Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.06.2013, Az. 1 BvR 2246/11

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2013, 5002

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Ungerechtfertigte Verneinung der grundsätzlichen Bedeutung einer Zivilsache verletzt Justizgewährungsanspruch der betroffenen Prozesspartei (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG) - hier: Klärungsbedürftigkeit der Frage, ob § 312b BGB auf Maklerverträge anwendbar ist - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

Der Beschluss des [X.] vom 8. Juni 2011 - 1 U 28/11 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Rechten aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Damit wird der Beschluss des [X.] vom 18. Juli 2011 - 1 U 28/11 - gegenstandslos.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO in der bis zum 26. Oktober 2011 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) in einem Verfahren, in dem es um die Anwendbarkeit der Vorschriften über Fernabsatzverträge (§§ 312b ff. [X.]) auf [X.] ging (§§ 652 ff. [X.]).

2

1. Die Beschwerdeführerin, die ein Immobilien- und Maklerbüro betreibt, übersandte der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) auf deren per E-Mail geäußerte Bitte ein Exposé für eine Doppelhaushälfte. In dem Schreiben heißt es:

3

Nur bei Ankauf ist die anteilige Courtage gemäß nachfolgendem Einzelangebot von Ihnen zu zahlen. Durch Verhandlungen oder Objektbesichtigung nehmen Sie unsere Dienste in Anspruch und bestätigen den Abschluss des [X.] mit uns.

4

Anschließend vereinbarten die Parteien wiederum per E-Mail einen Besichtigungstermin. Sechs Monate später kaufte die Beklagte die Doppelhaushälfte. Die Beschwerdeführerin stellte ihre Provision in Rechnung; die Beklagte verweigerte die Zahlung.

5

2. Im Ausgangsverfahren erklärte die Beklagte unter Verweis auf eine fehlende Belehrung gemäß § 312c Abs. 1 [X.] in Verbindung mit Art. 246 §§ 1 f. EG[X.] den Widerruf des [X.]. Das [X.] wies die Klage ab. Der Maklervertrag sei mit der Vereinbarung des Besichtigungstermins zustande gekommen, aber wirksam widerrufen worden. Die Berufung wurde vom [X.]nach einem Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. sowie weiterer Stellungnahmen der Beschwerdeführerin durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO a.F. zurückgewiesen. [X.] seien vom Anwendungsbereich des § 312b [X.] umfasst. Die von der Beschwerdeführerin zitierte gegenteilige Auffassung von [X.] ([X.], S. 883) sei singulär geblieben und mit der gesetzlichen Regelung unvereinbar; es fehle bei einem Maklervertrag nicht an der Schutzbedürftigkeit der gegnerischen Vertragspartei.

6

Die Beschwerdeführerin wandte sich mit ihrer Anhörungsrüge vergeblich gegen die Anwendung von § 522 Abs. 2 ZPO und die Auffassung der Gerichte zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.

7

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Rechts auf effektiven Rechtsschutz sowie einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 [X.] durch das Urteil des [X.]s sowie die Beschlüsse des [X.].

8

4. Das [X.] hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Beklagte hat sich nicht geäußert. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem [X.] vorgelegen.

9

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit die Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes durch die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gerügt wird, und gibt ihr insoweit statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]G).

1. Der Beschluss über die Zurückweisung der Berufung verletzt den [X.] der Beschwerdeführerin.

a) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes, das für [X.] Streitigkeiten aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten ist (vgl. [X.] 54, 277 <291>; 80, 103 <107>; 85, 337 <345>; 97, 169 <185>; stRspr), beeinflusst die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen, die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind. Hat der Gesetzgeber sich für die Eröffnung einer weiteren Instanz entschieden und sieht die betreffende Prozessordnung dementsprechend ein Rechtsmittel vor, darf der Zugang dazu nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. [X.] 69, 381 <385>; 74, 228 <234>; 77, 275 <284>). Dieser verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab gilt auch für die Auslegung und Anwendung des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO a.F. (vgl. [X.], 235 <238>; 12, 341 <343 f.>; 14, 238 <242 f.>).

b) Davon ausgehend verletzt die mit der Verfassungsbeschwerde gerügte Anwendung des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO a.F. durch das [X.] das Gebot effektiven Rechtsschutzes. Die Annahme des Gerichts, die Sache habe keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung durch Urteil unter Zulassung der Revision sei mithin nicht erforderlich, ist sachlich nicht zu rechtfertigen.

aa) Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO a.F. kommt einer Sache zu, wenn sie eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage setzt die Revisibilität des anzuwendenden Rechts nach § 545 Abs. 1 ZPO voraus. [X.] sind Rechtsfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt sind (vgl. [X.], 221 <223>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 4. November 2008 - 1 BvR 2587/06 -, NJW 2009, S. 572 <573> m.w.N.).

Danach hatte die vorliegende Sache grundsätzliche Bedeutung, so dass der Zugang zur Revisionsinstanz hätte eröffnet werden müssen. Die Frage der Anwendbarkeit des § 312b [X.] auf [X.] stellt zweifelsfrei eine klärungsfähige Rechtsfrage dar. Sie ist entgegen der Ansicht des [X.] auch klärungsbedürftig, denn sie ist höchstrichterlich nicht entschieden und in der Literatur umstritten. Die von der Beschwerdeführerin angeführte Auffassung ist nicht vereinzelt geblieben, sondern wird unter anderem in einem Großkommentar zum [X.] vertreten (so von [X.], in: [X.], [X.], Neubearbeitung 2010, §§ 652, 653 Rn. 73) und andere Kommentare weisen einen Streit aus (Sprau, in: [X.], [X.], 72. Aufl. 2013, § 652 Rn. 7; [X.], in: [X.] Kommentar zum [X.], 6. Aufl. 2012, § 312b Rn. 33, [X.]. 30). Dagegen spricht auch nicht, dass ein [X.] den Maklervertrag ohne Weiteres als Vertrag im Sinne von § 312b Abs. 1 [X.] eingestuft hat ([X.], Urteil vom 9. März 2012 - 2 O 498/11 -, juris, Rn. 31 f.), denn damit ist eine höchstrichterliche Klärung nicht erreicht und der Streit in der Sache nicht beendet. Daher kann auch der Auffassung des [X.] nicht gefolgt werden, der Wortlaut der Regelung sei eindeutig. Dagegen sprechen die Eigenarten und Besonderheiten des [X.], der gerade kein "normaler" Dienstvertrag ist, sondern ein Vertrag eigener Art (dazu [X.], in: [X.] Kommentar zum [X.], 6. Aufl. 2012, § 652 Rn. 3; [X.], in: Beck'scher Online-Kommentar [X.], § 652 Rn. 2 ).

bb) Der Beschluss des [X.] über die Zurückweisung der Berufung beruht auf diesem Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 [X.].

cc) Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass bei Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Ausgangsgericht kein anderes, für die Beschwerdeführerin günstigeres Ergebnis in Betracht kommt (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>). Allein die Möglichkeit, dass der [X.] in der Revision den materiellrechtlichen Standpunkt des [X.] bestätigen könnte, entbindet das [X.] nicht davon, im Zeitpunkt seiner Entscheidung von der prozessrechtlichen Möglichkeit des § 522 Abs. 2 ZPO a.F. sachgerecht Gebrauch zu machen.

2. Für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen keine Gründe vor, soweit eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 [X.] durch das Urteil des [X.]s und die Beschlüsse des [X.] gerügt wird. Art. 103 Abs. 1 [X.] verpflichtet das Gericht, Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber, ihrer Rechtsansicht zu folgen (vgl. [X.] 64, 1 <12>; 87, 1 <33>). Die Frage nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses wurde hier nicht übergangen, sondern vom Gericht nur rechtlich anders beurteilt.

3. Der Beschluss vom 8. Juni 2011 ist wegen des Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 [X.] gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 [X.]G aufzuheben und die Sache an das [X.] Bamberg zurückzuverweisen. Der Beschluss vom 18. Juli 2011 wird damit gegenstandslos.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 [X.]G; die Festsetzung des [X.] folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 [X.] und den Grundsätzen für die Festsetzung des [X.] im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2246/11

17.06.2013

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Bamberg, 18. Juli 2011, Az: 1 U 28/11, Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 312b BGB, § 652 BGB, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 522 Abs 2 S 1 ZPO vom 05.12.2005

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.06.2013, Az. 1 BvR 2246/11 (REWIS RS 2013, 5002)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5002

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

2 BvR 64/12

1 BvR 832/21, 1 BvR 1258/21

I-7 U 37/13

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