Bundespatentgericht, Urteil vom 22.03.2022, Az. 3 Ni 20/20 (EP)

3. Senat | REWIS RS 2022, 9881

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Gegenstand

Patentnichtigkeitssache – „Zusammensetzung aus Basis von Zirconiumoxid und Ceroxid mit hoher Reproduzierbarkeit und stabiler spezifischer Oberfläche, Herstellungsverfahren und Verwendung bei der Behandlung von Abgasen“ – Zur Unzulässigkeit einer Nichtigkeitsklage


Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 2 007 682

([X.] 2007 046 136)

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2022 durch den Vorsitzenden [X.] sowie [X.], [X.]. [X.], [X.]. [X.] und die Richterin [X.]. Dr. Wagner

für Recht erkannt:

[X.] Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

I[X.] Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II[X.] [X.] ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des aufgrund der als [X.] 2007/107546 am 27. September 2007 veröffentlichten internationalen Anmeldung vom 19. März 2007 unter Inanspruchnahme der Priorität aus der [X.] Anmeldung [X.] 0602450 vom 21. März 2006 auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] in [X.] [X.] erteilten [X.]n Patents

2

2 007 682 ([X.]) mit der Bezeichnung „[X.] DE ZIRCONIUM ET D’OXYDE DE CERIUM A REDUCTIBILITE ELEVEE ET A SURFACE [X.] STABLE, [X.] DE PR[X.]RATION ET UTILISATION DANS LE TRAITEMENT DES GAZ D’ECHAPPEMENT“ (in [X.] laut [X.]schrift: „[X.] AUF [X.] VON [X.] UND CEROXID MIT HOHER REPRODUZIERBARKEIT UND STABILER SPEZIFISCHER OBERFLÄCHE, [X.] [X.] BEI DER BEHANDLUNG VON ABGASEN“).

3

Gegen das beim [X.]en Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen

4

60 2007 046 136 geführte [X.] hat die Klägerin Einspruch eingelegt. Nachdem die Einspruchsabteilung des [X.] zunächst das Patent mit (erster) Zwischenentscheidung vom 19. Februar 2019 in einer von der Beklagten im Einspruchsverfahren zunächst verteidigten Fassung beschränkt aufrechterhalten hat, hat die [X.] des [X.] mit Beschluss vom 6. März 2020 (vgl. [X.]) die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung aufgehoben und in Ziffer 2 wie folgt entschieden:

Abbildung

5

Mit zweiter Zwischenentscheidung vom 29. Juni 2021 (vgl. [X.]) hat die Einspruchsabteilung festgestellt, dass „compte tenu des [X.], [X.]“. Von der gegen diese Entscheidung von der Einspruchsabteilung ausdrücklich zugelassenen Beschwerdemöglichkeit („Un recours indépendant conformement à l’article 106(2) CBE est ouvert contre cette décision selon l’article 106(2)CBE“) haben die Beteiligten keinen Gebrauch gemacht. Mit Schreiben jeweils vom 14. Januar 2022 (zum Schreiben an die Klägerin vgl. [X.]a) hat die Einspruchsabteilung des [X.] der Klägerin und der Beklagten mitgeteilt, dass „la décision intermédiaire de la division d’opposition, en date du 29.06.21, relative au texte dans lequel le brevet modifié peut être maintenu est passée en force de chose jugée“. Wie der Online-Akte des [X.] entnommen werden kann, wurde die Beklagte in dem an sie gerichteten Schreiben gleichzeitig aufgefordert, binnen drei Monaten die [X.] in Höhe von 80,00 Euro zu zahlen und für die geänderten Patentansprüche Übersetzungen in die beiden Sprachen, die nicht [X.] sind (hier also [X.] und [X.]), einzureichen. Weitere Tätigkeiten des [X.] erfolgten danach noch nicht.

6

In der Fassung, welche der Beschwerde- und der zweiten Zwischenentscheidung des [X.] jeweils zugrundelag, soll das [X.] die nebengeordneten Patentansprüche 1, 7, 11 und 12 umfassen, wobei auf Patentanspruch 1 die Patentansprüche 2 bis 6 und auf den mit der vorliegenden Klage nicht angegriffenen Patentanspruch 7 die Patentansprüche 8 bis 10 unmittelbar oder mittelbar zurückbezogen sind. Die streitgegenständlichen nebengeordneten selbständigen Patentansprüche 1, 11 und 12 in dieser Fassung sollen in der [X.] wie folgt lauten:

Abbildung

7

Mit ihrer Nichtigkeitsklage begehrt die Klägerin, die von der Beklagten wegen einer behaupteten Verletzung des [X.]s gerichtlich in Anspruch genommen wird, die Nichtigerklärung des [X.]s im Umfang der Patentansprüche 1 bis 6 sowie 11 und 12 laut der vorgenannten Fassung. Die Beklagte verteidigt ihr Patent in der vorgenannten Fassung sowie jeweils als geschlossene Anspruchssätze in weiteren Fassungen nach den [X.] 1 bis 5 laut Schriftsatz vom 27. Dezember 2021, wegen deren Wortlaut auf den vorgenannten Schriftsatz verwiesen wird.

8

Die Klägerin hat zur Stützung ihres Vortrags u.a. folgende Druckschriften eingereicht (Nummerierung und Kurzzeichen von der Klägerin vergeben):

9

K3 EP 2 007 682 B1 (erteilte Fassung des [X.]s)

[X.] Entscheidung [X.] der [X.] des [X.] vom 6. März 2020

K6 Der Entscheidung nach [X.] zugrundeliegende Anspruchsfassung des [X.]s

[X.] [X.] 2007/131901 A1

[X.] [X.] 2005/100248 A1

[X.] [X.] 2004/085806 A2

[X.] EP 0 955 267 A1

[X.] [X.] 2004/103907 A1

[X.] [X.] 6 387 338 B1

[X.] [X.] 2004/002893 A2

[X.] Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 29. Juni 2021

[X.]a Mitteilung des [X.] an die Klägerin vom 14. Januar 2022

[X.] EP 1 921 044 A2

Die Klägerin ist der Ansicht, die Klage sei zulässig, nachdem die [X.] des [X.] mit Beschluss vom 6. März 2020 die aufrecht zu erhaltene Fassung festgestellt und die Zwischenentscheidung nach [X.]a rechtskräftig geworden ist. Wie sich aus der Formulierung „... so kann das Einspruchsverfahren fortgesetzt werden“ in Regel 82 Abs. 2 Satz 1 der Ausführungsordnung zum Übereinkommen über die Erteilung [X.] Patente vom 5. Oktober 1973 in der Fassung des Beschlusses des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation vom 7. Dezember 2006 und zuletzt geändert durch den Beschluss des Verwaltungsrats vom 27. März 2020 (im Folgenden: [X.]) einerseits und dem Wort „andernfalls“ in Regel 82 Abs. 2 Satz 2 [X.] andererseits im Umkehrschluss ergebe, sei das Einspruchsverfahren beendet, wenn gegen die Zwischenentscheidung, derzufolge das [X.] mit den Unterlagen, mit denen das [X.] verteidigt werde, beschränkt aufrecht erhalten werden könne, keine Einwendungen mehr erhoben werden; dies sei vorliegend aufgrund der Rechtskraft dieser Zwischenentscheidung der Fall. Die daran anschließenden weiteren Maßnahmen nach Regel 82 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 bis 4 [X.] seien bloße Formalien zur Veröffentlichung des geänderten Patents. Der nach Regel 82 Abs. 3 Satz 2 mögliche Widerruf des Patents bei fehlender oder nicht rechtzeitiger Zahlung der [X.] oder fehlender Vorlage der Übersetzungen sei keine Entscheidung in einem noch laufenden Einspruchsverfahren, sondern stehe dem Erlöschen des Patents bei Nichtzahlung der Jahresgebühr gleich.

Nach Auffassung der Klägerin ist der Gegenstand von Anspruch 1 der angegriffenen Fassung des [X.]s nicht über den gesamten beanspruchten Bereich ausführbar. Zudem sei dieser Gegenstand gegenüber der [X.], [X.] und der Vorbenutzung AM 5040 jeweils nicht neu und beruhe gegenüber Kombinationen der [X.] und [X.], der [X.] mit [X.], [X.] oder [X.], der [X.] mit dem allgemeinen Fachwissen oder den in [X.] oder [X.] vermittelten Informationen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Klägerin beantragt,

das [X.] Patent 2 007 682 im Umfang der Ansprüche 1 bis 6, 11 und 12 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das [X.] im angegriffenen Umfang die Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 5 jeweils in der [X.], sämtliche gemäß Schriftsatz vom

27. Dezember 2021, erhält und die nicht angegriffenen Patentansprüche in ihren Rückbeziehungen auf das [X.] in der erteilten Fassung bestehen bleiben.

Nach Auffassung der Beklagten ist die Klage unzulässig, solange das Einspruchsverfahren vor dem [X.] noch nicht abgeschlossen sei. Denn die im Einspruchsverfahren verteidigte Fassung des [X.]s entspreche zwar den Erfordernissen des [X.], die Sache sei jedoch an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen worden mit der Maßgabe, auf Grundlage geltenden Ansprüche und einer daran noch anzupassenden Beschreibung das [X.] Patent aufrechtzuerhalten. Mit der Zwischenentscheidung vom

29. Juni 2021 sei lediglich festgestellt worden, dass die beklagtenseits eingereichten Unterlagen den Anforderungen des EPÜ entsprächen. Durch die Zwischenentscheidung sei das Einspruchsverfahren noch nicht beendet, da die abschließende Entscheidung des [X.] zur Aufrechterhaltung des [X.]s in geändertem Umfang noch nicht ergangen sei, wobei gegen diese Entscheidung erneut Beschwerde, z. B. wegen unzureichender oder fehlerhafter Übersetzung der geänderten Ansprüche, eingelegt werden könne.

In der Sache widerspricht die Beklagte allen Angriffspunkten der Klägerin und erachtet das [X.] in einer der verteidigten Fassungen für schutzfähig.

Der Senat hat den Parteien einen ihnen jeweils am 25. November 2021 zugestellten Hinweis nach § 83 Abs. 1 [X.] vom selben Tag zukommen lassen, in dem u.a. ausgeführt war:

„Die Nichtigkeitsklage ist nach § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] zulässig, solange ein Einspruchsverfahren noch möglich oder noch nicht beendet ist. Maßgeblicher Zeitpunkt hierfür ist der Schluss der mündlichen Verhandlung im [X.]. Das Beschwerdeverfahren vor dem [X.] ist noch nicht mit dem Beschluss der [X.] vom 6. März 2020 beendet worden, weil darin keine Sachentscheidung getroffen, sondern die Sache an die Einspruchsabteilung zur Prüfung der Schutzfähigkeit in der Fassung des [X.] wurde. Ob in der Folgezeit eine rechtskräftige Entscheidung im Beschwerdeverfahren, sei es durch die Einspruchsabteilung, sei es durch die [X.], ergangen ist, ist unbekannt; zwar weist die [X.]-Webpage den Erlass einer Zwischenentscheidung vom 29. Juni 2021 auf, wobei die Bezeichnung als Zwischenentscheidung gegen eine das Beschwerdeverfahren abschließende Entscheidung sprechen könnte. Auch ist unklar, ob diese Zwischenentscheidung angefochten wurde oder nicht mehr angefochten werden kann. Die Parteien, insbesondere die Klägerin, werden daher aufgefordert, hierzu weiter vorzutragen. Nach derzeitigem Kenntnisstand könnte die Klage nach § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] als unzulässig zurückgewiesen werden.“

Entscheidungsgründe

A.

Die Klage ist als unzulässig abzuweisen, da ihr das [X.] des § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] entgegensteht.

Nach dieser Vorschrift kann die Nichtigkeitsklage nicht erhoben werden, solange ein Einspruch noch erhoben werden kann oder ein Einspruchsverfahren anhängig ist. Für die Beurteilung, ob dieses [X.] vorliegt, ist nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung, sondern des Schlusses der mündlichen Verhandlung abzustellen ([X.], 848 Rn. 17 – Mautberechnung). Mit dem [X.] nach § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] soll das B[X.] entlastet, widersprüchliche Entscheidungen vermieden ([X.], 967 Rn. 9 – Strahlungssteuerung; [X.], a.a.[X.] Rn. 9 - Mautberechnung) und sichergestellt werden, dass über den Rechtsbestand des Streitpatents auf der Grundlage seiner im [X.] und Einspruchsverfahren endgültigen Fassung entschieden wird, die auch erst zum Ausgangspunkt einer eingeschränkten Verteidigung gemacht werden kann ([X.], 848 Rn. 13 - Mautberechnung). Das [X.] besteht dabei nicht nur für Einspruchsverfahren vor dem [X.], sondern auch für solche vor dem [X.] ([X.], 967 Rn. 8 – Strahlungssteuerung; a.a.[X.] Rn. 10 - Mautberechnung). Für das [X.] kommt es nicht darauf an, ob die mit der Nichtigkeitsklage geltend gemachten Gründe auch Gegenstand des [X.] sind oder sein können und welcher Prüfungsmaßstab an den begehrten Widerruf bzw. die begehrte Nichtigerklärung jeweils anzulegen ist ([X.], 848 Rn. 11 ff. - Mautberechnung). Wurde zumindest ein Einspruch eingelegt, ist das Einspruchsverfahren so lange anhängig, wie über den Einspruch oder bei mehreren Einsprüchen über diese noch keine abschließende Entscheidung getroffen wurde. Dies setzt zunächst den Erlass einer solchen Entscheidung voraus. Abschließend ist eine erlassene Entscheidung nur, wenn sie mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angegriffen werden kann; dies ist nur zu bejahen, wenn entweder ein ordentliches Rechtsmittel nicht statthaft oder die Frist eines statthaften Rechtsmittels abgelaufen ist, ohne dass ein Rechtsmittel eingelegt wurde, oder über alle eingelegten Rechtsmittel rechtskräftig entschieden wurde.

Nach diesen Grundsätzen liegt im hier zu entscheidenden Fall das [X.] des § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] vor, weil zum Schluss der mündlichen Verhandlung im vorliegenden [X.] das Einspruchsverfahren vor dem [X.] noch anhängig ist.

Der Ablauf des [X.] ist nicht nur in Art. 99 bis 101 EPÜ geregelt, sondern wird durch die Regeln 75 ff. [X.] näher konkretisiert und ausgestaltet. Für den hier vorliegenden Fall der Aufrechterhaltung eines Patents in beschränkter Form schreibt Regel 82 [X.] zwingend ein formalisiertes Verfahren vor. Nach diesem Verfahren darf die endgültige Entscheidung der Einspruchsabteilung, welche die der beschränkten Aufrechterhaltung zugrunde liegende Fassung des Patents anzugeben hat (Regel 82 Abs. 4 [X.]), erst nach Erlass einer vorangehenden Zwischenentscheidung (Regel 82 Abs. 1 [X.]) ergehen, wenn gegen diese keine Einwendungen erhoben wurden (Regel 82 Abs. 2 [X.]) oder – wie vorliegend der Fall – gegen sie das ausdrücklich zugelassene Rechtsmittel der Beschwerde (Art. 106 Abs. 2 zweiter [X.]. EPÜ) nicht eingelegt oder rechtskräftig zurückgewiesen wurde, und die erforderliche Gebühr zur Veröffentlichung der geänderten Patentschrift (Regel 82 Abs. 2 Satz 2 [X.] i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 der Gebührenordnung des [X.]) gezahlt und eine Übersetzung der geänderten Patentansprüche in die Amtssprachen eingereicht wurde; für die Gebührenzahlung und die Einreichung der Übersetzung besteht eine Frist von drei Monaten nach entsprechender Anforderung durch die Einspruchsabteilung (Art. 82 Abs. 2 Satz 2 [X.]), die gegen Zahlung einer Zuschlagsgebühr nochmals um zwei weitere Monate verlängert werden kann (Regel 82 Abs. 3 Satz 1 [X.]). Werden die Gebühren nicht gezahlt oder die Übersetzung nicht eingereicht, ist das Patent – ungeachtet der im Verfahren vorangehenden Feststellung der grundsätzlichen Schutzfähigkeit – zu widerrufen (Regel 82 Abs. 3 Satz 2 [X.]).

Dem steht auch die in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Auffassung der Klägerin nicht entgegen, aus der Formulierung in Regel 82 Abs. 2 Satz 2 [X.], dass bei Fehlen von Einwendungen gegen die in der Zwischenentscheidung mitgeteilte beschränkte Fassung, die dazu führen, dass das Einspruchsverfahren „fortgesetzt“ wird, die Einspruchsabteilung „andernfalls“ zur Zahlung der [X.] und zur Einreichung der Übersetzungen in die anderen Sprache auffordere, folge im Umkehrschluss, dass im letzten Fall das Einspruchsverfahren beendet sei. Denn Regel 82 Abs. 2 Satz 2 [X.] ordnet für den mit dem Begriff „andernfalls“ bezeichneten Fall des Fehlens von Einwendungen lediglich an, dass die für den Fall von Einwendungen angeordnete Fortsetzung des [X.] erforderliche (erneute) Prüfung des Einspruchs nach Art. 101 EPÜ im Fall, dass keine Einwendungen erhoben wurden („andernfalls“), entfällt. Zudem kann eine Beendigung des [X.] schon deshalb nicht eintreten, weil zum einen die Entscheidung nach Regel 82 Abs. 4 [X.] noch nicht ergangen ist, mit der erst die Fassung, in welcher das Streitpatent beschränkt aufrechterhalten wird, wirksam festgestellt wird, und zum anderen ein Widerruf des Patents bei Nichterfüllung der Auflagen nach Regel 82 Abs. 2 Satz 2 [X.] weiterhin möglich ist (Regel 82 Abs. 3 Satz 2 [X.]).

Das in Regel 82 [X.] vorgeschriebene Verfahren ist dabei auch für den Fall einzuhalten, dass - wie hier - die erste Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, in der die Schutzfähigkeit in beschränktem Umfang festgestellt worden war, von der [X.] aufgehoben und die [X.] wie üblich statt einer eigenen Entscheidung über den Einspruch das Verfahren an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung über den Einspruch zurückverweist; denn bei einer Zurückverweisung ergeht gerade keine Sachentscheidung der [X.], vielmehr beschränkt sich die Wirkung der Entscheidung der [X.] lediglich auf eine Bindung der Einspruchsabteilung an die rechtliche Beurteilung der [X.] (Art. 111 Abs. 3 EPÜ). Im vorliegenden Verfahren kommt dies deutlich darin zum Ausdruck, dass die [X.] nach Aufhebung der Widerrufsentscheidung in Ziffer 1 der Beschwerdeentscheidung nach [X.] in deren Ziffer 2 die Sache an die Einspruchsabteilung mit der Vorgabe („afin de“) zurückverwiesen hat („est renvoyée à la division d´opposition“), in seiner im weiteren Verfahren erst noch zu treffenden abschließenden Entscheidung über den Einspruch das Streitpatent auf der Grundlage der geänderten Anspruchsfassung („[X.] des revendications 1 à 12 selon la requête [X.] janvier 2020“) und mit einer an diese angepassten Beschreibung („et d‘une description à adapter“) aufrechtzuerhalten. Damit ist aufgrund der Beschwerdeentscheidung der [X.] eine rückwirkende materielle Änderung des Streitpatents in beschränkter Form trotz Unanfechtbarkeit der Beschwerdeentscheidung noch nicht eingetreten.

Eine solche materiell-rechtliche Änderung ist auch durch die - erst abweichend von der Grundregel der Unanfechtbarkeit von Zwischenentscheidungen (Art. 106 Abs. 2 EPÜ) infolge der ausdrücklichen Zulassung der Beschwerde (Art. 106 Abs. 2 letzter [X.]. EPÜ) eigenständig beschwerdefähige - Zwischenentscheidung vom 22. Oktober 2021 ([X.]) noch nicht wirksam geworden. Denn hierin wird lediglich festgestellt, dass die nunmehr vorliegenden Unterlagen den gesetzlichen Anforderungen genügen, was im Wortlaut dieser Zwischenentscheidung (vgl. „[X.] [...] satisfont aux conditions énoncées dans la Convention“) auch unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird. Daran ändert auch die Mitteilung des [X.] mit Aufforderung zur Zahlung der [X.] und Vorlage der Übersetzungen der geänderten Patentansprüche des [X.] vom 14. Januar 2022 ([X.]a) nichts; denn die nach den einleitenden Worten „[X.] vous informons que“ angekreuzte Aussage („la décision intermédiaire de la division d‘ opposition, en date du 29.06.21, relative au texte dans lequel le brevet modifié peut être maintenu est passée en force de chose jugée“) stellt nur den Eintritt der Rechtskraft dieser Zwischenentscheidung fest (in der [X.] Fassung dieses Formblatts ist an dieser Stelle folgende Aussage vorgesehen: „Die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom ... ist rechtkräftig geworden.“), wodurch eine Änderung der Patentansprüche durch die lediglich ihre rechtliche Unbedenklichkeit feststellende Zwischenentscheidung ebenfalls nicht eintreten kann.

Zur (rückwirkenden) Änderung des Streitpatents bedarf es mithin über die in der vorstehend genannten Entscheidung der [X.] nach [X.] und der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung nach [X.] hinaus noch einer abschließenden Entscheidung der Einspruchsabteilung nach Regel 82 Abs. 4 [X.]. Eine solche Entscheidung liegt bislang aber noch nicht vor.

Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei dieser fehlenden Entscheidung nicht um eine bloße Formalie. Sie geht über die bloße Veröffentlichung der geänderten Patentschrift nämlich hinaus. Denn nach Regel 82 Abs. 4 [X.] stellt sie die endgültige Fassung der beschränkt aufrechterhaltenden Patentansprüche fest, so dass erst durch diese Entscheidung die materiell-rechtliche Änderung dieser Patentansprüche eintritt. Auf den Erlass einer solchen Entscheidung kann wegen dieser Rechtsfolge nicht verzichtet werden, weshalb sie, wie der Senat durch stichprobenartigen Einblick in die Online-Akten des [X.] feststellen konnte, konsequenterweise auch üblich ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist diese abschließende Entscheidung nach Art 106 Abs. 1 EPÜ eigenständig beschwerdefähig, ohne dass dies in der Entscheidung ausdrücklich zugelassen werden müsste oder es hierzu einer – in der EPÜ nicht vorgesehenen – Rechtsmittelbelehrung bedürfte. Eine Beschwerde ist auch nicht ausgeschlossen, denn sie kann sich, worauf die [X.] in der mündlichen Verhandlung zutreffend hingewiesen hat, z. B. auch nur gegen Übersetzungsfehler richten; einer solchen Beschwerde stünde insbesondere nicht eine sich aus der rechtskräftigen Zwischenentscheidung ergebenden fehlende Beschwer entgegen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist auch nicht ausgeschlossen, dass die abschließende Entscheidung keine materielle Änderung der Patentansprüche des Streitpatents in dem Umfang, wie er in den unanfechtbaren Entscheidungen der [X.] und der Einspruchsabteilung festgestellt wurde, mehr zuließe. Zwar ist die Einspruchsabteilung bei einer beschränkten Aufrechterhaltung des Streitpatents an die von der [X.] als schutzfähig erachtete Anspruchsfassung gebunden, allerdings ist damit eine anderslautende Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht vollständig ausgeschlossen. Denn der Erlass der auf die beschränkte Aufrechterhaltung erkennenden abschließenden Entscheidung nach Regel 82 Abs. 4 [X.] setzt zwingend die Zahlung der [X.] und die Vorlage einer Übersetzung der geänderten Patentansprüche voraus; beides ist dabei erst nach entsprechender Aufforderung der Einspruchsabteilung binnen drei Monaten mit der Option einer Verlängerung um weitere zwei Monate gegen Zahlung einer Zuschlagsgebühr vorzunehmen; nach fruchtlosem Ablauf ist der Widerruf des Patents trotz zuvor festgestellter grundsätzlicher Schutzfähigkeit zwingend vorgeschrieben (Regel 82 Abs. 3 Satz 2 [X.]). Da bislang weder eine fristgerechte Gebührenzahlung noch die Vorlage einer Übersetzung der geänderten Patentansprüche erfolgt ist, kann also nicht ausgeschlossen werden, dass das Streitpatent im anhängigen Einspruchsverfahren trotz zuvor festgestellter grundsätzlicher Schutzfähigkeit noch widerrufen wird. Dabei handelt es sich auch nicht um einen Vorgang, der, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingewandt hat, mit dem vorzeitigen Schutzende eines Patents infolge der Nichtzahlung der letzten Jahresgebühr vergleichbar wäre; vielmehr stellen Widerruf des Patents aufgrund einer Entscheidung der Einspruchsabteilung und das kraft Gesetzes eintretende Erlöschen des Patents infolge Vorliegens eines Erlöschenstatbestandes zwei verschiedene Rechtsinstitute dar, die von verschiedenen Voraussetzungen abhängen und auf unterschiedlichen Rechtsgründen – nämlich einer Entscheidung des [X.] einerseits und einer gesetzlichen Anordnung andererseits – beruhen.

Damit drohen aber widerstreitende Entscheidungen im Einspruchsverfahren vor dem [X.] und im vorliegenden [X.]. Das wäre etwa der Fall, wenn das Streitpatent nach Regel 82 Abs. 3 Satz 2 [X.] widerrufen, im vorliegenden Verfahren aber in der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung oder nach Maßgabe eines der gestellten Hilfsanträge aufrechterhalten wird, oder wenn das Streitpatent mit den Unterlagen, welche der Zwischenentscheidung vom 29. Juni 2021 zugrunde lagen, beschränkt aufrecht erhalten, im vorliegenden [X.] aber - wie im Hinweis des Senats nach § 83 Abs. 1 [X.] bereits ausgeführt - widerrufen wird. Durch das [X.] nach § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] soll aber, wie oben bereits ausgeführt, nach der Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.] a.a.[X.] – Strahlungssteuerung; [X.], a.a.[X.] - Mautberechnung) gerade die damit bestehende rechtliche Möglichkeit widerstreitender Entscheidungen durch das [X.] einerseits und das B[X.] andererseits vermieden werden. Da zudem wegen Regel 82 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Regel 82 Abs. 3 Satz 2 [X.] noch nicht endgültig feststeht, ob das Streitpatent im Einspruchsverfahren vor dem [X.] auch endgültig in der Fassung beschränkt aufrechterhalten werden wird, welche der Zwischenentscheidung des [X.] vom 29. Juni 2021 zugrunde lag, besteht hier auch der zweite Grund, der nach den gesetzlichen Vorgaben für das Bestehen des [X.]ses nach § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] spricht, nämlich die Ungewissheit über die endgültige Fassung der Patentansprüche, die erst Grundlage einer Nichtigkeitsentscheidung sein könnte (vgl. [X.], 848 Rn. 13 - Mautberechnung).

Da mithin das von Amts wegen zu prüfende [X.] des § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung noch besteht, ist die Klage als unzulässig abzuweisen.

B.

Für die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung beantragte Vertagung nach § 99 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 227 ZPO oder Aussetzung der vorliegenden Nichtigkeitsklage nach § 99 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 148 ZPO bestand keine Veranlassung.

Soweit die Klägerin eine Vertagung damit begründet, dass sie vor der mündlichen Verhandlung nicht darauf hingewiesen worden sei, dass die Zwischenentscheidung zur Überwindung des [X.]ses nach § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht ausreiche, trifft dies nicht zu. Vielmehr hat der Senat in seinem Hinweis nach § 83 Abs. 1 [X.] ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das [X.] durch die Zwischenentscheidung des [X.] noch nicht beseitigt ist.

Auch eine Aussetzung scheidet aus, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen der bestehenden Entscheidungsreife nicht vorliegen. Denn bei Schluss der mündlichen Verhandlung kann – wie geschehen – ein Prozessurteil ergehen, für das die ausstehende Entscheidung des [X.] nicht vorgreiflich ist und auch nicht vorgreiflich sein kann (vgl. [X.], [X.], 484 Rn. 17 – Mautberechnung).

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 709 ZPO.

Meta

3 Ni 20/20 (EP)

22.03.2022

Bundespatentgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: Ni

nachgehend BGH, 31. Januar 2023, Az: X ZR 73/22, Urteil

§ 81 Abs 2 S 1 PatG

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Urteil vom 22.03.2022, Az. 3 Ni 20/20 (EP) (REWIS RS 2022, 9881)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9881


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X ZR 73/22

Bundesgerichtshof, X ZR 73/22, 31.01.2023.


Az. 3 Ni 20/20 (EP)

Bundespatentgericht, 3 Ni 20/20 (EP), 22.03.2022.


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