <136>). Sie ist unbegründet.

1. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestands ebenso wie die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind auch im Auslieferungsverfahren Sache der Fachgerichte; das [X.] greift hier nur ein, wenn spezifisches Verfassungsrecht verletzt ist, wenn also der Fehler gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegt (vgl. [X.] 18, 85 <92 f.>).

a) Mit Blick auf das in Art. 3 Abs. 1 GG niedergelegte Willkürverbot prüft das [X.], ob die Anwendung der einschlägigen einfachrechtlichen Bestimmungen und das zugrunde liegende Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung des [X.] auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. [X.] 80, 48 <51>; 108, 129 <137, 142 f.>; 109, 13 <33>; 109, 38 <59>; [X.]K 2, 82 <85>; 2, 165 <173>; 6, 334 <342>). Eine fehlerhafte Auslegung des Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung freilich noch nicht willkürlich. Willkür liegt erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird (vgl. [X.] 87, 273 <279>; [X.]K 17, 178 <184>).

b) Im Auslieferungsverfahren gilt der Grundsatz der Amtsaufklärung (vgl. [X.] 60, 348 <358>; [X.]K 18, 63 <73>). Behörden und Gerichte müssen sich vergewissern, dass die Auslieferung und die ihr zugrunde liegenden Akte mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen vereinbar sind (vgl. [X.] 63, 332 <337 f.>; 75, 1 <19>; 108, 129 <136>; 113, 154 <162>). [X.] erklärt § 73 Satz 1 [X.] die Auslieferung für unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der [X.] Rechtsordnung widersprechen würde.

aa) Zu den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen zählt das aus den einzelnen Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Gebot der Verhältnismäßigkeit. Den zuständigen Organen der [X.] ist es verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die ihm im ersuchenden Staat droht, unerträglich hart, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erscheint. Tatbestand und Rechtsfolge müssen sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (vgl. [X.] 50, 205 <214 f.>; 75, 1 <16>; 113, 154 <162>). Ebenso zählt es wegen Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG zu den unabdingbaren Grundsätzen der [X.] Verfassungsordnung, dass eine angedrohte oder verhängte Strafe nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein darf (vgl. [X.] 75, 1 <16 f.>; 108, 129 <136 f.>).

bb) Anderes gilt, wenn die zu vollstreckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer Beurteilung allein am Maßstab des [X.] Verfassungsrechts nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Da das Grundgesetz von der Eingliederung [X.] in die Völkerrechtsordnung der [X.]gemeinschaft ausgeht (vgl. Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 23 bis Art. 26 GG; vgl. auch [X.] 111, 307 <317 ff.>), gebietet es zugleich, im Rechtshilfeverkehr mit anderen [X.] auch dann Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten (vgl. [X.] 75, 1 <16 f.>; 108, 129 <137>), wenn sie im Einzelnen nicht mit den innerstaatlichen [X.] Auffassungen übereinstimmen. Sollen der im gegenseitigen Interesse bestehende Auslieferungsverkehr und die außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung erhalten bleiben, so dürfen die Gerichte nur die Verletzung der wesentlichen Grundsätze der [X.] Verfassungsordnung als unüberwindbares Hindernis für eine Auslieferung zugrunde legen (vgl. [X.] 113, 154 <162 f.>).

c) Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung muss erkennen lassen, dass das Gericht die Vereinbarkeit der Auslieferung mit den zurückgenommenen verfassungsrechtlichen Standards sorgfältig geprüft hat. Dabei erhöhen sich die Anforderungen an die Begründung mit dem Ausmaß des drohenden Eingriffs in die persönliche Freiheit des Betroffenen (vgl. [X.] 70, 297 <310>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 20. November 2014 - 2 BvR 1820/14 -, wistra 2015, [X.] <99 Rn. 27>). Ohne einen Vergleich der jeweiligen Straferwartung lässt sich die Frage nach der Zulässigkeit der Rechtshilfe sachgerecht nicht beurteilen; neben den Besonderheiten des Einzelfalles müssen insoweit auch die gegebenen Umstände der Strafvollstreckung, des Strafvollzuges und der Strafaussetzung im Blick behalten werden (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 20. November 2014 - 2 BvR 1820/14 -, wistra 2015, [X.] <99 Rn. 27>).

d) Vor diesem Hintergrund hatte das [X.] keine Bedenken gegen eine Auslieferung zur Strafverfolgung nach [X.], obwohl dem Verfolgten dort eine lebenslange Freiheitsstrafe drohte. Diese Strafdrohung hat die Kammer nicht für unerträglich hart befunden, weil die Anklage einen Fall schwerer Drogenkriminalität und damit eine Tat betraf, die auch nach [X.] Recht mit Freiheitsstrafe von 15 Jahren bedroht war, und das [X.] Recht nach einer Verbüßung von 20 Jahren Freiheitsstrafe bei guter Führung die Entlassung aus der Haft gewährte. Angesichts der konkreten Chance auf vorzeitige Entlassung stand die drohende Freiheitsstrafe zu der - schwerwiegenden - Verfehlung nicht so außer Verhältnis, dass sie als schlechthin unangemessen anzusehen war (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 4. März 1994 - 2 BvR 2037/93 -, NJW 1994, [X.] 2884).

Der Senat hatte auch keine Bedenken gegen eine Auslieferung nach [X.], obwohl dem Verfolgten auch dort eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen [X.] drohte. Da die einzelnen [X.] gerade im Bereich der Vermögensdelikte unterschiedliche Auffassungen über die Strafwürdigkeit hätten, sei diese Strafdrohung nicht unerträglich hart im Sinne der Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.] 108, 129 <143 f.>). Ebenso wenig hat der Senat eine Auslieferung an die [X.] beanstandet, bei der dem Verfolgten wegen "schweren Mordes" eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit der vorzeitigen Bewährung drohte (vgl. [X.] 113, 154). Bei schwersten Rechtsgutverletzungen kann die Anordnung einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit dem Gebot des sinn- und maßvollen Strafens vereinbar sein (vgl. [X.] 45, 187 <254 ff.>; 64, 261 <271>; 113, 154 <163 f.>), sofern für den Betroffenen zumindest eine praktische Möglichkeit besteht, seine Freiheit wiederzuerlangen (vgl. [X.] 113, 154 <166 f.>).

e) Auch wenn im Auslieferungsverfahren der Grundsatz der Amtsaufklärung gilt, ist dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des [X.] grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Dieser Grundsatz kann so lange Geltung beanspruchen, wie er nicht durch entgegenstehende Tatsachen erschüttert wird (vgl. [X.] 109, 13 <35 f.>; 109, 38 <61>). Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur in besonders gelagerten Fällen gerechtfertigt (vgl. [X.] 60, 348 <355 f.>; 63, 197 <206>; 109, 13 <33>; 109, 38 <59>). Vor diesem Hintergrund hat der Verfolgte - ähnlich wie im asylrechtlichen Verfahren - eine Darlegungslast, mit der er den an der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung beteiligten Stellen zumindest hinreichende Anhaltspunkte für ihre Ermittlungen geben muss (vgl. [X.]K 6, 334 <342>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96 -, [X.], [X.] 324 <326>).

Die von einem Verfolgten behauptete Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung steht einer Auslieferung nicht schon dann entgegen, wenn sie aufgrund eines bekanntgewordenen früheren Vorfalls nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Vielmehr müssen begründete Anhaltspunkte für die Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung vorliegen (vgl. [X.] 108, 129 <138>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 22. Juni 1992 - 2 BvR 1901/91 -, Rn. 4 juris, Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 31. Mai 1994 - 2 BvR 1193/93 -, NJW 1994, [X.] <2884>; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 29. Mai 1996 - 2 BvR 66/96 -, [X.], [X.] 324 <326>). Es müssen stichhaltige Gründe gegeben sein, nach denen gerade im konkreten Fall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass in dem ersuchenden Staat die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht eingehalten werden. Auf konkrete Anhaltspunkte kommt es nur dann nicht an, wenn in dem ersuchenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte besteht. Die Auslieferung in [X.], die eine ständige Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen aufweisen, wird regelmäßig die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der wesentlichen Grundsätze der [X.] verfassungsrechtlichen Ordnung begründen (vgl. [X.] 108, 129 <138 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 15. Oktober 2007 - 2 BvR 1680/07 -, NVwZ 2008, [X.] 71 <72>).

2. Nach diesen Maßstäben verletzt der Beschluss des [X.] [X.] vom 15. Oktober 2015 Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot nicht.

a) Die angegriffene Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung erfüllt insbesondere die [X.] an Art und Tiefe der Begründung richterlicher Entscheidungen im [X.]. Sie lässt erkennen, dass das [X.] die Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Mindeststandards hinreichend geprüft hat. Die Anforderungen an die Begründung waren dabei hoch, da dem Beschwerdeführer in den [X.] die Verurteilung zu vielen Jahren Freiheitsstrafe droht. Das [X.] hat sich mit der konkret zu erwartenden Strafe (aa), der Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung (bb) sowie damit auseinandergesetzt, ob dies mit dem Gebot des sinn- und maßvollen Strafens vereinbar ist (cc).

aa) Hierzu hat es die US-[X.] Behörden um nähere Darlegung ersucht, mit welcher Strafe der Beschwerdeführer im Falle einer Verurteilung insgesamt zu rechnen habe, von welchen Umständen die Bestimmung des Strafmaßes abhängig sei, ob der Verfolgte die gegen ihn insgesamt zu verhängende Strafe voll zu verbüßen hätte oder ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen eine vorzeitige Entlassung oder Begnadigung möglich wäre. Das [X.] hat in Beantwortung des Ersuchens des [X.] [X.] mit Schreiben vom 4. September 2015 ausführlich Stellung genommen. Unter Berücksichtigung dieses Schreibens kommt das [X.] zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer in den [X.] selbst im Falle eines Schuldspruchs in allen Anklagepunkten keine unverhältnismäßig harte und unter jedem Gesichtspunkt als unangemessen erscheinende Sanktion drohe.

Hierbei setzt es sich mit den Angaben des Justizministeriums der [X.] auseinander. Es weist darauf hin, dass die zuständige Staatsanwaltschaft unter Zugrundelegung der Richtlinien zur Strafbemessung und nach Maßgabe der [X.], dass der Beschwerdeführer in allen Anklagepunkten für schuldig erachtet werden würde, er sich zuvor aber nicht schuldig bekannt haben sollte, eine [X.] von 262 bis 327 Monaten Freiheitsstrafe berechnet habe.

Zwar fällt auf, dass die im Beschluss des [X.] enthaltene Wiedergabe der von [X.] Seite dargestellten Kriterien, die bei der Strafzumessung zu berücksichtigen wären, nicht dem genauen Wortlaut der Stellungnahme des [X.]s vom 4. September 2015 entspricht. So führt das [X.] - bezogen auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass die Stellungnahme des [X.]s keine Aussagen zur einschlägigen [X.] enthalte - aus, dass nach der Stellungnahme des [X.]s das zuständige Gericht bei der Bestimmung der Strafe "das Wesen und die Umstände der Straftat sowie das Vorstrafenregister und den Charakter des Angeklagten" berücksichtigen solle, wohingegen es in der Stellungnahme vom 4. September 2015 heißt, dass "die Wesensart und die Umstände der Straftat und die Vorgeschichte und Charaktereigenschaften des Angeklagten" zu berücksichtigen seien, der Begriff des Vorstrafenregisters dort also nicht auftaucht. Dies führt im Ergebnis jedoch nicht zur Annahme, dass das [X.] vorliegend das Willkürverbot verletzt habe. Auch wenn die in der Stellungnahme des [X.]s vom 4. September 2015 verwendete Wortwahl nicht korrekt wiedergegeben wurde, ist doch ersichtlich, dass mit der Wendung "die Wesensart und die Umstände der Straftat und die Vorgeschichte und Charaktereigenschaften des Angeklagten" inhaltlich nichts anderes gemeint ist als die vom [X.] verwendete Wendung "das Wesen und die Umstände der Straftat sowie das Vorstrafenregister und den Charakter". Auch bei isolierter Betrachtung des Begriffs "Vorgeschichte", der hier anstelle des Begriffs "Vorstrafenregister" auftaucht, erschließt sich, dass die Vorgeschichte des Beschwerdeführers seinen bisherigen Lebenslauf und damit auch notwendig bereits abgeleistete Vorstrafen mit umfasst. Der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf, in der Stellungnahme des [X.]s vom 4. September 2015 sei die Auswirkung von Vorstrafen auf das zu erwartende Strafmaß nicht berücksichtigt, so dass das [X.] von einer unvollständigen [X.] ausgegangen sei, erweist sich daher als unzutreffend.

Hinzu kommt, dass das [X.] in seiner Stellungnahme vom 4. September 2015 ausdrücklich von den jeweils gesetzlich vorgesehenen Höchstfreiheitsstrafen ausgegangen ist, die das [X.] für die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftaten vorsieht. Da es sich um Höchstfreiheitsstrafen handelt, ist davon auszugehen, dass die vom [X.] genannte mögliche Bandbreite der zu erwartenden Freiheitsstrafe von 262 bis 327 Monaten bereits in Betracht kommende [X.]en berücksichtigt. Außerdem weist das [X.] darauf hin, dass nach den Feststellungen des [X.]s eine Verringerung der [X.] in Betracht käme, wenn der Beschwerdeführer sich wegen einzelner Anklagepunkte für schuldig bekennen würde. Das [X.] prognostiziert für diesen Fall eine [X.] von 188 bis 235 Monaten.

bb) Das [X.] setzt sich ferner mit der Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung auseinander. Es weist darauf hin, dass der Beschwerdeführer, abgesehen von einer aus humanitären Gründen veranlassten vorzeitigen Entlassung, bei guter Führung für jedes Jahr Haft ein Zeitguthaben von 54 Tagen erhalten würde, woraus sich eine Reduzierung der tatsächlichen Strafvollstreckungsdauer von ca. 48 Monaten bei einem Strafmaß von 327 und von ca. 38 Monaten bei einem solchen von 262 Monaten ergäbe.

cc) Schließlich geht das Gericht auf die Frage ein, ob die in den [X.] zu erwartende Strafe mit dem Gebot des sinn- und maßvollen Strafens vereinbar ist. Es weist darauf hin, dass das [X.] die Möglichkeit der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe im Falle des Vorwurfs der Begehung von schweren Vermögensstraftaten toleriere, sofern die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung bestehe (mit Verweis auf [X.] 108, 129). Da dem Beschwerdeführer von den [X.] vorliegend zur Last gelegt werde, in maßgeblicher Position an einer Verschwörung beteiligt gewesen zu sein, bei der mit hoher krimineller Energie mittels Preismanipulation von Aktien und weiterer betrügerischer Handlungen Anleger in Höhe von mindestens 14 Millionen US-Dollar geschädigt worden sein sollen, kommt das [X.] zu der Überzeugung, dass die ihm hierfür in den [X.] drohende Strafe von 27 Jahren und 3 Monaten nicht als unangemessen hart angesehen werden könne.

b) Die Auffassung ist angesichts der Schwere der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftaten in der Sache nicht zu beanstanden (vgl. nur [X.] 108, 129 <143 f.>). Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Möglichkeit, die Freiheit wiederzuerlangen, für den Beschwerdeführer praktisch ausgeschlossen wäre.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GO[X.]).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2088/15

19.11.2015

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Frankfurt, 15. Oktober 2015, Az: 2 Ausl A 50/15, Beschluss

Art 3 Abs 1 GG, AuslfVtr USA, S 73 S 1 IRG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 19.11.2015, Az. 2 BvR 2088/15 (REWIS RS 2015, 2096)

Papier­fundstellen: WM 2016, 28 REWIS RS 2015, 2096

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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