Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.12.2023, Az. B 4 AS 4/23 B

4. Senat | REWIS RS 2023, 8619

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts - Besetzung mit einem abgeordneten Richter


Tenor

Auf die Beschwerden der Kläger wird der Beschluss des [X.] vom 28. Dezember 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Kläger begehren von dem Beklagten in der Sache die Erstattung von Kosten für ein Widerspruchsverfahren.

2

Das [X.] hat ihre Klagen abgewiesen (Urteil vom 1.11.2018). Die Berufungen der Kläger sind erfolglos geblieben, die Revision ist nicht zugelassen worden (Beschluss des L[X.] vom 28.12.2022). An dem Beschluss hat der an das L[X.] abgeordnete [X.] am [X.] S mitgewirkt.

3

Mit ihren Nichtzulassungsbeschwerden rügen die Kläger als Verfahrensmangel eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des L[X.] durch die Mitwirkung des [X.]s am [X.] S. Ein zwingender Grund dafür, dass nicht an seiner Stelle ein [X.] am L[X.] mitgewirkt habe, sei auch nach Einholung einer Stellungnahme der Präsidentin des L[X.] nicht erkennbar. Die Abordnung des [X.]s am [X.] S habe zum [X.]punkt der Entscheidung bereits fast 33 Monate angedauert und daher nicht mehr dessen Eignungserprobung gedient. Es habe sich auch nicht um einen Ausgleich für einen vorübergehenden Ausfall planmäßiger [X.] oder einen zeitweiligen außergewöhnlichen Arbeitsanfall gehandelt.

4

Der Senat hat eine Auskunft der Präsidentin des L[X.] vom [X.] zu den Gründen der Abordnung des [X.]s am [X.] S eingeholt. Danach ist dessen Abordnung an das L[X.] zunächst zur Erprobung erfolgt (vom [X.] bis 31.3.2021, "vor dem Hintergrund [X.] geänderter Rahmenbedingungen richterlicher Tätigkeit" verlängert bis zum [X.]). Schon in dieser [X.] habe der abgeordnete [X.] die Vertretung des für [X.] zuständigen Präsidialrichters des L[X.] übernommen und sei dafür zu 20 % von seinen richterlichen Tätigkeiten freigestellt worden. Wegen dessen zweijähriger Abordnung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das B[X.] sei die Abordnung des [X.]s am [X.] S an das L[X.] sodann erst bis zum [X.] und schließlich bis zum 30.9.2023 verlängert worden. Die zunehmenden Aufgaben in der Präsidialverwaltung des L[X.] hätten zunächst 50 % und ab 2022 sogar 80 % der Arbeitskraft des abgeordneten [X.]s in Anspruch genommen. An dem Beschluss des L[X.] vom 28.12.2022 habe [X.] am [X.] S nur vertretungshalber mitgewirkt, weil der [X.] urlaubsbedingt verhindert gewesen sei.

5

II. Die Beschwerden der Kläger sind zulässig. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unterliegen auch Verfahrensmängel, die in einem Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen wären, den allgemeinen Bezeichnungsvoraussetzungen des § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G (stRspr; etwa B[X.] vom 19.6.2019 - [X.] [X.]/18 B - juris Rd[X.] 4; B[X.] vom [X.] - B 9 SB 8/20 B - juris Rd[X.] 5 mwN; B[X.] vom 28.11.2022 - [X.] [X.] 23/22 B - juris Rd[X.]; ebenso B. [X.] in [X.]/[X.], [X.]G, 14. Aufl 2023, § 160a Rd[X.] 16; Voelzke in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.]G, 2. Aufl 2022, § 160a [X.], 135; zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren ebenso [X.] vom [X.] - 9 B 10679.83 - juris Rd[X.] 12; zum arbeitsgerichtlichen Verfahren [X.] vom 5.12.2011 - 5 [X.] 1036/11 - juris Rd[X.] 7 f). Diese sind hier erfüllt.

6

Die Beschwerden der Kläger sind auch begründet und führen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das L[X.] gemäß § 160a Abs 5 [X.]G. Der Entscheidung liegt ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) zugrunde, denn sie ist unter Verletzung der Vorschriften über die Besetzung des L[X.] ergangen.

7

Das L[X.] besteht nach § 30 Abs 1 [X.]G aus dem Präsidenten, den Vorsitzenden [X.]n, weiteren Berufsrichtern und den ehrenamtlichen [X.]n, und jeder Senat des L[X.] wird nach § 33 Abs 1 Satz 1 [X.]G in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen [X.]n tätig. Die Verletzung der Vorschriften über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 Satz 1 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 ZPO).

8

Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] verlangen Art 92, 97 GG zur Sicherung der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der [X.], dass die Gerichte, soweit Berufsrichter beschäftigt werden, grundsätzlich mit hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten [X.]n besetzt sind; die Beschäftigung persönlich nicht unabhängiger "[X.]", wozu auch an das L[X.] abgeordnete [X.] des [X.] gehören, setzt zwingende Gründe voraus und ihre Anzahl ist so klein wie möglich zu halten. Solche zwingenden Gründe liegen namentlich dann vor, wenn für eine Ernennung zum [X.] auf Lebenszeit in Betracht kommende [X.] auf Probe eingesetzt werden (vgl § 10 Abs 1 DRiG), wenn [X.] auf Lebenszeit unterer Gerichte an obere Gerichte abgeordnet werden, um ihre Eignung zu erproben, wenn vorübergehend ausfallende [X.] auf Lebenszeit, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist (siehe zum Ganzen zuletzt [X.] [Kammer] vom 10.11.2022 - 1 BvR 1623/17 - [X.] 2023, 457 Rd[X.] 11 ff mwN und dazu [X.] [X.] 3/2023 [X.] 6; vgl auch [X.] in [X.]/[X.]/Müller, BeckOGK [X.]G, § 33 Rd[X.] 11 mwN, Stand 1.11.2023).

9

Ausgehend von diesen Maßstäben war der Senat des L[X.] bei seiner Entscheidung vom 28.12.2022 wegen der Mitwirkung des [X.]s am [X.] S nicht ordnungsgemäß besetzt. Ein zwingender Grund, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen für das Tätigwerden dieses [X.]s statt eines [X.]s am L[X.] genügen würde, lag nach der eingeholten Auskunft der Präsidentin des L[X.] nicht vor. Die Abordnung des [X.]s am [X.] zur Erprobung, also um seine Eignung für eine Tätigkeit in der Berufungsinstanz festzustellen, war bereits abgeschlossen, ohne dass hier zu entscheiden wäre, ob deren Verlängerung auf 18 Monate durch zwingende Gründe gerechtfertigt war. Auch die Voraussetzungen der beiden weiteren vom [X.] angeführten Ausnahmen - vorübergehender Ausfall planmäßig endgültig angestellter [X.], deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, oder zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall - waren nach der Auskunft der Präsidentin des L[X.] nicht erfüllt. Dass die Abordnung eines [X.]s am L[X.] (hier als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das B[X.]) als gezielte [X.] keinen Ausfall eines planmäßig endgültig angestellten [X.]s im Sinne der Rechtsprechung des [X.] darstellt, hat das B[X.] bereits entschieden (B[X.] vom 25.4.2018 - [X.] [X.]/17 B - [X.] 2019, 66 Rd[X.] 10 mit [X.] Bienert). Ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall ist der Auskunft vom [X.] ebenfalls nicht zu entnehmen. Die weitere Ausübung berufungsrichterlicher Tätigkeit am L[X.] über eine (zum [X.]punkt der Beschlussfassung des L[X.] währende) Dauer von 33 Monaten war schließlich nicht zwingend geboten, nur weil der abgeordnete [X.] am [X.] daneben in gleichem oder sogar überwiegendem Umfang Verwaltungsaufgaben des L[X.] wahrgenommen hat (ebenso für eine mit der Wahrnehmung von [X.] verbundene Verwaltungserprobung über einen [X.]raum von zusätzlichen 27 Monaten bereits B[X.] vom 23.10.2018 - [X.] [X.] 43/18 B - juris Rd[X.] 8 mwN; dazu [X.] [X.] 2019, 160; ebenso bei 29 Monaten B[X.] vom 12.12.2019 - [X.] [X.]/18 B - juris Rd[X.] 9).

Gemäß § 160a Abs 5 [X.]G kann das B[X.] in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G - wie hier - vorliegen. Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Die Entscheidung über die Kosten der Beschwerdeverfahren bleibt dem L[X.] vorbehalten.

        

[X.]

[X.]

B. [X.]

Meta

B 4 AS 4/23 B

14.12.2023

Bundessozialgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Nordhausen, 1. November 2018, Az: S 14 AS 832/16, Urteil

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 33 Abs 1 S 1 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, Art 92 GG, Art 97 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.12.2023, Az. B 4 AS 4/23 B (REWIS RS 2023, 8619)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8619

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 1623/17

5 AZN 1036/11

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