Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.12.2022, Az. X ZR 47/22

10. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 8373

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Gegenstand

Patentnichtigkeitsklage: Maßgeblicher Zeitpunkt für das Klagehindernis der Anhängigkeit eines Einspruchsverfahrens; Wegfall des Klagehindernisses bei bindender Entscheidung des Europäischen Patentamts über die Aufrechterhaltung des Patents; eingeschränkte Zulässigkeit der Klage - Aminopyridin


Leitsatz

Aminopyridin

1. Für die Beurteilung, ob das Klagehindernis nach § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG vorliegt, ist nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage. Hierbei sind auch Änderungen zu berücksichtigen, die erst im Laufe des Berufungsverfahrens eingetreten sind (Bestätigung von BGH, Urteil vom 19. April 2011 - X ZR 124/10, GRUR 2011, 848 Rn. 17 - Mautberechnung).

2. Das Klagehindernis fällt weg, wenn das Europäische Patentamt entschieden hat, dass das Patent mit einer geänderten Fassung seiner Ansprüche aufrechterhalten wird, und diese Entscheidung nicht mehr angefochten werden kann.

3. In dieser Konstellation ist eine Nichtigkeitsklage nur noch insoweit zulässig, als sie darauf gerichtet ist, den Rechtsbestand des Patents in weitergehendem Umfang zu beseitigen, als dies nach der bindenden Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist.

Tenor

Auf die Berufung wird das Urteil des 3. Senats ([X.]) des [X.] vom 25. Februar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Patentgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die [X.] erteilten [X.] Patents 2 377 536 (Streitpatents), das aus einer Stammanmeldung vom 11. April 2005 hervorgegangen ist, zwei [X.] Prioritäten vom 9. April 2004 und 8. April 2005 in Anspruch nimmt und die Verwendung von Aminopyridin-Zusammensetzungen betrifft.

2

Die Einspruchsabteilung des [X.] hat das Patent mit Beschluss vom 6. April 2016 widerrufen. Die [X.] hat diese Entscheidung mit Beschluss vom 4. September 2019 ([X.] - 3.3.01, NiB1) aufgehoben und die Sache an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen, mit der Maßgabe, das Streitpatent mit den geänderten Patentansprüchen gemäß dem in der Beschwerdeinstanz gestellten Hauptantrag aufrechtzuerhalten und die Beschreibung anzupassen.

3

Patentanspruch 1, auf den drei Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der geänderten Fassung [Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind hervorgehoben]:

A sustained release 4-aminopyridine composition for use in a method of treating increasing walking speed in a patient with multiple sclerosis, wherein said composition is administered twice daily in a dose of 10 milligrams or less of 4-aminopyridine.

4

Der in gleicher Weise geänderte Patentanspruch 5 betrifft die Verwendung von 4-Aminopyridin zur Herstellung einer Zusammensetzung mit entsprechenden Merkmalen.

5

Mit ihrer am 20. August 2020 eingereichten Klage hat die Klägerin die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents beantragt und geltend gemacht, der angegriffene Gegenstand sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Schutzrecht in der erteilten und hilfsweise in zwei geänderten Fassungen verteidigt.

6

Am 16. März 2021 hat die Beklagte bei der Einspruchsabteilung eine geänderte Fassung der Beschreibung eingereicht. Am 26. Mai 2021 hat die Einspruchsabteilung die Beteiligten zur Stellungnahme hierzu aufgefordert. Mit Beschluss vom 22. Oktober 2021 ([X.]) hat sie entschieden, dass unter Berücksichtigung der vorgenommenen Änderungen das [X.] Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des [X.] genügen.

7

Mit Urteil vom 25. Februar 2022 hat das Patentgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt und vorrangig eine Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht beantragt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

8

Am 25. März 2022 hat die Einspruchsabteilung förmlich festgestellt, dass die Zwischenentscheidung vom 22. Oktober 2021 rechtskräftig geworden ist. Am 8. Juli 2022 hat die Beklagte Übersetzungen der neuen Anspruchsfassung eingereicht und die vorgesehene Gebühr in Höhe von 80 Euro bezahlt. Mit Beschluss vom 21. Juli 2022 hat die Einspruchsabteilung entschieden, dass das Patent in der geänderten Fassung aufrechterhalten wird. Am 17. August 2022 ist der Hinweis auf diese Entscheidung veröffentlicht worden. Die neue Fassung der Patentschrift ([X.]) ist mittlerweile ebenfalls veröffentlicht.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Berufung hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht.

I. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet.

Die Klage sei gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] unzulässig, weil das Einspruchsverfahren noch anhängig sei.

Der Ablauf des [X.] werde nicht nur in Art. 99 bis 101 EPÜ geregelt, sondern auch durch die Regeln 75 ff. der Ausführungsordnung zum [X.] ([X.]) ausgestaltet. Für den Fall der Aufrechterhaltung eines Patents in beschränkter Form schreibe Regel 82 [X.] ein formalisiertes Verfahren vor. Die endgültige Entscheidung über die Aufrechterhaltung nach Regel 82 Abs. 4 [X.] dürfe erst ergehen, wenn die gemäß Regel 82 Abs. 1 [X.] ergangene Zwischenentscheidung rechtskräftig geworden sei und der Patentinhaber fristgerecht die Gebühr für die Veröffentlichung der geänderten Patentschrift gezahlt sowie eine Übersetzung der geänderten Patentansprüche in die Amtssprachen eingereicht habe. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt würden, werde das Patent gemäß Regel 82 Abs. 3 Satz 2 [X.] widerrufen.

Dieses Verfahren sei auch dann einzuhalten, wenn die [X.] das Verfahren zur weiteren Entscheidung über den Einspruch an die Einspruchsabteilung zurückverweise. Die Einspruchsabteilung sei in dieser Konstellation lediglich an die rechtliche Beurteilung der [X.] gebunden (Art. 111 Abs. 3 EPÜ). Die darauffolgende Zwischenentscheidung stelle fest, dass die vorliegenden Unterlagen den gesetzlichen Anforderungen genügten. Zur materiell-rechtlichen Änderung des Streitpatents bedürfe es auch bei diesem Verfahrensverlauf einer abschließenden Entscheidung nach Regel 82 Abs. 4 [X.].

Dabei handele es sich nicht um eine bloße Formalie. Wegen der Möglichkeit des Widerrufs mangels Zahlung der [X.] oder Vorlage von Übersetzungen bestehe die Gefahr widerstreitender Entscheidungen, solange das Einspruchsverfahren nicht endgültig abgeschlossen sei.

II. Diese Beurteilung hält der Überprüfung in der Berufungsinstanz schon deshalb nicht stand, weil das Einspruchsverfahren mittlerweile abgeschlossen ist.

1. Wie auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht, ist das Einspruchsverfahren im Streitfall durch die im Laufe des Berufungsverfahrens ergangene Entscheidung vom 21. Juli 2022 über die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung nach Art. 101 Abs. 3 Buchst. a EPÜ und Regel 82 Abs. 4 [X.] vom 21. Juli 2022 abgeschlossen.

Mit dieser Entscheidung hat das Streitpatent seine Wirkung verloren, soweit sein Gegenstand über die geänderte Fassung hinausgeht ([X.], Urteil vom 17. April 2012 - [X.], [X.], 753 Rn. 19 - Tintenpatrone III). Jedenfalls damit ist das in § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] normierte [X.] entfallen.

2. Diese Änderung ist bei der Entscheidung über die Berufung zu berücksichtigen.

a) [X.] in § 117 [X.] stehen der Berücksichtigung nicht entgegen.

Die Klägerin war schon deshalb nicht in der Lage, sich in erster Instanz auf die in Rede stehenden Ereignisse zu berufen, weil diese erst während des Berufungsverfahrens eingetreten sind. Angesichts dessen kann offenbleiben, ob Vortrag zu dem in § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] normierten [X.] überhaupt der Präklusion nach § 117 [X.] unterliegt.

b) Nach § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] sind nachträglich eingetretene Änderungen auch im Berufungsverfahren zu berücksichtigen.

Für die Beurteilung, ob das [X.] nach § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] vorliegt, ist nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage ([X.], Urteil vom 19. April 2011 - [X.], [X.], 848 Rn. 17 - Mautberechnung).

aa) Dies steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des [X.], wonach Prozessvoraussetzungen grundsätzlich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müssen und hierbei auch Änderungen zu berücksichtigen sind, die erst in der Berufungsinstanz eingetreten sind (vgl. nur [X.], Urteil vom 25. November 2004 - [X.], [X.], 502, 503 - Götterdämmerung; Urteil vom 9. Januar 1996 - [X.], NJW 1996, 1059, 1060; Urteil vom 24. Februar 1994 - [X.], [X.]Z 125, 196, 201).

bb) Aus dem Sinn und Zweck von § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] ergeben sich keine weitergehenden Beschränkungen.

Die Vorschrift verfolgt das Ziel, das Patentgericht von dem aufwendigen [X.] zu entlasten, solange ein Einspruchsverfahren anhängig ist ([X.]. 8/2087 S. 37 zu § 37 [X.] aF). Sie hat ferner den Zweck, einander widersprechende Entscheidungen über den Rechtsbestand eines Patents zu vermeiden ([X.], Urteil vom 19. April 2011 - [X.], [X.], 848 Rn. 9 - Mautberechnung; Urteil vom 12. Juli 2005 - [X.], [X.]Z 163, 369, 371 = [X.], 967 - Strahlungssteuerung).

Diese Zwecke erfordern es nicht, eine Nichtigkeitsklage schon dann abzuweisen, wenn bei deren Einreichung ein Einspruch statthaft oder anhängig war. Das Patentgericht ist auch nicht gehalten, eine bei Einreichung unzulässige Klage so schnell wie möglich abzuweisen. Es ist vielmehr befugt, zumindest so lange abzuwarten, bis das Verfahren ohnehin zur Entscheidung ansteht, und gegebenenfalls in der Sache zu entscheiden, wenn das [X.] bis dahin entfallen ist.

III. Unabhängig davon hätte das Patentgericht die Klage schon im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht als unzulässig abweisen dürfen.

1. Nach § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] kann eine Klage auf Nichtigerklärung des Patents nicht erhoben werden, solange ein Einspruch noch eingelegt werden kann oder ein Einspruchsverfahren anhängig ist. Die Vorschrift gilt grundsätzlich auch für Einspruchsverfahren beim [X.] ([X.], Urteil vom 19. April 2011 - [X.], [X.], 848 Rn. 10 - Mautberechnung; Urteil vom 12. Juli 2005 - [X.], [X.]Z 163, 369, 370 = [X.], 967 - Strahlungssteuerung).

2. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist für den Wegfall des durch ein Einspruchsverfahren beim [X.] begründeten [X.]ses nicht allein ausschlaggebend, ob das Verfahren formell beendet und das Patent in seinem Rechtsbestand formell eingeschränkt worden ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Einspruchsverfahren einen Stand erreicht hat, in dem die Gefahr widersprechender Entscheidungen oder einer unnötigen Doppelbefassung nicht mehr besteht.

a) Wie bereits oben dargelegt wurde, dient § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] dem Zweck, das Patentgericht zu entlasten und einander widersprechende Entscheidungen über den Rechtsbestand des Patents zu vermeiden.

Letzteres beruht auf der Überlegung, dass ein Patent im Einspruchsverfahren einen Inhalt erhalten kann, dem der in einem parallelen [X.] geltend gemachte Stand der Technik nicht entgegensteht, obwohl dieser zur Nichtigerklärung des Patents in seiner ursprünglich erteilten Fassung führen könnte. Die Durchführung eines [X.]s auf derart unsicherer Grundlage kann zu einem ungerechtfertigten Verlust des Patents in seinem zu Recht erteilten Umfang führen ([X.]Z 163, 369, 371 = [X.], 967 - Strahlungssteuerung).

b) Diese Zwecksetzung ist auch bei der Beurteilung der Frage zu berücksichtigen, zu welchem Zeitpunkt das durch ein Einspruchsverfahren begründete [X.] entfällt. Eine Nichtigkeitsklage darf deshalb nur als unzulässig angesehen werden, solange noch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich die Gefahren, deren Vermeidung § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] dient, im konkreten Fall verwirklichen können.

c) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Verwirklichung dieser Gefahren mehr, wenn das [X.] entschieden hat, dass das Patent mit einer geänderten Fassung seiner Ansprüche aufrechterhalten wird, und diese Entscheidung nicht mehr angefochten werden kann (ähnlich bereits B[X.], Urteil vom 28. Mai 2013 - 3 Ni 2/11 (EP), juris Rn. 93 ff.; [X.] in Busse, [X.], 9. Aufl. 2020, § 81 Rn. 20).

aa) In einer solchen Verfahrenslage steht fest, dass das Patent in der erteilten Fassung keinen Bestand haben wird und dass weitergehende Angriffe der Einsprechenden gegen die vom [X.] als rechtsbeständig angesehene Fassung keinen Erfolg haben. Damit ist eine ausreichende Grundlage für die nachfolgende Beurteilung des Patents auf der Grundlage der geänderten Fassung der Patentansprüche in einem [X.] geschaffen.

(1) Dass es im weiteren Verlauf des [X.] zu Änderungen der Beschreibung kommen kann, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.

Änderungen der Beschreibung können zwar im Einzelfall dazu führen, dass die Patentansprüche anders auszulegen sind als auf der Grundlage der bisherigen Beschreibung. Die Gefahr, dass es zu solchen Änderungen kommt, ist in der hier in Rede stehenden Konstellation jedoch vernachlässigbar.

Wenn das [X.] bindend entschieden hat, dass das Patent in einer bestimmten, geänderten Fassung aufrechtzuerhalten ist, sind die dafür maßgeblichen Feststellungen auch für nachfolgende Entscheidungen über eine Anpassung der Beschreibung bindend ([X.], Beschluss vom 5. August 1993 - [X.], [X.]. [X.] 1994, 832 unter 3.4.2).

Dem Patentinhaber ist es mithin verwehrt, die Beschreibung in einer Weise zu ändern, die zu Abweichungen gegenüber dem bereits bindend als rechtsbeständig angesehenen Gegenstand führt. [X.] und vom [X.] gebilligte Änderungen sind im Lichte dieser Bindungswirkung auszulegen und können schon deshalb in aller Regel nicht zu einer geänderten Auslegung der Patentansprüche führen.

(2) Die Möglichkeit, dass das Patentgericht das angegriffene Patent auch in der vom [X.] aufrechterhaltenen Fassung als nicht rechtsbeständig ansieht, steht einer Nichtigkeitsklage nicht entgegen.

Diese Gefahr besteht auch dann, wenn das Einspruchsverfahren nach beschränkter Aufrechterhaltung des Patents formell abgeschlossen ist. Sie ist dem [X.] immanent und gehört nicht zu den Gefahren, denen § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] entgegenwirken soll.

(3) Dass eine Übersetzung der geänderten Patentansprüche in die Amtssprachen des [X.]s aussteht, ist bereits mit Blick auf deren informatorischen Charakter (Art. 70 Abs. 1 EPÜ) unerheblich.

bb) Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen bestünde in der in Rede stehenden Verfahrenslage allerdings weiterhin, wenn das Patentgericht gehalten wäre, den Rechtsbestand der - formell noch in [X.] stehenden - erteilten Fassung des Streitpatents zu beurteilen, den das [X.] bereits bindend verneint hat.

Für eine auf dieses Ziel gerichtete Nichtigkeitsklage fehlt es in der genannten Verfahrenslage aber an einem Rechtsschutzbedürfnis. Auch wenn das angegriffene Patent formell noch in vollem Umfang in [X.] steht (dazu [X.], Urteil vom 17. April 2012 - [X.], [X.], 753 Rn. 18 f. - Tintenpatrone III), ist eine Nichtigkeitsklage nur noch insoweit zulässig, als sie darauf gerichtet ist, den Rechtsbestand des Patents in weitergehendem Umfang zu beseitigen, als dies nach der bindenden Entscheidung im Einspruchsverfahren zu erwarten ist.

Solange das angegriffene Patent formell in [X.] steht, hängt die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage zwar grundsätzlich nicht von einem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers ab. Vielmehr genügt das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung eines zu Unrecht erteilten, nicht schutzfähigen Patents (vgl. zuletzt [X.], Urteil vom 21. Juli 2022 - [X.]/21, [X.], 1628 Rn. 12 ff. - Stammzellengewinnung). Hieraus ergibt sich aber nicht, dass eine Nichtigkeitsklage auch ohne jegliches Rechtsschutzbedürfnis zulässig ist.

Das prozessuale Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses soll verhindern, dass Rechtsstreitigkeiten in das Stadium der Begründetheitsprüfung gelangen, für die eine solche Prüfung nicht erforderlich ist ([X.], Urteil vom 29. September 2022 - I ZR 180/21 Rn. 10). Danach besteht grundsätzlich kein schutzwürdiges Interesse daran, die erteilte Fassung eines Patents erneut zur inhaltlichen Überprüfung zu stellen, wenn aufgrund einer bindenden Entscheidung im Einspruchsverfahren feststeht, dass das Patent nur in einer bestimmten, geänderten Fassung aufrechterhalten wird.

Es ist zwar nicht auszuschließen, dass ein [X.] früher zu einer formellen Einschränkung des [X.] führt als das formell noch anhängige Einspruchsverfahren. Schon vor dem Eintritt dieser formellen Rechtswirkung stehen einem Verletzungsbeklagten in der in Rede stehenden Konstellation aber ausreichende Mittel zur Verfügung, um sich gegen die weitere Geltendmachung von Rechten aus der erteilten Fassung des Patents zur Wehr zu setzen. Eine Verurteilung wegen Verletzung des Patents in der erteilten Fassung ist in aller Regel ausgeschlossen, wenn feststeht, dass diese Fassung keinen Bestand haben wird. Liegt bereits ein vollstreckbarer Titel vor, ist die Vollstreckung daraus in der Regel jedenfalls dann einzustellen, wenn feststeht oder zumindest eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die vom Titel betroffene Ausführungsform die zusätzlichen Merkmale der geänderten Fassung nicht aufweist.

cc) Vor diesem Hintergrund ist in der in Rede stehenden Verfahrenssituation auch die Gefahr einer unnötigen Befassung des Patentgerichts hinreichend sicher ausgeschlossen.

(1) Die Gefahr, dass das Patentgericht das angegriffene Patent in einer Fassung beurteilen muss, die der Überprüfung im Einspruchsverfahren nicht standhält, besteht in der in Rede stehenden Konstellation aus den bereits oben aufgezeigten Gründen nicht mehr.

(2) Dass der weitere Verlauf des [X.] zum vollständigen Wegfall des Patents führen kann, etwa weil der Patentinhaber eine vom [X.] als erforderlich angesehene Änderung der Beschreibung nicht vornimmt, die Übersetzung der geänderten Patentansprüche in die Amtssprachen des [X.]s versäumt oder die vorgesehenen Gebühren nicht zahlt, steht einer Nichtigkeitsklage in dieser Konstellation nicht entgegen.

Ein solcher Verlauf gehört nicht zu den spezifischen Gefahren, vor denen § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] schützen soll. Er beruht nicht auf einer inhaltlichen Beurteilung des [X.] durch das [X.], die die Gefahr abweichender Entscheidungen begründen könnte, sondern im [X.] auf der Entscheidung des [X.].

Zu vergleichbaren Entwicklungen kann es auch außerhalb der in § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] geregelten Konstellationen kommen, etwa dadurch, dass das Streitpatent durch Nichtzahlung der Jahresgebühr seine Wirksamkeit verliert und die Nichtigkeitsklage mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses des Klägers unzulässig wird.

d) Im Streitfall steht aufgrund der im Einspruchsverfahren getroffenen Entscheidungen fest, dass das Streitpatent nur in beschränkter Fassung aufrechterhalten wird.

aa) Die Entscheidung der [X.], das Streitpatent in der Fassung des [X.] aus dem Beschwerdeverfahren aufrecht zu erhalten, ist für die Einspruchsabteilung nach der Zurückverweisung gemäß Art. 111 Abs. 2 EPÜ bindend (dazu [X.], Beschluss vom 5. August 1993 - [X.], [X.]. [X.] 1994, 832 unter 3.4; Beschluss vom 8. November 2021 - [X.], [X.] 2021, 35499 Rn. 86 ff.).

Der Senat hat dies bereits früher dahin zusammengefasst, dass es sich um eine echte Sachentscheidung handelt, die materiell und formell rechtskräftig ist ([X.], Urteil vom 17. April 2012 - [X.], [X.], 753 Rn. 15 - Tintenpatrone III).

Die Bindungswirkung besteht nach Art. 111 Abs. 2 Satz 1 EPÜ zwar nur, soweit der Tatbestand derselbe ist. Hieraus ergibt sich jedoch keine Befugnis des [X.], das Patent nach Zurückverweisung in einer Fassung zu verteidigen, die von derjenigen Fassung abweicht, die die [X.] als rechtsbeständig angesehen hat ([X.], Beschluss vom 8. November 2021 - [X.], [X.] 2021, 35499 Rn. 132 ff.).

Die Bindungswirkung besteht darüber hinaus auch in einem nachfolgenden Beschwerdeverfahren gegen eine nach Zurückverweisung ergangene Entscheidung der Einspruchsabteilung. Hat die [X.] entschieden, dass das Patent in einer bestimmten Fassung aufrecht zu erhalten ist, und die Sache lediglich zur Anpassung der Beschreibung und weiteren Folgeentscheidungen an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen, kann weder der Wortlaut der Ansprüche noch die Patentierbarkeit ihres Gegenstands in einem späteren, die zurückverwiesenen Punkte betreffenden Beschwerdeverfahren nochmals angefochten werden ([X.], Beschluss vom 5. August 1993 - [X.], [X.]. [X.] 1994, 832 unter 3.4.2).

bb) Dass die [X.] im Streitfall nur über die Patentansprüche entschieden hat, nicht aber über Anpassungen der Beschreibung, führt aus den bereits oben dargelegten Gründen nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

IV. Da das Patentgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - die Begründetheit der Klage nicht geprüft hat, ist die Sache gemäß § 119 Abs. 3 Satz 1 ZPO zur tatrichterlichen Beurteilung zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Eine Zurückverweisung kann zwar gemäß § 119 Abs. 5 Satz 1 [X.] unterbleiben, wenn eine Sachentscheidung durch den [X.] sachdienlich ist. Diese Voraussetzung ist aber in der Regel nicht gegeben, wenn es an einer Erstbewertung des Stands der Technik durch das Patentgericht unter dem Gesichtspunkt der Patentfähigkeit fehlt ([X.], Urteil vom 7. Juli 2015 - [X.], [X.], 1095 Rn. 39 - Bitratenreduktion I).

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine eigene Sachentscheidung des [X.] im Streitfall nicht deshalb sachdienlich, weil sich das Patentgericht in seinem gemäß § 83 Abs. 1 [X.] erteilten Hinweis mit dem Stand der Technik auseinandergesetzt hat. Dieser Umstand kann zwar im Einzelfall zur Bejahung der Sachdienlichkeit führen ([X.], Urteil vom 13. Februar 2020 - [X.], [X.], 728 Rn. 38 - Bausatz). Im Streitfall bilden die kurzen Ausführungen des Patentgerichts aber keine geeignete Grundlage, um über den komplexen Sachverhalt zu entscheiden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten hängt die Entscheidung über die Klage nicht nur von der Beurteilung von Rechtsfragen ab. Um die relevanten Rechtsfragen identifizieren und beantworten zu können, bedarf es einer Würdigung des vorgetragenen Standes der Technik und der Lehre des Streitpatents. Auch im Streitfall ist es zweckmäßig, dass eine solche Würdigung zunächst durch das unter Mitwirkung von technischen Richtern zur Entscheidung berufene Patentgericht erfolgt.

[X.]     

      

Deichfuß     

      

Kober-Dehm

      

Rensen     

      

Crummenerl     

      

Meta

X ZR 47/22

06.12.2022

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BPatG München, 25. Februar 2022, Az: 3 Ni 23/20 (EP), Urteil

§ 81 Abs 2 S 1 PatG, Art 101 EuPatÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.12.2022, Az. X ZR 47/22 (REWIS RS 2022, 8373)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8373


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 3 Ni 23/20 (EP)

Bundespatentgericht, 3 Ni 23/20 (EP), 25.02.2022.


Az. X ZR 47/22

Bundesgerichtshof, X ZR 47/22, 06.12.2022.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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