Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19.07.2021, Az. 2 BvR 1317/20

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2021, 4004

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung von Art 2 Abs 2 S 2 GG iVm Art 104 Abs 1 GG durch verspätete Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung im Maßregelvollzug - hier: Überschreitung der Jahresfrist des § 67e StGB um drei Monate - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

Der Beschluss des [X.] vom 1. November 2019 - (584 [X.]) 3 [X.] (29208) V (148/19) und (584 [X.]) 2 [X.] (29207) V (385/19) - und der Beschluss des [X.] vom 28. Januar 2020 - 2 Ws 211/19 - 121 [X.]/19 - verletzen den Beschwerdeführer hinsichtlich der Überschreitung der Frist des § 67e Absatz 2 Strafgesetzbuch in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Das [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 (in Worten: zehntausend) Euro festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus.

2

1. Der Beschwerdeführer wurde zunächst durch Urteil des [X.] vom 16. Dezember 1991 unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Daneben wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nachdem er im Juni 1994 aus dem Maßregelvollzug entwichen war, beging er erneut einschlägige Straftaten. Aufgrund dieser wurde er durch Urteil des [X.] vom 5. Dezember 1994 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen sexueller Nötigung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, verurteilt. Wiederum wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Letztgenannte Maßregel wird - mit Unterbrechung zum Vollzug der Maßregel aus dem Urteil des [X.] vom 16. Dezember 1991 zwischen dem 25. Juli 2003 und dem 24. Juli 2007 - seit dem 25. Juli 1997 vollzogen.

3

2. Nachdem das [X.] zuletzt mit Beschluss vom 10. August 2018 die Fortdauer der Unterbringung angeordnet und dort für den nächsten Überprüfungszeitraum die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens für erforderlich gehalten hatte, legte die Staatsanwaltschaft [X.] dem Gericht die Akten mit Verfügung vom 16. April 2019 "zur Prüfung, ob ein externer Gutachtenauftrag zu erteilen" sei, vor. Mit Beschluss vom 7. Mai 2019 wurde die Sachverständige [X.] als externe Gutachterin beauftragt. Das von ihr erstellte Sachverständigengutachten ging beim [X.] am 17. August 2019 ein. Die mündliche Anhörung der Sachverständigen und des Beschwerdeführers fand am 25. Oktober 2019 statt.

4

3. Mit angegriffenem Beschluss vom 1. November 2019 ordnete das [X.] erneut die Fortdauer der Unterbringung an. Hinsichtlich der Überschreitung der Jahresfrist nach § 67e Abs. 2 StGB führte die Strafvollstreckungskammer aus, bereits bei Eingang der Akten am 17. April 2019 hätten in Betracht kommende Sachverständige, die aufgrund der erhöhten Anzahl notwendiger Gutachten infolge einer Gesetzesreform allgemein überlastet seien, eine Bearbeitungszeit ab dreieinhalb Monate aufwärts gehabt. Das Gutachten sei deshalb erst am 17. August 2019 bei Gericht eingegangen. Anhörungstermin sei, weil an den "Sitzungstagen" zuvor jeweils einer der beiden Wahlverteidiger beziehungsweise in einem Fall die Kammer terminlich verhindert gewesen sei, auf den 27. September 2019 bestimmt worden. Da ein Verteidiger dem Entfallen der Sachverständigenanhörung nicht zugestimmt habe und die Sachverständige verhindert gewesen sei, habe der Anhörungstermin auf den 25. Oktober 2019 als für alle Beteiligten frühestmöglichen Termin verlegt werden müssen.

5

4. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer unter anderem rügte, das [X.] habe trotz der ihm bekannten Jahresfrist seine Überwachungspflicht verkannt, verwarf das [X.] mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 28. Januar 2020 als unbegründet. Dabei führte es aus, die unterbliebene Abkürzung der Frist zur Überprüfung der Maßregel sei trotz der knapp dreimonatigen Überschreitung der Überprüfungsfrist nicht zu beanstanden.

6

5. Mit Beschluss vom 9. Juli 2020 wies das [X.] die daraufhin erhobene Anhörungsrüge, mit der der Beschwerdeführer erneut auf die aus seiner Sicht unzureichende Fristüberwachung und die ungenügende Begründung des [X.]s hinwies, zurück. Ein entscheidungserheblicher Gehörsverstoß sei nicht dargetan. Zur Frage der Fristverkürzung werde von der Anhörungsrüge bloß eine abweichende Ansicht vertreten.

7

6. Die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers wurde zwischenzeitlich erneut mit Beschluss des [X.] vom 12. Februar 2021 angeordnet.

8

Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde insbesondere die Verletzung seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 20 Abs. 3 GG. Zum einen hätten die Voraussetzungen für die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung nicht (mehr) vorgelegen, zum anderen führe auch die Überschreitung der Jahresfrist des § 67e Abs. 2 StGB zu einer Verletzung seines Freiheitsgrundrechts. Die angefochtenen Entscheidungen beruhten auf einer unzureichenden richterlichen Sachaufklärung und wiesen die erforderliche Begründungstiefe nicht auf.

9

Hinsichtlich der knapp dreimonatigen Fristüberschreitung führt der Beschwerdeführer aus, die in der Fortdauerentscheidung des [X.]s hierfür angeführten Gründe genügten den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Ihnen sei nicht zu entnehmen, welche konkreten Bemühungen der Vorsitzende zur Sicherstellung der rechtzeitigen Vorlage des Gutachtens unternommen und ob er dabei auch die Auftragsvergabe an einen auswärtigen Sachverständigen in Betracht gezogen habe. Die mangelnde Verfügbarkeit geeigneter Sachverständiger sei hinlänglich bekannt. Gegebenenfalls sei ein entsprechender Auftrag bereits kurz nach Beschlussfassung für das Folgejahr zu vergeben und nicht erst drei Monate vor Ablauf des Überprüfungszeitraums. Zudem habe ein Verteidiger des Beschwerdeführers bereits im Februar 2019 bei der Strafvollstreckungskammer angeregt, zwecks Einhaltung der Jahresfrist nach § 67e Abs. 2 StGB zeitnah ein externes Gutachten einzuholen. Das [X.] verhalte sich zu alldem nicht.

1. a) Die [X.]er Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung hat von einer Stellungnahme abgesehen.

b) Der [X.] beim [X.] hält die Verfassungsbeschwerde nicht für erfolgversprechend. Die angefochtenen Entscheidungen begegneten auch im Hinblick auf § 67e Abs. 2 StGB trotz der zu späten Beauftragung der Sachverständigen noch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn darauf sei die Überschreitung der Überprüfungsfrist nur teilweise zurückzuführen. Wie das [X.] dargelegt habe, habe sich die Anhörung des Beschwerdeführers deshalb verzögert, weil dessen Verteidiger und die Sachverständige an mehreren Terminstagen verhindert gewesen seien. Solche Verzögerungen, deren Ursachen nicht im Verantwortungsbereich des Gerichts lägen, ließen sich auch bei sorgfältiger Verfahrensführung nicht vermeiden. Dem Beschluss des [X.]s sei zu entnehmen, dass immerhin mehrere Sachverständige angefragt worden seien und nach Vorlage des Prognosegutachtens ein kurzfristiger Anhörungstermin angestrebt worden sei. Dies verdeutliche, dass sich die Strafvollstreckungskammer der Bedeutung des Freiheitsrechts sowie der grundrechtssichernden Funktion der Überprüfungsfrist bewusst gewesen sei und sie deren Überschreitung keineswegs gleichgültig hingenommen habe.

2. Dem [X.] haben die staatsanwaltschaftlichen Akten vorgelegen.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit der Beschwerdeführer eine Überschreitung der Überprüfungsfrist rügt, und gibt ihr insoweit statt, weil dies zur Durchsetzung seines Freiheitsgrundrechts gemäß Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Nach den Maßstäben, die in der Rechtsprechung des [X.]s bereits geklärt sind, ist die Verfassungsbeschwerde in diesem Umfang zulässig und offensichtlich begründet (§ 93b, § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Sie setzt sich mit den angegriffenen Beschlüssen hinsichtlich der [X.] unzureichender Sachaufklärung und fehlender Begründungstiefe nicht in dem gebotenen Umfang auseinander. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer im Umfang der Stattgabe in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG.

1. a) [X.] darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. [X.] 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>). Zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände jedoch auch eine freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung bestimmen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. Mai 2017 - 2 BvR 30/15 -, Rn. 14). Das gilt auch für die Unterbringung eines schuldunfähigen oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters, von dem zukünftig infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, in einem psychiatrischen Krankenhaus nach Maßgabe des § 63 StGB (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 16. August 2017 - 2 BvR 2077/14 -, Rn. 20 m.w.N.).

b) Der Gesetzgeber hat im Hinblick auf das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Untergebrachten für die Vollstreckung dieser Maßregel besondere Regelungen getroffen, die deren Aussetzung zur Bewährung vorsehen, sobald verantwortet werden kann zu erproben, ob der Untergebrachte außerhalb des [X.] keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird (§ 67d Abs. 2 StGB). Die Strafvollstreckungskammer kann die Aussetzungsreife der Maßregel jederzeit überprüfen; sie ist dazu jeweils spätestens vor Ablauf eines Jahres verpflichtet, § 67e Abs. 1 und 2 StGB (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 16. August 2017 - 2 BvR 2077/14 -, Rn. 21).

c) Die Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 2 und Abs. 6, § 67e StGB) dienen der Wahrung des Übermaßverbots bei der Beschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. [X.]K 4, 176 <181>; 5, 67 <68>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 3. Juli 2019 - 2 BvR 2256/17 -, Rn. 40 m.w.N.). Ihre Missachtung kann dieses Grundrecht verletzen, wenn es sich um eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht handelt, die auf eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts schließen lässt (vgl. [X.] 18, 85 <93>; 72, 105 <114 f.>; 109, 133 <163>; [X.]K 4, 176 <181>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 3. Juli 2019 - 2 BvR 2256/17 -, Rn. 40 m.w.N.).

Zwar führt nicht jede Verzögerung des Geschäftsablaufs in Unterbringungs-sachen, die zu einer Überschreitung der einschlägigen [X.] führt, automatisch auch zu einer Grundrechtsverletzung, weil es zu solchen Verzögerungen auch bei sorgfältiger Führung des Verfahrens kommen kann (vgl. [X.]K 4, 176 <181>). Es muss jedoch sichergestellt sein, dass der Geschäftsgang der Kammer in der Verantwortung des Vorsitzenden oder des Berichterstatters eine Fristenkontrolle vorsieht, die die Vorbereitung einer rechtzeitigen Entscheidung vor Ablauf der Jahresfrist sicherstellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene in aller Regel persönlich anzuhören ist und auch für eine sachverständige Begutachtung ausreichend Zeit verbleiben muss, soweit die Kammer eine solche für erforderlich halten sollte. Die gesetzliche Entscheidungsfrist lässt dafür ausreichend Raum (vgl. [X.]K 4, 176 <181>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. Mai 2017 - 2 BvR 30/15 -, Rn. 17; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 3. Juli 2019 - 2 BvR 2256/17 -, Rn. 41). Gründe für eine etwaige Fristüberschreitung sind zur verfahrensrechtlichen Absicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in der Fortdauerentscheidung darzulegen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. Mai 2017 - 2 BvR 30/15 -, Rn. 17; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 3. Juli 2019 - 2 BvR 2256/17 -, Rn. 41).

2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Einhaltung der Überprüfungsfrist bei Entscheidungen, welche die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht.

a) Die Entscheidung des [X.]s über die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers ist nicht innerhalb der von § 67e Abs. 2 StGB vorgegebenen Überprüfungsfrist ergangen. Nach § 67e Abs. 2 Alternative 2 StGB endete angesichts der letzten Fortdauerentscheidung vom 10. August 2018 die Jahresfrist zur Überprüfung der Unterbringung des Beschwerdeführers am 10. August 2019. Das [X.] hat jedoch erst knapp drei Monate später, nämlich am 1. November 2019, die Fortdauer der Unterbringung nach § 63 StGB angeordnet.

b) Die Überschreitung der Überprüfungsfrist beruht maßgeblich auf einer nicht mehr vertretbaren Fehlhaltung gegenüber dem das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers sichernden Verfahrensrecht.

aa) Das [X.] begründet die von ihm konstatierte Überschreitung der Überprüfungsfrist lediglich mit der Dauer der Gutachtenerstellung und den Schwierigkeiten bei der Abstimmung eines zeitnahen Anhörungstermins. Aus der Zusammenschau dieser Begründung und der Verfahrensakte ergibt sich jedoch, dass den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Hinnahme einer Fristüberschreitung vorliegend nicht Rechnung getragen ist.

(1) Es erschließt sich bereits nicht, warum der Auftrag zur Gutachtenerstellung erst am 7. Mai 2019 und damit nur rund drei Monate vor Ablauf des [X.] erging. Aus dem Hinweis des [X.]s, in Betracht kommende Sachverständige hätten bei Eingang der Akten am 17. April 2019 eine Bearbeitungszeit von über dreieinhalb Monaten aufgewiesen, lässt sich ebenso wenig wie aus den Akten ableiten, dass der Geschäftsgang der Kammer eine Fristenkontrolle vorsah, die die Vorbereitung einer rechtzeitigen Entscheidung vor Ablauf der Jahresfrist sicherstellte.

Unklar bleibt, woraus das [X.] die Information zur generellen Bearbeitungsdauer gewonnen hat. Dass es sich neben der bestellten Sachverständigen um andere, gegebenenfalls schneller verfügbare Gutachter bemüht und diese zumindest kontaktiert hat, lässt sich weder seiner Begründung noch den Akten entnehmen. Daneben hat das [X.] nicht dargetan, weshalb es sich angesichts der aus seiner Sicht anzunehmenden Bearbeitungsdauer nicht früher als drei Monate vor Fristablauf um die Bestellung eines Sachverständigen bemüht hat. Ausweislich seines vorangehenden Fortdauerbeschlusses vom 10. August 2018 war es sich bewusst, dass für die nächste turnusmäßige Fortdauerentscheidung die Einholung eines externen Gutachtens nach § 463 Abs. 4 Satz 2 StPO anstand. Mit Schreiben vom 18. Februar 2019 hatte ein Verteidiger des Beschwerdeführers das [X.] zudem nochmals hierauf hingewiesen und angeregt, ein solches Gutachten zeitnah einzuholen, um die Jahresfrist nach § 67e Abs. 2 StGB einzuhalten. Eine gerichtliche Reaktion hierauf blieb freilich aus.

Soweit das [X.] auf die allgemeine Mehrbelastung von psychiatrischen Sachverständigen infolge der Reform des § 463 Abs. 4 StPO verweist, handelt es sich angesichts der Geltung der neugefassten Norm seit 1. August 2016 um keine überraschende Tatsache, die eine frühere Gutachterbestellung hinderte. Ebenso wenig stand einer die Einhaltung der Jahresfrist sichernden, eigenverantwortlichen Verfahrensführung des [X.]s etwa mithilfe von [X.] entgegen, dass die Akten erst am 17. April 2019 wieder beim Gericht eingingen. Außerdem ist nicht ersichtlich, warum das [X.] nach Eingang der Akten nochmals bis zum 7. Mai 2019 zugewartet hat, um die Sachverständige zu beauftragen. Darüber hinaus ist nicht erkennbar, dass das Gericht - sieht man von einem Hinweis auf die Jahresfrist ab - durch Anleitung oder Kontrolle der Sachverständigen auf eine Verkürzung ihrer Bearbeitungszeit hinwirkte.

(2) Im Übrigen wird weder im angegriffenen Beschluss nachvollziehbar dargelegt noch ist sonst ersichtlich, dass die nach Fristablauf eingetretene weitere Verzögerung durch die Terminierung der mündlichen Anhörung auf den 25. Oktober 2019 ganz maßgeblich auf Umstände zurückzuführen ist, die nicht im Verantwortungsbereich des Gerichts lagen und sich auch bei sorgfältiger Verfahrensführung nicht vermeiden ließen.

Der allgemein gehaltene Hinweis des [X.]s, es sei vergeblich versucht worden, mit den Verteidigern des Beschwerdeführers und der Sachverständigen einen zeitnahen Anhörungstermin abzustimmen, wobei dies dadurch erschwert worden sei, dass seitens des Beschwerdeführers kein Verzicht auf die Anhörung der Sachverständigen erklärt worden sei, genügt den der verfassungsrechtlichen Absicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG dienenden Begründungspflichten nicht. Insbesondere wird nicht aufgezeigt, warum die Kammer an einigen Sitzungstagen vor dem 27. September 2019 "terminlich verhindert" und nach Verlegung des anvisierten Termins vom 27. September 2019 erst am 25. Oktober 2019 gemeinsam mit der Verteidigung und der Sachverständigen "verfügbar" war. Auch den Akten lässt sich dies nicht entnehmen. Zudem bot das [X.] den Beteiligten offenbar lediglich seinen stets auf einen Freitag fallenden regelmäßigen "Sitzungstermin" an, ohne die Terminierung an einem anderen Wochentag auch nur zu erwägen. Überdies war mindestens eine Terminverlegung auf Antrag der Verteidigung deshalb notwendig geworden, weil das [X.] die Terminierung zuvor nicht mit allen Beteiligten abgestimmt hatte.

(3) Dass vorangehende Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer die Überprüfungsfrist teils unterschritten haben, ändert an der Grundrechtsverletzung im vorliegenden Überprüfungsverfahren nichts. Wie dargestellt dienen die Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus der Wahrung des Übermaßverbots und sollen daher sicherstellen, dass die Unterbringung bei Eintritt der hierfür einschlägigen Voraussetzungen so schnell wie möglich beendet oder zur Bewährung ausgesetzt wird. Mit diesem Zweck ist nicht zu vereinbaren, Überschreitungen der Prüffrist mit früheren Unterschreitungen zu saldieren.

(4) Es lässt sich nach alledem nicht feststellen, dass es zu der genannten mehrmonatigen Fristüberschreitung trotz sorgfältiger Führung des Verfahrens gekommen ist und sie etwa maßgeblich auf dem Verhalten des Beschwerdeführers oder sonstigen Umständen beruhte, die nicht der Sphäre des [X.]s zugerechnet werden können (vgl. dazu [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 16. August 2017 - 2 BvR 2077/14 -, Rn. 26 ff.).

bb) Das [X.] hat die Grundrechtsverletzung durch die Strafvollstreckungskammer in seinem angegriffenen Beschluss vom 28. Januar 2020 vertieft.

Es hat lediglich die Tatsache der knapp dreimonatigen Fristüberschreitung im Rahmen seiner Erwägungen zur Verkürzung der Überprüfungsfrist festgestellt. Auf die Gründe der Fristüberschreitung und die Frage einer hierdurch bewirkten Grundrechtsverletzung ist es nicht eingegangen, obwohl der Beschwerdeführer mit seiner sofortigen Beschwerde die zur Fristüberschreitung führende unzureichende Wahrnehmung der Prüfungs-, Aufsichts- und Überwachungsfrist durch das [X.] trotz Hinweises der Verteidigung gerügt hatte. Auch im die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss vom 9. Juli 2020 ist das [X.] auf die Gründe der Fristüberschreitung und eine etwaige Grundrechtsverletzung nicht eingegangen, obwohl der Beschwerdeführer dies nochmals angemahnt hatte. Stattdessen scheint das [X.] davon ausgegangen zu sein, dass die Beanstandungen der Anhörungsrüge zur Prüffrist sich allein auf die Frage der Fristverkürzung bezogen.

Demgemäß ist festzustellen, dass die angegriffenen Beschlüsse des [X.] vom 1. November 2019 und des [X.]s vom 28. Januar 2020 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG verletzen. Einer Aufhebung der Beschlüsse bedarf es hingegen nicht, da sie durch die erneute Anordnung der Fortdauer der Unterbringung durch den Beschluss des [X.] vom 12. Februar 2021 zum einen prozessual überholt sind (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 20. November 2014 - 2 BvR 2774/12 -, juris, Rn. 51; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. Mai 2017 - 2 BvR 30/15 -, Rn. 23) und zum anderen die festgestellte Grundrechtsverletzung den sachlichen Inhalt der angegriffenen Entscheidungen nicht berührt (vgl. [X.] 38, 32 <34>; 89, 381 <394>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 16. August 2017 - 2 BvR 2077/14 -, Rn. 33).

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 [X.], die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.

Meta

2 BvR 1317/20

19.07.2021

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend KG Berlin, 28. Januar 2020, Az: 2 Ws 211/19 - 121 AR 307/19, Beschluss

Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 104 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 67e Abs 1 S 2 StGB, § 67e Abs 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19.07.2021, Az. 2 BvR 1317/20 (REWIS RS 2021, 4004)

Papier­fundstellen: NJW 2021, 3041 REWIS RS 2021, 4004


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 Ws 211/19

Oberlandesgericht Karlsruhe, 2 Ws 211/19, 23.07.2019.


Az. 2 BvR 1317/20

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1317/20, 19.07.2021.


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