Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 29.07.2022, Az. 2 BvR 54/22

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2022, 3958

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Versagung fachgerichtlichen Rechtsschutzes gegen nicht erforderliche erkennungsdienstliche Maßnahme nach § 81b Alt 1 StPO verletzt Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 1 Abs 1 GG) - zum Begriff der "ähnlichen Maßnahme" iSd § 81b Alt 1 StPO - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

Der Beschluss des [X.] vom 6. Dezember 2021 - 1 [X.]/21 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit er die Anfertigung eines Zehnfinger- und Handflächenabdrucks und eines [X.] betrifft. Er wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Der [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen einen Beschluss des [X.], mit welchem dieses seine Beschwerde gegen die gerichtliche Bestätigung einer Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nach § 81b Alt. 1 [X.] als unbegründet verwarf. Er rügt die Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1. Abs. 1 GG.

I.

2

1. Am 1. Juni 2021 brachte ein zunächst unbekannter Täter an einem Gasverteilergebäude in [X.] zwei großflächige, mit silberner Sprühfarbe ausgeführte Übermalungen der dort bereits in weißer und schwarzer Farbe angebrachten Schriftzüge "Toni F. Du [X.]" und "Antifa Boxen" an. Unter diesen Schriftzügen befanden sich wiederum weitere Farbauftragungen. Der Täter wurde dabei von einem Zeugen angesprochen, gefilmt und fotografiert. Der Zeuge gab bei seiner späteren Vernehmung an, er sei in der Lage, die Person wiederzuerkennen. Die Eigentümerin des betroffenen Gebäudes stellte mit Schreiben vom 5. Juli 2021 Strafantrag und bezifferte die Beseitigungskosten auf 500 bis 800 Euro, sollte der Graffitischutz erneuert werden müssen, auf 2.500 bis 3.000 Euro. Ausgehend von einem anonymen Hinweis erkannten zwei Polizeibeamte den Beschwerdeführer auf den vom Zeugen gefertigten Lichtbildern wieder. Gegen den Beschwerdeführer wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung eingeleitet.

3

2. Am 8. Juli 2021 ordnete die Polizei [X.] die erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers gemäß § 81b Alt. 1 und 2 [X.] an. Die Anordnung lautete auszugsweise:

Es wird angeordnet, Sie

1. gemäß § 81 b Alternative 1 Strafprozessordnung ([X.]) für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens

und

2. gemäß § 81 b Alternative 2 für die Zwecke des Erkennungsdienstes

erkennungsdienstlich zu behandeln und hierzu von Ihnen

Fünfseitenbild; Ganzkörperbild; Personenbeschreibung; [X.]; Zehnfinger- und Handflächenabdruck anzufertigen.

4

Zur Begründung führte die Anordnung unter Bezugnahme auf § 81b Alt. 1 [X.] aus, dass gegen den Beschwerdeführer am 1. Juni 2021 ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung eingeleitet worden sei. Ihm werde zur Last gelegt, ein Gasverteilerhäuschen beschmiert zu haben. Damit sei er einer Tat nach § 303 Abs. 2 StGB verdächtig. Eine erkennungsdienstliche Behandlung sei notwendig, weil die "aufgeführten Maßnahmen" zur Sachverhaltsaufklärung erforderlich seien. Der Beschwerdeführer sei von einem Zeugen gesehen, gefilmt und auf diesen Bildern von mehreren Polizeibeamten erkannt worden. Um den Beschwerdeführer der Tat beweiskräftig vor Gericht zu überführen, müsse dem Zeugen eine Wahllichtbildvorlage vorgelegt werden. Dies diene dazu, den Beschwerdeführer zu identifizieren oder ihn vom Tatvorwurf zu entlasten. Die Wiedererkennung durch Polizeibeamte allein sei bei fehlendem Geständnis, Inanspruchnahme des ihm zustehenden Aussageverweigerungsrechts oder dem Abstreiten der Tat vor Gericht als Beweis nicht geeignet, zumal das Bildmaterial von schlechter Qualität sei.

5

Außerdem begründete die Anordnung die Speicherung der so gewonnenen Daten nach § 81b Alt. 2 [X.]. Sie könne vorgenommen werden, wenn die Daten auch nach § 81b Alt. 2 [X.] hätten erhoben werden dürfen. Aufgrund der Tatsache, dass gegen den Beschwerdeführer seit März 2013 in sieben Fällen - unter anderem auch wegen Sachbeschädigung durch Sprühen von Graffiti - ermittelt worden sei oder ermittelt werde, ergebe sich die begründete Wahrscheinlichkeit, dass er erneut mit derartigen oder ähnlich gelagerten Delikten strafrechtlich in Erscheinung treten werde.

6

Ferner sei die Anordnung der Einzelmaßnahmen erforderlich, um die vom Beschwerdeführer in Zukunft zu erwartenden Straftaten aufklären zu können. Von dem Beschwerdeführer gebe es keine Bilder und keine Finger- und [X.] und auch keine Personenbeschreibung in den polizeilichen Dateien. Um in zukünftigen Fällen Zeugen eine Lichtbildmappe vorlegen zu können, sei es erforderlich, Lichtbilder und eine Personenbeschreibung anfertigen zu lassen. Dazu zählten auch Detailbilder von Tätowierungen, Muttermalen und Narben. Da häufig Tatmittel am [X.] und in der näheren Umgebung zurückgelassen würden, an denen sich daktyloskopische Spuren befinden könnten, sei es notwendig, die Finger- und [X.] in den polizeilichen Daten zu speichern.

7

3. Soweit sich die Anordnung auf § 81b Alt. 2 [X.] stützte, legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 20. Juli 2021 gegenüber der Polizeidirektion [X.] Widerspruch ein.

8

4. Hinsichtlich der Anordnung nach § 81b Alt. 1 [X.] stellte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 20. Juli 2021 beim Amtsgericht [X.] einen Antrag auf gerichtliche Feststellung, dass diese aufzuheben sei. Trotz Ankündigung einer Begründung des Antrags nach erfolgter Akteneinsicht ging eine solche nicht ein.

9

Mit Verfügung vom 8. Oktober 2021 übersandte die Staatsanwaltschaft die Akte an das Amtsgericht [X.] mit der Bitte, über die angeordnete erkennungsdienstliche Maßnahme zu entscheiden. Diese sei aus strafprozessualer Sicht notwendig, um die Identifizierung durch den Tatzeugen zu ermöglichen.

Das Amtsgericht bestätigte die Anordnung mit Beschluss vom 12. Oktober 2021. Zur Begründung nahm es auf die Gründe der Anordnung Bezug. Wie die Staatsanwaltschaft vertrete auch das Gericht die Ansicht, dass die Anordnung - auch ihrem Umfang nach - für die Aufklärung der Straftat erforderlich sei.

5. a) Gegen den Beschluss legte die Verteidigerin des Beschwerdeführers am 19. Oktober 2021 Beschwerde zum [X.] ein und führte in der Begründung aus, dass ihr Mandant nicht bestreite, die Person zu sein, mit der der Zeuge gesprochen habe. Weiterhin räume der Mandant ein, die Person auf den von dem Zeugen gefertigten Aufnahmen zu sein. Einer Anfertigung von Lichtbildern bedürfe es aus diesem Grund nicht. Eine Anfertigung von Finger- sowie [X.]n sei dagegen nicht zulässig, da es kein Vergleichsmaterial gebe. Es sei der Verfahrensakte nicht zu entnehmen, dass Finger- oder [X.] an der vermeintlichen Tatörtlichkeit festgestellt worden seien. Ohne Vergleichsmaterial könne kein Abgleich stattfinden, weshalb die Anfertigung ins Leere laufe und rechtswidrig sei.

b) Mit Verfügung vom 26. Oktober 2021 übersandte die Staatsanwaltschaft die Akten an das Amtsgericht mit dem Antrag, der Beschwerde nicht abzuhelfen. Allein die Angaben der Rechtsanwältin seien im Falle des Bestreitens in der Hauptverhandlung nicht zum [X.] geeignet.

c) Das Amtsgericht half der Beschwerde ohne weitere Begründung nicht ab und übersandte die Akte der Staatsanwaltschaft zur Vorlage an das Beschwerdegericht.

d) Mit Schriftsatz vom 1. November 2021 beantragte die Verteidigerin die Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 170 Abs. 2 [X.] bei der Staatsanwaltschaft. Eine Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 2 StGB bestehe nicht, da der zusätzliche Farbauftrag, durch den lediglich bereits vorhandene Schmierereien teilweise übermalt worden seien, nicht zu einer erheblichen Veränderung des Erscheinungsbildes geführt habe. Nach Eingang dieses Schriftsatzes versandte die Staatsanwaltschaft die Akte an das [X.] mit dem Antrag, die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts aus dessen zutreffenden Gründen als unbegründet zu verwerfen.

e) Mit angegriffenem Beschluss vom 6. Dezember 2021 verwarf das [X.] die Beschwerde als unbegründet und nahm zur Begründung vollinhaltlich Bezug auf die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung, der nichts hinzuzufügen sei.

II.

Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG durch die landgerichtliche Entscheidung. Die Voraussetzungen des § 81b Alt. 1 [X.] lägen nicht vor. Die [X.] entfalle, da das Verhalten des Beschwerdeführers keine Straftat darstelle. Die Fertigung von Lichtbildern sei nicht erforderlich. Der Beschwerdeführer habe durch seine Verteidigerin bereits mitgeteilt, die Person auf der Videoaufnahme zu sein. Dem Zeugen müssten keine Bilder mehr vorgelegt werden, da die Identifizierung des Verursachers abgeschlossen sei. Auch ein sogenanntes - darüber hinaus viel zu unbestimmt bezeichnetes - [X.] sei somit nicht erforderlich. Eine Personenbeschreibung, [X.] sowie [X.] seien nicht geeignet im Sinne des § 81b Alt. 1 [X.], da kein Vergleichsmaterial vorliege. Aus der Ermittlungsakte ergebe sich nicht, dass Finger- oder [X.] erhoben worden seien. Soweit das [X.] in der angegriffenen Entscheidung auch auf Ausführungen zu § 81b Alt. 2 [X.] verweise, könnten diese zur Begründung der erkennungsdienstlichen Behandlung für Zwecke des Strafverfahrens nicht herangezogen werden.

III.

1. Der [X.] hat mit seiner Stellungnahme vom 25. April 2022 ausgeführt, dass er die Verfassungsbeschwerde für unzulässig halte, ihr jedenfalls aber, soweit sie sich gegen erkennungsdienstliche Maßnahmen wende, die über die Anfertigung von Lichtbildern hinausgingen, der Erfolg nicht versagt werden könne.

a) Soweit der Beschwerdeführer sich gegen die Anfertigung von Lichtbildern zur Vorlage an den Zeugen wende, zeige er keinen Verfassungsverstoß auf. Eine verfassungsrechtlich nicht vertretbare Anwendung der Vorschrift des § 81b Alt. 1 [X.] hinsichtlich der Fertigung von Lichtbildern für die Wahllichtbildvorlage sei nicht feststellbar.

Es begegne keinen fach- oder verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Fachgerichte von der Beschuldigteneigenschaft des Beschwerdeführers ausgegangen seien. Erforderlich sei allein ein auf einen bestimmten Tatverdächtigen konkretisierter Anfangsverdacht des § 152 Abs. 2 [X.], welcher hier wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 2 StGB gegen den Beschwerdeführer bestehe.

Die Fertigung von Lichtbildern sei trotz der Verteidigererklärung im Beschwerdeverfahren, der Beschwerdeführer räume ein, die Person auf den vom Zeugen gefertigten Aufnahmen zu sein, erforderlich. Denn dieser Schriftsatz biete keine Gewähr für die Überführung des Beschwerdeführers als Täter. Bei [X.] müsse etwa durch Unterschrift oder durch Formulierung in Ich-Form erkennbar sein, dass der Beschuldigte die Erklärung als eigene Äußerung verstanden wissen wolle und sich seines Verteidigers gleichsam als "Schreibhilfe" bediene. Dies lasse der [X.] nicht erkennen. Davon abgesehen, sei eine entsprechende schriftliche Einlassung von geringem Beweiswert. Im Falle eines Widerrufs würden sich erhebliche Beweisschwierigkeiten ergeben, zumal das vorhandene Bildmaterial von schlechter Qualität sei. Es käme dann wesentlich auf die Angaben des Zeugen an. Im Hinblick auf das sich im Laufe der [X.] verändernde Äußere des Beschwerdeführers sowie der erwartbaren nachlassenden Erinnerung des Zeugen an die Begegnung mit dem Täter der Sachbeschädigung könne eine Fertigung von Lichtbildern auch nicht hinausgeschoben werden, bis das Einlassungsverhalten des Beschwerdeführers in einer etwaigen Hauptverhandlung bekannt sei. Dies gelte umso mehr, als einem Wiedererkennen durch den Zeugen in der Hauptverhandlung, in der ihm der Beschwerdeführer als Angeklagter gegenübertrete, wegen der verstärkten Suggestibilität der Identifizierungssituation erheblich geringeren Beweiswert zukomme.

b) Hingegen könnten die übrigen durch die Strafverfolgungsbehörden angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen nicht auf § 81b Alt. 1 [X.] gestützt werden. Sie seien für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens nicht notwendig. Der Beschwerdeführer weise zu Recht darauf hin, dass Spuren, die den Abgleich mit seinen Handflächen- und Fingerabdrücken erforderten, in dem gegen ihn geführten Strafverfahren nicht ersichtlich seien. Auch die Notwendigkeit einer Personenbeschreibung erschließe sich nicht. Angesichts der mangelnden Erforderlichkeit dieser Maßnahmen sowie der fehlenden Auseinandersetzung mit dieser Frage in der angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidung handele es sich nicht allein um einen einfachrechtlichen, sondern zugleich um einen Verfassungsverstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

Die angegriffene fachgerichtliche Entscheidung beruhe auch auf diesem Verfassungsverstoß. Insbesondere könne nicht auf die Rechtmäßigkeit der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß § 81b Alt. 2 [X.] abgestellt werden. Die vom Gesetzgeber des § 81b [X.] vorgegebenen präzisen Verwendungszwecke würden konterkariert, wollte man eine nach § 81b Alt. 2 [X.] rechtmäßige Datenerhebung zur Kompensation für eine defizitär begründete Anordnung gemäß § 81b Alt. 1 [X.] heranziehen. Auch wegen ihres unterschiedlichen Charakters als strafprozessuale beziehungsweise präventivpolizeiliche Maßnahme, die in unterschiedlichen Rechtswegen zu bekämpfen sei, verbiete sich eine Vermengung der parallelen Anordnungen.

2. Der [X.] hat die Verfahrensakten übersandt, jedoch keine Stellungnahme abgegeben.

3. Ausweislich der Verfahrensakte sind die Maßnahmen noch nicht vollzogen.

B.

Soweit der Beschluss die Abnahme eines [X.] und die Anfertigung eines [X.] betrifft, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist in diesem Umfang zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das [X.] bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zur Entscheidung angenommen wird, zulässig. Der [X.] genügt insoweit den Begründungs- und Substantiierungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.].

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist im Umfang ihrer Annahme auch offensichtlich begründet. Soweit der Beschluss des [X.]s die Abnahme eines [X.] sowie die Anfertigung eines [X.] betrifft, ist der Beschwerdeführer in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt.

1. a) Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. [X.] 65, 1 ; 103, 21 <32 f.>; 156, 63 <118 Rn. 198>; [X.]K 9, 62 <77>). Es gewährt seinen Trägern Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten (vgl. [X.] 65, 1 <43>; 67, 100 <143>; 103, 21 <33>). Davon werden alle Informationen, die über die Bezugsperson etwas aussagen können, umfasst. Der Schutz erstreckt sich auch auf Basisdaten wie Name und Anschrift sowie auf offenkundige oder allgemein zugängliche Informationen. Unter den Bedingungen der automatisierten Datenverarbeitung gibt es grundsätzlich kein "belangloses" Datum mehr (vgl. [X.] 65, 1 <45>; 128, 1 <44 f.>). Diese Verbürgung darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weitergehen, als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist (vgl. [X.] 103, 21 <33>).

b) Dem Schrankenvorbehalt für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trägt die gesetzliche Regelung des § 81b Alt. 1 [X.] ausreichend Rechnung (vgl. [X.] 47, 239 <252>; [X.], Beschluss des Dreierausschusses des Zweiten Senats vom 27. September 1982 - 2 BvR 1199/82 -, NStZ 1983, [X.]). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt den Einzelnen gegen informationsbezogene Maßnahmen, die für ihn weder überschaubar noch beherrschbar sind. Deshalb hat der Gesetzgeber den Zweck einer Informationserhebung bereichsspezifisch und präzise zu bestimmen und die Informationserhebung und -verwendung auf das zu diesem Zweck Erforderliche zu begrenzen (vgl. [X.] 65, 1 <46>; 84, 239 <279 f.>; 113, 29 <57 f.>; 118, 168 <187 f.>). Vor diesem Hintergrund genügt § 81b Alt. 1 [X.] den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Normklarheit und Justitiabilität (vgl. [X.] 47, 239 <252>). Die Vorschrift bezweckt die Führung des [X.]es und die Identifizierung in einem anhängigen Strafverfahren und dient daher der Strafverfolgung (vgl. Trück, in: [X.] Kommentar, [X.], 1. Aufl. 2014, § 81b Rn. 1). Sie grenzt den Kreis zulässiger Zwangsmaßnahmen sowohl ihrer Art als auch ihrem Zweck nach hinreichend deutlich ein. Erlaubt sind danach außer den im Tatbestand ausdrücklich angeführten Maßnahmen - Aufnahme von Lichtbildern und Fingerabdrücken, Vornahme von Messungen - nicht etwa schlechthin andere Maßnahmen, sondern nur solche, die den genannten ähnlich sind. Die Maßnahmen nach § 81b Alt. 1 [X.] müssen den Zwecken der Durchführung des Strafverfahrens dienen und im Rahmen dieser Zweckbestimmung notwendig sein. Unter diesen Umständen vermögen sowohl Strafverfolgungsbehörden als auch Beschuldigte mit hinreichender Bestimmtheit zu beurteilen, ob im konkreten Fall die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vornahme einer "ähnlichen Maßnahme" im Sinne des § 81b [X.] erfüllt sind (vgl. [X.] 47, 239 <252>).

c) Bei der Auslegung und Anwendung des § 81b Alt. 1 [X.] sind die Gerichte gehalten, die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung angemessen zu berücksichtigen (vgl. zu § 81g [X.]: [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 3. Mai 2016 - 2 BvR 2349/15 -, Rn. 10). Voraussetzung des § 81b Alt. 1 [X.] ist, dass gegen den Betroffenen ein Strafverfahren geführt wird und gegen ihn ein Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 [X.] besteht [X.], in: [X.], [X.], 27. Aufl. 2017, § 81b Rn. 8). Zudem müssen die einzelnen Maßnahmen jeweils für den Zweck der Durchführung des Strafverfahrens konkret notwendig sein. Dabei orientiert sich die Notwendigkeit der Maßnahme an der Sachaufklärungspflicht der Gerichte nach § 244 Abs. 2 [X.] [X.], in: [X.], [X.], 27. Aufl. 2017, § 81b Rn. 11; [X.], in: [X.] [X.], § 81b Rn. 6 ). Gleichzeitig stellt das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips dar (vgl. zu § 81b Alt. 2 [X.]: [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 8. März 2011 - 1 BvR 47/05 -, Rn. 24). Dies bedeutet, dass die Gerichte zur konkreten Notwendigkeit jeder einzelnen angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahme ausführen und eine Abwägung zwischen dem Interesse einer wirksamen Strafverfolgung und dem Grundrecht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung vornehmen müssen.

2. Der Beschluss des [X.]s ist mit diesen Maßstäben nicht in Einklang zu bringen. Soweit er die Anfertigung eines [X.] betrifft, war die Anfertigung dieser Abdrücke für die Strafverfolgung bereits nicht geeignet (a). Hinsichtlich der Anfertigung eines [X.] hat das [X.] die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG mangels Auseinandersetzung mit deren konkreter Notwendigkeit ebenfalls grundlegend verkannt (b).

a) Das [X.] geht zwar unter Bezugnahme auf die Gründe der polizeilichen Anordnung noch nachvollziehbar davon aus, dass der Beschwerdeführer Beschuldigter in einem Strafverfahren war und gegen ihn ein konkreter Anfangsverdacht nach § 152 Abs. 2 [X.] wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 2 StGB bestand. Die Abnahme eines [X.] war zur Erreichung des Zwecks der Maßnahme - der Täterfeststellung und damit der Durchführung des Strafverfahrens - jedoch bereits nicht geeignet. Die Identifizierung des [X.] konnte nicht über die Abnahme eines [X.] erfolgen, weil Finger- oder [X.] ausweislich der Ermittlungsakte am [X.] nicht sichergestellt wurden. Ausführungen zur konkreten Notwendigkeit dieser erkennungsdienstlichen Maßnahmen sind weder dem landgerichtlichen Beschluss noch der in Bezug genommenen Begründung der polizeilichen Verfügung zu entnehmen. Die polizeiliche Verfügung, auf welche das [X.] in seiner Begründung verweist, verhält sich allein zur konkreten Notwendigkeit der Bildaufnahmen nach § 81b Alt. 1 [X.]. Eine Begründung der Notwendigkeit der Abnahme von Zehnfinger- und [X.]n weist sie lediglich für die erkennungsdienstliche Anordnung nach § 81b Alt. 2 [X.] aus, die dem Zweck der Erforschung und Aufklärung zukünftiger Straftaten dienen sollte. Auf diese Begründung der Maßnahme gemäß § 81b Alt. 2 [X.] kann für die Rechtmäßigkeit der Anordnung nach § 81b Alt. 1 [X.] jedoch kein Bezug genommen werden. Denn die vom Gesetzgeber vorgegebenen präzisen Verwendungszwecke würden konterkariert, wollte man eine nach § 81b Alt. 2 [X.] rechtmäßige Datenerhebung zur Kompensation für eine defizitär begründete Anordnung gemäß § 81b Alt. 1 [X.] heranziehen.

b) Die konkrete Notwendigkeit der Anordnung der Anfertigung eines [X.] hat das [X.] ebenfalls nicht verfassungsrechtlich tragfähig begründet. In der vollinhaltlichen Bezugnahme auf die polizeiliche Anordnung, der nach Ansicht des [X.]s nichts hinzuzufügen war, ist eine umfassende Abwägung zwischen den Interessen einer wirksamen Strafverfolgung und dem Interesse des Beschwerdeführers im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit der Maßnahme nicht erkennbar. Es fehlt bereits eine Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass der Zeuge der Sachbeschädigung angegeben hatte, in der Lage zu sein, den Täter wiederzuerkennen. Dies hätte auch im Rahmen einer Beweisaufnahme in der - zeitnah zu erwartenden - Hauptverhandlung erfolgen können. Ebenso wenig erörtert die polizeiliche Anordnung, dass es auch dem Tatrichter im Rahmen der Hauptverhandlung grundsätzlich möglich gewesen wäre, einen Abgleich zwischen den in der Akte befindlichen Lichtbildern sowie dem Erscheinungsbild des Beschwerdeführers vorzunehmen. Es ergibt sich auch nicht aus der Akte, dass die von dem Zeugen gefertigten Lichtbilder für einen solchen Abgleich ungeeignet gewesen wären. Vielmehr erkannten die Polizeibeamten den Beschwerdeführer spontan auf diesen Lichtbildern wieder.

C.

Es ist daher gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 [X.] festzustellen, dass der Beschluss des [X.]s vom 6. Dezember 2021 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, soweit er die Anfertigung eines [X.] und eines [X.] betrifft. Der Beschluss ist insoweit nach § 95 Abs. 2 [X.] aufzuheben und die Sache an das [X.] [X.] zurückzuverweisen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie wegen Verletzung des Grundsatzes der materiellen Subsidiarität unzulässig ist. Von einer weiteren Begründung nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] wird abgesehen.

D.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 [X.]. Da der nicht angenommene Teil der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers von untergeordneter Bedeutung ist, sind ihm die notwendigen Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. [X.] 86, 90 <122>).

Die Festsetzung des Gegenstandswertes für die anwaltliche Tätigkeit stützt sich auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswertes im verfassungsrechtlichen Verfahren (vgl. [X.] 79, 365 <368 ff.>). Im Hinblick auf die objektive Bedeutung der Sache ist ein Gegenstandswert von 10.000 Euro angemessen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 54/22

29.07.2022

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Zwickau, 6. Dezember 2021, Az: 1 Qs 204/21, Beschluss

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 303 Abs 2 StGB, § 81b Alt 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 29.07.2022, Az. 2 BvR 54/22 (REWIS RS 2022, 3958)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3958 NJW 2022, 2978 REWIS RS 2022, 3958

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 2349/15

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