Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.10.2022, Az. II ZB 7/22

2. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 6594

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des [X.] vom 21. Januar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert des [X.]: bis 600 €.

Gründe

1

I. Der Kläger verlangt von der Beklagten mit der Stufenklage Auskunft und Zahlung eines Auseinandersetzungsguthabens aus zwei Beteiligungsverhältnissen.

2

Der Kläger zeichnete jeweils am 28. April 2005 Beteiligungen als atypisch stiller Gesellschafter an der [X.] in Höhe von 30.000 € bzw. 21.600 €. Zum 31. Januar 2018 wurde die Beteiligungsgesellschaft mit der Beklagten verschmolzen. Mit Schreiben vom 29. Mai 2018 widerrief der Kläger seine auf Abschluss der Gesellschaftsverträge gerichteten Willenserklärungen und kündigte darüber hinaus die Gesellschaftsverträge außerordentlich sowie hilfsweise ordentlich.

3

Das [X.] hat der Klage auf der ersten Stufe mit Teilurteil vom 1. Oktober 2021 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen über das [X.] zu den Beteiligungen zum Stichtag 1. Juni 2018. Die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 21. Januar 2022 als unzulässig verworfen, weil der Wert des [X.] € nicht übersteige.

4

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

5

II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt die Beklagte in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), das es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. [X.], Beschluss vom 8. März 2017 - [X.], [X.] 2017, 278 Rn. 5 mwN). Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

6

1. Das Berufungsgericht hat den Wert der Beschwer der zur Auskunft verurteilten Beklagten auf einen 600 € nicht übersteigenden Betrag festgesetzt. Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Bemessung der Beschwer nur darauf überprüfen, ob das Berufungsgericht von dem nach § 3 ZPO eingeräumten Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Dies ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn das Gericht bei der Bewertung des [X.] maßgebliche Tatsachen verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt oder erhebliche Tatsachen unter Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) nicht festgestellt hat ([X.], Beschluss vom 19. April 2016 - [X.], [X.] 2017, 201 Rn. 8; Beschluss vom 8. März 2017 - [X.], [X.] 2017, 278 Rn. 6; beide mwN). Die Rechtsbeschwerde macht solche Rechtsfehler nicht geltend.

7

2. Der Beschluss des Berufungsgerichts erweist sich allerdings deshalb als rechtsfehlerhaft mit der Folge seiner Aufhebung und der Zurückverweisung der Sache, weil das Berufungsgericht auf der Grundlage seiner Wertbemessung mit bis zu 600 € nicht die Entscheidung des [X.]s nachgeholt hat, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO vorliegen.

8

a) Hat das erstinstanzliche Gericht nur deshalb nicht über die Zulassung der Berufung entschieden, weil es rechtsirrtümlich davon ausgegangen ist, dass sein Urteil ohnehin aufgrund einer ausreichenden Beschwer der unterlegenen Partei mit der Berufung anfechtbar ist, so muss das Berufungsgericht die Entscheidung darüber nachholen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung erfüllt sind ([X.], Beschluss vom 3. Juni 2008 - [X.], [X.], 614 Rn. 4; Beschluss vom 27. April 2010 - [X.], juris Rn. 3; Beschluss vom 29. April 2014 - [X.], Grundeigentum 2014, 798 Rn. 7; Beschluss vom 8. März 2017 - [X.], [X.] 2017, 278 Rn. 11).

9

b) Eine solche Entscheidung hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall nicht getroffen, obwohl das [X.] von der Zulässigkeit einer Berufung nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ausgegangen ist und daher aus seiner Sicht keine Veranlassung hatte, über die Zulassung der Berufung zu befinden.

Dies ergibt sich zum einen daraus, dass das [X.] seiner Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit eine Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO hinzugefügt hat, was im Hinblick auf § 713 ZPO dafür spricht, dass es nicht von einer offensichtlichen Unanfechtbarkeit seines Urteils ausgegangen ist ([X.], Beschluss vom 21. April 2010 - [X.] 128/09, NJW-RR 2010, 934 Rn. 20). Zudem hat das [X.] die Höhe der Sicherheitsleistung auf 800 € festgesetzt und dies damit begründet, dies entspräche dem geschätzten Aufwand an Zeit und Kosten, den die Beklagte für die Erteilung der Auskünfte habe. Das [X.] bemisst die Beschwer der Beklagten durch die Auskunftserteilung mithin auf 800 €, so dass danach eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung nicht veranlasst war (vgl. [X.], Beschluss vom 23. März 2011 - [X.] 436/10, NJW-RR 2011, 998 Rn. 14; Beschluss vom 8. März 2017 - [X.], [X.] 2017, 278 Rn. 11). Auf dieser Grundlage hatte das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung, über die Zulassung der Berufung gemäß § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu entscheiden.

III. Nach § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist die Sache daher zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, welches über die Zulassung der Berufung zu befinden haben wird.

[X.]     

      

B. Grüneberg     

      

V. Sander

      

von Selle     

      

Adams     

      

Meta

II ZB 7/22

18.10.2022

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Dresden, 21. Januar 2022, Az: 5 U 2375/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.10.2022, Az. II ZB 7/22 (REWIS RS 2022, 6594)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6594

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III ZB 65/23 (Bundesgerichtshof)

Nachholung von Entscheidung über Berufungszulassung


IV ZB 18/16 (Bundesgerichtshof)

Berufungsverfahren: Verwerfung der Berufung wegen Nichterreichens der Berufungsbeschwer


III ZB 70/17 (Bundesgerichtshof)

Fehlerhafte Verwerfung der Berufung wegen Nichterreichens der Berufungsbeschwer: Ermittlung der Beschwer bei Verurteilung zur Auskunftserteilung …


IV ZB 1/22 (Bundesgerichtshof)

Rechtskraftfähige Sachentscheidung bei Nichtberücksichtigung einer Eventualaufrechnung mangels Gegenseitigkeit


V ZB 235/17 (Bundesgerichtshof)

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.