Bundessozialgericht, Urteil vom 08.12.2022, Az. B 7/14 AS 10/21 R

7. Senat | REWIS RS 2022, 8882

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 26. November 2020 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten sind die Aufhebung der Bewilligung von [X.] und die Erstattung von insgesamt 42 155,88 Euro für Januar 2005 bis Oktober 2009 wegen des Bezugs einer Rente vom Rentenfonds der [X.].

2

Die 1947 geborene Klägerin ist [X.] Staatsangehörige. Sie siedelte im Mai 2004 aus [X.] in [X.], wo sie seit der Vollendung ihres 50. Lebensjahres eine Rente bezog, nach [X.] über. Im Antrag gegenüber der [X.], dem örtlichen Träger der Sozialhilfe, gab sie zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen an, 200 € Bargeld zu besitzen. Zur Frage im Antragsformular nach Renteneinkommen gab sie keine Erklärung ab. Bis Dezember 2004 bezog sie von der Beigeladenen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem [X.]. Von Januar 2005 bis Oktober 2009 erhielt sie vom beklagten [X.] - einer gemeinsamen Einrichtung - [X.]. Im Erstantrag vom 22.10.2004 erklärte die Klägerin, sie verfüge über Einkommen aus Sozialhilfe. In den [X.] gab sie dem Beklagten gegenüber an, Änderungen in den Einkommensverhältnissen hätten sich nicht ergeben. Im [X.] ab Mai 2008 verneinte die Klägerin die Frage nach dem Bezug einer "Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung (z.B. Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistungen, Unfall-/Verletztenrente), Betriebsrenten oder Pensionen" ausdrücklich.

3

Nach Hinweisen Dritter auf mögliches Einkommen und Vermögen legte die Klägerin im November 2009 Nachweise zum Bezug der [X.]n Rente vor. Der Beklagte nahm die [X.] von Januar 2005 bis Oktober 2009 nach Anhörung zurück und forderte die Erstattung der erbrachten Leistungen sowie der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (insgesamt 42 155,88 Euro; Bescheid vom 16.2.2010; Widerspruchsbescheid vom 31.5.2010). Die Klägerin sei wegen des Bezugs der Rente von Leistungen nach dem [X.] ausgeschlossen. Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, weil sie zumindest grob fahrlässig falsche und unvollständige Angaben gemacht habe.

4

Das SG hat nach Beiladung des örtlichen Sozialhilfeträgers die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Das [X.] hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Auf die Revision der Klägerin hat das BSG das Urteil des [X.] aufgehoben und die Sache wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen zur Rente zurückverwiesen (Urteil vom 7.12.2017 - [X.] [X.]/17 R). Im wiedereröffneten Verfahren hat das [X.] die Berufung (erneut) zurückgewiesen (Urteil vom 26.11.2020). Auch unter Zugrundelegung der weiteren Feststellungen sei die Klägerin nach § 7 Abs 4 [X.] von Anfang an von Leistungen nach dem [X.] ausgeschlossen, da die vom Rentenfonds der [X.] bezogene Altersarbeitsrente mit einer [X.] Altersrente vergleichbar sei. Dem stünden das niedrigere Renteneintrittsalter in der [X.] im Allgemeinen bzw infolge einer Beschäftigung nördlich des [X.] im Besonderen sowie die im Vergleich niedrigen Rentenzahlbeträge nicht entgegen. Auf schutzwürdiges Vertrauen könne sich die Klägerin nicht berufen, weil sie die für die Leistungsbewilligung wesentliche Angabe des [X.] grob fahrlässig unterlassen habe. Der Aufhebung und Erstattung stehe die Regelung des § 107 [X.] sowie der allein in Betracht kommende Erstattungsanspruch des Beklagten gegen die Beigeladene nach § 105 Abs 1 [X.] nicht entgegen. Es fehle an der nach § 105 Abs 3 [X.] erforderlichen Kenntnis der Beigeladenen vom Leistungsfall. Die Kenntnis des [X.]s sei dem Sozialhilfeträger im [X.] nicht zuzurechnen.

5

Mit ihrer vom [X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des [X.] vom 26. November 2020 und des [X.] vom 2. Dezember 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Mai 2010 aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 [X.]G). Zu Recht hat das [X.] die Berufung zurückgewiesen.

9

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Urteile der Vorinstanzen (Urteile des [X.] vom 2.12.2013 und des [X.] vom 26.11.2020) sowie der Rücknahme- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.5.2010, mit dem die Bewilligungsentscheidungen für die [X.] von Januar 2005 bis Oktober 2009 zurückgenommen und die zu erstattenden Leistungen und Beiträge festgesetzt worden sind. Die Klägerin verfolgt ihr Klagebegehren zutreffend mit der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 [X.]G).

2. Rechtsgrundlage für die Rücknahme der [X.] ist § 40 Abs 1 Satz 1, Satz 2 [X.] [X.]B II (idF des [X.], [X.] 2917; zur Maßgeblichkeit des im [X.]punkt der Aufhebung geltenden Rechts vgl B[X.] vom 7.12.2017 - [X.] [X.]/17 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.]0 mwN) iVm § 45 [X.]B X und § 330 Abs 2 [X.]B III. Danach ist eine rechtswidrige begünstigende Bewilligung von Leistungen nach dem [X.]B II auch nach Unanfechtbarkeit ohne Ausübung von Ermessen mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sie auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

3. Auf dieser Grundlage hat der Beklagte die Bewilligungen von [X.] für den streitbefangenen [X.]raum zu Recht mit der Begründung zurückgenommen, sie seien zum [X.]punkt ihres Erlasses rechtswidrig. Die Klägerin war gemäß § 7 Abs 4 [X.]B II von Leistungen nach dem [X.]B II ausgeschlossen (dazu 4.). Auf schutzwürdiges Vertrauen kann sie sich nicht berufen (dazu 5.). Der Rücknahme steht auch nicht die [X.] des § 107 [X.]B X entgegen (dazu 6.), weil der Beklagte gegen die Beigeladene keinen Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff [X.]B X hat (dazu 7.). [X.] ist der streitgegenständliche Bescheid zuletzt auch im Hinblick auf die geltend gemachte Rückforderung (dazu 8.).

4. Die Bewilligungen von [X.] sind für die [X.] von Januar 2005 bis Oktober 2009 rechtswidrig, weil die Klägerin von Leistungen nach dem [X.]B II ausgeschlossen war. Ob die Klägerin die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 [X.]B II erfüllte, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen. Nach § 7 Abs 4 [X.]B II (in der vom 1.1.2005 bis 31.7.2006 geltenden Fassung des [X.] am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, [X.] 2954) erhält Leistungen nach dem [X.]B II ua nicht, wer Rente wegen Alters bezieht. Nach § 7 Abs 4 Satz 1 [X.]B II (in der ab 1.8.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom [X.], [X.] 1706) erhält Leistungen nach dem [X.]B II ua nicht, wer Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dies war bei der Klägerin im streitigen [X.]raum der Fall.

§ 7 Abs 4 [X.]B II und § 7 Abs 4 Satz 1 [X.]B II in der jeweils anwendbaren Fassung erstrecken sich auf den Bezug ausländischer Altersrenten. Bei diesen handelt es sich unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, systematischem Zusammenhang und dem Sinn und Zweck des § 7 Abs 4 [X.]B II um Ansprüche nach dem [X.]B II ausschließende Leistungen, wenn sie die gleichen typischen Merkmale aufweisen wie eine [X.] Altersrente (B[X.] vom 16.5.2012 - [X.] [X.]05/11 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.]5 ff; B[X.] vom 7.12.2017 - [X.] [X.]/17 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.]5).

Zu prüfen ist deshalb, ob die ausländische Rente von Funktion und Struktur mit einer [X.]n Altersrente vergleichbar ist. Nach der Rechtsprechung des B[X.] liegt eine Vergleichbarkeit dann vor, wenn die ausländischen Leistungen in ihrem Kerngehalt den gemeinsamen und typischen Merkmalen der inländischen Leistung entsprechen, dh nach Motivation und Funktion gleichwertig sind. Entscheidende Kriterien für die Vergleichbarkeit sind demnach die Leistungsgewährung durch einen öffentlichen Träger, das Anknüpfen der Leistung an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze und der [X.] nach einer im allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellenden Gesamtkonzeption (B[X.] vom 16.5.2012 - [X.] [X.]05/11 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.] 24 mwN; B[X.] vom 7.12.2017 - [X.] [X.]/17 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.]5 mwN).

Hinter dem Ausschluss von Leistungen nach dem [X.]B II steht dabei die typisierende Annahme, dass Bezieher von Altersrenten bereits vor Erreichen der Regelaltersgrenze aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden müssen (B[X.] vom 7.12.2017 - [X.] [X.]/17 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.]6 mwN; vgl im Zusammenhang mit § 12a [X.]B II B[X.] vom 19.8.2015 - [X.] [X.]/15 R - B[X.]E 119, 271 = [X.] 4-4200 § 12a [X.], Rd[X.] 22, 47). Sie sollen von der Förderung zur Integration in den Arbeitsmarkt durch eine steuerfinanzierte Leistung ausgeschlossen sein (B[X.] vom 16.5.2012 - [X.] [X.]05/11 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.]5). Der Leistungsausschluss führt allerdings nicht dazu, dass bei Hilfebedürftigkeit kein Anspruch auf existenzsichernde Leistungen besteht. Wer nach § 7 Abs 4 [X.]B II wegen [X.] keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II erhält, ist iS des § 21 Satz 1 [X.]B XII dem Grunde nach nicht leistungsberechtigt nach dem [X.]B II und kann bei Hilfebedürftigkeit die auf gleicher Grundlage wie im [X.]B II bemessenen und vom Umfang im Wesentlichen identischen existenzsichernden Leistungen nach dem [X.]B XII unter Berücksichtigung des Renteneinkommens beanspruchen (B[X.] vom 7.12.2017 - [X.] [X.]/17 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.]6 mwN; vgl zur Verurteilung des beigeladenen Sozialhilfeträgers im Streit um [X.]B II-Leistungen B[X.] vom 3.12.2015 - [X.] A[X.]/15 R - B[X.]E 120, 149 = [X.] 4-4200 § 7 [X.], Rd[X.]3, 36 ff). Ob ein solcher alternativer Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt vorliegend bestand, kann dahinstehen, weil er nicht Streitgegenstand der vorliegend erhobenen Anfechtungsklage ist.

Bei der vorzunehmenden rechtsvergleichenden Qualifizierung der Renten sind die von der Tatsacheninstanz zum ausländischen Recht getroffenen Feststellungen und die darauf beruhende Rechtsauslegung grundsätzlich bindend, weil es sich insoweit nicht um revisibles Recht handelt (§ 202 Satz 1 [X.]G iVm § 560 ZPO und § 162 [X.]G; vgl B[X.] vom 18.12.2008 - [X.] [X.] 32/07 R - B[X.]E 102, 211 = [X.] 4-4300 § 142 [X.], Rd[X.]4; B[X.] vom 16.5.2012 - [X.] [X.]05/11 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.] 27; B[X.] vom [X.] [X.] 3/15 R - B[X.]E 121, 283 = [X.] 4-3500 § 82 [X.]1, Rd[X.] 22; B[X.] vom [X.] - B 3 KR 15/18 R - B[X.]E 128, 179 = [X.] 4-2500 § 50 [X.], Rd[X.]4).

Die von der Klägerin bezogene [X.] Altersrente erfüllt nach den bindenden Feststellungen des [X.] die Kriterien für eine nach § 7 Abs 4 [X.]B II zum Ausschluss von [X.] führende Altersrente.

a) Die Rente wird von dem Rentenfonds der [X.] als öffentlich-rechtlichem Träger gewährt. Zudem knüpft sie an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze an. Voraussetzung für den Bezug einer [X.]n Altersarbeitsrente waren nach den Feststellungen des [X.] auch unter Berücksichtigung verschiedener Reformen des Rentenrechts stets bestimmte Beschäftigungs- und Wartezeiten sowie das Erreichen des Renteneintrittsalters, das im Regelfall für Männer bei Vollendung des 60. Lebensjahres und für Frauen des 55. Lebensjahres lag. Hiervon bestanden zahlreiche Ausnahmen, die einen früheren Renteneintritt ermöglichten. Von einer dieser Ausnahmen hat auch die Klägerin profitiert, weil sie nördlich des [X.] beschäftigt gewesen ist und daher die Altersarbeitsrente früher in Anspruch nehmen konnte. An der [X.] ändert sich hierdurch nichts. Dass nur der Bezug von Altersrenten nach Erreichen einer für alle Betroffenen einheitlichen Altersgrenze (vergleichbar der Regelaltersgrenze bei der Regelaltersrente nach § 35 [X.]B VI) zum Leistungsausschluss führen kann, sieht § 7 Abs 4 [X.]B II gerade nicht vor. Für den Bezug einer anderen Rente wie zB einer Invaliden- oder Dienstrente ergeben sich nach den Feststellungen des [X.] keine Anhaltspunkte.

b) Des Weiteren erfüllte die [X.] Rente der Klägerin die Funktion des [X.]es nach einer im allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellenden Gesamtkonzeption.

Der für die Vergleichbarkeit wesentliche Zweck dieser Leistung nach ihrer Gesamtkonzeption, den Lebensunterhalt sicherzustellen, ergibt sich aus ihrer Stellung im System der Alterssicherung im Herkunftsstaat. Dies entsprach bereits der arbeitsförderungsrechtlichen Rechtsprechung des B[X.] zu § 118 [X.] (vgl § 118 [X.] [X.] vom [X.], [X.] 582; hierzu B[X.] vom 3.11.1976 - 7 [X.]/75 - B[X.]E 43, 26 = [X.] 4100 § 118 [X.]), an den sich der Wortlaut des § 7 Abs 4 [X.]B II erkennbar anlehnt, weshalb das B[X.] an diese Rechtsprechung im [X.]B II anknüpft (B[X.] vom 16.5.2012 - [X.] [X.]05/11 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.] 25 f). Dementsprechend nicht entscheidend ist, ob die Höhe der Leistung ausreicht, um im Aufenthaltsstaat den Lebensunterhalt sicherzustellen (B[X.] vom 16.5.2012 - [X.] [X.]05/11 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.] 25). Unerheblich ist auch, ob sie im Einzelfall ausreichen würde, um den Lebensunterhalt im Herkunftsstaat zu sichern. Die Leistung muss nur ihrer Gesamtkonzeption nach so bemessen sein, dass sie den Unterhalt des Berechtigten in der Regel gewährleisten soll (B[X.] vom 16.5.2012 - [X.] [X.]05/11 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] Rd[X.] 26 mwN; vgl zum [X.] nur B[X.] vom 3.11.1976 - 7 [X.]/75 - B[X.]E 43, 26 = [X.] 4100 § 118 [X.], juris Rd[X.]3; B[X.] vom [X.] - B[X.]E 73, 10 = [X.] 3-4100 § 118 [X.], juris Rd[X.] 26).

Der [X.]funktion zur Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts im Alter steht die geringe Rentenhöhe, die erst im Jahr 2007 einen Betrag von umgerechnet 100 Euro im Monat überstieg, nicht entgegen. Den vom [X.] nachgeholten Feststellungen ist zu entnehmen, dass die Rente der Klägerin um ca 25 % höher als die Durchschnittsrente war. Nach den Feststellungen des [X.] hat die [X.] Durchschnittsrente zudem nur wenig (etwa 10 %) über dem Existenzminimum der Rentner gelegen. Die durchschnittliche Rente belief sich danach auf ca 30 % des [X.]. Aufgrund des niedrigen Rentenniveaus und des [X.] ist es häufig vorgekommen, dass Rentenbezieher einer Erwerbstätigkeit nachgingen, wenn es auch nicht der Regelfall war. Soweit das [X.] auf der Grundlage dieser nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und deshalb für den Senat bindenden Feststellungen zu dem Ergebnis gekommen ist, es handele sich bei der von der Klägerin bezogenen Rente um eine (Regel-)altersrente für Erwerbstätige, die nach ihrer Konzeption den Lebensunterhalt im Alter sicherstellen soll, ist dies nicht zu beanstanden.

5. Die Klägerin kann sich nicht auf Vertrauen berufen, weil die ihr gegenüber ergangenen [X.] auf Angaben beruhten, die sie zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig bzw unvollständig gemacht hat (vgl § 45 Abs 2 Satz 3 [X.] 2 [X.]B X). Die Frage des Vorliegens grober Fahrlässigkeit stellt eine der revisionsgerichtlichen Prüfung weitgehend entzogene tatrichterliche Würdigung dar (B[X.] vom 18.2.2010 - [X.] [X.]6/08 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.] 27 Rd[X.] 20; B[X.] vom 4.4.2017 - [X.] [X.] 19/16 R - [X.] 4-4300 § 144 [X.] 25 Rd[X.]1; B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]5/17 R - B[X.]E 125, 301 = [X.] 4-4200 § 40 [X.]4, Rd[X.] 22). Das Revisionsgericht prüft insoweit nur, ob das [X.] den revisionsrechtlich nicht überprüfbaren Entscheidungsspielraum bei der groben Fahrlässigkeit überschritten, insbesondere den Begriff der groben Fahrlässigkeit als solchen verkannt hat (B[X.] vom 13.7.2006 - B 7a [X.] 16/05 R - [X.] 4-4300 § 122 [X.] 5 Rd[X.]4).

Hierfür liegen keine Anhaltspunkte vor. Das [X.] hat unter Berücksichtigung der intellektuellen Fähigkeiten der Klägerin sowie des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung maßgeblich darauf abgestellt, dass sie sich von der - wegen der Sprachprobleme - hinzugezogenen Hilfsperson nicht alle Fragen in den Antragsformularen vollständig übersetzen ließ, sondern sich auf deren Einschätzung verlassen hat, eine [X.] Rente müsse nicht angegeben werden. Entscheidend war für das [X.] zudem, dass die Klägerin gegenüber den Mitarbeitern des Beklagten weder auf eigene Verständnis- oder Verständigungsprobleme hingewiesen noch Nachfragen gestellt hat.

Soweit die Klägerin rügt, das [X.] habe ihre fehlenden Sprachkenntnisse nicht ausreichend berücksichtigt, hat das Berufungsgericht seinen tatrichterlichen Entscheidungsspielraum nicht überschritten. Die Klägerin war gehalten, sich durch die Hinzuziehung einer für die Übersetzung der Antragsformulare ausreichend sprachkundigen Person (B[X.] vom 1.7.2010 - B 13 R 77/09 R - [X.] 4-1300 § 48 [X.]8 Rd[X.]3 mwN; Schütze in Schütze, [X.]B X, 9. Aufl 2020, § 45 Rd[X.] 70; Roller in Schütze, [X.]B X, 9. Aufl 2020, § 19 Rd[X.] 6) und unter Inanspruchnahme der die Behörde treffenden Aufklärungs- und Beratungsverpflichtung (§§ 13, 14 [X.]B l, vgl B[X.] vom 24.4.1997 - 11 [X.] - juris Rd[X.] 23) hinreichende Klarheit über deren Inhalt zu verschaffen. Wenn sie aufgrund fehlender Sprachkenntnisse den Leistungsantrag im Hinblick auf entscheidungserhebliche Angaben "blind" unterschreibt, entschuldigt sie dies nicht (vgl Schütze in Schütze, [X.]B X, 9. Aufl 2020, § 45 Rd[X.] 61). Soweit die Klägerin geltend macht, ihr sei nicht bewusst gewesen, dass die auf Rat ihrer beim Ausfüllen behilflichen Vertrauensperson erfolgte Angabe einer anderen Leistung ("Eingliederungshilfe") nicht genüge und "stattdessen oder zusätzlich" die Rente mitzuteilen gewesen sei, wendet sie sich nur (erfolglos) gegen die Beweiswürdigung des [X.].

6. Der Rücknahme der Leistungsbewilligung steht zuletzt nicht die [X.] des § 107 Abs 1 [X.]B X entgegen. Gemäß § 107 Abs 1 [X.]B X gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch (nach §§ 102 ff [X.]B X) besteht. Folge ist, dass der erstattungsberechtigte Leistungsträger die rechtswidrig erfolgten [X.] gegenüber dem Leistungsempfänger nicht gemäß §§ 44 ff [X.]B X aufheben darf (vgl B[X.] vom [X.] - 8 [X.] 29/95 - [X.] 3-1300 § 107 [X.]0, juris Rd[X.]7, 18; B[X.] vom 22.5.2002 - [X.] KN 11/00 R - [X.] 3-2600 § 93 [X.]2; B[X.] vom 26.4.2005 - B 5 RJ 36/04 R - [X.] 4-1300 § 107 [X.] 2; B[X.] vom 20.12.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-1300 § 107 [X.] 5 Rd[X.]9; B[X.] vom [X.] R 80/18 B - Rd[X.]0). Der erstattungsberechtigte Leistungsträger ist dann gehalten, seinen Erstattungsanspruch gegenüber dem erstattungspflichtigen Leistungsträger durchzusetzen. Er hat kein Wahlrecht, die Erstattung entweder vom anderen Leistungsträger oder vom Leistungsempfänger zu verlangen (B[X.] vom [X.] - 8 [X.] 29/95 - [X.] 3-1300 § 107 [X.]0, juris Rd[X.]9). Die von dem Gesetzgeber aus Gründen der Rechtsklarheit und der [X.] mit der [X.] geschaffene unkomplizierte und im Rahmen des Sozialleistungsrechts einheitliche Form des Ausgleichs von [X.] ist für den vorleistenden Träger mit einer Befreiung von dem Risiko der Durchsetzung eines Anspruchs nach den §§ 45, 48 [X.]B X iVm § 50 [X.]B X verbunden (B[X.] vom 20.12.2011 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-1300 § 107 [X.] 5 Rd[X.]9 mwN). Der Leistungsberechtigte kann insofern nicht mehr gegen den eigentlich zur Leistung verpflichteten Leistungsträger vorgehen (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Sozialgesetzbuch - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu [X.] - BT-Drucks 9/95 S 26).

7. Dem Beklagten steht kein Erstattungsanspruch gegen die Beigeladene nach §§ 102 ff [X.]B X zu.

Von den möglichen Anspruchsgrundlagen nach §§ 102 ff [X.]B X kommt allein ein Anspruch des Jobcenters als unzuständiger Träger in Betracht (§ 105 [X.]B X). Insbesondere scheidet ein Anspruch nach § 104 [X.]B X aus (Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers), weil hinsichtlich der Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 7 ff, 19 ff [X.]B II einer- und derjenigen auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff [X.]B XII andererseits kein Vorrang-/Nachrangverhältnis besteht (vgl § 5 Abs 2 Satz 1 [X.]B II, § 21 Satz 1 [X.]B XII).

Nach § 105 Abs 1 Satz 1 [X.]B X ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 102 Abs 1 [X.]B X vorliegen, soweit der zuständige Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Vorliegend kann dahinstehen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 105 Abs 1 Satz 1 [X.]B X vorliegen. Dem Erstattungsanspruch steht jedenfalls § 105 Abs 3 [X.]B X entgegen. Gemäß § 105 Abs 3 [X.]B X (hier idF der Bekanntmachung vom 18.1.2001, [X.]) gelten die Absätze 1 und 2 gegenüber den Trägern der Sozialhilfe, der [X.] und der Jugendhilfe nur von dem [X.]punkt ab, von dem ihnen bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen. Hieran fehlt es. Die Beigeladene hatte im streitgegenständlichen [X.]raum keine (positive) Kenntnis von den Voraussetzungen ihrer Leistungspflicht (a). Eine Kenntnis des Beklagten von einer Hilfebedürftigkeit der Klägerin kann ihr im [X.] nicht zugerechnet werden (b).

a) Die Beigeladene hatte im streitgegenständlichen [X.]raum keine eigene Kenntnis von den Voraussetzungen ihrer Leistungspflicht. Für eine solche positive Kenntnis der Leistungspflicht - hier auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des [X.]B XII (§§ 27 ff [X.]B XII) - reichen ein Kennenmüssen oder auch eine grob fahrlässige Unkenntnis nicht aus ([X.] vom [X.] 30.04 - NVwZ 2005, 1196, juris Rd[X.]1; vgl auch [X.] vom [X.] - 5 C 35.99 - [X.]/[X.]B 2000, 673, juris Rd[X.] 9, 14; [X.] vom [X.] - 5 C 1.17 - [X.]E 162, 224 Rd[X.] 63). Die Beigeladene hatte keine Kenntnis darüber, dass die Klägerin im [X.]raum Januar 2005 bis Oktober 2009 hilfebedürftig war, ohne dass es auf nähere Feststellungen zu ihrem Vermögen ankommt. Sie wusste jedenfalls nicht von dem Rentenbezug, der aufgrund des [X.] nach § 7 Abs 4 [X.]B II einen Anspruch nach dem 3. Kapitel des [X.]B XII erst eröffnen konnte.

b) Im Gegensatz zur Beigeladenen hätte das beklagte Jobcenter im [X.]raum ab Januar 2005 Kenntnis von einer Hilfebedürftigkeit der Klägerin, wenn auch nach wie vor nicht vom Bezug der Rente. Ob dies für die nach § 105 Abs 3 [X.]B X erforderliche Kenntnis von der Leistungspflicht nach dem 3. Kapitel des [X.]B XII ausreichen würde, kann offenbleiben. Anders als im Leistungsfall ermöglicht es § 105 Abs 3 [X.]B X nicht, die Kenntnis eines anderen Leistungsträgers zuzurechnen. Dies gilt insbesondere für die Kenntnis des erstattungsberechtigten Leistungsträgers, weil für die Regelung dann kein Anwendungsbereich verbliebe. Soweit eine solche Zurechnung im Leistungsverhältnis auf der Grundlage von § 16 Abs 2 Satz 2 [X.]B l und § 18 Abs 2 [X.]B XII allgemein anerkannt ist (B[X.] vom 26.8.2008 - [X.]/9b [X.] 18/07 R - [X.] 4-3500 § 18 [X.] Rd[X.] 22 ff; B[X.] vom 13.2.2014 - [X.] [X.] 58/13 B - [X.] 4-3500 § 25 [X.] Rd[X.] 8; B[X.] vom 2.12.2014 - [X.] [X.]/13 R - B[X.]E 117, 303 = [X.] 4-4200 § 7 [X.]2, Rd[X.] 25; B[X.] vom 3.12.2015 - [X.] A[X.]/15 R - B[X.]E 120, 149 = [X.] 4-4200 § 7 [X.], Rd[X.]9), ist dies auf das [X.] im Rahmen des § 105 Abs 3 [X.]B X nicht übertragbar. Dies entspricht der Rechtsprechung des [X.] ([X.] vom [X.] - 5 C 35.99 - [X.]/[X.]B 2000, 673, juris Rd[X.]4; [X.] vom [X.] 30.04 - NVwZ 2005, 1196, juris Rd[X.]1 f; vgl auch [X.] vom [X.] - 5 C 1.17 - [X.]E 162, 224 Rd[X.] 63), der das B[X.] insoweit folgt.

Zwar mag zweifelhaft sein, ob die in § 105 Abs 3 [X.]B X zum Ausdruck kommende Privilegierung der Sozialhilfeträger noch zeitgemäß ist. Sie geht bereits zurück auf das [X.] ([X.] 1450) und diente ausweislich der Gesetzesbegründung seinerzeit - Bedenken des [X.] aufgreifend (BT-Drucks 9/95 S 39) - dem Zweck, dass "der bisherige Rechtszustand (§ 5 [X.]) aufrechterhalten wird" (BT-Drucks 9/1753 [X.]), also der sozialhilferechtliche Kenntnisgrundsatz (jetzt § 18 [X.]B XII) auch im [X.] wirksam sein sollte. § 105 Abs 3 [X.]B X blieb seitdem unverändert. Weder trug die Regelung der späteren Änderung des § 5 [X.] - Einfügung des § 5 Abs 2 [X.] (jetzt § 18 Abs 2 [X.]B XII) durch [X.] ([X.] 1088) - Rechnung noch der sozialhilferechtlichen Rechtsprechung, wonach der Grundsatz "Keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" zahlreiche Ausnahmen kennt (grundlegend bereits [X.] vom 18.5.1995 - 5 C 1.93 - [X.]E 98, 248, juris Rd[X.] 24; vgl zusammenfassend etwa B[X.] vom [X.] - [X.] [X.] 16/08 R - B[X.]E 104, 213 = [X.] 4-1300 § 44 [X.] 20, Rd[X.]4; zuletzt zB B[X.] vom [X.] - B 7 [X.]/20 R - B[X.]E 132, 224 = [X.] 4-1300 § 44 [X.], Rd[X.]7 f). Ob insoweit Anlass besteht, § 105 Abs 3 [X.]B X zu ändern, obliegt indes der Entscheidung des Gesetzgebers. Die Voraussetzungen für eine einschränkende Auslegung der Vorschrift im Sinne einer teleologischen Reduktion sind jedenfalls nicht erfüllt (so bereits [X.] vom [X.] 30.04 - NVwZ 2005, 1196, juris Rd[X.]1).

8. Die Erstattungsverpflichtung der Klägerin für die bezogenen [X.]B II-Leistungen iHv insgesamt 34 307,03 Euro ergibt sich aus § 40 Abs 1 Satz 1 [X.]B II iVm § 50 [X.]B X, die Erstattungspflicht für die erbrachten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv 7848,85 Euro aus § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B II iVm § 335 Abs 1 Satz 1, Abs 5 [X.]B III. Ein Forderungserlass (§ 44 [X.]B II) ist nicht Streitgegenstand (vgl B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]5/17 R - B[X.]E 125, 301 = [X.] 4-4200 § 40 [X.]4, Rd[X.]3).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

 Siefert

 Harich

 Neumann

Meta

B 7/14 AS 10/21 R

08.12.2022

Bundessozialgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend SG Dessau-Roßlau, 2. Dezember 2013, Az: S 7 AS 1933/10, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 08.12.2022, Az. B 7/14 AS 10/21 R (REWIS RS 2022, 8882)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8882

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