Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 24.01.2022, Az. 1 BvR 2380/21, 1 BvR 2449/21

1. Senat | REWIS RS 2022, 1840

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Verbot der Anwendung von Humanhomöopathika durch Tierheilpraktiker erfolglos


Tenor

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt.

Gründe

1

Die Beschwerdeführerinnen wenden sich mit ihren Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und den damit verbundenen [X.] als praktizierende Tierheilpraktikerinnen mit dem Therapieschwerpunkt Klassische Homöopathie gegen § 50 Abs. 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Tierarzneimitteln und zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Tierarzneimittel (Tierarzneimittelgesetz - T[X.]) vom 27. September 2021 ([X.]), der zum 28. Januar 2022 in [X.] treten soll.

2

1. Die Klassische Homöopathie ist eine Behandlungsmethode aus dem Bereich der Alternativmedizin. Ihr liegt die Überzeugung zugrunde, dass ein bestimmter Stoff, der in höherer Konzentration an Gesunden ähnliche Symptome hervorruft wie die Krankheit, in geringerer Konzentration heilende Wirkungen entfaltet. Um toxische Wirkungen auszuschließen, kommen sogenannte Hochpotenzen mit einem [X.] von 1/10.000 (Arzneimittel-Urtinktur/Fertigprodukt) zur Anwendung, welche die Selbstheilungskräfte des Organismus anstoßen sollen. Die zur Anwendung in der Klassischen Homöopathie vorgesehenen Arzneimittel lassen sich weder einem bestimmten Anwendungsgebiet noch einer bestimmten Indikation zuordnen. Vielmehr wird jeweils auf der Grundlage einer Anamnese im Einzelfall ermittelt, welches homöopathische Arzneimittel in welcher Dosierung eingesetzt werden soll (vgl. zum Ganzen: [X.]/[X.], in: [X.]/[X.]/Fleischfresser, [X.], 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 10-49; [X.], Alternativmedizin, 2017, S. 29-31).

3

Die im [X.] verfügbaren Homöopathika ermöglichen kein Arbeiten nach den Prinzipien der Klassischen Homöopathie. Tierheilpraktikerinnen und Tierheilpraktiker, die - wie die Beschwerdeführerinnen - ihre tierischen Patienten im Wege der Klassischen Homöopathie behandeln, greifen daher auf [X.] zurück.

4

2.a) Nach bisheriger und bis zum Ablauf des 27. Januar 2022 geltender Rechtslage ist auch Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind, die Anwendung nicht-verschreibungspflichtiger Humanarzneimittel bei Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, gestattet. Dies ergibt sich - im Umkehrschluss - aus § 57a, § 58 Abs. 1 [X.] ([X.]). Verschreibungspflichtig sind grundsätzlich Arzneimittel, welche die in der Anlage 1 zur Arzneimittelverschreibungsverordnung ([X.]) bestimmten Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen enthalten (vgl. § 1 [X.]). Nach § 5 [X.] gilt dies allerdings nicht für Arzneimittel, die nach einer homöopathischen Verfahrenstechnik hergestellt sind, wenn die Endkonzentration dieser Arzneimittel im Fertigprodukt die vierte [X.] nicht übersteigt, also das Fertigprodukt nicht mehr als 1/10.000 der Arzneimittel-Urtinktur enthält. Diese Voraussetzung erfüllen registrierte [X.] (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 5b [X.]), welche die Beschwerdeführerinnen ausschließlich anwenden.

5

b) Ab dem 28. Januar 2022 gilt in der [X.] ([X.]) 2019/6 des [X.] und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/[X.]. Dies veranlasste den [X.] Gesetzgeber, ein Tierarzneimittelgesetz als eigenständiges Stammgesetz zur Durchführung der Verordnung ([X.]) 2019/6 zu erlassen und im [X.] die bisher dort auf Tierarzneimittel bezogenen Regelungen zum 28. Januar 2022 aufzuheben.

6

Der angegriffene § 50 Abs. 2 T[X.], der am 28. Januar 2022 in [X.] treten soll, hat folgenden Wortlaut:

Tierhalterinnen und Tierhalter sowie andere Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind, dürfen verschreibungspflichtige Tierarzneimittel und veterinärmedizintechnische Produkte sowie Arzneimittel nach § 2 Absatz 1, 2 und 3a des [X.]es bei Tieren nur anwenden, soweit

1. diese von einer Tierärztin oder einem Tierarzt verschrieben oder abgegeben worden sind, bei der oder dem sich die Tiere in Behandlung befinden, und

2. die Anwendung gemäß einer tierärztlichen Behandlungsanweisung, die die Tierärztin oder der Tierarzt für den betreffenden Fall ausgehändigt hat, erfolgt.

7

§ 2 [X.] ("Arzneimittelbegriff"), auf den die angegriffene Norm verweist, hat in der ab dem 28. Januar 2022 gültigen Fassung folgenden Wortlaut:

(1)

1. die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder

2. die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder

a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder

b) eine medizinische Diagnose zu erstellen.

(2) Als Arzneimittel gelten Gegenstände, die ein Arzneimittel nach Absatz 1 enthalten oder auf die ein Arzneimittel nach Absatz 1 aufgebracht ist und die dazu bestimmt sind, dauernd oder vorübergehend mit dem menschlichen Körper in Berührung gebracht zu werden.

(3) Arzneimittel im Sinne dieses Gesetzes sind nicht

1. - 8. …

(3a) Arzneimittel sind auch Erzeugnisse, die Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen sind oder enthalten, die unter Berücksichtigung aller Eigenschaften des Erzeugnisses unter eine Begriffsbestimmung des Absatzes 1 fallen und zugleich unter die Begriffsbestimmung eines Erzeugnisses nach Absatz 3 fallen können.

(4) …

8

Nach § 4 Abs. 26 [X.] sind auch [X.] Arzneimittel im Sinne des [X.]es und fallen daher unter die angegriffene Vorschrift des § 50 Abs. 2 T[X.].

9

Zweck der angegriffenen Regelung ist ausweislich der Gesetzentwurfsbegründung die Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus bei der Anwendung von Tier- und Humanarzneimitteln bei Tieren, weil diese Auswirkungen auf die Lebensmittelkette, die Beschaffenheit von Lebensmitteln tierischen Ursprungs, die Umwelt, die Tiergesundheit und über die Entstehung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen auch auf die öffentliche Gesundheit haben könne (vgl. BTDrucks 19/28658, [X.], 128).

3. Die Beschwerdeführerinnen tragen vor, dass sie seit vielen Jahren hauptberuflich als Tierheilpraktikerinnen arbeiten und vor allem Hunde, Katzen und Pferde, zum Teil auch [X.]tiere behandeln. Mit den Einnahmen aus ihrer Praxistätigkeit bestritten sie jedenfalls einen Großteil ihres Lebensunterhalts. Sie arbeiteten therapeutisch ausschließlich oder nahezu ausschließlich klassisch homöopathisch unter Verwendung [X.] registrierter [X.]. Die Beschwerdeführerin zu I[X.]) gibt an, dass sie daneben privat zwei Hunde und zwei Pferde hält, die sie als Tierhalterin bei Bedarf mit diesen Arzneimitteln behandelt.

4. Die Beschwerdeführerinnen zu [X.]) rügen eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit, die Beschwerdeführerin zu I[X.]) zusätzlich eine Verletzung von [X.]. 3 Abs. 1 GG und - als Tierhalterin - eine Verletzung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit, soweit die angegriffene Norm Tierheilpraktikerinnen und Tierheilpraktikern sowie Tierhalterinnen und Tierhaltern untersagt, insbesondere nicht-verschreibungspflichtige und zugleich registrierte [X.] bei Tieren anzuwenden, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen.

Die Verordnung ([X.]) 2019/6 schreibe keinen [X.] für homöopathische Humanarzneimittel vor. Die Regelung des § 50 Abs. 2 T[X.] sei unionsrechtlich daher nicht geboten gewesen. Der [X.] sei nicht geeignet, das Tierwohl oder den Gesundheitsschutz von Menschen zu verbessern, denn es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Anwendung von Homöopathika schädlich sein könnte. [X.] seien deshalb bei Menschen ohne ärztliche Anordnung oder Aufsicht frei anwendbar, auch bei Kindern, Säuglingen und pflegebedürftigen Personen. Deshalb sei die Einbeziehung registrierter [X.] in den Anwendungsbereich des [X.]s auch nicht erforderlich; andere nicht-verschreibungspflichtige Humanarzneimittel (z.B. bestimmte Schmerzmittel), die am [X.] und Schäden hervorrufen könnten, sollten dagegen durchaus unter den [X.] fallen. Es sei ferner nicht erforderlich, Tierheilpraktiker dem Verbot zu unterwerfen, weil ihnen eine besondere Sachkunde zukomme, aufgrund ihrer Spezialisierung sogar bessere Sachkunde als Tierärzten. Mildere Mittel seien in jedem Fall ein [X.] nur in Bezug auf Tiere, die der [X.] dienten, oder die Einführung eines Sachkundenachweises für Tierheilpraktiker. Der Eingriff sei schließlich aufgrund seiner besonderen Schwere und seiner Wirkung als Berufsverbot nicht angemessen. Das Gesetz sehe keine Ausnahme- und Übergangsregelungen vor.

Die Beschwerdeführerin zu I[X.]) rügt ferner eine Verletzung von [X.]. 3 Abs. 1 GG. Die angegriffene Norm bedeute eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber der freien Anwendbarkeit von [X.] an Menschen und gegenüber Humanheilpraktikern, die bei ihren Patienten Homöopathika anwenden dürften. Eine Gleichbehandlung ohne sachlich rechtfertigenden Grund bestehe darin, dass die Anwendung von [X.] auf nicht der [X.] dienende Tiere und auf solche, die der [X.] dienten, ohne Unterschied dem [X.] unterfalle.

Sie sei darüber hinaus in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit ([X.]. 2 Abs. 1 GG) betroffen, weil sie als Tierhalterin ihre Hunde und Pferde nicht mehr homöopathisch behandeln dürfe. Auch dieser Eingriff sei unverhältnismäßig, weil keine schädlichen Wirkungen der Anwendung von Homöopathika bekannt seien.

1. Zu den Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben die Bundesregierung durch das [X.] sowie die [X.] Stellung genommen.

a) Das [X.] meint, den Beschwerdeführerinnen fehle bereits die Beschwerdebefugnis, weil sie auch nach derzeit geltendem Recht bei Tieren keine [X.] anwenden dürften. Schon nach § 56a Abs. 1 und 2 [X.] sei die Umwidmung eines Humanarzneimittels zur Anwendung bei einem Tier nur Tierärzten und auch diesen nur im Fall eines sogenannten Therapienotstandes gestattet. Nachdem sich die Beschwerdeführerinnen in der Sache also gegen § 56a Abs. 1 und 2 [X.] wendeten, seien die [X.] verfristet.

Hinzu komme, dass § 50 Abs. 2 T[X.] der Durchführung der [X.]. 112 ff. VO ([X.]) 2019/6 diene. Die angegriffene Norm sei daher am Unionsrecht zu messen. Unabhängig davon könnten die Beschwerdeführerinnen aber jedenfalls im Hinblick auf [X.]. 12 Abs. 1 GG kein schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch nehmen, weil ihre Tätigkeit schon bislang nicht erlaubt gewesen sei. Angesichts der bereits am 7. Januar 2019 bekanntgemachten [X.]. 112 ff. VO ([X.]) 2019/6 hätten sie auch mit einer Neuregelung rechnen müssen. Die angegriffene Norm sei keine Berufswahlregelung, sondern eine bloße Berufsausübungsregelung; sie mache die Tätigkeit des [X.] nicht unmöglich. Selbst wenn § 50 Abs. 2 T[X.] eine bislang erlaubte Tätigkeit der Beschwerdeführerinnen einschränke, sei dies gerechtfertigt, denn die Vorschrift diene dem legitimen Zweck des Tierschutzes und dem Schutz der öffentlichen Gesundheit. Die behauptete Verletzung des Gleichheitssatzes könne nicht nachvollzogen werden. [X.]. 2 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil die Anwendung von [X.] bei Tieren durch Tierhalter bereits nach geltendem Recht untersagt sei.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung lägen nicht vor. Die [X.] seien offensichtlich unbegründet. Jedenfalls falle eine Abwägung zulasten der Beschwerdeführerinnen aus, denn die von § 50 Abs. 2 T[X.] untersagte Umwidmung einstweilen zu gestatten, würde zu einer gefährlichen Regelungslücke führen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung würde zudem der Verordnung ([X.]) 2019/6 im Hinblick auf deren [X.]. 112 ff. ihren Geltungsanspruch versagen und daher dem Wohl des Bundes Nachteile zufügen.

b) Die [X.] weist darauf hin, dass § 50 Abs. 2 T[X.] entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen nicht gänzlich verzichtbar sei. Insbesondere eine Beibehaltung des Verbots der Anwendung von [X.] durch Personen, die nicht Tierärzte seien, bei Tieren, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienten, sei dringend geboten. Hingegen könne die bisherige Rechtslage (vor Geltungsbeginn des neu geschaffenen [X.]) zur Anwendung von [X.] bei anderen Tieren beibehalten werden.

2. In ihren Erwiderungen führen die Beschwerdeführerinnen ergänzend aus, das bereits nach bisherigem Recht in § 56a Abs. 1 Nr. 3 [X.] geregelte Umwidmungsverbot gelte nur für Tierärzte und sei zudem nicht auf Homöopathika anwendbar, was sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 56a Abs. 2 Satz 5 [X.] ergebe.

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben keinen Erfolg.

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache zu entscheidende Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 140, 99 <106 Rn. 11>; 143, 65 <87 Rn. 35>; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das [X.] im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 140, 99 <106 Rn. 11>; 143, 65 <87 Rn. 35>; [X.], Beschluss des [X.] vom 15. April 2021 - 2 BvR 547/21 -, Rn. 73, jeweils m.w.N.; stRspr).

2. Die [X.] sind weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet.

a) Die Beschwerdeführerinnen sind durch die angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen (vgl. dazu [X.] 125, 39 <73>; 129, 78 <91>; 138, 64 <85 Rn. 61>). Die angegriffene Norm tritt zwar erst zum 28. Januar 2022 in [X.]. Es ist aber bereits aktuell klar abzusehen, dass sie von der Norm betroffen sein werden, was für eine gegenwärtige Betroffenheit ausreicht (vgl. [X.] 97, 157 <164>; 102, 197 <207>; 110, 141 <151 f.>; 114, 258 <277>; stRspr). Die [X.] genügen zudem den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] abgeleiteten Anforderungen an ihre Begründung jedenfalls im Hinblick auf die als verletzt gerügten [X.]. 12 Abs. 1 und [X.]. 2 Abs. 1 GG.

b) Die [X.] wahren auch den Grundsatz der Subsidiarität, § 90 Abs. 2 [X.].

aa) Beschwerdeführende müssen bei gesetzesunmittelbaren [X.] zwar zunächst im Rahmen des ihnen Zumutbaren versuchen, Rechtsschutz durch die Fachgerichte zu erlangen (vgl. [X.] 143, 246 <321 Rn. 209>). Anders verhält es sich jedoch, soweit die Beurteilung einer angegriffenen Norm ausschließlich spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, die das [X.] zu beantworten hat, ohne dass von einer vorausgegangenen fachgerichtlichen Prüfung verbesserte Entscheidungsgrundlagen zu erwarten wären; einer vorangehenden fachgerichtlichen Entscheidung bedarf es dann nicht (vgl. [X.] 143, 246 <322 Rn. 211>; 150, 309 <327 Rn. 44>; stRspr).

bb) So liegt es hier. Die angegriffene Norm enthält keine auslegungsbedürftigen und auslegungsfähigen Rechtsbegriffe und wirft allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen auf. Bereits ihr eindeutiger Wortlaut legt nahe, dass von dem [X.] ausnahmslos alle Humanarzneimittel nach § 2 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3a [X.] erfasst sind, worunter nach § 4 Abs. 26 [X.] auch registrierte [X.] fallen. Dieses Normverständnis wird durch die Gesetzentwurfsbegründung bestätigt (vgl. BTDrucks 19/28658, [X.]) und von der Literatur geteilt (vgl. [X.], [X.], 234 <239 f.>). Auch die Bundesregierung und die [X.] stimmen in ihren Stellungnahmen darin überein.

c) Die Einlegungsfrist ist gewahrt.

Nach § 93 Abs. 3 [X.] ist die Verfassungsbeschwerde innerhalb eines Jahres seit In-[X.]-Treten der angegriffenen Norm einzulegen (vgl. [X.] 76, 107 <115 f.>; 79, 127 <142>; 107, 1 <8>). Eine Verfristung käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber - wie die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme meint - einen bislang bereits in § 56a Abs. 1 und 2 [X.] geregelten [X.] in Bezug auf die Anwendung registrierter [X.] bei Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, im Wege der Verabschiedung des § 50 Abs. 2 T[X.] lediglich im Sinne einer Bestätigung erneut in seinen Willen aufgenommen hätte (vgl. [X.] 11, 255 <259 f.>; 137, 108 <139 Rn. 70>; stRspr). Dies ist jedoch nicht der Fall. § 56a [X.] ("Verschreibung, Abgabe und Anwendung von Arzneimitteln durch Tierärzte") stellt nur Gebote für Tierärzte auf, während § 57a [X.] ("Anwendung durch Tierhalter") Gebote für die Anwendung von Arzneimitteln im Hinblick auf Personen normiert, die wie die Beschwerdeführerinnen keine Tierärztinnen oder Tierärzte sind (vgl. [X.]/[X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 2. Aufl. 2016, § 56a Rn. 1, 4 und 16; [X.], in: [X.]/[X.]/Fleischfresser, [X.], 3. Aufl. 2020, § 38 Rn. 2, 15 f. und 29; [X.], in: [X.]/v. [X.]/[X.]/[X.], Pharmarecht, 2014, S. 155 f.; [X.], [X.], 5. Aufl. 2020, § 56a Rn. 1; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 135. EL 2019, § 56a [X.] Anm. 1.0; s.a. Beschlussempfehlung und Bericht des [X.] zum Entwurf eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des [X.]es, BTDrucks 17/4720, S. 7).

Damit ist die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 [X.] eingehalten. Die Beschwerdeführerinnen greifen nicht einen bereits für ihre Tätigkeit geltenden [X.] an, sondern dessen erstmalige Einführung mit § 50 Abs. 2 T[X.]. Diese Norm soll erst am 28. Januar 2022 in [X.] treten.

d) Die [X.] sind im Hinblick auf [X.]. 12 Abs. 1 und [X.]. 2 Abs. 1 GG auch nicht offensichtlich unbegründet.

aa) Die von den Beschwerdeführerinnen ausgeübte Tätigkeit als Tierheilpraktikerinnen unterfällt, weil sie auf Dauer zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage angelegt ist, dem Schutzbereich des [X.]. 12 Abs. 1 GG. Dass es sich nicht um einen staatlich anerkannten Beruf handelt, ist für den Schutz durch [X.]. 12 Abs. 1 GG nicht von Bedeutung (vgl. [X.] 141, 121 <130 f. Rn. 34>; 155, 238 <276 Rn. 92>; m.w.N.).

bb) In [X.]. 12 Abs. 1 GG darf nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden (vgl. [X.] 141, 82 <98 Rn. 47 m.w.N.>; 145, 20 <67 Rn. 121>; stRspr). Der Eingriff muss einem legitimen Zweck dienen und geeignet sowie erforderlich sein, diesen Zweck zu erreichen; ferner darf er die Grundrechtsträger nicht in unzumutbarer Weise belasten (vgl. [X.] 155, 238 <278 Rn. 99>; s.a. [X.] 141, 121 <133 Rn. 40>; 145, 20 <67 Rn. 121>; stRspr). Ob § 50 Abs. 2 T[X.] diesen Anforderungen entspricht, bedarf der Überprüfung im [X.]. Insbesondere wird zu klären und zu prüfen sein, ob und inwieweit die angegriffene Regelung gegenüber den Beschwerdeführerinnen als geeignete und erforderliche Maßnahme gerechtfertigt werden kann, um die mit dem Gesetz verfolgten Zwecke zu erreichen.

cc) [X.] gilt, soweit sich die Beschwerdeführerin zu I[X.]) als Tierhalterin gegen § 50 Abs. 2 T[X.] wendet, im Hinblick auf [X.]. 2 Abs. 1 GG.

3. Allerdings haben die Beschwerdeführerinnen keine für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe von ganz besonderem Gewicht substantiiert dargelegt.

a) Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, gelten dafür besonders hohe Hürden (vgl. [X.] 140, 99 <106 f. Rn. 12>; stRspr). Das [X.] darf von seiner Befugnis, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen oder bereits das In-[X.]-Treten eines Gesetzes vorläufig zu unterbinden, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, weil dies einen erheblichen Eingriff in die originäre Zuständigkeit des Gesetzgebers darstellt (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 15. April 2021 - 2 BvR 547/21 -, Rn. 67; Beschluss des [X.] vom 5. Mai 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 20; stRspr). Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen, so müssen sie, wenn beantragt ist, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, darüber hinaus ganz besonderes Gewicht haben und in Ausmaß und Schwere deutlich die Nachteile überwiegen, die im Falle der vorläufigen Außerkraftsetzung eines sich als verfassungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten (vgl. [X.] 122, 342 <361 f.>; 140, 99 <107 Rn. 12>; [X.], Beschluss des [X.] vom 15. April 2021 - 2 BvR 547/21 -, Rn. 67 m.w.N.; stRspr). Insoweit ist von entscheidender Bedeutung, ob die Nachteile irreversibel oder auch nur sehr erschwert revidierbar sind, um das [X.] durchschlagen zu lassen (vgl. [X.] 118, 111 <123>; 140, 211 <219 f. Rn. 13>; stRspr), oder ob sie in der [X.] zwischen dem In-[X.]-Treten eines Gesetzes und der Entscheidung des [X.]s in der Hauptsache sehr schwer wiegen (vgl. [X.] 108, 45 <50>; 131, 47 <61 ff.>; dazu auch [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 13. Mai 2015 - 1 BvQ 9/15 -, Rn. 20; Beschlüsse der [X.] des [X.] vom 25. Februar 2019 - 1 BvR 842/17 -, Rn. 7; vom 10. März 2020 - 1 BvQ 15/20 -, Rn. 21; vom 28. Oktober 2020 - 1 BvR 972/20 -, Rn. 11; vom 29. Dezember 2020 - 1 [X.]/20 u.a. -, Rn. 10).

Dieser äußerst strenge Maßstab verlangt nicht nur eine besondere Schwere der Nachteile, die entstehen, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, sondern stellt auch sehr hohe Anforderungen an die nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] gebotene Begründung des Antrags, dass solche Nachteile zu gewärtigen sind (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 13. Mai 2015 - 1 BvQ 9/15 -, Rn. 20 m.w.N.). Insoweit bedarf es in tatsächlicher Hinsicht zumindest im Sinne einer Plausibilitätskontrolle nachvollziehbarer individualisierter und konkreter Darlegungen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 28. Oktober 2020 - 1 BvR 972/20 -, Rn. 12). Fehlt es daran, kommt es auf eine Folgenabwägung nicht an (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2756/20 u.a. -, Rn. 4; Beschluss der [X.] des [X.] vom 29. Dezember 2020 - 1 [X.]/20 u.a. -, Rn. 11).

b) Die von den Beschwerdeführerinnen als Tierheilpraktikerinnen vorgetragenen Nachteile sind zwar gewichtig, genügen gemessen an diesen strengen Voraussetzungen für sich genommen jedoch nicht, um die Dringlichkeit einer Eilentscheidung gegen ein Gesetz zu begründen.

Die Beschwerdeführenden legen nicht hinreichend dar, dass ihre möglicherweise in der begrenzten [X.] bis zur Entscheidung in der Hauptsache eintretenden beruflichen Nachteile irreversibel oder auch nur sehr erschwert revidierbar sind oder sonst sehr schwer wiegen. So arbeitet die Beschwerdeführerin zu [X.]1) auch als "Human-Heilpraktikerin" und behandelt zu etwa einem Drittel ihrer Tätigkeit auch Menschen, woraus sie jedenfalls einen Teil ihres Einkommens erzielt. Die Beschwerdeführerin zu [X.]3) bestreitet ihren Lebensunterhalt nicht allein aus den Einnahmen aus ihrer beruflichen Tätigkeit. Alle Beschwerdeführerinnen zu [X.]) üben zudem neben ihrer Praxis Tätigkeiten aus, die sie auch bei Geltung der angegriffenen Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache fortführen können. Sie tragen selbst vor, es sei lediglich "unklar", ob die sich aus einer vorübergehenden Unterbrechung ihrer Tätigkeit als Tierhomöopathinnen ergebenden Nachteile wieder rückgängig zu machen seien. Dies gilt auch für die Beschwerdeführerin zu I[X.]). Sie ist ausgebildete Tierheilpraktikerin und generiert einen Teil ihres Einkommens auch aus dem Einsatz anderer Behandlungsmethoden. Sie ist daher nicht auf die Behandlung von Tieren mit [X.] beschränkt, sondern kann auch andere Therapieansätze anwenden. Die Beschwerdeführerin müsste daher die bisher ihre Lebensgrundlage bildende Tätigkeit bis zu der Entscheidung in der Hauptsache nicht vollständig aufgeben und wäre innerhalb dieses [X.]raums auch nicht zum Aufbau einer neuen, auf anderen beruflichen Voraussetzungen beruhenden Existenz gezwungen (vgl. dazu [X.] 25, 367 <370>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 13. Mai 2015 - 1 BvQ 9/15 -, Rn. 27). Das bislang beruflich erworbene Wissen und ihre spezifischen Berufserfahrungen kann sie weiterhin verwerten. Wirtschaftliche Nachteile, die Einzelnen durch den Vollzug eines Gesetzes entstehen, sind daneben grundsätzlich nicht geeignet, die Aussetzung der Anwendung von Normen zu begründen (vgl. [X.] 6, 1 <6>; 7, 175 <179, 182 f.>; 14, 153; 20, 363 f.; dazu auch [X.]K 7, 188 <191 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 28. Oktober 2020 - 1 BvR 972/20 -, Rn. 18).

c) Soweit die Beschwerdeführerin zu I[X.]) geltend macht, sie sei auch in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen, weil sie als Tierhalterin ihre Hunde und Pferde nicht mehr homöopathisch behandeln dürfe, legt sie keine gewichtigen Nachteile dar. Es ist nicht ersichtlich, dass die Tiere bei Bedarf bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht auf andere (schulmedizinische oder alternativmedizinische) Weise von anderen auf dem Gebiet der Tierheilkunde tätigen Personen oder einem Tierarzt behandelt werden könnten.

4. Da es hier bereits an der Darlegung von Nachteilen von ganz besonderem Gewicht fehlt, kommt es auf eine Folgenabwägung nicht an.

Meta

1 BvR 2380/21, 1 BvR 2449/21

24.01.2022

Bundesverfassungsgericht 1. Senat

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

nachgehend BVerfG, 29. September 2022, Az: 1 BvR 2380/21, Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, Art 12 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 4 Abs 26 AMG, § 57a AMG, § 57a AMG, Art 112ff EUV 2019/6, § 50 Abs 2 TAMG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 24.01.2022, Az. 1 BvR 2380/21, 1 BvR 2449/21 (REWIS RS 2022, 1840)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1840

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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