Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 10.02.2012, Az. 2 BvR 228/12

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2012, 9238

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

STRAFRECHT BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) MENSCHENWÜRDE STRAFVOLLZUG PSYCHIATRIE

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Gegenstand

Ablehnung des Erlasses einer eA: Zwangsmedikation eines im Maßregelvollzug Untergebrachten - Kein Überwiegen der für ein Ergehen der eA sprechenden Gesichtspunkte im Rahmen der Folgenabwägung - Gefahr der gravierenden Schädigung Dritter


Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt [X.] für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

1.Der Beschwerdeführer beantragt den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend, dass der Maßregelvollzugseinrichtung, in der er untergebracht ist, eine Zwangsmedikation des Beschwerdeführers untersagt werde.

2

a) Gemäß § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Muss der Ausgang des [X.] als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. [X.] 91, 70 <74 f.>; 105, 365 <370 f.>; stRspr). Eine einstweilige Anordnung kann nur ergehen, wenn diese Abwägung ein deutliches Überwiegen der Gründe ergibt, die für den Erlass der Anordnung sprechen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 15. November 2006 - 2 [X.]/06 -, juris; Beschluss der [X.] des [X.] vom 30. Juli 2009 - 2 BvR 1422/09 -, juris; Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. Februar 2011 - 2 BvR 132/11 -, juris).

3

b) Danach ist eine einstweilige Anordnung hier nicht zu erlassen. Zwar ist die Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unbegründet (vgl. [X.], Beschlüsse des [X.] vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, [X.], [X.] ff. und vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 633/11 -, NJW 2011, S. 3571 f.). Die gebotene Abwägung führt jedoch zu dem Ergebnis, dass die begehrte einstweilige Anordnung nicht ergehen kann, weil die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Belange nicht in der erforderlichen Weise deutlich überwiegen.

4

Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich die Verfassungsbeschwerde aber später als begründet, muss der Beschwerdeführer einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff bis auf weiteres hinnehmen. Unabhängig von etwaigen nachteiligen Wirkungen des Medikaments, das dem Beschwerdeführer verabreicht werden soll, läge auch bereits in der zwangsweisen Verabreichung als solcher ein schwerer Eingriff. Nach den Annahmen, von denen im vorliegenden Verfahren die Klinik und die Strafvollstreckungskammer ausgegangen sind und die beim gegenwärtigen Verfahrensstand nach den hier maßgeblichen Abwägungsgrundsätzen (s. unter 1.) hypothetisch als zutreffend zu unterstellen sind (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. Februar 2011 - 2 BvR 132/11 -, juris), können Belange von erheblichem Gewicht aber auch dann beeinträchtigt werden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung ergeht, die Verfassungsbeschwerde sich aber später als unbegründet erweist. Die angeordnete Zwangsbehandlung erfolgt nach den Angaben der Klinik und nach den Feststellungen in gerichtlichen Entscheidungen, die der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde vorgelegt hat, unter anderem deshalb, weil sie nach bisherigen Erfahrungen erforderlich ist, um zu verhindern, dass der Beschwerdeführer erneut in Verhaltensweisen wie tätliche Angriffe auf Pflegepersonal, Onanieren vor Anderen und Schmierereien mit [X.] zurückfällt. Wie der zurückliegende Fall erheblicher Verletzung eines Pflegers zeigt, könnte sich im Fall des Erlasses einer einstweiligen Anordnung, die zur Absetzung der Medikamente zwingt, insbesondere die Gefahr gravierender Schädigung Dritter - mit möglicherweise irreversiblen Folgen - realisieren. Unter diesen Umständen kann das erforderliche deutliche Überwiegen der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe nicht festgestellt werden (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. Februar 2011 - 2 BvR 132/11 -, juris).

5

2. Die beantragte Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt [X.] ist für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels Erfolgsaussicht abzulehnen (§§ 114 ff. ZPO).

6

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 228/12

10.02.2012

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Dresden, 11. Januar 2012, Az: 2 Ws 515/11, Beschluss

§ 32 Abs 1 BVerfGG, § 22 PsychKG SN 2007, § 23 PsychKG SN 2007

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 10.02.2012, Az. 2 BvR 228/12 (REWIS RS 2012, 9238)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9238 BVerfGE 133, 112-143 REWIS RS 2012, 9238

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