Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2016, Az. XII ZB 275/15

12. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 2685

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Gegenstand

Beginn und Lauf der Berufungsfrist im Fall der Urteilsberichtigung


Leitsatz

Zum Lauf der Berufungsfrist im Fall der Urteilsberichtigung.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des [X.] vom 7. Mai 2015 wird auf Kosten der Beklagten verworfen.

Streitwert: 76.898 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin mietete Gewerberäume von der [X.]n. Sie begehrt die Rückzahlung überzahlter Mieten. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] hat die [X.] den [X.] anerkannt. Das [X.] hat ein [X.] erlassen, dessen Ziffer 1 des Tenors lautet: „Die Klägerin wird verurteilt, an die [X.] (...) zu zahlen.“ In Ziffer 2 des Tenors sind der [X.]n die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden. Das [X.] ist dem Prozessbevollmächtigten der [X.]n am 17. Dezember 2014 zugestellt worden. Die Klägerin hat die Berichtigung des [X.] beantragt, woraufhin das [X.] mit Beschluss vom 19. Januar 2015 wegen einer offensichtlichen Unrichtigkeit den Tenor in Ziffer 1 dahingehend berichtigt hat, dass er nunmehr lautet: „Die [X.] wird verurteilt, an die Klägerin (...) zu zahlen.“ Der Berichtigungsbeschluss ist dem Prozessbevollmächtigten der [X.]n am 22. Januar 2015 zugestellt worden. Die Klägerin hat gegen das [X.] (vorsorglich) Berufung eingelegt, welche sie nach Rechtskraft des [X.] für erledigt erklärt hat.

2

Die [X.] hat ihrerseits mit am 20. Februar 2015 bei dem [X.] eingegangenem Schriftsatz gegen das Urteil des [X.]s in der Fassung des [X.] vom 19. Januar 2015 Berufung eingelegt. Das [X.] hat die Berufung verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der [X.]n.

II.

3

Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

4

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des [X.]. Der angefochtene Beschluss verletzt die [X.] nicht in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. Oktober 2011 - [X.] 127/11 - FamRZ 2011, 1929 Rn. 8 und vom 27. Juli 2016 - [X.] 53/16 - FamRZ 2016, 1681 Rn. 3).

5

2. Dass das [X.] die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO verworfen hat, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 517 ZPO eingelegt worden sei, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

6

Das [X.] hat zutreffend erkannt, dass die Berichtigung eines Urteils gemäß § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit grundsätzlich keinen Einfluss auf Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist hat. Gegen das berichtigte Urteil findet nur das gegen das ursprüngliche Urteil zulässige Rechtsmittel statt, und die Frist zu seiner Einlegung läuft (schon) von der Zustellung der unberichtigten [X.] an ([X.], 184, 186 = NJW 1984, 1041 mwN). Den Parteien wird zugemutet, im Rahmen ihrer Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels eine offenbare Unrichtigkeit des Urteils zu berücksichtigen, schon bevor dieses gemäß § 319 ZPO berichtigt wird. Nur ausnahmsweise beginnt eine neue Rechtsmittelfrist mit der Bekanntmachung des [X.] zu laufen, nämlich dann, wenn das Urteil insgesamt nicht klar genug war, um die Grundlage für die Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels sowie für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu bilden. Das ist etwa der Fall, wenn erst die berichtigte Entscheidung die Beschwer erkennen lässt oder ergibt, dass die Entscheidung überhaupt einem Rechtsmittel zugänglich ist (Senatsurteil vom 5. Mai 1993 - [X.] - FamRZ 1993, 1424, 1425 mwN). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Berufungsfrist begann folglich mit der Zustellung des [X.] am 17. Dezember 2014 und endete mit dem 19. Januar 2015. [X.] ist nicht fristgemäß eingelegt worden.

7

a) Soweit die Rechtsbeschwerde meint, das nicht berichtigte [X.] habe keine Beschwer der [X.]n und insbesondere nicht erkennen lassen, dass dem [X.] bei der Bezeichnung der Parteirollen ein Fehler unterlaufen sei, trifft dies nicht zu.

8

aa) Das [X.] wies eine Verwechslung der Parteibezeichnungen auf, welche als Schreibfehler im Sinne des § 319 Abs. 1 ZPO zu qualifizieren ist (vgl. [X.] Urteil vom 21. Dezember 2010 - [X.]/07 - NJW 2011, 989 Rn. 6, 9 ff.; [X.] ZPO/[X.] [Stand: 1. Oktober 2016] § 319 Rn. 20). Die Verwechslung der Parteirollen war auch offenbar. Die Unrichtigkeit muss sich nicht unmittelbar aus dem Urteil selbst ergeben. Es ist ausreichend, wenn sie für die Parteien des Rechtsstreits durch die Vorgänge bei Erlass und Verkündung des Urteils anhand der Prozessakten einschließlich der Sitzungsprotokolle nachvollziehbar ist (Senatsbeschluss vom 29. Juni 1994 - [X.] 19/94 - FamRZ 1994, 1520, 1521; [X.]/Musielak 5. Aufl. § 319 Rn. 7).

9

bb) Danach war die Parteiverwechslung für die [X.] unter Hinzuziehung der Akte und des Sitzungsprotokolls erkennbar. Denn es gab nur eine gegen die [X.] geltend gemachte Forderung im Sinne des § 307 ZPO, die von ihr hat anerkannt werden können. Eine Widerklageforderung, bezüglich derer auch die Klägerin ein Anerkenntnis hätte erklären können, war nicht anhängig. Im Sitzungsprotokoll ist die Erklärung eines Anerkenntnisses durch den Prozessbevollmächtigten der [X.]n vermerkt. Das Urteil ist zudem als [X.] bezeichnet worden und die Kostenentscheidung sieht - entsprechend einem Anerkenntnis von [X.]nseite - die Kostentragung durch die [X.] vor.

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf den Antrag im Schriftsatz vom 18. November 2014 bezogen hat, der selbst schon die Parteirollen verwechselte. Denn der Inhalt eines Antrags ist der Auslegung zugänglich, die vom Revisionsgericht ohne Einschränkungen überprüft oder selbst vorgenommen werden kann. Zur Auslegung sind auch die Ausführungen in der Begründung mit heranzuziehen ([X.] Urteil vom 7. März 2013 - [X.] - NJW 2013, 1744 Rn. 23; [X.] ZPO/[X.] [Stand: 1. Oktober 2016] § 253 Rn. 58 mwN). Diese Auslegung ergibt zweifelsfrei, dass die Klägerin die Parteirollen verwechselte und eine Verurteilung der [X.]n anstrebte.

c) Die [X.] hat die Unrichtigkeit auch unzweifelhaft erkannt, da sie sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des [X.] wandte mit dem Argument, sie habe den von der Klägerin erhobenen Anspruch sofort anerkannt, weshalb ihr die Kostenfolge des § 93 ZPO zugutekommen müsse.

d) Wegen der offenbaren und von der [X.]n erkannten Unrichtigkeit des [X.] begann die Frist des § 517 ZPO also bereits mit der am 17. Dezember 2014 erfolgten Zustellung zu laufen, so dass die am 20. Februar 2015 eingegangene Berufung verspätet und damit unzulässig war.

e) Ohne Erfolg macht die [X.] ferner geltend, ihre Berufung hätte noch als eine wirksame Anschlussberufung „gewertet“ werden können. Denn selbst wenn man ihre Berufungsbegründung als Anschlussberufung hätte auslegen oder umdeuten können, konnte eine Anschlussberufung mangels Existenz einer (Haupt-)Berufung nicht mehr wirksam erhoben werden, § 524 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Nachdem das [X.] das Rubrum des [X.] rechtskräftig berichtigt hatte, war die Beschwer für die Klägerin nachträglich weggefallen. In einem solchen Fall der prozessualen Überholung durfte sie ihr Rechtsmittel für erledigt erklären (vgl. [X.]/[X.] 5. Aufl. § 91a Rn. 110 ff.; [X.] ZZP 1984, 215 f.). Dadurch war eine die Rechtsstellung der [X.]n verschlechternde Sachentscheidung über die Hauptberufung ausgeschlossen, so dass eine unterstellte Anschlussberufung analog § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung verloren hätte (vgl. [X.] ZPO 22. Aufl. § 524 Rn. 55; Prütting/Gehrlein/[X.] ZPO 8. Aufl. 2016 § 524 Rn. 25, 29; [X.]/[X.] ZPO 6. Aufl. § 524 Rn. 17).

Dose                           [X.]                           Nedden-Boeger

               [X.]

Meta

XII ZB 275/15

09.11.2016

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Zweibrücken, 7. Mai 2015, Az: 8 U 4/15

§ 319 ZPO, § 517 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2016, Az. XII ZB 275/15 (REWIS RS 2016, 2685)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 336 REWIS RS 2016, 2685

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Erledigung einer Berufung nach Berichtigungsbeschluss


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