Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.09.2020, Az. 10 AZR 9/19

10. Senat | REWIS RS 2020, 471

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Gegenstand

Beitragspflichten zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft - unwirksame AVE VTV 2012 - Verfassungsmäßigkeit des SokaSiG


Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 13. November 2018 - 12 Sa 1718/17 - wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Beiträge zu den [X.].

2

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den [X.] verpflichtet. Er nimmt den [X.] auf der Grundlage des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 18. Dezember 2009 idF vom 21. Dezember 2011 ([X.] 2011) für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. November 2012 auf Beiträge iHv. 7.073,00 [X.] in Anspruch. Die geltend gemachten Beiträge beruhen auf den vom [X.] ermittelten Durchschnittslöhnen.

3

Der [X.] 2011 wurde am 3. Mai 2012 für allgemeinverbindlich erklärt (BAnz. [X.] 22. Mai 2012 B4; [X.] [X.] 2012). Der [X.] hat diese Allgemeinverbindlicherklärung für unwirksam befunden ([X.] 25. Januar 2017 - 10 [X.] -).

4

Der nicht originär tarifgebundene Beklagte unterhält im [X.] V einen Trockenbaubetrieb. Im streitgegenständlichen Zeitraum beschäftigte er mindestens einen gewerblichen Arbeitnehmer.

5

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Betrieb des [X.] unterfalle dem [X.] 2011. An ihn sei der Beklagte jedenfalls aufgrund des [X.] gebunden, das verfassungsgemäß sei. Die [X.] seien nicht verjährt. Der noch im [X.] eingereichte Mahnbescheid habe die Verjährung gehemmt.

6

Der Kläger hat beantragt,

        

den [X.] zu verurteilen, an ihn 7.073,00 [X.] zu zahlen.

7

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, mangels wirksamer Allgemeinverbindlicherklärung unterliege er nicht dem [X.] 2011. Das [X.] scheide als Geltungsgrund aus, weil es verfassungswidrig sei. Der Kläger sei zudem nicht Inhaber der Ansprüche. Jedenfalls seien die streitigen Beitragsforderungen verjährt.

8

Die [X.] hat der Kläger mit einem Mahnantrag gerichtlich geltend gemacht, den er am 13. Dezember 2016 beim Arbeitsgericht eingereicht hat (- 6 Ba 6056/16 -). Der antragsgemäß ergangene Mahnbescheid ist dem [X.] am 20. Januar 2017 zugestellt worden. Der anschließend erteilte [X.] ist dem [X.] am 9. Mai 2017 zugestellt worden. Mit einem Schriftsatz, der am 11. Mai 2017 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, hat der Beklagte Einspruch eingelegt. Das Arbeitsgericht hat den [X.] aufrechterhalten. Die dagegen gerichtete Berufung hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision will der Beklagte weiterhin erreichen, dass die Klage abgewiesen wird.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben. Der [X.] ist verpflichtet, an den Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. November 2012 [X.] [X.]. 7.073,00 [X.] zu zahlen.

I. Der [X.] hat in zulässiger Weise gegen den ihm am 9. Mai 2017 zugestellten Vollstreckungsbescheid Einspruch eingelegt. Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob der Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid an sich statthaft ist und ob er in der richtigen Form und Frist eingelegt ist. Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, so ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen (§ 46a Abs. 6 Satz 2 ArbGG). Die Zulässigkeit des Einspruchs stellt als Prozessfortsetzungsbedingung eine Sachverhandlungs- und Sachurteilsvoraussetzung dar, die auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist. Dabei ist das Revisionsgericht befugt, die Zulässigkeit des Einspruchs in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen, ohne an etwaige ausdrückliche oder stillschweigende Feststellungen und Würdigungen der Vorinstanzen gebunden zu sein ([X.] Juni 1987 - [X.] - zu I der Gründe, BGHZ 101, 134). Mit seiner am 11. Mai 2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen Einspruchsschrift hat der [X.] die nach § 46a Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 700 Abs. 1 ZPO, § 59 Satz 1 ArbGG geltende Wochenfrist gewahrt.

II. Der Kläger hat die zulässige Klage nicht geändert, indem er die Beitragsforderungen auch auf § 7 Abs. 6 iVm. der Anlage 31 [X.] gestützt hat. [X.] nach den [X.], für deren Geltungserstreckung sowohl eine Allgemeinverbindlicherklärung als auch § 7 [X.] in Betracht kommen, werden von demselben den Streitgegenstand umgrenzenden Lebenssachverhalt erfasst. Die Ansprüche stützen sich auf dasselbe Tatgeschehen. Sie sind weder in ihren materiell-rechtlichen Voraussetzungen noch in ihren Folgen oder strukturell grundlegend verschieden ausgestaltet ([X.] 20. Mai 2020 - 10 [X.] - Rn. 19; 18. Dezember 2019 - 10 [X.] - Rn. 10 [X.]).

III. Der [X.] ist verpflichtet, an den Kläger Beiträge für die Monate Januar bis November 2012 [X.]. 7.073,00 [X.] zu zahlen. Die Ansprüche des [X.] ergeben sich aus § 7 Abs. 6 iVm. der Anlage 31 [X.].

1. Die Anlage 31 enthält den vollständigen Text des [X.] 2011 (vgl. den Anlageband zum [X.]. I Nr. 29 vom 24. Mai 2017 S. 323 bis 336). Die in § 7 Abs. 6 [X.] angeordnete Geltungserstreckung des [X.] 2011 auf nicht [X.] ist aus Sicht des Senats verfassungsgemäß. Die Pflicht des [X.]n, Beiträge für einen gewerblichen Arbeitnehmer an den Kläger zu leisten, folgt aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. V Nr. 37, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 3 Abs. 3 Satz 1, § 18 Abs. 2 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] 2011. Die Voraussetzungen für eine Beitragspflicht des [X.]n sind erfüllt.

2. Der Betrieb des [X.]n unterfällt dem Geltungsbereich des [X.] 2011.

a) Der im [X.] V gelegene Betrieb des [X.]n wird vom räumlichen Geltungsbereich nach § 1 Abs. 1 [X.] 2011 erfasst.

b) Der betriebliche Geltungsbereich ist nach § 1 Abs. 2 [X.] 2011 eröffnet (zu den Voraussetzungen [X.] 15. Juli 2020 - 10 [X.] - Rn. 28 f. [X.] ). Nach den Feststellungen des [X.] wurden im Betrieb des [X.]n bauliche Leistungen nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 [X.] 2011 in Form von Trockenbauarbeiten ausgeführt.

c) Der persönliche Geltungsbereich des [X.] 2011 erstreckt sich auf den bei dem [X.]n beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.] 2011).

3. Anspruchsinhaber ist nach § 3 Abs. 3 Satz 1 [X.] 2011 der Kläger. Dies gilt auch, soweit er als Einzugsstelle Beiträge einzieht, die anderen Sozialkassen zustehen.

a) Der Kläger war und ist nach den Bestimmungen der [X.] ausdrücklich ermächtigt, auch [X.] einzuziehen, soweit sie nicht ihm selbst, sondern anderen Sozialkassen zustehen. Die Arbeitgeber können und konnten im Klagezeitraum nach der tariflichen Regelung des Beitragseinzugsverfahrens auf die Beitragsforderungen aller systemangehörigen Sozialkassen befreiend nur an den Kläger leisten. Er hatte und hat die ausschließliche Empfangszuständigkeit für die [X.]. Er tritt gegenüber den Arbeitgebern wie ein Vollrechtsinhaber auf, wenn er die ihm tariflich eingeräumten Befugnisse wahrnimmt (vgl. [X.] 27. November 2019 - 10 [X.] - Rn. 20; 23. April 2008 - 10 [X.] - Rn. 19).

b) Der Kläger ist im Außenverhältnis zu den Arbeitgebern als Beitragsschuldnern allein empfangszuständig und im [X.] aktivlegitimiert. Dem steht nicht entgegen, dass er die [X.] eingezogenen, nach den tariflichen Regelungen anderen Sozialkassen zustehenden Beiträge an diese anderen Sozialkassen nach § 667 BGB herauszugeben hat. Das Innenverhältnis zwischen dem Kläger als Einzugsstelle und den hinter ihm stehenden anderen Sozialkassen spielt weder beim Beitragseinzug noch bei der Rückabwicklung des [X.] zwischen dem Kläger und einem Arbeitgeber, der ohne rechtlichen Grund Beiträge an den Kläger abgeführt hat, eine entscheidende Rolle (vgl. [X.] 27. November 2019 - 10 [X.] - Rn. 21; 23. April 2008 - 10 [X.] - Rn. 20).

4. Die vom Kläger für die einzelnen Kalendermonate geltend gemachten Durchschnittsbeiträge [X.]. jeweils 643,00 [X.] sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Kläger berechtigt, die geschuldeten Beiträge mit einer Durchschnittsbeitragsklage geltend zu machen und dafür die vom [X.] ermittelten durchschnittlichen Bruttomonatslöhne in der Bauwirtschaft heranzuziehen ([X.] 18. Dezember 2019 - 10 [X.]/17 - Rn. 16 [X.]).

5. Die Ansprüche sind nicht verfallen. Ihrer Durchsetzbarkeit steht auch nicht die Einrede der Verjährung entgegen.

a) Verfall und Verjährung der Ansprüche richten sich nach § 24 Abs. 1 und Abs. 4 [X.] 2011. Die Verfall- und die Verjährungsfrist betragen danach vier Jahre; § 199 BGB ist anzuwenden. Die Verlängerung der Verjährungsfrist gegenüber § 195 BGB ist nach § 202 BGB wirksam ([X.] 20. Mai 2020 - 10 [X.] - Rn. 30; 22. Januar 2020 - 10 [X.] - Rn. 42 [X.]). Für den Beginn der Verjährung ist auf den Zeitpunkt der Fälligkeit abzustellen, weil ein Anspruch iSv. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB regelmäßig entsteht, wenn er nach § 271 BGB fällig ist ([X.] 20. Mai 2020 - 10 [X.] - Rn. 33).

b) Der älteste Beitragsanspruch für Januar 2012 war nach § 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] 2011 mit dem 15. Februar 2012 fällig. Damit begann die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres 2012 zu laufen und endete am 31. Dezember 2016. Durch den am 13. Dezember 2016 eingereichten [X.] hat der Kläger die Verfallfrist gewahrt (- 6 Ba 6056/16 -). Die Verjährung wurde nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt. Der Mahnbescheid wurde dem [X.]n am 20. Januar 2017 und damit „demnächst“ iSv. § 167 ZPO zugestellt.

c) Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger zur Begründung der Ansprüche als Geltungsgrund des [X.] 2011 zunächst die Allgemeinverbindlicherklärung und erst im Verlauf des Rechtsstreits das [X.] herangezogen hat. Bei den [X.]n handelt es sich um denselben Streitgegenstand, unabhängig davon, ob ein Verfahrenstarifvertrag aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung oder nach § 7 [X.] zur Anwendung kommt ([X.] 22. Januar 2020 - 10 [X.] - Rn. 44; 30. Oktober 2019 - 10 [X.] - Rn. 37 [X.]). Auf die Rüge der Revision, die Voraussetzungen des § 213 BGB seien nicht erfüllt, kommt es damit nicht an.

6. Der [X.] ist an den [X.] 2011 nach § 7 Abs. 6 iVm. der Anlage 31 [X.] gebunden. Das [X.] ist als Geltungsgrund für die [X.] nach Auffassung des Senats verfassungsgemäß ([X.] 17. Juni 2020 - 10 [X.] - Rn. 58 ff. [X.]; vgl. inzwischen auch [X.] 11. August 2020 - 1 [X.] - Rn. 14 ff.; 11. August 2020 - 1 BvR 1115/18 - Rn. 2 f.). Die Angriffe der Revision führen zu keiner anderen Beurteilung.

a) § 7 [X.] verstößt nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG ([X.] 20. Mai 2020 - 10 [X.] - Rn. 57 ff. [X.]).

aa) Nach Auffassung des Senats verletzt das [X.] nicht die negative Koalitionsfreiheit. Soweit die gesetzliche Geltungserstreckung der [X.] einen mittelbaren Druck erzeugen sollte, um der größeren Einflussmöglichkeit willen Mitglied einer der tarifvertragsschließenden Parteien zu werden, ist dieser Druck jedenfalls nicht so erheblich, dass die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde ([X.] 22. Januar 2020 - 10 [X.] - Rn. 47 [X.]; vgl. mittlerweile auch [X.] 11. August 2020 - 1 [X.] - Rn. 33 f.).

bb) Ein Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG liegt nach Auffassung des Senats fern. Die Tarifvertragsparteien hatten für alle von § 7 [X.] in Bezug genommenen [X.] einen Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung gestellt. Beim Erlass einer Allgemeinverbindlicherklärung unterliegt der Normgeber der [X.] ([X.] 20. Mai 2020 - 10 [X.] - Rn. 58; 18. Dezember 2019 - 10 [X.] - Rn. 76; 27. November 2019 - 10 [X.] - Rn. 36; zu der [X.] ausführlich [X.] 28. August 2019 - 10 [X.] - Rn. 43 ff., [X.]E 167, 361). Inhaltliche Veränderungen der [X.] sind mit dem [X.] nicht verbunden ([X.] 20. Mai 2020 - 10 [X.] - Rn. 59).

cc) Ein etwaiger Eingriff in die Tarifautonomie durch die gesetzliche Geltungserstreckung ist jedenfalls im Interesse der Sicherung der Funktionsfähigkeit des [X.] gerechtfertigt. Das [X.] dient einem legitimen Zweck, weil es den Fortbestand der Sozialkassenverfahren in der Bauwirtschaft sichern und Bedingungen für einen fairen Wettbewerb schaffen soll. Das Gesetz ist geeignet, weil es jedenfalls förderlich ist, diese Ziele zu erreichen. Der Gesetzgeber verfügt über einen Einschätzungsspielraum für die Beurteilung der tatsächlichen Grundlagen einer Regelung. Die Grenze liegt dort, wo sich deutlich erkennbar abzeichnet, dass eine Fehleinschätzung vorgelegen hat ([X.] 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 ua. - Rn. 159 [X.], [X.]E 146, 71). Dafür sind keine Anhaltspunkte gegeben ([X.] 22. Januar 2020 - 10 [X.] - Rn. 49 [X.]). Das [X.] ist ferner erforderlich. Die vom Gesetzgeber angestellten Erwägungen sind von seinem Einschätzungsspielraum gedeckt. Indem § 7 [X.] nicht nur Rückforderungsansprüche ausschließt, sondern auch den zukünftigen Beitragseinzug sicherstellt, kann dieser Zweck erreicht werden. Eine auf Rückforderungsansprüche beschränkte Regelung wäre zwar milder gewesen, aber nicht gleich wirksam ([X.] 22. Januar 2020 - 10 [X.] - Rn. 50 [X.]; vgl. inzwischen auch [X.] 11. August 2020 - 1 [X.] - Rn. 28 ff.). Die mit § 7 [X.] verbundenen Belastungen für nicht tarifgebundene Arbeitgeber hält der Senat angesichts der mit der Norm verfolgten Ziele für zumutbar ([X.] 22. Januar 2020 - 10 [X.] - Rn. 51 [X.]; vgl. mittlerweile auch [X.] 11. August 2020 - 1 [X.] - Rn. 32).

b) § 7 [X.] „annulliert“ nicht unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung. Mit der gesetzlichen Erstreckungsanordnung sollte - letztlich mit Rücksicht auf die Forderungen der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit - statt anfechtbaren Rechts [X.] Recht gesetzt werden. Der Gesetzgeber hat dabei weder die Rechtsprechung des Senats „kassiert“, noch hat er „neues“ Recht geschaffen oder in die allein dem [X.] zukommende Kompetenz zur Aufhebung von Akten der Judikative eingegriffen. Vielmehr hat er lediglich eine unwirksame Erstreckung der Normwirkung der [X.] durch eine wirksame - gesetzliche - Erstreckungsanordnung ersetzt, um auf diese Weise den weitreichenden Folgen der Beschlüsse des Senats vom 21. September 2016 (- 10 ABR 33/15 - [X.]E 156, 213; - 10 [X.] - [X.]E 156, 289) und 25. Januar 2017 (- 10 [X.] - und - 10 [X.] -) entgegenzuwirken ([X.] 17. Juni 2020 - 10 [X.] - Rn. 62 [X.]; vgl. inzwischen auch [X.] 11. August 2020 - 1 BvR 1115/18 - Rn. 2). Das von der Revision der Sache nach reklamierte Vertrauen darauf, der Gesetzgeber werde eine gerichtliche Entscheidung nicht zum Anlass nehmen, die sich daraus ergebenden Folgen zu bewältigen, ist nicht schutzwürdig. Unter Umständen kann es sogar rechtsstaatlich angezeigt sein, eine zuvor nur scheinbar vorhandene Rechtslage rückwirkend herzustellen (vgl. [X.] 20. Mai 2020 - 10 [X.] - Rn. 63 [X.]; vgl. mittlerweile auch [X.] 11. August 2020 - 1 BvR 1115/18 - Rn. 2). Wenn der [X.] darüber hinaus meint, § 5 [X.] sei „grundsätzlich nicht erweiterbar“, übersieht er, dass Art. 70 Abs. 2, Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG dem [X.] eine umfassende Zuständigkeit für privatrechtliche und auch öffentlich-rechtliche Bestimmungen über die Rechtsbeziehungen im Arbeitsverhältnis zuweisen. Sie erstreckt sich unter anderem auf das Tarifvertragsrecht, ohne dem Vorbehalt der Erforderlichkeit des Art. 72 Abs. 2 GG zu unterliegen ([X.] 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 ua. - Rn. 126, [X.]E 146, 71; [X.] 20. Mai 2020 - 10 [X.] - aaO).

c) § 7 [X.] verletzt nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden ([X.] 17. Juni 2020 - 10 [X.] - Rn. 59 ff. [X.]; vgl. inzwischen auch [X.] 11. August 2020 - 1 [X.] - Rn. 14 ff.). Ob der Sachverhalt einer der in der Rechtsprechung des [X.]s anerkannten, nicht abschließend definierten Fallgruppen zugeordnet werden kann, ist nicht von Belang. Es kommt allein darauf an, ob die betroffene Personengruppe bei objektiver Betrachtung auf den Fortbestand der bisherigen Regelung vertrauen konnte ([X.] 17. Juni 2020 - 10 [X.] - Rn. 60).

aa) Bis zum 20. September 2016 bestand keine Grundlage für ein Vertrauen auf die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung des [X.] in der Fassung der Anlage 31 des [X.], auf die § 7 Abs. 6 [X.] verweist. Die Arbeitgeber mussten vielmehr vom Gegenteil ausgehen und ihre wirtschaftlichen Dispositionen auf die vollständige Erfüllung der in den [X.] geregelten Pflichten einrichten ([X.] 20. November 2018 - 10 [X.] - Rn. 77 ff., [X.]E 164, 201). Es entsprach der weit überwiegenden Rechtsansicht, dass diese Fassung des [X.] wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden war. Die von den in Anspruch genommenen Arbeitgebern gehegten Zweifel waren keine geeignete Grundlage für die Bildung von Vertrauen dahin, dass auf der Annahme der fehlenden Normwirkung der [X.] beruhenden Dispositionen nicht nachträglich die Grundlage entzogen werden würde ([X.] 22. Januar 2020 - 10 [X.] - Rn. 55 [X.]; vgl. mittlerweile auch [X.] 11. August 2020 - 1 [X.] - Rn. 22 ff.).

bb) Mit Blick auf den von § 7 Abs. 6 [X.] erfassten Zeitraum konnte sich bei dem [X.]n aufgrund der Entscheidungen des Senats vom 21. September 2016 (- 10 ABR 33/15 - [X.]E 156, 213; - 10 [X.] - [X.]E 156, 289) und 25. Januar 2017 (- 10 [X.] - und - 10 [X.] -) kein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, nicht zu [X.]n herangezogen zu werden. Vielmehr musste er nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge von § 7 Abs. 6 [X.] zurückbezogen wird, damit rechnen, dass die tariflichen Rechtsnormen durch Gesetz rückwirkend wieder auf nicht originär tarifgebundene Arbeitgeber erstreckt werden würden. Der Gesetzgeber brauchte auf in der Zwischenzeit dennoch getätigte gegenläufige Vermögensdispositionen keine Rücksicht zu nehmen (vgl. [X.] 22. Januar 2020 - 10 [X.] - Rn. 56 [X.]; vgl. mittlerweile auch [X.] 11. August 2020 - 1 [X.] - Rn. 17, 23 f.).

cc) Der [X.] beruft sich vergeblich darauf, die „Ersetzung“ der unwirksamen Allgemeinverbindlicherklärung durch eine gesetzliche Regelung sei nicht möglich gewesen.

(1) [X.] von Tarifverträgen auf nicht originär [X.] war allein mit Blick auf § 7 [X.] schon vor Inkrafttreten des [X.] nicht auf die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 [X.] beschränkt.

(2) Der Gesetzgeber ist dazu befugt, die Funktionsfähigkeit des [X.] durch gesetzliche Regelungen herzustellen und zu sichern. Er kann auch bereits bestehende gesetzliche Rahmenbedingungen für das Handeln der Koalitionen ändern oder ergänzen, um dem Handeln der Koalitionen und insbesondere der Tarifautonomie Geltung zu verschaffen (vgl. [X.] 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 ua. - Rn. 144, 147, [X.]E 146, 71). Daher steht dem Gesetzgeber die Wahl einer anderen Rechtsform als der in § 5 [X.] geregelten Allgemeinverbindlicherklärung für die Erstreckung eines Tarifvertrags auf Außenseiter frei ([X.] 18. Juli 2000 - 1 [X.]/00 - zu II 2 der Gründe). Die Rechtsform ändert nichts an Inhalt und Ergebnis der Erwägungen zu der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen ([X.] 20. Mai 2020 - 10 [X.] - Rn. 59 [X.]). Ein Vertrauen, nur aufgrund einer wirksamen Allgemeinverbindlicherklärung in Anspruch genommen zu werden, ist nicht schutzwürdig ([X.] 18. Dezember 2019 - 10 [X.]/18 - Rn. 53; vgl. inzwischen auch [X.] 11. August 2020 - 1 [X.] - Rn. 25). Deshalb kommt es auf das Argument des [X.]n nicht an, eine Allgemeinverbindlicherklärung mit Rückwirkung wäre nicht möglich gewesen.

IV. Der [X.] hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Gallner    

        

    Brune    

        

    Pessinger    

        

        

        

    R. Baschnagel    

        

    Budde    

                 

Meta

10 AZR 9/19

16.09.2020

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Wiesbaden, 11. Oktober 2017, Az: 6 Ca 366/17, Urteil

Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 9 Abs 3 GG, Art 20 Abs 2 S 2 GG, § 195 BGB, § 199 BGB, § 202 BGB, § 204 Abs 1 Nr 3 BGB, § 213 BGB, § 271 BGB, § 667 BGB, § 7 Abs 6 SokaSiG, Anl 31 SokaSiG, § 1 Abs 1 VTV-Bau vom 21.12.2011, § 1 Abs 2 Abschn 5 Nr 37 VTV-Bau vom 21.12.2011, § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 VTV-Bau vom 21.12.2011, § 3 Abs 3 S 1 VTV-Bau vom 21.12.2011, § 18 Abs 2 S 1 VTV-Bau vom 21.12.2011, § 21 Abs 1 S 1 VTV-Bau vom 21.12.2011, § 24 Abs 1 VTV-Bau vom 21.12.2011, § 24 Abs 4 VTV-Bau vom 21.12.2011, § 5 TVG, § 46a Abs 6 S 2 ArbGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.09.2020, Az. 10 AZR 9/19 (REWIS RS 2020, 471)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 471

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