Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 17.01.2013, Az. 2 BvR 2576/11

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2013, 8891

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zentralisierung der Datenverarbeitung der hessischen Justiz begründet keine Verletzung von Art 33 Abs 5 GG oder Art 97 Abs 1 GG - teilweise Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Substantiierung - Ablehnung der Zulassung von Beiständen


Gründe

1

Die Beschwerdeführerin - eine Vorsitzende [X.]in am [X.] - wendet sich gegen die Verwaltung des [X.] für den [X.]echtsprechungsbereich des [X.] durch die [X.] Zentrale für Datenverarbeitung ([X.]) und beantragt die Zulassung zweier Vertreter als Beistände. Sie ist im Wesentlichen der Ansicht, die Eignung des [X.] zur uneingeschränkten elektronischen Überwachung ihrer Arbeit verletze ihre richterliche Unabhängigkeit aus Art. 33 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 GG und verstoße gegen "das verfassungsrechtliche Gebot organisatorischer Selbständigkeit der Gerichte" aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 92 und Art. 97 GG.

2

Ihre [X.]echtsmittel zu den [X.]dienstgerichten hatten im Wesentlichen keinen Erfolg, jedoch hielt der [X.] Dienstgerichtshof für [X.] bei dem [X.] die Zentralisierung der Datenverarbeitung nur unter der Bedingung für zulässig, dass zum Schutz vor einer Kenntnisnahme durch Dritte verbindliche [X.]egeln für den Umgang mit Dokumenten des richterlichen Entscheidungsprozesses festgelegt und deren Einhaltung durch den Minister der Justiz im gleichberechtigten Zusammenwirken mit gewählten Vertretern der [X.] überprüft werde (Urteil vom 20. April 2010 - [X.] 4/08 -, juris). Mit Urteil vom 6. Oktober 2011 (- [X.]([X.]) 7/10 -, juris) wies der [X.] - Dienstgericht des [X.] - die weitergehende [X.]evision der Beschwerdeführerin zurück.

3

Die Umsetzung der vom [X.]n Dienstgerichtshof formulierten Bedingungen für den Betrieb des [X.] der [X.]n Justiz durch die [X.] Zentrale für Datenverarbeitung erfolgte nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde durch das Gesetz zur Errichtung der [X.] der [X.] Justiz ([X.]) und zur [X.]egelung [X.] Angelegenheiten vom 16. Dezember 2011 - [X.] - (GVBl I S. 778), das am 1. Januar 2012 in Kraft trat.

4

Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung zweier Beistände nach § 22 Abs. 1 Satz 4 [X.] ist abzulehnen, weil weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass die in das pflichtgemäße Ermessen des [X.]verfassungsgerichts gestellte Zulassung objektiv sachdienlich und subjektiv notwendig ist (vgl. hierzu [X.] 68, 360 <361>; [X.]K 13, 171 <180 f.>).

5

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten [X.]echte der Beschwerdeführerin angezeigt, denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. [X.] 90, 22 <24 f.>). Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise bereits unzulässig, im Übrigen jedenfalls unbegründet.

6

1. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, der [X.] habe fehlerhaft die Prüfung eines Verstoßes gegen das "verfassungsrechtliche Gebot organisatorischer Selbständigkeit der Gerichte" unterlassen, ist ihre Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Substantiierung (vgl. dazu § 23 Abs. 1 S. 2 Hs. 1, § 92 [X.] sowie [X.] 108, 370 <387 f.>) unzulässig. Die Beschwerdeführerin setzt sich bereits nicht mit der Annahme des [X.]es auseinander, im Verfahren vor den [X.]dienstgerichten könne die Vereinbarkeit einer Maßnahme mit dem Gebot organisatorischer Selbständigkeit der Gerichte nicht gerügt werden, weil die Prüfungskompetenz der [X.]dienstgerichte gemäß § 26 Abs. 3 D[X.]iG auf die Frage der Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit durch Maßnahmen der Dienstaufsicht beschränkt sei.

7

2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet.

8

a) Zu den hergebrachten Grundsätzen des [X.]amtsrechts, die der Gesetzgeber gemäß Art. 33 Abs. 5 GG zu beachten hat, gehört insbesondere auch der Grundsatz der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit des [X.]s (vgl. [X.] 12, 81 <88>; 55, 372 <391 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 29. Februar 1996 - 2 Bv[X.] 136/96 -, NJW 1996, S. 2149 <2150>). Nach Art. 97 Abs. 1 GG müssen [X.] "unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen" sein. Die so umschriebene sachliche Unabhängigkeit ist gewährleistet, wenn der [X.] seine Entscheidungen frei von Weisungen fällen kann ([X.] 14, 56 <69>; [X.]K 8, 395 <399>), wobei Art. 97 Abs. 1 GG jede vermeidbare auch mittelbare, subtile und psychologische Einflussnahme der Exekutive auf die [X.]echtsstellung des [X.]s verbietet (siehe [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 22. Juni 2006 - 2 Bv[X.] 957/05 -, juris, [X.]n. 7; [X.] 12, 81 <88>; 26, 79 <93>; 55, 372 <389>). Eine derartige verbotene Einflussnahme kann auch dann vorliegen, wenn ein besonnener [X.] durch ein Gefühl des unkontrollierbaren Beobachtetwerdens (vgl. im Zusammenhang mit der sog. Vorratsdatenspeicherung [X.] 125, 260 <332>) von der Verwendung der ihm zur Erfüllung seiner richterlichen Aufgaben zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel abgehalten würde.

9

b) Gemessen hieran ist gegen die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich nichts zu erinnern. Wie der [X.] in nicht zu beanstandender Weise darlegt, besteht für die Beschwerdeführerin kein Anlass, allein wegen der Zentralisierung der elektronischen Datenverarbeitung vernünftigerweise von der Verwendung ihres Dienstcomputers oder des [X.] der [X.]n Justiz Abstand zu nehmen.

Die Exekutive und sonstige Dritte verfügen - jedenfalls nach den in der angegriffenen Entscheidung des [X.]n Dienstgerichtshofs für [X.] formulierten Bedingungen für die Überlassung der Verwaltung des [X.] der [X.]n Justiz an die [X.] Zentrale für Datenverarbeitung - über keine Zugriffserlaubnisse hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin für ihre dienstlichen Aufgaben verwendeten Daten. Die einzelnen Systemadministratoren eingeräumten Zugriffsrechte sind streng limitiert und beschränken sich auf Maßnahmen, die zum Funktionieren des [X.] betriebsnotwendig sind. Die Weitergabe richterlicher Dokumente an die Exekutive oder an Dritte ist den Administratoren untersagt. Auch die Speicherung und Weitergabe sogenannter Metadaten richterlicher Dokumente wie Autor und Erstellungszeitpunkt sind unzulässig, soweit nicht der konkrete Verdacht eines Missbrauchs des [X.] zu dienstfremden Zwecken besteht.

Anhaltspunkte dafür, dass die einzelnen Administratoren des [X.] eröffneten faktischen Zugriffsmöglichkeiten ohne entsprechende Erlaubnis und gegen den Willen der Beschwerdeführerin zu [X.] ihrer Tätigkeit, zur inhaltlichen Kontrolle richterlicher Dateien oder gar zur Manipulation von Dokumenten genutzt werden könnten, vermochten weder die Fachgerichte zu erkennen, noch werden solche Anhaltspunkte von der Beschwerdeführerin vorgetragen. Es spricht auch nichts dafür, dass die unter Beteiligung von Vertretern der [X.]schaft ausgeübte Kontrolle der Einhaltung der einen Zugriff auf richterliche Daten verbietenden Vorschriften nicht ausreichen könnte, um deren Befolgung dauerhaft und effektiv sicherzustellen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2576/11

17.01.2013

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BGH, 6. Oktober 2011, Az: RiZ (R) 7/10, Urteil

Art 33 Abs 5 GG, Art 97 Abs 1 GG, § 22 Abs 1 S 4 BVerfGG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 26 Abs 3 DRiG, JITStG HE

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 17.01.2013, Az. 2 BvR 2576/11 (REWIS RS 2013, 8891)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8891

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2 BvR 1473/20

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