Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.08.2019, Az. 5 StR 228/19

5. Strafsenat | REWIS RS 2019, 4465

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Gegenstand

Notwendigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers vor richterlicher Beschuldigtenvernehmung


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 20. Dezember 2018 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass er bezüglich der Einziehungsentscheidung als Gesamtschuldner haftet.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.] im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter Schleusung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchter banden- und gewerbsmäßiger Schleusung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und eine [X.] getroffen. Die mit Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten ist unbegründet.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s hielt sich der seit Ende 2015 in [X.] lebende Angeklagte, ein [X.] Staatsbürger, seit August 2015 in der [X.] auf. Dort schloss er sich einer Gruppierung an, die mit der Schleusung von Staatsangehörigen aus Drittstaaten ([X.]) von der [X.] nach [X.] Geld verdiente. Diese Gruppe bestand aus [X.]    und      G.     als „Akquisiteuren“ und den bis zur eigentlichen Schleusung zur Verfügung stehenden Ansprechpartnern der [X.], dem vornehmlich im Hintergrund agierenden „Chef“    [X.], dem vorrangig in der [X.] als Wohnungsvermittler und Zahlstellenverwalter tätigen Angeklagten sowie „M.    dem [X.]“ als Zubringer und Verbindungsmann zu den am Strand die eigentlichen [X.]schleusungen organisierenden Gruppierungen und weiteren, unbekannt gebliebenen Personen. Alle arbeiteten arbeitsteilig daran mit, gegen Zahlung erheblicher Geldbeträge (ca. 10.000 Euro pro Familie) vornehmlich [X.] Staatsangehörige nach [X.] zu schleusen. [X.] sind Taten zum Nachteil der [X.]n Familien [X.], [X.], [X.], [X.]    , [X.].    /Al.     und [X.].   .

3

Den [X.] wurde dabei wahrheitswidrig vorgespiegelt, die Überfahrt nach [X.] werde mit komfortablen und sicheren Jachten durchgeführt. Tatsächlich wurden sie am 28. Oktober 2015 an den Strand gefahren, wo sie auf andere Schleusungswillige und bewaffnete Schleuser trafen und auf ein völlig überfülltes Holzschiff getrieben wurden. Schwimmwesten konnten am Strand für 50 Euro erworben werden, den Kindern waren sie allerdings zu groß. Mit mindestens 256 Passagieren war das kleine Holzschiff völlig überladen. Bei noch schönem Wetter stach das Schiff in Richtung der sichtbaren [X.] in [X.]. Der mit einer Schusswaffe bewaffnete Kapitän verließ nach einigen Minuten das Schiff und setzte sich in ein Beiboot ab. Er übergab das Ruder einem mit der Führung eines solchen Schiffes völlig unerfahrenen [X.], der dadurch seinen Schleuserlohn sparte. Deshalb aufkommender Unruhe unter den Passagieren begegnete der Kapitän mit mehreren Schüssen in die Luft.

4

Fünfzehn bis fünfundzwanzig Minuten später kam es bei zunehmendem Wind und [X.]gang zur Havarie des Schiffes, das schließlich in mehrere Teile zerbrach und an einer nicht genau feststellbaren Position zwischen der [X.] und der Insel [X.] sank. Die Schiffbrüchigen trieben daraufhin zwischen zwei und fünf Stunden im Wasser. Zahlreiche von ihnen, insbesondere Kinder, kamen zu Tode, darunter eine Tochter des Zeugen [X.], eine Tochter des Zeugen [X.] und [X.] der Zeugin [X.].   . Zwei weitere Kinder der Familien [X.].  und [X.].    werden seitdem vermisst. Ein Großteil der Überlebenden, auch aus den geschleusten Familien, wurde von der [X.]nwache geborgen und nach [X.] gebracht.

II.

5

Die Revision ist unbegründet. Über die Ausführungen des [X.] in seiner Antragsschrift hinaus bedarf Folgendes der Erörterung:

6

1. [X.] Strafrecht ist anwendbar. Der Angeklagte hat zwar als Ausländer im Ausland gehandelt, wobei auch die Voraussetzungen der §§ 5 bis 7 [X.] nicht vorliegen. Die Strafbarkeit nach [X.] Recht bestimmt aber § 96 Abs. 4 [X.].

7

a) Danach sind die [X.] in § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a, Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 5 und Abs. 3 [X.] auf Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der [X.] oder eines Schengen-Staates anzuwenden, wenn sie den in § 95 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 oder Abs. 2 Nr. 1 [X.] bezeichneten Handlungen entsprechen und der Täter einen Ausländer unterstützt, der nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der [X.] oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den [X.] Wirtschaftsraum besitzt.

8

Mit dieser Regelung ist der [X.] Gesetzgeber seiner früher in Art. 27 [X.] geregelten Verpflichtung aus der Richtlinie 2002/90/[X.] (in Verbindung mit dem Rahmenbeschluss 2002/946[X.] vom 28. November 2002) nachgekommen, wonach die Mitgliedstaaten der [X.] gehalten sind, nicht nur die unerlaubte Ein- bzw. Durchreise sowie den unerlaubten Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet, sondern auch betreffend das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten zu sanktionieren (BT-Drucks. 16/5065, [X.]). Durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der [X.] (vom 19. August 2007, [X.] I [X.]970) wurde deshalb § 96 Abs. 4 [X.] entsprechend angepasst, der bis dahin in Umsetzung von Art. 27 [X.] bereits die Einbeziehung von Auslandstaten im [X.] Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten des [X.] anordnete. Der Gesetzgeber wollte damit - wie bei der Umsetzung des früheren Art. 27 [X.] - die genannten Auslandstaten insgesamt der Strafbarkeit nach [X.] Recht unterstellen. Denn er hat § 96 Abs. 4 [X.] gerade die Funktion zugewiesen, bestimmte für inländische Taten geltende Regelungen „auch auf Auslandstaten zu beziehen“ (vgl. BT-Drucks. 16/5065, [X.]). Mit der Gesetzesformulierung hat er deutlich gemacht, dass die Anwendung [X.]n Strafrechts auf derartige Auslandstaten nicht von den Voraussetzungen der §§ 3 ff. [X.], sondern nur von denjenigen in § 96 Abs. 4 [X.] abhängen soll. Mit Wirkung zum 26. November 2011 wurde die [X.] nach § 96 Abs. 3 [X.] in § 96 Abs. 4 [X.] einbezogen (Gesetz vom 22. November 2011, [X.] I S. 2258); § 96 Abs. 4 [X.] wird auch in § 97 Abs. 1 und 2 [X.] (Einschleusen mit Todesfolge, gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen) in Bezug genommen.

9

b) Der [X.] hat bereits in einem Fall wie dem vorliegenden (Schleusung von Drittstaatsangehörigen per Boot von der [X.] nach [X.] durch einen [X.] Staatsangehörigen) bei einer Auslandstat durch einen Ausländer aufgrund § 96 Abs. 4 [X.] eine Strafbarkeit nach [X.] Recht angenommen, ohne die §§ 3 ff. [X.] heranzuziehen (vgl. [X.], Urteil vom 4. Dezember 2018 - 1 [X.], [X.], 287 = [X.], 252 m. Anm. [X.]). Auch in der Literatur ist anerkannt, dass sich die Anwendung [X.]n Strafrechts auf Auslandstaten wie die vorliegende aus § 96 Abs. 4 [X.] unmittelbar ergibt (vgl. [X.]/[X.], Stand 1. Mai 2019, § 96 Rn. 23 f.; [X.]/[X.]/[X.], Stand Juli 2014, § 96 Rn. 31; [X.], [X.], 254, 255; [X.]n in [X.], [X.], 2. Aufl., § 96 Rn. 69; [X.] in [X.]/[X.]/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 96 [X.] Rn. 21; noch auf Art. 27 [X.] i.V.m. § 6 Nr. 9 [X.] abstellend: MüKo-[X.]/[X.], 3. Aufl., § 96 Rn. 40 f.; BayObLGSt 1999, 113; [X.] in [X.]/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 96 Rn. 19 ff.; abweichend auch [X.] in [X.], Ausländerrecht, 2. Aufl., § 96 Rn. 82: Art. 1 [X.] 2002/90/[X.] i.V.m. § 6 Nr. 9 [X.]).

Soweit für die Anwendung [X.]r Strafgewalt zusätzlich ein legitimierender inländischer Anknüpfungspunkt gefordert wird, der sich daraus ergeben könne, dass der Angeklagte seinen Wohnsitz im Inland habe, hier festgenommen werde oder die Gefahr bestehe, dass die [X.] illegal nach [X.] einreisten (vgl. [X.] aaO Rn. 24; [X.] aaO Rn. 41; [X.] aaO Rn. 31; [X.] aaO Rn. 82; aA [X.] aaO Rn. 21), wäre all dies vorliegend gegeben.

c) Die Voraussetzungen der Anwendung [X.]n Strafrechts nach § 96 Abs. 4 [X.] liegen vor. Der Angeklagte hat nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des [X.]s gegen Entgelt und gewerbsmäßig handelnd als Bandenmitglied die nach [X.] Recht unerlaubte Einreise von [X.]n Staatsangehörigen (Drittstaatsangehörigen) in einen Mitgliedstaat der [X.] ([X.]) unterstützt. Dass diese Einreise ohne hierzu berechtigenden Aufenthaltstitel im Tatzeitpunkt nach Maßgabe der [X.] Rechtsvorschriften unerlaubt war, was für die Anwendung von § 96 Abs. 4 [X.] ausreicht, ergibt sich aus den vom [X.] zutreffend genannten [X.] Regelungen (Art. 3 bis 5 Gesetz Nr. 4251), zudem aus der damals geltenden Verordnung ([X.]) Nr. 539/2001 des Rats vom 15. März 2001 ([X.] [X.], [X.]; vgl. zur unerlaubten Schleusung von der [X.] nach [X.] im gleichen Tatzeitraum ebenso [X.], Urteil vom 4. Dezember 2018 - 1 [X.] Rn. 28 mwN). Die Zuwiderhandlungen entsprechen den in § 95 Abs. 1 Nr. 3 [X.] genannten Handlungen.

2. Soweit der Angeklagte die Unverwertbarkeit seiner Angaben in einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung mangels Mitwirkung eines Verteidigers rügt, ist die Verfahrensrüge jedenfalls unbegründet.

a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt der Rüge zugrunde:

Gegen den Angeklagten wurde wegen des verfahrensgegenständlichen Vorwurfs am 23. Oktober 2017 Haftbefehl erlassen. Auf Grund dessen wurde er am 25. Oktober 2017 ergriffen und der [X.] vorgeführt. Schon gegenüber der Polizei hatte er nachhaltig und vehement abgelehnt, sich von einem Rechtsanwalt begleiten zu lassen. Die [X.] versuchte vor der Vorführung mehrfach vergeblich telefonisch, einen Verteidiger für den Angeklagten zu finden. Teils waren die angerufenen Rechtsanwälte nicht erreichbar, teils lehnten sie eine Übernahme des Mandats ab. Nach Verkündung des Haftbefehls wurde der Angeklagte nach § 136 Abs. 1 StPO belehrt und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er sich der Unterstützung eines Verteidigers bedienen könne. Der Angeklagte erklärte daraufhin, er werde einen Anwalt kontaktieren, wenn er das für nötig befinde. Dann machte er ganz überwiegend bestreitende Angaben zur Sache. Am Ende des Termins wurde die Aufrechterhaltung des Haftbefehls beschlossen. Anschließend erklärte der Angeklagte, das Gericht möge ihm einen Anwalt aussuchen. Im [X.] daran wurde der Angeklagte von der [X.] erneut über seine Rechte, insbesondere das Recht auf Zuziehung und Befragung eines Verteidigers belehrt, und weiter vernommen, ebenso am nächsten Tag. Am 26. Oktober 2017 erreichte die [X.] einen zur Übernahme des Mandats bereiten Rechtsanwalt und ordnete diesen dem Angeklagten als Pflichtverteidiger bei. Der Verteidiger hat der Verwertung der Angaben aus den Vernehmungen in der Hauptverhandlung wi[X.]prochen. Das [X.] hat diese Angaben im Rahmen seiner Beweiswürdigung jedenfalls teilweise zu Lasten des Angeklagten verwertet.

b) Es ist bereits fraglich, ob die Neuregelung des § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO gebietet, vor jeder richterlichen Vernehmung eines aufgrund Haftbefehls Ergriffenen nach § 115 Abs. 2 StPO (bzw. § 115a Abs. 2 und in Fällen des § 128 Abs. 1 Satz 2 StPO) die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorzunehmen (so [X.], [X.] 2018, 351; [X.], [X.] 2018, 314; [X.], [X.] 2018, 114; Schlothauer, [X.], 557; [X.]yer-Goßner/[X.], 62. Aufl., § 141 Rn. 5a; [X.]/[X.], 3. Aufl., § 141 Rn. 19; [X.]/[X.], 31. Edition, § 141 Rn. 8; [X.], [X.] 2018, 405; [X.]. [X.] 2017, 1079, 1086; [X.], [X.] 2017, 338, 344; vgl. auch die bis 5. Mai 2019 in nationales Recht umzusetzende Richtlinie [[X.]] 2016/1919 des [X.] Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines [X.] Haftbefehls, [X.] [X.] vom 4. November 2016, [X.] und [X.] vom 5. April 2017, [X.], sogenannte PKH-Richtlinie, dazu den Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung, [X.]. 364/19).

Denn einer solchen Auslegung stehen gewichtige historische und systematische Argumente entgegen (zutreffend [X.]/[X.], [X.], 183 mwN). Hätte der Gesetzgeber den bisherigen Rechtszustand (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 20. Oktober 2014 - 5 StR 176/14, [X.]St 60, 38) derart grundlegend dahingehend ändern wollen, dass vor jeder richterlichen Beschuldigtenvernehmung in Zusammenhang mit der Haftfrage nach § 115 Abs. 2, § 115a Abs. 2 oder § 128 Abs. 1 Satz 2 StPO in den dort regelmäßig vorliegenden Fällen notwendiger Verteidigung gemäß § 140 StPO zwingend ein Pflichtverteidiger nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO bestellt werden soll, wären zum einen Ausführungen zu einem solchen Systemwechsel in den Gesetzesmaterialen zu erwarten gewesen (vgl. demgegenüber BT-Drucks. 18/11277, [X.] f.). Zum anderen wäre das Beibehalten der Regelung in § 141 Abs. 3 Satz 5 StPO unverständlich, wonach im Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO (Untersuchungshaft, einstweilige Unterbringung) der Verteidiger erst unverzüglich nach der Vollstreckung bestellt werden soll. Demgemäß ist in den Gesetzesmaterialien als wesentlicher Grund für die Neuregelung der Fall angeführt, dass der Beschuldigte von einer wichtigen richterlichen Zeugenvernehmung nach § 168c Abs. 3 StPO ausgeschlossen wird (BT-Drucks. 18/11277, [X.]) und in dieser Situation - an[X.] als bei seiner Vernehmung, bei der er auch schweigen kann - zur Wahrung seiner Rechte die Zuziehung eines Verteidigers geboten ist.

Jedenfalls würde aus einer Verletzung von § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO nicht ohne Weiteres ein Beweisverwertungsverbot folgen. Ein solches liegt gerade dann fern, wenn sich die [X.] - wie hier - erfolglos um das Erreichen eines zur Mandatsübernahme bereiten Verteidigers bemüht und der Beschuldigte nach Belehrung ausdrücklich auf die Hinzuziehung eines Verteidigers verzichtet hat. Im Spannungsverhältnis zwischen dem Recht des aufgrund Haftbefehls festgenommenen Beschuldigten auf unverzügliche Vorführung und Vernehmung zwecks Prüfung der Haftfrage (vgl. [X.] aaO) und dem Gebot, ihm gegebenenfalls zuvor noch einen Verteidiger zu bestellen, kam der [X.] ein nur eingeschränkt überprüfbarer Wertungsspielraum zu, welcher Rechtsposition sie im hier vorliegenden Konfliktfall den Vorrang gibt. Dass sie davon in unvertretbarer Weise Gebrauch gemacht haben könnte, liegt fern. Weil seine Angaben aus der ermittlungsrichterlichen Vernehmung verwertbar waren, bedurfte es bei den nachfolgenden Vernehmungen auch keiner qualifizierten Belehrung des Angeklagten.

3. Unbegründet ist die Rüge, die [X.] habe zu Unrecht die Angaben des Beschuldigten gegenüber einer Vertrauensperson zu seinem Nachteil verwertet. Zu Recht hat das [X.] insoweit kein Beweisverwertungsverbot angenommen.

Dem liegt zugrunde, dass die [X.] im August 2017 eine Vertrauensperson ([X.]) zur Aufklärung des Tatgeschehens im Oktober 2015 und zur Identifizierung der daran Beteiligten eingesetzt hatte. Die [X.] trat im September 2017 mit dem bis dahin nicht beschuldigten Angeklagten in Kontakt und gab sich als „[X.]“ aus, der ein Geschäft eröffnen wolle und dafür Mitarbeiter suche. Der Angeklagte erzählte ihr darauf, er habe sieben Jahre in der [X.] gearbeitet und [X.]nschen nach [X.] geschleust. Die [X.] täuschte vor, sie benötige Hilfe dabei, ihre Schwester nach [X.] zu schleusen. Bei einem weiteren Treffen im September 2017 berichtete der Angeklagte weiter von seiner Einbindung in [X.]. Etwa einen Monat später erläuterte der Angeklagte der [X.] in Zusammenhang mit deren Frage nach einer Schleusung ihrer Schwester, dass er im September 2017 in ein Bootsunglück mit Flüchtlingen involviert gewesen sei. Später machte er noch weitere Angaben und bot seine Mitwirkung bei der Schleusung der Schwester der [X.] an.

Ein Verwertungsverbot folgt aus diesem Vorgehen nicht. Weder wurde damit eine zuvor erklärte Berufung auf das Schweigerecht missachtet (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 27. Januar 2009 - 4 StR 296/08, [X.], 343; Urteil vom 26. Juli 2007 - 3 [X.], [X.]St 52, 11), noch wurde der Angeklagte von der Vertrauensperson unzulässig unter Druck gesetzt (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Mai 2010 - 5 StR 51/10, [X.]St 55, 138). Ein Verstoß gegen § 136a Abs. 1, § 136 Abs. 1 i.V.m. § 163a Abs. 4 StPO ist mit solchen Befragungen durch Informanten der Polizei regelmäßig nicht verbunden (vgl. [X.], Beschluss vom 31. März 2011 - 3 [X.], [X.], 596). Schutz vor Irrtum gewährt der [X.] nicht (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juli 2007 - 3 [X.], aaO, [X.]5).

4. Keinen Erfolg hat auch die Rüge eines Verstoßes gegen § 247a Abs. 1 StPO. Zwar hat die [X.] den entsprechenden Beschluss erst nach der Vernehmung verkündet. Hierdurch wurde aber der zunächst begangene Rechtsfehler geheilt. Mit diesem nachträglichen Beschluss hat der gesamte Spruchkörper die Verantwortung für diese besondere Form der Beweiserhebung übernommen. Zugleich wurde jedenfalls kurz der Grund für die Videovernehmung der beiden Zeugen genannt, die nicht nach [X.] einreisen konnten (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 12. Dezember 2017 - 3 [X.], NStZ-RR 2018, 118). Rechtliches Gehör wurde dem Angeklagten dadurch ausreichend gewährt, dass die Frage der Videovernehmung in der Hauptverhandlung schon längere [X.] diskutiert worden war.

5. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei; die Feststellungen tragen den Schuldspruch (vgl. zur versuchten Schleusung mit Todesfolge auch GK-[X.]/[X.], Stand Juli 2008, § 97 Rn. 5). Es beschwert den Angeklagten nicht, dass er nicht wegen vollendeter banden- und gewerbsmäßiger Schleusung in Tateinheit mit versuchter Schleusung mit Todesfolge verurteilt wurde. Dies hätte sich aufgedrängt, da einige der mit seiner Hilfe geschleusten Personen [X.] erreicht haben und ihre - vom Angeklagten naheliegend billigend in Kauf genommene - Rettung durch [X.] Schiffe nur darauf beruhte, dass sie zuvor auf einem überfüllten Schiff ohne erfahrenen Schiffsführer die Hoheitsgewässer [X.]s ansteuerten und dabei Schiffbruch erlitten.

6. Lediglich die [X.] bedarf der Ergänzung dahingehend, dass der Angeklagte dafür als Gesamtschuldner haftet (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Februar 2019 - 5 StR 545/18). Der geringfügige Teilerfolg lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten insgesamt mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

Sander     

        

Schneider     

        

König 

        

Berger     

        

[X.]     

        

Meta

5 StR 228/19

14.08.2019

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kiel, 20. Dezember 2018, Az: 8 Ks 6/18

§ 141 Abs 2 StPO, § 141 Abs 3 S 4 StPO vom 17.08.2017, § 115 Abs 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.08.2019, Az. 5 StR 228/19 (REWIS RS 2019, 4465)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 4465

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