Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.03.2021, Az. 5 StR 627/19

5. Strafsenat | REWIS RS 2021, 7901

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

STRAFRECHT VERWALTUNGSRECHT ASYL- UND AUSLÄNDERRECHT MIGRATION GUTACHTER AUFENTHALTSRECHT

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafbares Einschleusen von Ausländern: Grundtatbestand und Qualifikation eines lebensgefährdenden Einschleusens von Bootsflüchtlingen aus Syrien über die Türkei in EU-Mitgliedstaaten


Tenor

1. Auf die Revision der Generalstaatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 10. Juli 2019 - unter Aufrechterhaltung der Feststellungen - aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen [X.] in fünf Fällen und versuchten [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil wendet sich die vom [X.] vertretene, zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Generalstaatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Ihr Rechtsmittel erzielt den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.

I.

2

Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Der Angeklagte, ein staatenloser Palästinenser, half im Zeitraum von September 2014 bis Anfang September 2015 in fünf Fällen Bürgerkriegsflüchtlingen aus [X.] bei ihrer illegalen Einreise von der [X.] nach [X.] bzw. [X.]; in einem weiteren Fall versuchte er es. Von dort gelangten die Flüchtlinge jeweils plangemäß, wie der Angeklagte wusste, nach [X.]. Bei den [X.] handelte es sich um palästinensische Landsleute, die - wie er selbst - aus dem umkämpften [X.] Kriegsgebiet [X.] stammten und ihn aufgrund seiner früheren dortigen Tätigkeit in einer Klinik und einer medizinischen Ambulanz kannten. Der Angeklagte hatte selbst im Juli 2013 versucht, aus dem Kriegsgebiet in [X.] heraus über die [X.] in ein Land der [X.] auszuwandern. Dabei war auf der Überfahrt von der [X.] nach [X.] das Boot, auf dem er sich mit 55 anderen Passagieren befunden hatte, in Seenot geraten und gesunken; 44 Menschen waren bei diesem Schiffsunglück ertrunken.

4

Der Angeklagte lebte anschließend in der [X.], wo er für schleusungswillige Landsleute erreichbar war. Nach einer Kontaktaufnahme empfing er die Flüchtlinge persönlich im [X.] Ort [X.], um mit ihnen die Kosten und die Umstände einer Überfahrt auf dem Seeweg von der [X.] nach [X.] oder [X.] zu besprechen. Auf die Gefährlichkeit derartiger Überfahrten wies er dabei stets hin und riet zu dem Erwerb von Rettungswesten. Er vermittelte die Flüchtlinge jeweils an vom [X.] sogenannte „Migrantenmakler“ weiter, die ihrerseits Kontakt zu den [X.] Schleusern hatten, die die Überfahrten organisierten und durchführten. Dabei blieb er für die Flüchtlinge bis zu ihrer Abreise ihr Ansprechpartner und gab ihnen Informationen über Abfahrtszeiten und -orte. Hierbei machte er sich seine Erfahrungen aus der eigenen Schiffsreise im Umgang mit Schleusern zunutze. Für die Fahrt mussten die Flüchtlinge den Schleusern einen Betrag von 5.000 bis 6.000 Dollar bzw. Euro bezahlen. Der Angeklagte, der es ablehnte, von der Notsituation der Flüchtlinge zu profitieren, verlangte und erhielt von ihnen kein Geld für seine Unterstützung. Die von ihm vermittelten Personen reisten nach der Überfahrt, wie von vornherein beabsichtigt, auf dem Landweg innerhalb [X.] illegal nach [X.] ein, wo sie fortan lebten.

5

Im Fall 1 der Urteilsgründe vermittelte der Angeklagte gegen Zahlung des „Fahrpreises“ die Einschiffung von drei Personen, indem er für ihre kurzzeitige Unterbringung in einem Hotel sorgte und sie zusammen mit dem gesamten von ihnen erhaltenen Geld an den „Migrantenmakler“ [X.]übergab. Sie wurden von weiteren Schleusern gemeinsam mit anderen Migranten auf einen Fischkutter verbracht. Der Kutter geriet am 24. Oktober 2014 in Seenot, sodass die insgesamt 222 Insassen durch ein Containerschiff gerettet werden mussten. Die drei durch Vermittlung des Angeklagten geschleusten Personen reisten über [X.] und [X.] am 2. November 2014 unerlaubt in das [X.] ein. Für seinen Dienst erhielt der Angeklagte von [X.]im Nachhinein 500 Euro.

6

Im Fall 2 vermittelte der Angeklagte für einen zu [X.] zunächst dessen Unterbringung in einem Hotel und anschließend seine Übergabe an [X.]  . Der Flüchtling wurde von weiteren Schleusern auf einem mit anderen Passagieren dicht beladenen Zubringerboot, einem Fischkutter, zu einem auf dem offenen Meer liegenden Frachter transportiert. Der Frachter wurde am 18. November 2014 mit insgesamt 564 Migranten von der [X.] aufgebracht. Der durch Vermittlung des Angeklagten [X.] reiste über [X.] und [X.] am 23. November 2014 unerlaubt in das [X.] ein.

7

Im Fall 3 nahm der Angeklagte Anfang 2015 den Auftrag an, einer sechsköpfigen Familie die Überfahrt von der [X.] nach [X.] auf dem Seeweg zu vermitteln. Er brachte die Schleusungswilligen im Januar 2015 zunächst in einem Hotel unter. Da trotz [X.] des Angeklagten die beabsichtigte Überfahrt nach [X.] nicht realisiert werden konnte, wandte sich ein Familienmitglied sodann direkt an einen Schleuser, der die Familie mit einem Schlauchboot nach [X.] brachte, von wo sie über die sogenannte [X.] weiter nach [X.] reiste.

8

Im Fall 4 unterstützte der Angeklagte durch seine Vermittlung an [X.]die Unterbringung seines Auftraggebers auf einem Fischkutter zur Überfahrt nach [X.]. Hierfür zahlte dieser direkt an die Schleuser das Entgelt, zu dem der Angeklagte ihm 500 Euro beisteuerte. Der [X.] reiste über [X.] im Dezember 2014 unerlaubt in das [X.] ein.

9

Im Fall 5 vermittelte der Angeklagte Anfang 2015 eine Schleusungswillige und ihre fünf Kinder an einen „Migrantenmakler“. An Bord eines mit etwa 350 Insassen besetzten [X.] wurde die Familie über das [X.] nach [X.] gebracht. Von dort reiste sie am 21. Juni 2015 unerlaubt in das [X.] ein.

Im Fall 6 hatte der Angeklagte Anfang 2015 der Schwester seiner Schwägerin zunächst zugesagt, ihr mit ihren vier Kindern eine Überfahrt nach [X.] zu vermitteln. Nachdem er sie in einem Hotel untergebracht hatte, scheiterte die Schleusung an einer verstärkten Präsenz der [X.] Küstenwache. Daraufhin vermittelte er sie Anfang September 2015 an Schleuser, die den Transport der fünfköpfigen Familie übernahmen. Als Teil einer aus insgesamt 40 Personen bestehenden Flüchtlingsgruppe wurde sie an die Küste gebracht und mit einem Schlauchboot zur [X.] Insel [X.] gefahren. Von dort reiste die Familie am 10. Oktober 2015 unerlaubt in das [X.] ein.

2. Das [X.] hat in sämtlichen Fällen den Tatbestand des [X.] gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 96 Abs. 4 [X.] als erfüllt angesehen, wobei der Angeklagte im Fall 1 entgeltlich gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a [X.], bei allen Taten wiederholt und in den Fällen 1 und 3 bis 6 zudem zugunsten mehrerer Ausländer gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b [X.] gehandelt habe. Das [X.] eines gewerbsmäßigen [X.] (§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.]) hat es mit der Begründung verneint, der Angeklagte habe nur einmalig im Fall 1 im Nachhinein eine „Dankgabe“ für seine Vermittlung angenommen. Für die übrigen Taten habe er keinen finanziellen Vorteil erhalten oder sich versprechen lassen. Sein Handeln sei allein dadurch bestimmt gewesen, seine Landsleute in der ausweglosen Kriegssituation als staatenlose Palästinenser bei ihrer Flucht nach [X.] zu unterstützen.

Nach Ansicht des [X.]s hat der Angeklagte die [X.]n auch nicht einer das Leben gefährdenden Behandlung ausgesetzt (§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.]). Zwar seien die Überfahrten mit den Schiffen und Booten aufgrund der Beschaffenheit der Schiffe und der Überbesetzung der Fischerboote „auf der Hand liegend lebensgefährliche Unternehmungen“ gewesen. Jeder Überfahrt habe die Gefahr des Ertrinkens innegewohnt und es sei jeweils die Situation einer Seenot entstanden, wenn die Besatzung das Schiff verlassen habe und es herrenlos vor sich [X.] sei. Jedoch habe der Angeklagte auf die Organisation und Durchführung der Überfahrten keinen Einfluss gehabt. Deren Verlauf und der Zustand der Boote hätten nicht in seiner Verantwortung gelegen.

II.

Die Revision der Generalstaatsanwaltschaft, mit der sie geltend macht, dass der Angeklagte nicht wegen des [X.] des gewerbsmäßigen Einschleusens nach § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] verurteilt worden ist, hat zwar nicht mit dieser Begründung Erfolg, führt aber aus anderen Gründen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin weist die Beweiswürdigung zur Frage eines gewerbsmäßigen Handelns des Angeklagten - eingedenk des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsumfangs (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14, [X.], 178, 179) - keinen Rechtsfehler auf.

Das [X.] hat die relevanten Beweisergebnisse in den Blick genommen und vertretbar gewürdigt. Insbesondere hat es sich für seine Überzeugung, dass der Angeklagte kein Entgelt für seinen Vermittlungsdienst erhalten oder verlangt habe, auf die hierzu übereinstimmenden Aussagen sämtlicher Zeugen stützen können, die mit seiner Hilfe geschleust wurden. Soweit die Beschwerdeführerin mit urteilsfremdem Vortrag zu einem Durchschnittseinkommen in der [X.] die Angaben des Angeklagten zu seinen dortigen regulären Monatseinkünften und die zeugenschaftliche Bewertung von dessen wirtschaftlicher Lage durch seinen früheren Arbeitgeber in Zweifel zu ziehen sucht, kann sie damit nicht durchdringen. Weder insoweit noch in Bezug auf eine vom [X.] in seiner Zuschrift vermisste noch weitergehende Erörterung der Feststellungen aus einem Urteil eines [X.] Gerichts in [X.] vom 25. Mai 2018, das bezogen auf einen späteren Tatzeitraum gleichartige Tatvorwürfe zum Gegenstand hatte, sind zulässige Verfahrensrügen erhoben.

Die vom [X.] zu Recht monierte missverständliche Formulierung, die Einlassung des Angeklagten, er habe aus den Hilfeleistungen - abgesehen von Fall 1 - sonst kein Einkommen erzielt, sei „ihm nicht zu widerlegen“, lässt den Senat nicht besorgen, dass sich das [X.] bei der Würdigung der Einlassung von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 14. Oktober 2020 - 5 [X.]/20 mwN; KK-StPO/[X.], 8. Aufl., § 261 Rn. 90) hat leiten lassen. Denn es hat die Plausibilität der Einlassung vor dem Hintergrund der weiteren Beweisergebnisse geprüft und seine Überzeugung von einer altruistischen Motivation des Angeklagten - wie dargelegt - maßgeblich auf die sie bestätigenden Angaben der [X.]n gestützt.

2. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, weil die [X.] Feststellungen einerseits die von der [X.] angenommene Strafbarkeit nach § 96 Abs. 4 i.V.m. § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] in den Fällen 2 bis 6 nicht belegen (Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten, vgl. § 301 StPO), das [X.] andererseits aufgrund eines unzutreffenden Maßstabs eine Strafbarkeit nach § 96 Abs. 4 i.V.m. § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] abgelehnt und zudem nicht geprüft hat, ob sich der Angeklagte nach § 96 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] wegen gefährlichen wiederholten [X.] in die Bundesrepublik [X.] schuldig gemacht hat (Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten).

a) Das [X.] hat eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 96 Abs. 4 i.V.m. § 96 Abs. 1 [X.] angenommen, ohne sich erkennbar mit dessen Voraussetzungen auseinanderzusetzen.

aa) Soweit es das [X.] versäumt hat darzulegen, gegen welche ausländischen oder [X.] Rechtsvorschriften in den abgeurteilten Fällen die aus [X.] stammenden Drittausländer verstoßen haben und welcher von § 96 Abs. 4 [X.] in Bezug genommenen Tathandlung dies entsprach (vgl. [X.], Beschluss vom 14. August 2019 - 5 [X.], [X.] 2019, 524, 525), lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zwar noch entnehmen, dass die Einreise der mit Hilfe des Angeklagten geschleusten Personen nach Maßgabe der [X.] bzw. [X.] Rechtsordnung unerlaubt war. Als [X.] im Sinne des § 96 Abs. 4 Nr. 2 [X.] benötigten sie für ihre Einreise aus der [X.] nach [X.] bzw. [X.] gemäß Art. 1 Abs. 1 i.V.m. mit [X.] der Verordnung ([X.]) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 ein Visum, das sie nicht hatten. Das bloße Verbot der Einreise war für die Erfüllung des § 96 Abs. 4 Nr. 1 [X.] ausreichend ([X.], Urteile vom 4. Dezember 2018 - 1 [X.]; vom 14. November 2019 - 3 StR 561/18, NStZ-RR 2020, 184, 185; Beschluss vom 13. Januar 2015 - 4 [X.], [X.], 399, 401).

bb) Dem [X.] ist jedoch bei Anwendung des § 96 Abs. 4 i.V.m. § 96 Abs. 1 [X.] aus dem Blick geraten, dass insoweit nur die eigennützige Anstiftung oder Beihilfe zur illegalen Einreise (Tathandlung entsprechend § 95 Abs. 1 Nr. 3 [X.]) erfasst wird (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a [X.]). Da der Angeklagte nach den Feststellungen in den Fällen 2 bis 6 keinen finanziellen Vorteil erhalten oder versprochen bekommen hat, ist sein Handeln dort mithin nach diesen Vorschriften nicht strafbar.

b) Die Begründung, mit der das [X.] das Vorliegen des [X.] der gefährlichen Schleusung nach § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] abgelehnt hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Für die Verwirklichung des [X.]s des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] verlangt das Gesetz keinen eigenhändigen auf die Behandlung des [X.]n gerichteten Beitrag eines Hilfeleistenden, dessen Teilnahmehandlung nach dem Grundtatbestand in § 96 Abs. 1 [X.] zu einer selbständigen in Täterschaft begangenen Straftat heraufgestuft ist (vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 2003 - 2 StR 31/03, [X.], 45; Beschlüsse vom 30. Mai 2013 - 5 StR 130/13, [X.]St 58, 262, 265 f.; vom 24. Oktober 2018 - 1 [X.], NJW 2018, 3658, 3659; MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., § 96 [X.] Rn. 2 mwN). Daher kommt es für die Frage einer strafrechtlichen Verantwortung für die zur Qualifikation führende Behandlung entgegen der Auffassung des [X.]s auch nicht darauf an, ob der Angeklagte auf Organisation und Durchführung der Überfahrten oder den Zustand der Boote hätte Einfluss nehmen können (vgl. Urteil vom 14. November 2019 - 3 StR 561/18, NStZ-RR 2020, 184, 185; enger für § 97 Abs. 1 [X.] [X.], Urteil vom 4. Dezember 2018 - 1 [X.], [X.], 287, 288). Erforderlich ist bei der hier in Betracht kommenden und auch vom [X.] in den Blick genommenen [X.]svariante der lebensgefährdenden Behandlung lediglich, dass die geschleusten Personen jeweils einer das Leben gefährdenden Behandlung ausgesetzt waren und der Angeklagte den Schleusungsvorgang mit Vorsatz hinsichtlich der lebensgefährlichen Umstände der Überfahrt gefördert hat.

bb) Insoweit liegt nach den bisher getroffenen Feststellungen die Verwirklichung dieses [X.] (gegebenenfalls als Versuch im Fall 3) nicht fern. Das [X.] einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.]. 1 [X.] setzt nicht voraus, dass eine konkrete Lebensgefahr eingetreten ist; ausreichend ist vielmehr, dass die Behandlung, der der Ausländer während der Schleusung ausgesetzt wird, nach den Umständen des Einzelfalls generell geeignet ist, eine Lebensgefahr herbeizuführen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 24. Oktober 2018 - 1 [X.], aaO; vom 7. Mai 2019 - 1 StR 8/19, [X.], 677, 678; Urteil vom 14. November 2019 - 3 StR 561/18, aaO; MüKoStGB/[X.], aaO Rn. 36). Wie auch das [X.] nicht verkannt hat, sprachen zumindest in den vorgenannten Fällen die festgestellten Transportbedingungen für eine generelle Gefährdung des Lebens der [X.]n. Auch ein diesbezüglicher Vorsatz des Angeklagten hat nach den Feststellungen nicht ferngelegen. Denn danach wies er mit seiner eigenen Seenoterfahrung die Schleusungswilligen stets auf die Gefährlichkeit der Überfahrten auf dem Seeweg hin und riet zu dem Erwerb von Rettungswesten.

cc) Bei Erfüllung der Voraussetzungen von § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] käme auch in den Fällen 2 bis 6 eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 96 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, § 95 Abs. 1 Nr. 3 [X.] in Verbindung mit der vorgenannten EU-Visa-Verordnung vom 15. März 2001 und den diese ergänzenden [X.] bzw. [X.] Vorschriften über die unerlaubte Einreise nach [X.] bzw. [X.] in Betracht. Denn § 96 Abs. 4 [X.] ordnet ausdrücklich die entsprechende Anwendung von § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] auf solche Taten an. Dabei kommt es entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft nicht darauf an, ob in den von § 96 Abs. 4 [X.] genannten Fällen des § 96 Abs. 2 [X.] auch die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a oder Nr. 2 [X.] vorliegen; vielmehr erfasst § 96 Abs. 4 [X.] auch uneigennützige Einreiseschleusungen, wenn sie unter den qualifizierenden Voraussetzungen des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder 5 [X.] begangen werden (vgl. [X.], Urteil vom 14. November 2019 - 3 StR 561/18, aaO; MüKoStGB/[X.], aaO Rn. 40; [X.] in BeckOK [X.], [X.], [X.]., § 96 Rn. 23; wohl enger, jedoch nicht tragend, [X.], Urteil vom 4. Dezember 2018 - 1 [X.], [X.], 287).

c) Das [X.] hat überdies nicht bedacht, dass der Angeklagte nach den Feststellungen nicht nur nach § 96 Abs. 4 i.V.m. § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a, Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] strafbare Auslandstaten hinsichtlich der unerlaubten Einreise der [X.]n in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der [X.] ([X.]s bzw. [X.]s) begangen haben kann, sondern mit dem von der Anklage ebenso erfassten nämlichen Handeln (§ 264 StPO) auch strafbare Inlandstaten des [X.] in das [X.] nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b, Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 3 [X.]. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Angeklagte jeweils nicht nur zur Einreise der [X.]n nach [X.] bzw. [X.], sondern damit zugleich auch vorsätzlich zu ihrer unerlaubten Einreise nach [X.] Beihilfe geleistet hätte.

Der Angeklagte, selbst Ausländer, hat als Teil einer Schleuserkette (vgl. zur Anwendbarkeit der Grundsätze zur sogenannten Kettenbeteiligung [X.], Urteil vom 25. März 1999 - 1 [X.], [X.], 409, 410; Beschluss vom 6. Juni 2012 - 4 StR 144/12, NJW 2012, 2821, 2822 mwN) seine täterschaftlichen Hilfeleistungen zwar ausschließlich in der [X.] und damit im Ausland erbracht. Jedoch ist eine Straftat nicht nur an dem Ort begangen, wo der Täter gehandelt hat, sondern auch dort, wo der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist (§ 9 Abs. 1 i.V.m. § 3 StGB). Bei den Vergehen nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] besteht der Erfolg der Schleusertätigkeit in der unerlaubten Einreise der [X.]n in das [X.], in der zugleich der Erfolg der in § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aufgeführten Bezugstaten nach § 95 [X.] liegt; er tritt daher im Inland ein. Hier beabsichtigten die vom Angeklagten unterstützten Ausländer - wie er wusste - von Anfang an, über das Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten der [X.] in die Bundesrepublik [X.] einzureisen. Die objektive Förderung dieses unerlaubten Grenzübertritts setzt nicht voraus, dass die Hilfeleistung hierzu unmittelbar geleistet wird. Schon eine Unterstützung im Vorfeld der Einreise ist ausreichend, wenn sie den Grenzübertritt ermöglicht oder erleichtert (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Juni 2012 - 4 StR 144/12, NJW 2012, 2821 f. mwN). Auch insoweit wäre die Qualifikation des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] zu prüfen. Denn hierfür reicht es aus, dass die vom Vorsatz umfasste lebensgefährdende Behandlung lediglich während eines [X.] des letztlich zur unerlaubten Einreise nach [X.] führenden [X.] verwirklicht wird.

Das Einschleusen nach [X.] bzw. [X.] und das Einschleusen in die Bundesrepublik [X.] stünden - sofern nicht, was zu erwägen sein wird, nach § 154a Abs. 2 StPO verfahren wird - in Tateinheit zueinander, da zwei verschiedene Rechtsgüter betroffen sind. § 96 Abs. 4 [X.] schützt das jeweilige Hoheitsgebiet der genannten [X.] vor unerlaubter Einreise und unerlaubtem Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen, § 96 Abs. 1 [X.] dagegen das [X.]. Zwar liegt bei einer - hier zur Täterschaft verselbständigten - im Vorfeld erbrachten [X.] zu mehreren rechtlich selbständigen Haupttaten der unerlaubten Einreise nur eine Beihilfe, also ein Einschleusen, vor (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Juli 2020 - 2 StR 594/19, NStZ-RR 2021, 48, 49 mwN). Die Klarstellungsfunktion der [X.] gebietet im Hinblick auf die unterschiedlichen betroffenen Rechtsgüter aber die Annahme von Tateinheit (vgl. [X.], Urteil vom 8. April 2020 - 3 StR 75/20, [X.], 585, 586 mwN; vgl. zur tateinheitlichen Begehung von versuchtem Inlands- und vollendetem Auslandsdelikt auch [X.], Beschluss vom 9. September 2003 - 4 [X.], [X.]R [X.] § 92a Einschleusen 6; MüKoStGB/[X.], aaO, Rn. 45).

3. Die Feststellungen sind von den vorgenannten [X.] nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); insoweit bleibt die Revision der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg. Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.

III.

In der neuen Entscheidung wird die [X.] Gelegenheit haben, den Anrechnungsmaßstab in Bezug auf die in [X.] vollzogene Auslieferungshaft zu bestimmen, über den das [X.] im angefochtenen Urteil entgegen § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB keine Entscheidung getroffen hat.

Cirener     

        

Berger     

        

[X.]

        

Resch     

        

von Häfen     

        

Meta

5 StR 627/19

15.03.2021

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dresden, 10. Juli 2019, Az: 396 Js 10/15 - 14 KLs

§ 95 Abs 1 Nr 3 Buchst a AufenthG, § 96 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 96 Abs 2 S 1 Nr 2 AufenthG, § 96 Abs 2 S 1 Nr 5 Alt 1 AufenthG, § 96 Abs 4 Nr 1 AufenthG, § 96 Abs 4 Nr 2 AufenthG, Art 1 Abs 1 EG 539/2001, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.03.2021, Az. 5 StR 627/19 (REWIS RS 2021, 7901)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7901

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 255/18 (Bundesgerichtshof)

Einschleusen von Ausländern mit Todesfolge: Mittäterschaftlichen Handeln beim Tod von Schleusungswilligen durch Kollision eines nicht …


3 StR 561/18 (Bundesgerichtshof)

Beihilfe zum Einschleusen mit Todesfolge: Zusage der Begleitung illegal eingeschleuster Frauen und Kinder


5 StR 228/19 (Bundesgerichtshof)

Notwendigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers vor richterlicher Beschuldigtenvernehmung


1 StR 173/21 (Bundesgerichtshof)

Gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern: Erfordernis von Feststellungen zu der Staatsangehörigkeit der geschleusten Personen; …


1 StR 483/21 (Bundesgerichtshof)

Einschleusen von Ausländern: Qualifikationsmerkmal der lebensgefährdenden Behandlung


Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.