Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.01.2018, Az. 9 B 10/17

9. Senat | REWIS RS 2018, 14814

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Gegenstand

Entstehen der Straßenausbaubeitragspflicht bei nachträglicher Widmung einer Straße


Gründe

1

Die [X.]eschwerde, die sich allein auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO stützt, bleibt ohne Erfolg.

2

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von [X.]edeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Die Rüge der Nichtbeachtung von [X.]undesrecht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht vermag die Zulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher [X.]edeutung aufwirft. Die angeblichen bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die einschlägigen landesrechtlichen Regelungen sowie die Entscheidungserheblichkeit ihrer Klärung in dem anhängigen Verfahren sind in der [X.]eschwerdebegründung darzulegen (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 8. Mai 2008 - 6 [X.] - [X.] 421 Kultur- und Schulwesen Nr. 132 Rn. 5 und vom 16. Juli 2013 - 9 [X.] 15.13 - juris Rn. 5).

3

Die Fragen,

ob das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes dem Entstehen einer Abgabe (hier: [X.]) dann entgegensteht, wenn der Sachverhalt (beitragspflichtige Maßnahme), der der Erhebung der Abgabe zugrunde liegt, abgeschlossen ist, ohne dass zu diesem Zeitpunkt der die Abgabepflicht begründende gesetzliche Tatbestand ([X.]estehen einer [X.]aulast) erfüllt ist und die fehlende rechtliche Voraussetzung der Abgabenerhebung (Widmung einer Straße zur öffentlichen Sache) erst nachträglich geschaffen wird,

ob die Auslegung eines das Entstehen einer [X.]eitragsschuld begründenden Rechtssatzes durch ein Gericht dann gegen das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und das objektive Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt, wenn sie über dessen gefestigtes und unter Anwendung klassischer Methoden der Auslegung von Rechtssätzen gewonnenes Verständnis (Zeitpunkt des Abschlusses einer Investitionsmaßnahme) hinausgeht und damit erweiterte Abgabenpflichten begründet, sowie

in welchem Umfang auch die Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes Einschränkungen erfährt,

4

rechtfertigen danach nicht die Zulassung der Revision. Sie zielen auf die Vereinbarkeit der Auslegung des Landesrechts durch das [X.]erufungsgericht mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip unter dem Gesichtspunkt des [X.] und des Grundsatzes des Vertrauensschutzes sowie mit dem Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG. Der [X.]eschwerdebegründung ist aber nicht zu entnehmen, inwieweit die Rechtssache in diesem Zusammenhang bisher ungeklärte Fragen des Verständnisses dieser Verfassungsbestimmungen und -grundsätze aufwirft. Darüber hinaus lassen sich die genannten Fragen, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf, aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung des [X.]undesverfassungs- und des [X.]undesverwaltungsgerichts beantworten.

5

Das [X.]erufungsgericht hat das nicht revisible (§ 137 Abs. 1 VwGO) Landesrecht dahin ausgelegt, dass auch eine erst nach Abschluss der [X.] erfolgte Widmung die Straßenausbaubeitragspflicht entstehen lassen kann. Soweit der [X.]eschwerdeführer mit der zweiten und dritten Frage letztlich rügt, das Gericht habe hierbei gegen das Rechtsstaatsprinzip und das Willkürverbot verstoßen, führt sein Vortrag auch insoweit zu der mit der ersten Frage aufgeworfenen Grundsatzrüge, welche Grenzen Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG der [X.]eitragserhebung setzt. Dem Rechtsstaatsprinzip sind indes keine Vorgaben zu entnehmen, in welcher Reihenfolge die Voraussetzungen für die Entstehung der sachlichen [X.]eitragspflicht erfüllt werden müssen. Es lässt danach - etwa im Erschließungsbeitragsrecht (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 14. Juni 1968 - 4 [X.] 65.66 - [X.] 406.11 § 127 [X.][X.]auG Nr. 3 S. 7 und vom 12. Dezember 1969 - 4 [X.] 100.68 - [X.] 406.11 § 133 [X.][X.]auG Nr. 34 S. 10, [X.]eschluss vom 29. Oktober 1997 - 8 [X.] 194.97 - NVwZ-RR 1998, 513) - Raum dafür, dass die [X.]eitragspflicht auch bei einer technisch bereits fertiggestellten Anlage erst mit der nachträglichen Widmung entsteht (ebenso für das Ausbaubeitragsrecht: [X.], Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 31 Rn. 3 m.w.N.).

6

Das Rechtsstaatsprinzip verbietet jedoch in seiner Ausprägung als Gebot der [X.]elastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten heranzuziehen. Es verpflichtet deshalb den Gesetzgeber, sicherzustellen, dass [X.]eiträge, die einen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils schaffen sollen, zeitlich nicht unbegrenzt festgesetzt werden können. Im Rahmen des danach zu schaffenden Ausgleichs zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an [X.]eiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des [X.]eitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem [X.]eitrag herangezogen werden kann, kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Er darf indes die Interessen des [X.]ürgers nicht völlig unberücksichtigt lassen und ganz von einer Regelung absehen, die der Erhebung einer Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt. Diese Grundsätze gelten für das gesamte [X.]eitragsrecht (vgl. [X.]VerfG, [X.]eschluss vom 5. März 2013 - 1 [X.]vR 2457/08 - [X.]VerfGE 133, 143 Rn. 42 ff.; [X.]VerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 9 [X.] 19.14 - [X.] 11 Art. 20 GG Nr. 218 Rn. 8 f.).

7

Soweit der Landesgesetzgeber in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 [X.]uchst. [X.]. bb Spiegelstrich 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 KAG [X.]Y angeordnet hat, dass die Ausschlussfrist für die [X.]eitragserhebung 30 Jahre beträgt, erfüllt die - vom [X.]eschwerdeführer allenfalls sinngemäß aufgeworfene - Frage, ob diese Frist in Einklang mit dem Gebot der [X.]elastungsklarheit und -vorhersehbarkeit steht, gleichfalls nicht die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision. Denn im vorliegenden Fall lagen zwischen dem Eingang der letzten Rechnung bei der Klägerin am 17. März 2009 und dem Erlass des angefochtenen [X.]eitragsbescheides am 12. März 2012 weniger als drei Jahre. Innerhalb dieser kurzen Zeitspanne konnte sich ungeachtet der Verfassungsmäßigkeit der vorgenannten Regelungen weder ein schützenswertes Vertrauen entwickeln, für die in den Jahren 2004 bis 2006 durchgeführten Erneuerungsarbeiten nicht mehr zu [X.]eiträgen herangezogen zu werden, noch überschreitet die [X.]eitragserhebung hinsichtlich der Zeitspanne sonst die Grenze des verfassungsrechtlich Zumutbaren (vgl. hierzu [X.]VerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 9 [X.] 19.14 - [X.] 11 Art. 20 GG Nr. 218 Rn. 17).

8

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Meta

9 B 10/17

30.01.2018

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 1. Dezember 2016, Az: 6 BV 16.856, Urteil

Art 20 Abs 3 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 13 Abs 1 Nr 4 Buchst b KAG BY 1993, Art 19 Abs 2 KAG BY 1993

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.01.2018, Az. 9 B 10/17 (REWIS RS 2018, 14814)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 14814

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1 BvR 2457/08

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