Bundessozialgericht, Urteil vom 16.03.2021, Az. B 2 U 11/19 R

2. Senat | REWIS RS 2021, 7851

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit - Polyneuropathie - Enzephalopathie - organische Lösungsmittel oder deren Gemische - arbeitstechnische Voraussetzungen - Exposition - keine Dosis-Wirkungs-Beziehung - keine Mindestschwelle - Einhaltung von Arbeitsplatzgrenzwerten kein Ausschlussgrund - arbeitsmedizinische Voraussetzungen - Entstehung des Erkrankungsbilds nach Ende der Exposition - Kausalität - wissenschaftlicher Erkenntnisstand - erforderliche Abwägung der für und gegen die arbeitsmedizinischen Aspekte sprechenden Umstände - sozialgerichtliches Verfahren - Erforderlichkeit eigener tatsächlicher Feststellungen des Gerichts - Ermittlung von Anknüpfungs- und Befundtatsachen durch den Sachverständigen - Zueigenmachung durch das Gericht - Verneinung einer im Gutachten zugrunde gelegten Tatsache - erforderliche Rückfrage beim Sachverständigen


Leitsatz

1. Zu den Anforderungen an die Feststellung einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische als Berufskrankheit.

2. Das Revisionsgericht bindende tatsächliche Feststellungen erfordern eine eigene Entscheidung des Tatrichters, dass er die entscheidungserheblichen Tatsachen als wahr ansieht, die bloße Wiedergabe von Angaben oder Aussagen Dritter in direkter oder indirekter Rede genügt nicht.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 6. Februar 2019 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist im Zugunstenverfahren streitig, ob bei dem Kläger eine Berufskrankheit ([X.]) nach [X.] 1317 der Anlage 1 zur [X.] ([X.]V) - Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische (in Zukunft: [X.] [X.] 1317) - anzuerkennen ist.

2

Der Kläger arbeitete nach seiner Ausbildung zum Drucker ua als Buchdrucker und später als Maschinenführer und Teamleiter in der Fertigung von Zigarettenpackungen an Druckmaschinen.

3

Die Beklagte stellte Ermittlungen wegen des Umgangs des [X.] mit Druckfarben und Lösungsmitteln an. Hierbei bescheinigte B in einem Befundbericht vom [X.] eine handschuh- und sockenförmige Hypästhesie und Hyperpathie, "also Polyneuropathie" und erstattete eine [X.]-Anzeige wegen einer Polyneuropathie. Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer [X.] [X.] 1317 ab (Bescheid vom 27.6.2003; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Die Klage hiergegen nahm der Kläger zurück. In einem nachfolgenden Rentenverfahren wurde ihm durch gerichtlichen Vergleich von der [X.] eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.11.2007 bewilligt. In diesem Verfahren befundete R eine geringe Polyneuropathie und [X.] eine Neuropathie unklarer Ätiologie bei deutlich progredienter Polyneuropathie, die seit mindestens Anfang 2005 bestehe.

4

Der Kläger stellte im Jahre 2009 einen Überprüfungsantrag, den die Beklagte ablehnte (Bescheid vom 13.4.2011; Widerspruchsbescheid vom 1.6.2011). Das [X.] hat nach Durchführung weiterer Ermittlungen die Klage hiergegen abgewiesen (Urteil vom 19.5.2016), das L[X.] die Berufung des [X.] zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Die Voraussetzungen einer [X.] [X.] 1317 lägen nicht vor. Grundsätzlich müsse ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Exposition und dem Krankheitsbeginn bestehen, was bedeute, dass sich die Krankheit während oder kurz nach der beruflichen Exposition entwickele. Ein längeres Intervall zwischen letzter Exposition und Krankheitsbeginn sei toxikologisch nicht plausibel. Eine [X.] [X.] 1317 sei weder in Form einer Polyneuropathie noch als Enzephalopathie belegt. Bei Ende der Exposition im Jahr 2006 seien beide Krankheitsbilder noch nicht gesichert gewesen. Die Ausführungen von [X.] zu einem früheren Erkrankungszeitpunkt seien nicht überzeugend, weil sie sich hauptsächlich auf die These von B aus dem [X.] bezögen, die durch nichts belegt sei. Insofern seien die Ausführungen anderer Sachverständiger überzeugend, die von einem Vollbeweis des Krankheitsbildes erst nach Ende der Exposition ausgingen, was für die streitige [X.] untypisch sei. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen Exposition und Erkrankung lasse sich deswegen nicht belegen, zumal Konkurrenzursachen vorlägen.

5

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Er rügt eine Verletzung des § 9 Abs 1 [X.]B VII iVm [X.] [X.] 1317. Das Urteil des L[X.] beruhe auf einer Verletzung des § 103 [X.]G sowie des Art 103 Grundgesetz (GG) iVm § 62 [X.]G.

6

Der Kläger beantragt,
die Urteile des [X.] vom 6. Februar 2019 und des [X.] vom 19. Mai 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juni 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 27. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. September 2003 zurückzunehmen und beim Kläger eine Berufskrankheit nach [X.] [X.] 1317 der Anlage 1 zur [X.]V festzustellen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige [X.]evision des [X.] ist im [X.]inne der Aufhebung des angefochtenen Urteils des [X.] und der Zurückverweisung der [X.]ache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 [X.]atz 2 [X.]). Die vom [X.] festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus. Weder lässt sich danach beurteilen, welchen versicherten Einwirkungen i[X.] der [X.] der Kläger im Einzelnen ausgesetzt gewesen ist, noch welche Erkrankungen i[X.] der [X.] beim Kläger ab wann vorgelegen haben und ob ggf die Exposition nach dem neuesten [X.]tand der medizinischen Wissenschaft geeignet ist, die Erkrankungen zu verursachen.

9

[X.]tatthafte [X.] ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 [X.]atz 1 Alt 1 und 3, § 55 Abs 1 [X.], § 56 [X.]. Die Anfechtungsklage zielt auf die gerichtliche Aufhebung der Ablehnungsentscheidung in dem [X.]escheid vom 13.4.2011 in der Gestalt des Wi[X.]pruchsbescheids vom 1.6.2011 (§ 95 [X.]), die Verpflichtungsklage auf die behördliche [X.]ücknahme des bestandskräftigen (§ 77 [X.]) [X.]escheids vom 27.6.2003 in der Gestalt des Wi[X.]pruchsbescheids vom [X.] sowie die Feststellungsklage auf die gerichtliche Feststellung der [X.] (vgl zur statthaften [X.] zuletzt: [X.] vom 30.1.2020 - [X.] U 2/18 [X.] - [X.] 4-2700 § 8 [X.] [X.]d[X.] 9, auch zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen, vom [X.] - [X.] 2 U 1/18 [X.] - [X.] 129, 44 = [X.] 4-2700 § 2 [X.], [X.]d[X.] 9 und vom 6.9.2018 - [X.] U 10/17 [X.] - [X.] 126, 244 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 9, [X.]d[X.] 8 mwN).

Die erstrebte [X.]ücknahme richtet sich nach § 44 Abs 1 [X.]. Danach ist ein (i[X.] von § 45 Abs 1 [X.]) nicht begünstigender Verwaltungsakt zurückzunehmen, soweit er (anfänglich) rechtswidrig ist. Der Verwaltungsakt ist immer mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (Abs 2 [X.]atz 1 aaO), soweit er noch [X.]echtswirkungen hat, also noch nicht i[X.] des § 39 Abs 2 [X.] erledigt ist. Die [X.]ücknahme hat (gebundene Entscheidung) für die Vergangenheit zu erfolgen, wenn wegen der [X.]echtswidrigkeit des Verwaltungsaktes "[X.]ozialleistungen" zu Unrecht nicht erbracht worden sind (§ 44 Abs 1 [X.]atz 1 [X.]). Das Gebot zur rückwirkenden [X.]ücknahme gilt nicht in bestimmten Fällen der [X.]ösgläubigkeit (Abs 1 [X.]atz 2 aaO). Im Übrigen "kann" (Ermessen) der anfänglich rechtswidrige Verwaltungsakt auch in sonstigen Fällen, dh außerhalb des Abs 1 [X.]atz 1 aaO, für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs 2 [X.]atz 2 aaO; vgl [X.] vom 6.9.2018 - [X.] U 10/17 [X.] - [X.] 126, 244 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 9, [X.]d[X.] 9). Ob die ursprüngliche Ablehnungsentscheidung der [X.]eklagten im [X.]escheid vom 27.6.2003 in der Gestalt des Wi[X.]pruchsbescheids vom [X.] anfänglich rechtswidrig gewesen und somit "zu Unrecht" ergangen ist, weil der Kläger einen Leistungen auslösenden Versicherungsfall der [X.] erlitten hat, kann der [X.]enat mangels ausreichender Feststellungen des [X.] nicht abschließend entscheiden.

[X.]echtsgrundlage für die Anerkennung der [X.] ist § 9 Abs 1 [X.] iVm der [X.]. Die [X.] der Anlage 1 zur [X.]V in der seit 1997 unveränderten Fassung ([X.]V vom 31.10.1997, [X.]) lautet: "[X.]olyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische."

Nach § 9 Abs 1 [X.]atz 1 [X.] sind [X.]en nur diejenigen Krankheiten, die durch die [X.]undesregierung durch [X.]echtsverordnung mit Zustimmung des [X.] als solche bezeichnet sind (sog Listen-[X.]) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 [X.] begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger [X.]echtsprechung des [X.]enats ist für die Feststellung einer Listen-[X.] (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von [X.]elastungen, [X.]chadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im [X.]inne des [X.] - also mit an [X.]icherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen [X.]edingung zu beurteilenden [X.] genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl [X.] vom 6.9.2018 - [X.] U 13/17 [X.] - [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 10 [X.]d[X.] 9, vom [X.] - [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 7 [X.]d[X.] 10, - [X.] U 10/14 [X.] - [X.] 118, 225 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 6, [X.]d[X.] 11 sowie - [X.] 2 U 20/14 [X.] - [X.] 118, 267 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 8 [X.]d[X.] 10; s auch [X.] vom [X.] - [X.] U 11/12 [X.] - [X.] 114, 90 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2109 [X.] 1, [X.]d[X.] 12). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-[X.], wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall; vgl [X.] vom 6.9.2018 - [X.] U 13/17 [X.] - [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 10 [X.]d[X.] 9 und vom 17.12.2015 - [X.] U 11/14 [X.] - [X.] 120, 230 = [X.] 4-2700 § 9 [X.] 26, [X.]d[X.] 10).

Dem Urteil des [X.] lässt sich noch hinreichend entnehmen, dass der Kläger zum versicherten [X.]ersonenkreis zählte (dazu unter 1.). Die Feststellungen reichen hingegen nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger den tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit in Form von organischen Lösungsmitteln oder deren Gemische ausgesetzt war (dazu unter 2.). Ebenso wenig lässt sich beurteilen, ob und ggf welche der beiden tatbestandlich vorausgesetzten Erkrankungen [X.]olyneuropathie oder Enzephalopathie beim Kläger vorliegen (dazu unter 3.). [X.]chließlich reichen die Feststellungen nicht aus, um beurteilen zu können, ob das [X.] die erforderliche Kausalität zwischen Einwirkung und Erkrankung zu [X.]echt abgelehnt hat (dazu unter 4.). Es kann daher dahinstehen, ob das [X.]-Urteil auf weiteren Verfahrensfehlern beruht (dazu unter 5.).

1. Den Feststellungen des [X.] lässt sich hinreichend entnehmen, dass der Kläger bei seinen im Einzelnen aufgeführten Tätigkeiten (Drucker, Maschinenführer etc) als [X.]eschäftigter gemäß § 2 Abs 1 [X.] 1 [X.] zum Kreis der versicherten [X.]ersonen zählte.

2. Den Feststellungen des [X.]erufungsgerichts lässt sich jedoch nicht mit der erforderlichen [X.]estimmtheit entnehmen, welchen Einwirkungen i[X.] der [X.] der Kläger bei seinen [X.]eschäftigungen ausgesetzt war. Die [X.] setzt tatbestandlich die Einwirkung durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische voraus. Organische Lösungsmittel sind in der [X.]egel kohlenstoffhaltige flüchtige [X.]toffe, die einen anderen [X.]toff lösen können, ohne dass es dabei zu chemischen [X.]eaktionen zwischen gelöstem [X.]toff und lösendem [X.]toff kommt (vgl https://www.umweltanalytik.com/lexikon/ing13.htm). Zu den organischen Lösungsmitteln, die teilweise spezieller in anderen [X.]-Tatbeständen geregelt werden (z[X.] [X.] [X.] 1303), zählen [X.], [X.], [X.], [X.], Ethanol, Methanol, 2-Methoxyethanol, [X.]enzol, [X.]tyrol, Toluol, Xylol, Dichlormethan, Tetrachlorethen, 1,1,1-Trichlorethan und [X.] ([X.]-[X.]eport 1/2018, herausgegeben von [X.] <[X.]>, Mai 2018, [X.] ff). In der [X.]apierindustrie werden als verwendete organische Lösemittel [X.]utanon, Ethanol, [X.], Methanol (Imprägnieren) und bis Ende der 1980er-Jahre zur [X.]iebreinigung [X.] genannt ([X.]-[X.]eport 1/2018, [X.] 24).

Dem Urteil des [X.] ist nicht zu entnehmen, ob und ggf welchen dieser [X.]toffe der Kläger konkret ausgesetzt war. Das Urteil enthält lediglich eine Auflistung von Gutachten und [X.]tellungnahmen des [X.] ([X.]), die meistens in indirekter [X.]ede wiedergegeben werden und ihrerseits Angaben zu Expositionen enthalten. Das [X.]evisionsgericht nach § 163 [X.] bindende tatrichterliche Feststellungen erfordern jedoch eine eigene Entscheidung des [X.], dass es die entscheidungserheblichen Tatsachen als wahr ansieht. Nach § 128 Abs 1 [X.]atz 1 [X.] entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung, von welchem [X.]achverhalt bei der rechtlichen [X.]eurteilung auszugehen ist; das Ergebnis dieses Entscheidungsprozesses und die für die Überzeugungsbildung maßgebenden Gründe sind im Urteil anzugeben ([X.]atz 2). Es genügt deshalb nicht, wenn die Darstellung der [X.]eteiligten oder die Aussagen von Zeugen und [X.]achverständigen inhaltlich oder sogar wörtlich referiert werden. Entscheidend ist, dass das Gericht die Aussagen bewertet und mitteilt, welche Angaben es für wahr hält und deshalb seiner rechtlichen [X.]eurteilung zugrunde legt. Die § 128 Abs 1 [X.] inhaltlich entsprechende [X.]egelung in § 286 Abs 1 Zivilprozessordnung (Z[X.]O) bringt dies deutlicher zum Ausdruck, wenn es dort heißt, das Gericht habe nach freier Überzeugung "zu entscheiden" ob eine tatsächliche [X.]ehauptung für wahr oder für nicht wahr "zu erachten" sei. Das Gericht muss sich ein [X.]eweisergebnis "zu eigen machen", dh, es muss "eigene Feststellungen treffen" (vgl [X.] vom 2.10.2008 - [X.] 9 [X.] - juris [X.]d[X.] 18 mwN; [X.], [X.]eckOGK, [X.], [X.]tand 1.1.2021, § 128 [X.]d[X.] 16, 18; [X.]/[X.], Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. [X.], [X.]d[X.]77; Aussprung in [X.]/[X.], [X.], 2014, § 128 [X.]d[X.] 8 f). In dem vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten [X.] gehören derartige Feststellungen regelmäßig in die Entscheidungsgründe; sie können sich im Einzelfall aber auch aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergeben (vgl [X.] vom 2.10.2008 - [X.] 9 [X.] - aaO; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 163 [X.]d[X.] 2 mwN; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2014, § 163 [X.]d[X.] 12).

Das [X.] geht unter Darstellung der Ermittlungen des [X.] offensichtlich davon aus, dass der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit bei der [X.] und M einer Exposition gegenüber neurotoxischen Lösungsmitteln in Form von "Gummi neu" und "[X.]" ausgesetzt war ([X.] des Urteils). Im Tatbestand ([X.] des Urteils) wird auch die Ermittlung der Lösungsmittel [X.], Dichlormethan, [X.] und Xylol durch den [X.] festgestellt. In seinem Urteil macht sich das [X.] jedoch diese Feststellungen nicht zu eigen und stellt auch nicht fest, ob es zu der Überzeugung gelangt ist, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Vorliegen der [X.] erfüllt sind. Das [X.] wird daher bei seiner erneuten Entscheidung die Feststellung nachzuholen haben, ob organische Lösungsmittel und in welchem Zeitraum an den Arbeitsplätzen des [X.] vorhanden waren, sofern es rechtlich auf diese Feststellungen ankommt.

3. Ebenso wenig lässt sich den Feststellungen des [X.] entnehmen, ob beim Kläger die tatbestandlich vorausgesetzten Erkrankungen der [X.]olyneuropathie oder der Enzephalopathie vorliegen. Die Entscheidung lässt lediglich erkennen, "dass sich nach [X.] das Krankheitsbild weiter entwickelt hat bzw. gar erst entstanden ist" ([X.] des Urteils). Diese Feststellung reicht nicht aus. Denn es bleibt schon unklar, welches der beiden Erkrankungsbilder das [X.] prüfen will.

[X.]olyneuropathien sind Erkrankungen des peripheren Nervensystems, die gleichmäßig oder unterschiedlich motorische, sensible und vegetative Fasern betreffen, wobei sich die klinische Manifestation je nach symmetrischem oder asymmetrischem Verteilungstyp unterscheidet ([X.]-[X.]eport 1/2018, [X.]). Als Enzephalopathie bezeichnet man nicht entzündliche Erkrankungen oder [X.]chädigungen des Gehirns unterschiedlicher Genese als Oberbegriff für [X.]trukturschädigungen und Funktionsstörungen des Gehirns. Unter einer toxischen Enzephalopathie versteht man ein Krankheitsbild, das Folge einer direkten oder indirekten [X.]chädigung des Gehirns oder von Teilen des Gehirns durch exogen aufgenommene oder im [X.]toffwechsel entstandene neurotoxisch wirkende [X.]toffe ist ([X.]-[X.]eport 1/2018, [X.] 82).

Unklar bleibt, vom Vorliegen welcher Erkrankung das [X.] ab welchem Zeitpunkt ausgeht. Auch diesbezüglich werden nur die Ausführungen der gehörten [X.]achverständigen in indirekter [X.]ede wiederholt. Zwar hat das [X.] entschieden, dass es dem [X.]achverständigen [X.] nicht folge, soweit er davon ausgehe, die Erkrankungen der [X.]olyneuropathie und Enzephalopathie hätten bereits im Jahr 2002 vorgelegen, weil er lediglich auf eine unbewiesene These des [X.] zurückgreife und die rein subjektiv geäußerten [X.]eschwerden für einen Vollbeweis dieser Krankheitsbilder nicht ausreichten. Die weitere Feststellung auf [X.] des Urteils, dass insofern "die Ausführungen von [X.] und [X.] überzeugend" seien, fußt darauf, "dass von einem Vollbeweis des Krankheitsbildes erst nach Ende der Exposition auszugehen" sei. Damit lässt sich den Feststellungen aber weder grammatikalisch noch sinngemäß entnehmen, von welchem der beiden Erkrankungsbilder das [X.] ausgeht. Dass es beide als gegeben feststellt, lässt sich angesichts der Verwendung des [X.]ingulars nicht annehmen. In Anbetracht der Unterschiede zwischen den [X.] [X.]olyneuropathie und Enzephalopathie sowie den damit verbundenen unterschiedlichen Kausalitätskriterien kann auch nicht von einer alternierenden Wahlfeststellung ausgegangen werden. In diesem Zusammenhang kann es insbesondere darauf ankommen, wann welche Erkrankungszeichen, [X.]eschwerdesymptome und [X.]ehandlungen dokumentiert sind, um hieraus ggf durch eine konkrete Zuordnung das Vorliegen und den [X.]eginn einer [X.]olyneuropathie oder/und einer Enzephalopathie feststellen zu können (vgl hierzu [X.]ayerisches [X.] Urteil vom [X.] - juris [X.]d[X.] 44 bis 46). Diese Feststellungen werden ebenfalls nachzuholen sein.

Dabei wird das [X.] zu berücksichtigen haben, dass sich das Gericht über die der Entscheidung zugrunde zu legenden Anknüpfungs- und [X.]efundtatsachen klar werden und diese dem jeweiligen [X.]achverständigen vorgeben muss (vgl § 118 Abs 1 [X.]atz 1 [X.] iVm § 404a Abs 3 Z[X.]O; s hierzu auch [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2014, § 118 [X.]d[X.] 89, 90 mwN). Da das Gericht im Zeitpunkt der [X.]eweisanordnung häufig nicht voraussehen kann, auf welche Anknüpfungs- und [X.]efundtatsachen es im Einzelfall ankommen wird, darf es deren Ermittlung zunächst den [X.]achverständigen überlassen. Denn nur sie können oftmals aufgrund ihrer besonderen [X.]achkunde die Anknüpfungs- und [X.]efundtatsachen erkennen, beurteilen und einschätzen. [X.]pätestens wenn alle Gutachten vorliegen, muss sich das Gericht aber vergegenwärtigen und entscheiden, von welchen Anknüpfungstatsachen auszugehen ist.

Hat ein [X.]achverständiger - wie hier [X.] - Tatsachen zugrunde gelegt, deren [X.]erücksichtigung das Gericht - weil unbewiesen oder widerlegt - für unzutreffend hält, muss ihm das [X.] nachträglich Gelegenheit geben, seine [X.]eurteilung unter diesem Aspekt zu überdenken und mitzuteilen, ob er seine ursprüngliche Einschätzung aufrechterhält oder fallen lässt. Andernfalls liefe das Gutachten, das der Kläger nach § 109 [X.] beantragt und (vor-)finanziert hat, weitgehend leer, und zwar nur deshalb, weil das Gericht dem [X.]achverständigen - mangels eigener medizinischer [X.]achkunde - vorher (dh bei Auftragserteilung) nicht mitteilen konnte, welche Anknüpfungs- und [X.]efundtatsachen er zugrunde legen soll. Es ist daher [X.]ache des Tatrichters, dem [X.]achverständigen die richtigen Anknüpfungstatsachen an die Hand zu geben und im Wege einer schriftlichen oder mündlichen Anhörung den aufgrund anderer Anknüpfungstatsachen neuen [X.]achverhalt und dessen Auswirkungen auf das Gutachten mit ihm von Amts wegen zu erörtern und möglichst zu klären. Aus eigenen oder ihm zurechenbaren Unzulänglichkeiten darf das Gericht zu Lasten der [X.]eteiligten aber keine Verfahrensnachteile ableiten ([X.]VerfG [X.]eschlüsse vom [X.] - 1 [X.]v[X.] 1077/77 - [X.]VerfGE 51, 188, 192, vom [X.] - 1 [X.]v[X.] 1379/80 - [X.]VerfGE 60, 1, 6 und vom [X.] - 1 [X.]v[X.] 162/84 - [X.]VerfGE 75, 183, 190).

Das Gericht ist ohne eigene [X.]achkunde jedenfalls nicht befugt, seine eigene Wertung an die [X.]telle des [X.]achverständigen zu setzen (vgl [X.]GH Urteil vom 21.1.1997 - [X.] - juris [X.]d[X.] 14), und darf das Gutachten des [X.]achverständigen nicht allein deshalb ablehnen, weil die anderen Anknüpfungstatsachen die [X.]chlussfolgerung des [X.]achverständigen nicht mehr tragen würden. Vielmehr fehlt es in einem solchen Falle an einem Gutachten zu dem vom Tatrichter für richtig gehaltenen [X.]achverhalt (vgl [X.]GH Urteil vom 21.1.1997 - [X.] - juris [X.]d[X.] 14).

Die insoweit vom [X.] vorgenommene einseitige Zugrundelegung der [X.]efunde von [X.] und [X.] für den "Vollbeweis des Krankheitsbildes" im Gegensatz zu den [X.]efunden von [X.] und [X.] lässt außer [X.], dass das [X.] selbst im Tatbestand die im [X.]entenverfahren eingeholten Gutachten der [X.] und [X.] wiedergibt, die eine [X.]olyneuropathie des [X.] mindestens seit Anfang 2005, also kurz vor dem Ende der [X.]eschäftigung, bestätigten. Das [X.] wird zu berücksichtigen haben, dass es im Tatbestand seiner Entscheidung diese Gutachten im Indikativ wiedergibt (und damit festgestellt hat), ohne diese in den Entscheidungsgründen zu erwähnen bzw zu berücksichtigen, obwohl das [X.] tragend gerade auf den Zeitpunkt der Entstehung des "Krankheitsbildes" abgestellt hat. In diesem Zusammenhang bedarf es ggf auch einer Würdigung, ob die Diagnose der Krankheit gleichzusetzen ist mit ihrer Entstehung (vgl [X.] vom 27.6.2017 - [X.] U 17/15 [X.] - [X.] 4-5671 Anl 1 [X.]102 [X.] 1 [X.]d[X.] 21).

4. Die Feststellungen des [X.] reichen schließlich auch nicht aus, um die erforderliche Kausalität zwischen Einwirkungen und Erkrankung überprüfen zu können. Für die Anerkennung einer [X.] ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein [X.] zwischen den Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. [X.]ei der [X.] bedeutet dies, dass entweder eine [X.]olyneuropathie oder/und eine Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische verursacht worden sein muss.

Für den [X.] zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im [X.]erufskrankheitenrecht - wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung - die Theorie der wesentlichen [X.]edingung (s zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden [X.]enats z[X.] mit Urteilen vom [X.] - [X.] U 34/17 [X.] - [X.] 128, 104 = [X.] 4-2700 § 2 [X.] 50, [X.]d[X.] 27 und vom 13.11.2012 - [X.] U 19/11 [X.] - [X.] 112, 177 = [X.] 4-2700 § 8 [X.] 46, [X.]d[X.]7; zu [X.]en s [X.] vom 30.3.2017 - [X.] U 6/15 [X.] - [X.] 123, 24 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 1103 [X.] 1, [X.]d[X.] 16), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen [X.]edingungstheorie beruht. [X.]teht die versicherte Tätigkeit als eine der Ursachen der Erkrankung fest, muss sich auf der zweiten [X.]tufe der [X.]rüfung die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten [X.]tufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als die [X.]ealisierung einer in den [X.]chutzbereich des jeweils erfüllten [X.] fallenden Gefahr darstellen. Die Wesentlichkeit der Ursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des [X.]chutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung rechtlich zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen [X.]edingung zuletzt eingehend: [X.] vom 6.9.2018 - [X.] U 13/17 [X.] - [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 10 [X.]d[X.] 15; [X.]pellbrink, [X.]Gb 2017, 1 ff; [X.]ieresborn in [X.]/[X.]/[X.]ieresborn, Der [X.]achverständigenbeweis im [X.]ozialrecht, 2. Aufl 2017, § 4 [X.]d[X.] 15 ff).

Vorliegend kann der [X.]enat mangels ausreichender Feststellungen des [X.] weder entscheiden, ob bei dem Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine positive Kausalitätsbeurteilung vorliegen (dazu unter a) noch ob das [X.] zu [X.]echt den ursächlichen Zusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung verneint hat (dazu unter b).

a) Die Feststellungen des [X.] genügen nicht, um das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen beurteilen zu können. [X.]ei den arbeitstechnischen Voraussetzungen handelt es sich um ein Element der Anspruchsprüfung einer [X.], das zwei miteinander in Zusammenhang stehende Aspekte umfasst: das Vorhandensein der hier bereits nicht festgestellten tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung. [X.] dem Wortlaut der Listen-[X.] entsprechende Einwirkungen zwar nachgewiesen, aber können diese z[X.] aufgrund ihrer niedrigen Intensität keinen Gesundheitsschaden verursacht haben, kann die Anerkennung der [X.] bereits wegen Fehlens der arbeitstechnischen Voraussetzungen abgelehnt werden. Alternativ können diese auch verneint werden, wenn das Ausmaß der Einwirkungen nicht ausreicht, um zumindest die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Kausalität begründen zu können ([X.] vom 23.4.2015 - [X.] 2 U 20/14 [X.] - [X.] 118, 267 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 8, [X.]d[X.] 13; [X.]ieresborn, [X.]Gb 2016, 310, 315; [X.], NZ[X.] 2008, 354, 359). Eine wissenschaftlich begründete Ursachenbeurteilung erfordert, dass neben den vorliegenden Gesundheitsstörungen festgestellt wird, worin das oder die schädigenden Ereignisse lagen ([X.] vom 17.12.2015 - [X.] U 11/14 [X.] - [X.] 120, 230 = [X.] 4-2700 § 9 [X.] 26, [X.]d[X.] 21 f).

Mangels hinreichender Feststellung des Vorhandenseins der tatbestandlich vorausgesetzten organischen Lösungsmittel am Arbeitsplatz (s hierzu oben unter 2.) kann der [X.]enat auch nicht entscheiden, ob beim Kläger der zweite Aspekt der arbeitstechnischen Voraussetzungen - nämlich die notwendige Geeignetheit der vorhandenen Einwirkungen zur Erzeugung einer [X.]olyneuropathie oder Enzephalopathie - vorliegen.

Das [X.] wird bei seiner erneuten [X.]rüfung zu beachten haben, dass es sich bei der [X.] um eine [X.] handelt, die im Tatbestand keine Einwirkungsgrößen benennt und bei der Dosis-Wirkungs-[X.]eziehungen nicht durch den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand belegt sind. Von daher können bei dieser [X.] keine Mindestschwellenwerte erarbeitet und angewandt werden (vgl [X.] vom 27.6.2006 - [X.] U 20/04 [X.] - [X.] 96, 291 = [X.] 4-2700 § 9 [X.] 7, [X.]d[X.] 18 bis 20; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.]ieresborn, [X.], [X.]tand November 2020, § 9 [X.]d[X.] 75; sie werden auch als klinisch-deskriptive [X.]en bezeichnet, [X.], [X.] 2003, [X.] 40, 43 f; s zur Dosis-Wirkungs-[X.]eziehung von Quarzstaub in [X.]ezug auf den Lungenkrebs, [X.]aur/[X.]/[X.], [X.] 2013, 190 ff). [X.]ei der [X.] kann keine sog sichere Dosis benannt werden, deren Nichtüberschreiten von vornherein eine Verursachung des im Verordnungstext geforderten Krankheitsbildes durch die versicherte Einwirkung ausschließt (vgl Hessisches [X.] Urteil vom 6.7.2007 - L 7 U 8/06 - juris [X.]d[X.]9; s auch [X.]ieresborn, [X.]Gb 2016, 310, 317 f). Dementsprechend dürfte mit dem Vorhandensein der in der [X.] genannten [X.], hier also von Lösungsmitteln und deren Gemische, vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen auszugehen sein (vgl Hessisches [X.] Urteil vom 28.11.2016 - L 9 U 37/13 - juris [X.]d[X.]4 mwN; [X.]ömer in [X.]/[X.], [X.]G[X.], 01/19, [X.] K 009 [X.]V Anl 2 [X.] [X.]d[X.] 10).

Auch das aktuelle, grundlegend korrigierte Merkblatt zur [X.] aus dem [X.] ([X.]Arb[X.]l 3/2005 [X.] 49) enthält keine Angaben zu einer erforderlichen Expositionshöhe. Die Merkblätter sind zwar weder verbindliche Konkretisierungen der Tatbestandsvoraussetzungen der [X.] noch antizipierte [X.]achverständigengutachten oder eine Dokumentation des [X.]tandes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, weil sie lediglich Hinweise für die [X.]eurteilung aus arbeitsmedizinischer [X.]icht bieten (vgl [X.][X.]G [X.]eschluss vom 11.8.1998 - [X.] U 261/97 [X.] - juris [X.]d[X.] 6 = HV[X.]G-Info 1999, 1373). [X.]ie sind jedoch als Interpretationshilfe und zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes heranzuziehen (vgl [X.] vom 23.4.2015 - [X.] 2 U 20/14 [X.] - [X.] 118, 267 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 8, [X.]d[X.] 15). Anhaltspunkte dafür, dass inzwischen neuere wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die eine Dosis-Wirkungs-[X.]eziehung zulassen, sind nicht ersichtlich (vgl auch den von der [X.] herausgegebenen [X.]-[X.]eport 1/2018, [X.]).

Insofern spricht auch die in den Urteilsgründen des [X.] ([X.] 16) wiedergegebene beratungsärztliche Äußerung des [X.], dass nur eine gelegentliche Exposition gegenüber organischen Lösungsmitteln bestanden hätte, aber eine dauerhaft über den Grenzwerten bestehende nirgends gesichert sei, nicht gegen ein Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen in einem die Erkrankungen einer [X.]olyneuropathie oder Enzephalopathie erzeugenden geeigneten Ausmaß. Auch bei der Einhaltung der [X.] kann im Einzelfall von einer Gefährdung auszugehen sein, die einer arbeitsmedizinischen [X.]eurteilung bedarf (vgl Hessisches [X.] Urteil vom 28.11.2016 - L 9 U 37/13 - juris [X.]d[X.]4; so auch [X.]ömer in [X.]/[X.], [X.]G[X.], 01/19, [X.] K 009 [X.]V Anl 2 [X.] [X.]d[X.] 10).

b) Ebenso wenig ist der [X.]enat in der Lage zu beurteilen, ob das [X.] den ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigender Einwirkung und Erkrankung zu [X.]echt verneint hat. Die sog arbeitsmedizinischen Voraussetzungen betreffen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen: Zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit, zum anderen das Vorliegen eines [X.]chadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest in Einklang steht (vgl [X.] vom [X.] - [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 7 [X.]d[X.] 18). Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der revisionsrechtlichen [X.]indung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2014, § 163 [X.]d[X.] 9). Eine solche bindende Wirkung besteht jedoch dann nicht, wenn das [X.] von einem offenkundig falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen ist oder bestehende Erfahrungssätze nicht angewandt hat (vgl [X.] vom 17.12.2015 - [X.] U 11/14 [X.] - [X.] 120, 230 = [X.] 4-2700 § 9 [X.] 26, [X.]d[X.] 27 f und vom 23.4.2015 - [X.] U 10/14 [X.] - [X.] 118, 255 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 6, [X.]d[X.] 20 mwN) oder eine fehlerhafte Anwendung zulässig gerügt wird (vgl hierzu [X.] vom [X.] - [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 7 [X.]d[X.] 20). Dabei sind die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen [X.] unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle Fälle gleichermaßen von [X.]edeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes auch revisionsrechtlich überprüfbar ([X.] vom [X.] - [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 7 [X.]d[X.] 20; - [X.] U 10/14 [X.] - [X.] 118, 255 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 6, [X.]d[X.] 20 und - [X.] 2 U 20/14 [X.] - [X.] 118, 267 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 8, [X.]d[X.]3).

[X.]ei [X.]en ist von den [X.]en jeweils der im Entscheidungszeitpunkt aktuelle [X.]tand der medizinischen Wissenschaft zugrunde zu legen (vgl die Darstellung in [X.][X.]G [X.]eschluss vom 24.7.2012 - [X.] U 100/12 [X.] - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 24 [X.]d[X.] 18 mwN). Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (vgl [X.] vom 17.12.2015 - [X.] U 11/14 [X.] - [X.] 120, 230 = [X.] 4-2700 § 9 [X.] 26, [X.]d[X.] 16 f; [X.] vom [X.] - [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 7 [X.]d[X.] 22). Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, [X.]tandardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, [X.]egründungen des [X.]achverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin - ggf durch [X.]achverständige - zu überprüfen (vgl [X.] vom 17.12.2015 - [X.] U 11/14 [X.] - [X.] 120, 230 = [X.] 4-2700 § 9 [X.] 26, [X.]d[X.] 27 f; [X.][X.]G [X.]eschluss vom 24.7.2012 - [X.] U 100/12 [X.] - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 24 [X.]d[X.] 18; [X.] vom 24.7.2012 - [X.] U 9/11 [X.] - [X.] 4-2700 § 8 [X.] 44 [X.]d[X.] 68).

Das [X.] hat sich bei seiner [X.]eurteilung auf die Wertungen der [X.]achverständigen [X.] und [X.] gestützt und ausgeführt, dass die Entwicklung der "Erkrankung" untypisch sei, weil von einem "Vollbeweis des Krankheitsbildes" erst nach Ende der Exposition auszugehen sei, weshalb sich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen Exposition und Erkrankung nicht belegen lasse. Abgesehen davon, dass das [X.] selbst medizinische Gutachten zitiert, die von einem Vorliegen einer Neuropathie im Jahre 2005 ausgehen, kann dem in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Ein Auftreten des relevanten Krankheitsbildes nach dem Ende der Exposition schließt ein Vorliegen der [X.] nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht von vornherein aus.

Gegen das vom [X.] seiner Entscheidung zugrunde gelegte Kriterium des zeitlichen Verlaufs der Erkrankung bestehen zwar keine grundsätzlichen [X.]edenken, weil dieses Kriterium sowohl im Merkblatt zur [X.] aus dem Jahre 2005 als auch im [X.]-[X.]eport 1/2018 (s [X.] 129 zur [X.]olyneuropathie und zur toxischen Enzephalopathie) Erwähnung findet. Logische Voraussetzung für die Verwendung dieses Kriteriums ist jedoch, dass einerseits die versicherten Einwirkungen festgestellt werden oder von einem bestimmten Ausmaß dieser Einwirkungen ausgegangen wird. Andererseits, dass die konkrete Erkrankung und der Zeitpunkt ihres Entstehens festgestellt werden (vgl bereits [X.] vom 27.6.2006 - [X.] U 13/05 [X.] - [X.] 4-2700 § 9 [X.] 9 [X.]d[X.] 21). [X.]eides hat das [X.] jedoch unterlassen (s oben), ebenso wie die [X.]rüfung, ob trotz evtl Vorliegens konkurrierender Ursachen eine (Mit-)Verursachung der Erkrankung durch Lösungsmittel auch nach dem Ende der Exposition vorliegt (vgl hierzu [X.]chönberger/[X.]/[X.], Arbeitsunfall und [X.]erufskrankheit, 9. Aufl 2017, [X.] 267).

[X.]elbst wenn man den Ausführungen des [X.] die Feststellung entnehmen wollte, dass es von einem Ende der Exposition gegenüber organischen Lösungsmitteln im Jahre 2005 ([X.] 14 des Urteils) oder 2006 ([X.] des Urteils) und mit [X.] von einer erstmaligen Diagnose der [X.]olyneuropathie im Jahre 2009 durch [X.] sowie einer Enzephalopathie im Jahre 2013 ausgeht, kann dies den Anforderungen einer am aktuellen-wissenschaftlichen Erkenntnisstand ausgerichteten [X.]eweiswürdigung nicht genügen.

Der Tatrichter ist zwar grundsätzlich darin frei, welche [X.]eweiskraft er den festgestellten Indizien im Einzelnen und in einer Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst (vgl [X.]GH Urteile vom 22.1.1991 - VI Z[X.] 97/90 - NJW 1991, 1894, 1895 und vom 13.7.2004 - VI Z[X.] 136/03 - NJW 2004, 3423, 3424; [X.] in Zöller, Z[X.]O, 33. Aufl 2020, § 546 [X.]d[X.] 13), sodass die revisionsgerichtliche [X.]rüfung auf den [X.] und das Auffinden entscheidungserheblicher Abwägungsfehler beschränkt ist (vgl [X.] vom 6.9.2018 - [X.] U 18/17 [X.] - [X.] 4-2700 § 2 [X.] 47 [X.]d[X.] 15 ff und vom 27.11.2018 - [X.] U 8/17 [X.] - [X.] 4-2700 § 8 [X.] 67 [X.]d[X.] 14). Vorliegend fehlt jedoch im [X.]ahmen der notwendigen Würdigung der Gesamtumstände die Abwägung der für und gegen die arbeitsmedizinischen Aspekte sprechenden Umstände, wie sie sich aus dem in den Merkblättern manifestierten aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ergeben, sodass insofern ein Abwägungsausfall vorliegt, der die [X.]indung des [X.]evisionsgerichts (§ 163 Halbsatz 1 [X.]) an die festgestellte Haupttatsache entfallen lässt (vgl [X.] vom 27.11.2018 - [X.] U 8/17 [X.] - [X.] 4-2700 § 8 [X.] 67 [X.]d[X.] 14).

Im 2005 neu gefassten Merkblatt zur [X.] ([X.]Arb[X.]l 3/2005 [X.] 49) wird in Korrektur des früheren [X.] und in Übereinstimmung mit der wissenschaftlichen [X.]egründung ([X.]Arb[X.]l 9/1996 [X.] 44 ff) darauf hingewiesen, dass sich die lösungsmittelbedingte [X.]olyneuropathie in der [X.]egel in engem zeitlichen Zusammenhang mit der beruflichen Lösungsmittelexposition entwickele, jedoch vereinzelt Krankheitsverläufe berichtet worden seien, bei denen erst zwei bis drei Monate nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit die klinische Diagnose nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit habe festgestellt werden können. Häufig verbesserten sich lösungsmittelbedingte [X.]olyneuropathien nach Ende der Exposition, nicht selten blieben diese jedoch konstant oder verschlechterten sich. Eine [X.]ersistenz oder eine Verschlechterung der Erkrankung nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit schließe eine Verursachung durch Lösungsmittel nicht aus (vgl [X.]ayerisches [X.] Urteil vom [X.] - juris [X.]d[X.] 49 bis 51 mwN; [X.]Arb[X.]l 3/2005, [X.] 49, 50; [X.]chönberger/[X.]/[X.], aaO, [X.] 267). Eine Verschlimmerung der Erkrankung im Langzeitverlauf nach [X.]eendigung der Exposition ist für eine toxische [X.]olyneuropathie oder Enzephalopathie mithin zwar untypisch, schließt eine Mitverursachung durch eine frühere Lösungsmittelexposition jedoch nicht aus (vgl [X.]ömer in [X.]/[X.], [X.]G[X.], 01/19, [X.] K 009 [X.]V Anl 2 [X.] [X.]d[X.] 13 mwN).

Zur toxischen Enzephalopathie heißt es im 2005 aktualisierten Merkblatt (aaO) insbesondere, dass nach mehreren [X.]tudien die klinische Diagnose der lösungsmittelbedingten Enzephalopathie auch mehrere Jahre nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit erstmals gestellt werden könne. Auch hier sei eine zunehmende Verschlechterung nicht ausgeschlossen. Diese Ausführungen werden im [X.]-[X.]eport 1/2018 [X.] 128 f unverändert wiederholt (s insoweit auch [X.]chönberger/[X.]/[X.], aaO, [X.] 267; [X.]ömer in [X.]/[X.], [X.]G[X.], 01/19, [X.] K 009 [X.]V Anl 2 [X.] [X.]d[X.] 12).

Insofern hätte das [X.] die nach diesem Erkenntnisstand durchaus bestehende Möglichkeit einer späteren Entstehung oder Mitverursachung des Krankheitsbildes der [X.]olyneuropathie bzw Enzephalopathie kritisch würdigen und in seine [X.]eurteilung, die wiederum eine Festlegung hinsichtlich des genauen Zeitpunktes des [X.]s und der Entstehung bzw Diagnose der Erkrankungen vorausgesetzt hätte, mit einfließen lassen müssen. Unter Umständen hätte es sich gedrängt sehen müssen, ein weiteres wissenschaftliches [X.]achverständigengutachten zur Feststellung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes einzuholen. Der aktuelle Erkenntnisstand war jedenfalls nach der Änderung des [X.] zur [X.] im [X.] (s oben) auch nicht Grundlage des [X.]escheids vom 27.6.2003 in der Gestalt des Wi[X.]pruchsbescheids vom [X.]. Auch vor dem Hintergrund der Änderung des [X.] sind derartige Altbescheide in einem Überprüfungsverfahren nach § 44 [X.] beson[X.] kritisch zu würdigen.

5. Die vom Kläger im [X.]evisionsverfahren erhobenen Verfahrensrügen sind nicht mehr entscheidungserheblich, weil das Urteil des [X.]erufungsgerichts aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben und der [X.]echtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen war. Daher kommt es nicht darauf an, ob die von dem Kläger geltend gemachte Verletzung von § 103 [X.] sowie seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]) durch das [X.] vorliegt und auch zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils führen würde (vgl [X.] vom [X.] - [X.] U 32/99 [X.] - juris [X.]d[X.] 18; [X.] vom 16.3.1978 - 11 [X.]A 66/77 - juris [X.]d[X.] 12).

Das [X.] wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 2 U 11/19 R

16.03.2021

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend Sozialgericht für das Saarland, 19. Mai 2016, Az: S 3 U 181/11, Urteil

§ 9 Abs 1 S 1 SGB 7, § 44 Abs 1 S 1 SGB 10, Anl 1 Nr 1317 BKV, § 103 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 128 Abs 1 S 2 SGG, § 163 Halbs 1 SGG, § 170 Abs 2 S 2 SGG, § 286 Abs 1 ZPO, § 404a Abs 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 16.03.2021, Az. B 2 U 11/19 R (REWIS RS 2021, 7851)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7851

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