Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.09.2015, Az. V ZB 54/15

5. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 5367

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Wiedereinsetzung: Verschuldensvorwurf bei Fristversäumung wegen fehlerhafter Angabe des Rechtsmittelgerichts; Umfang der anwaltlichen Kontrollpflicht


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des 17. Zivilsenats des [X.] vom 23. Februar 2015 aufgehoben.

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.

Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 180.000 €.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten um eine Verpflichtung der Beklagten zur Abgabe einer Löschungsbewilligung bezüglich einer Grundschuld. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Gegen das ihm am 13. November 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger durch einen an das [X.] adressierten Schriftsatz Berufung eingelegt, der am 10. Dezember 2014 bei den Justizbehörden in [X.] und am 9. Januar 2015 bei dem [X.] eingegangen ist. Am 13. Januar 2015 hat der Kläger die Berufung begründet und gleichzeitig beantragt, ihm gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

2

Zur Begründung des [X.] hat er sich darauf berufen, dass die Fehladressierung der Berufungsschrift auf ein ihm nicht zurechenbares Verschulden der [X.] seines Prozessbevollmächtigten zurückzuführen sei. Die geschulte und stets zuverlässige Bürokraft habe entgegen dem Diktat nicht das [X.], sondern das [X.] als Adressat der Berufungsschrift angegeben. Deshalb habe sein Prozessbevollmächtigter handschriftlich auf der ersten Seite des Schriftsatzes das [X.] als Adressat durchgestrichen und daneben jeweils das [X.] vermerkt. Die zweite Seite der Berufungsschrift habe er unterschrieben, im [X.] der Angestellten den richtigen Adressaten genannt und sie angewiesen, lediglich die erste Seite auszutauschen, da der Schriftsatz auf der zweiten Seite bereits unterzeichnet gewesen sei. Die Korrektur von Schriftsätzen sei im Büro des Prozessbevollmächtigten generell so organisiert, dass nach der ersten Korrekturanweisung durch den zuständigen Rechtsanwalt die Korrekturen umgehend ausgeführt und sodann der Schriftsatz dem jeweiligen Rechtsanwalt [X.] zur Durchsicht vorgelegt werde. Die Angestellte habe dann zwar die erste Seite des Berufungsschriftsatzes noch einmal ausgedruckt, jedoch infolge einer - nach ihren Angaben auf der Arbeitsüberlastung vor [X.] und mehreren Unterbrechungen der Arbeit durch Mandantenanrufe beruhenden - Unaufmerksamkeit vergessen, die Adressenkorrektur durchzuführen. Da sie den in einer Mandantenbesprechung befindlichen Prozessbevollmächtigten des [X.] nicht habe stören wollen, habe sie den Schriftsatz anschließend einem Mitarbeiter zur Abgabe in der Poststelle der Justizbehörden in [X.] mitgegeben.

3

Das [X.] hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des [X.] als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.].

II.

4

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufungsfrist nicht ohne ein dem Kläger [X.] Verschulden seines Prozessbevollmächtigten (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO) versäumt worden. Dem Erfordernis, die [X.] vor deren Unterzeichnung auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit, darunter auch die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts zu überprüfen, sei er nur teilweise nachgekommen. Die generelle Anweisung in dessen Büro, Korrekturen umgehend auszuführen und dem jeweiligen Rechtsanwalt [X.] zur Durchsicht vorzulegen, sei im konkreten Fall nicht geeignet gewesen sicherzustellen, dass das Rechtsmittel innerhalb der Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingehe. Im Dezember 2014 habe es nämlich eine hohe Arbeitsauslastung der [X.] gegeben, die auch für die Annahme von Telefongesprächen zuständig gewesen und bei der Korrektur mehrfach unterbrochen worden sei. Mangels konkreter Anweisung der Wiedervorlage zur Überprüfung habe es sehr nahe gelegen, dass ein schlichter Austausch der ersten Seite der Berufungsschrift unter sofortiger Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht ohne erneute Vorlegung an den Rechtsanwalt haben erfolgen können. Die Nichtausführung der Korrektur hätte sich nur verhindern lassen, wenn konkret die Anweisung erteilt worden wäre, den Schriftsatz zur erneuten Überprüfung vorzulegen oder aber die Unterschrift unter der zweiten Seite des Schriftsatzes bis zur Durchführung der Korrektur unterblieben wäre.

III.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des [X.] (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, [X.]. ZPO), weil das Berufungsgericht die Anforderungen an das, was eine Partei veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, überspannt und dadurch den Anspruch des [X.] auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Juni 2007 - [X.], [X.], 1276 Rn. 5; [X.], Beschluss vom 12. November 2013 - [X.], NJW 2014, 700 Rn. 5 mwN).

6

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

7

a) Das Berufungsgericht geht allerdings zutreffend davon aus, dass der Kläger die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) versäumt hat. Auch wenn eine [X.] - wie hier - bei einer gemeinsamen Briefannahmestelle für mehrere Gerichte eingeht, ist ein solcher Schriftsatz grundsätzlich allein bei dem Gericht eingereicht, an das er adressiert ist ([X.], Beschluss vom 4. November 1992 - [X.], NJW-RR 1993, 254; Beschluss vom 17. August 2011 - [X.], NJW-RR 2012, 122 Rn. 9). Da der am 10. Dezember 2014 und damit innerhalb der am 15. Dezember 2014 (Montag) ablaufenden Berufungsfrist bei den Justizbehörden in [X.] eingegangene Schriftsatz an das unzuständige [X.] adressiert war, kommt ihm keine fristwahrende Wirkung zu. Bei dem zuständigen [X.] ist die Berufung erst nach Fristablauf am 9. Januar 2015 eingegangen.

8

b) Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Begründung, mit der das Berufungsgericht den Antrag des [X.] auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist (§§ 233, 234 ZPO) abgelehnt hat. Es überspannt die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts. Auf der Grundlage des von dem Berufungsgericht als glaubhaft angesehenen Vortrags des [X.] lässt sich ein ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO [X.] Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht begründen.

9

aa) Die Anfertigung einer [X.] gehört zu den Aufgaben, die der Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu überprüfen. Die Aufgabe darf in einem so gewichtigen Teil wie der Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem und erfahrenem Personal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss die [X.] deswegen vor der Unterzeichnung auf die Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts, überprüfen ([X.], Beschluss vom 5. Juni 2013 - [X.] 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 11 mwN). Diesen [X.] ist der Prozessbevollmächtigte des [X.] nachgekommen. Ihm ist der Fehler hinsichtlich der Bezeichnung des Berufungsgerichts nach Vorlage des Diktats aufgefallen.

bb) Auch die Anweisung an seine Angestellte, die erste Seite der Berufungsschrift zu korrigieren und auszutauschen und die zweite, bereits von ihm unterzeichnete Seite beizubehalten, rechtfertigt keinen Verschuldensvorwurf.

(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ist ein der Partei [X.] Verschulden ihres Anwalts an der Fristversäumung grundsätzlich nicht gegeben, wenn der Rechtsanwalt einer [X.], die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Ein Rechtsanwalt darf darauf vertrauen, dass eine solche Büroangestellte eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Ihn trifft unter diesen Umständen nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern ([X.], Beschluss vom 21. April 2010 - [X.] 64/09, [X.], 2286 Rn. 11). Dies gilt auch in den Fällen, in denen der Rechtsanwalt seine Angestellte anweist, die falsche Bezeichnung des Berufungsgerichts zu korrigieren und er die Berufungsschrift vor der von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet hat ([X.], Beschluss vom 30. Oktober 2008 - [X.], [X.], 296 Rn. 9 f.; vom 13. April 2010 - [X.], [X.], 2287 Rn. 5 f.). Wenn die Anweisung allerdings nur mündlich erteilt wird, müssen ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Erledigung nicht in Vergessenheit gerät ([X.], Beschluss vom 5. Juni 2013 - [X.] 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 12 mwN). Hierzu genügt es, wenn der Rechtsanwalt seine Korrekturanweisung auf dem zu korrigierenden Schriftsatz schriftlich vermerkt hat ([X.], Beschluss vom 30. Oktober 2008 - [X.], [X.], 296 Rn. 13).

(2) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze durfte der Prozessbevollmächtigte des [X.] darauf vertrauen, dass die Angestellte seinen Anweisungen Folge leistete. In diesem Fall wäre die Berufungsfrist gewahrt worden. Da er den Schriftsatz selbst handschriftlich korrigiert hatte, musste er auch nicht die Sorge haben, dass seine Anweisung in Vergessenheit geriet. Dies gilt auch im Hinblick auf die von dem Berufungsgericht in den Vordergrund gestellte hohe Arbeitsauslastung der Angestellten. Die konkrete Anweisung zur Durchführung der Korrektur bot zusammen mit den handschriftlichen Anmerkungen auf dem zu korrigierenden Schriftsatz die Gewähr für eine fristgerechte Einreichung der Berufungsschrift. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hatte der Prozessbevollmächtigte nicht die darüber hinaus gehende Pflicht, entweder die Angestellte anzuweisen, den Schriftsatz zur erneuten Überprüfung vorzulegen, oder aber die Unterschrift bis zur Durchführung der Korrektur zu unterlassen. [X.] ist nicht die äußerste und größtmögliche Sorgfalt, sondern die von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde übliche Sorgfalt ([X.], Beschluss vom 17. August 2011 - [X.], NJW-RR 2012, 122 Rn. 12). Diese hat der Prozessbevollmächtigte des [X.] gewahrt.

cc) Schließlich kann dem Prozessbevollmächtigten des [X.] ein Verschulden auch nicht deshalb angelastet werden, weil er nichts unternahm, nachdem ihm seine Mitarbeiterin entgegen der allgemeinen Weisung den Schriftsatz vor der Versendung nicht noch einmal zur Durchsicht vorgelegt hatte. Eine solche, über das gebotene Maß hinausgehende Anordnung kann nicht zu einer Verschärfung der den Rechtsanwalt treffenden Sorgfaltspflichten führen ([X.], Beschluss vom 30. Oktober 2008 - [X.], [X.], 296 Rn. 11; Beschluss vom 6. Dezember 2006 - [X.] 99/06, NJW 2007, 1455, Rn. 8).

Stresemann                           Schmidt-Räntsch                         Weinland

                        Kazele                                       [X.]

Meta

V ZB 54/15

16.09.2015

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Frankfurt, 23. Februar 2015, Az: 17 U 11/15, Beschluss

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.09.2015, Az. V ZB 54/15 (REWIS RS 2015, 5367)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 719 REWIS RS 2015, 5367

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZB 54/15 (Bundesgerichtshof)


III ZB 54/08 (Bundesgerichtshof)


VIII ZB 71/18 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung bei Versäumung der Berufungsfrist: Einhaltung anwaltlicher Sorgfalt bei Einzelanweisung an eine Kanzleiangestellte zur Korrektur …


VI ZB 45/16 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Versäumung der Berufungsfrist wegen falscher Bezeichnung des Berufungsgerichts; erforderliche Angaben …


IX ZB 251/11 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Versäumung der Berufungseinlegungsfrist bei unkorrekter Einzelanweisung eines Rechtsanwalts


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.