Bundesfinanzhof, Beschluss vom 02.11.2010, Az. I B 71/10

1. Senat | REWIS RS 2010, 1779

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Gegenstand

Auslegung von Ergebnisabführungsverträgen - Vertrauensschutz bei Gesetzesänderung für das folgende Jahr


Leitsatz

1. NV: In der Rechtsprechung ist geklärt, dass ein Ergebnisabführungsvertrag ausschließlich nach objektiven Gesichtspunkten auszulegen ist und die intern gebliebenen Vorstellungen der am Vertragsschluss beteiligten Personen nicht berücksichtigt werden können. Es ist auch geklärt, dass die Änderung eines zwischen zwei GmbH bestehenden Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrages zu ihrer Anerkennung im Rahmen der körperschaftsteuerlichen Organschaft der Eintragung in das Handelsregister sowie der Zustimmung der Gesellschaftsversammlung der beherrschten Gesellschaft bedarf .

2. NV: Nach der Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Bundestag durch ein initiativberechtigtes Organ mit dem Ziel, eine Vorschrift zum Nachteil der Steuerpflichtigen zu ändern, darf ein Steuerpflichtiger nicht mehr darauf vertrauen, dass das gegenwärtig geltende Recht auch im Folgejahr unverändert fortbestehe. Dies gilt unabhängig davon, ob ihm das bereits im Bundestag in Gang gesetzte Gesetzgebungsverfahren bekannt war .

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu.

2

1. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage, ob bei der Auslegung eines [X.] ausschließlich objektive Gesichtspunkte zur Auslegung herangezogen werden können, ist durch das Senatsurteil vom 28. November 2007 [X.] ([X.], 51) geklärt. Wie der Senat dort ausgeführt hat, ist bei der Prüfung, ob ein Gewinnabführungsvertrag auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen ist, der Vertrag nach objektiven Gesichtspunkten auszulegen. Die Entstehungsgeschichte und die Vorstellungen der am Vertragsschluss beteiligten Personen können bei der Vertragsauslegung nicht berücksichtigt werden. Es bedarf keiner Klärung, dass diese Grundsätze auch auf den Streitfall anzuwenden sind und daher eine Auslegung des [X.] dahingehend, dass dieser statt bis zum 31. Dezember 2006 --wie ausdrücklich vereinbart-- als bis zum 31. Dezember 2007 geschlossen gelten soll, nicht möglich ist. Wie der Senat im genannten Urteil ausgeführt hat, steht diese Auffassung im Einklang mit der Rechtsprechung des [X.] ([X.]).

3

Soweit die Klägerin auf Urteile des [X.] verweist, nach denen außerhalb der Satzung liegende [X.] dann zu berücksichtigen sind, wenn deren Kenntnis bei den Mitgliedern allgemein vorausgesetzt werden kann ([X.]-Urteil vom 11. Oktober 1993 [X.], [X.]Z 123, 347) und die Mitglieder die Bestimmungen auch in diesem Sinne verstehen ([X.]-Urteil vom 2. Dezember 1974 [X.], [X.]Z 63, 282), ist weder erkennbar, inwieweit sich hieraus weiterer Klärungsbedarf ergeben soll noch dass diese Voraussetzungen hier vorliegen könnten. Im Übrigen hält der [X.] auch in diesen Urteilen daran fest, dass Satzungsbestimmungen mit körperschaftsrechtlichem Charakter nach objektiven Gesichtspunkten einheitlich aus sich heraus ausgelegt werden müssen und Umstände, die in der Satzung keinen Niederschlag gefunden haben, grundsätzlich zur Auslegung nicht herangezogen werden können.

4

2. Durch die Rechtsprechung ist auch geklärt, dass die Änderung eines zwischen zwei GmbH bestehenden Beherrschungs- und [X.] zu ihrer Anerkennung im Rahmen der körperschaftsteuerlichen Organschaft der Eintragung in das Handelsregister sowie der Zustimmung der Gesellschafterversammlung der beherrschten Gesellschaft bedarf (Senatsurteil vom 22. Oktober 2008 [X.], [X.], 162, BStBl II 2009, 972). Dies gilt auch dann, wenn der [X.] (§ 313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) geändert wird. Das [X.]-Urteil vom 28. April 2005 [X.] ([X.]Z 163, 42), nach dem bei einem Streit über die Rechtsfolgen des Fehlens der Geschäftsgrundlage unmittelbar Klage auf die angepasste Leistung erhoben werden kann, steht dem nicht entgegen. Es ist zum einen nicht zu einem körperschaftsrechtlichen Vertrag ergangen, zum anderen hat die Klägerin gegen ihre Vertragspartnerin einen Anspruch, der Verlängerung des [X.] zuzustimmen, gerichtlich nicht geltend gemacht. Bei einverständlichen Vertragsänderungen, die durch eine Störung der Geschäftsgrundlage i.S. von § 313 BGB veranlasst sind, besteht indessen --wie das Finanzgericht zu Recht ausgeführt hat-- kein Anlass, diese hinsichtlich der Formerfordernisse anders zu behandeln als eine aus sonstigen Gründen erfolgte Vertragsänderung.

5

3. Die Frage, ob § 14 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 34 Abs. 9 Nr. 3 des [X.] ([X.]) i.d.F. des Steuervergünstigungsabbaugesetzes vom 16. Mai 2003 ([X.], 660, [X.], 321) gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) verstoßen, ist ebenfalls nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Im Streitfall hat die Klägerin den [X.] am 13. Dezember 2002 abgeschlossen. Der Gesetzentwurf der Fraktionen [X.] und [X.][X.] zu § 14 Abs. 1 Satz 2 [X.] war am 2. Dezember 2002 in den [X.] eingebracht worden (BTDrucks 15/119). Während nach bisheriger Rechtslage eine steuerliche Organschaft rückwirkend begründet werden konnte, wenn der Gewinnabführungsvertrag bis zum Ende des Wirtschaftsjahres, für das die Organschaft erstmals gelten sollte, abgeschlossen und bis zum Ende des folgenden Wirtschaftsjahres wirksam wurde, sollte künftig eine Organschaft erst für Wirtschaftsjahre körperschaftsteuerrechtlich anerkannt werden, die nach Wirksamwerden des [X.] beginnen. Das Gesetzesvorhaben, das in dieser Weise später auch umgesetzt wurde, ist damit spätestens mit dem 2. Dezember 2002 öffentlich geworden. Wie sich im Einzelnen aus dem Beschluss des [X.] vom 7. Juli 2010  2 BvL 1/03, 2 [X.], 2 [X.] ([X.], 1736) ergibt, durfte die Klägerin nach Einbringung des Gesetzentwurfs in den [X.] durch ein initiativberechtigtes Organ nicht mehr darauf vertrauen, dass das gegenwärtig geltende Recht auch im Folgejahr unverändert fortbestehe. Dies gilt unabhängig davon, ob ihr das bereits im [X.] in Gang gesetzte Gesetzgebungsverfahren bekannt war oder nicht. Überdies war der [X.] zum Zeitpunkt der Verkündung des § 14 Abs. 1 Satz 2 [X.] am 16. Mai 2003 noch nicht eingetragen und damit nicht wirksam. Die Klägerin hätte daher noch vor Eintragung des [X.] in das [X.] einen bis zum 31. Dezember 2007 verlängerten [X.] vereinbaren können.

Meta

I B 71/10

02.11.2010

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 8. April 2010, Az: 6 K 417/09, Urteil

Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 14 Abs 1 S 2 KStG 2002 vom 16.05.2003, § 34 Abs 9 Nr 3 KStG 2002 vom 16.05.2003, § 313 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 02.11.2010, Az. I B 71/10 (REWIS RS 2010, 1779)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1779

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